Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.05.2018, Az. 1 StR 51/18

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 8597

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Gegenstand

Abweichung eines Gerichts von der Beurteilung des Therapieerfolgs durch ein Gutachten


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.]vom 10. Oktober 2017 im [X.]mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.]zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.]hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung einer Strafe aus einem früheren Urteil zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und einem Monat verurteilt. Zudem ist seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) bei einem [X.]der Strafe im Umfang von zwei Wochen angeordnet worden.

2

Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützten Revision ausschließlich gegen die Anordnung der Maßregel. Das vom [X.]vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3

Nach den Feststellungen des [X.]verwahrte der Angeklagte, der an einer Abhängigkeit von synthetischen Cannabinoiden und Methamphetamin sowie einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leidet, zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt zwischen Anfang Dezember 2014 und Ende Januar 2015 in seiner Wohnung 350 g Methamphetamin. Davon waren 90 % für den gewinnbringenden Weiterverkauf und die übrigen 10 % für den Eigenkonsum des Angeklagten bestimmt.

4

Gegen ihn war in der Vergangenheit bereits zweimal neben Verurteilungen zu mehrjährigen Jugend- bzw. Freiheitsstrafen die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und vollstreckt worden. Beide damit verbundenen Therapien verliefen im Ergebnis erfolglos. Nach Durchlaufen einer ersten Entzugstherapie von 2009 bis 2011 wurde der Angeklagte bereits während der [X.]erneut rückfällig. Nachdem es ihm zunächst noch gelungen war, durch Terminverschiebungen von [X.]den wieder beginnenden [X.]zu verheimlichen, steigerte sich dieser nach dem Ende der [X.]weiter. 2013 erfolgte aufgrund einer Verurteilung wegen Betäubungsmitteldelikten die erneute Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt. Obwohl der Angeklagte während dieses [X.]im Zeitraum von Juni 2013 bis Februar 2015 mehrfach gewährte Lockerungen missbraucht hatte, setzte das zuständige Vollstreckungsgericht im Juli 2015 den Vollzug sowohl der Reststrafe aus der genannten Verurteilung als auch den der Maßregel des § 64 StGB zur Bewährung aus und ordnete Führungsaufsicht an. Später kam es zum Widerruf der Aussetzung beider Freiheitsentziehungen, weil sich der Drogenkonsum des Angeklagten verstärkt und er sich sowohl der Bewährungs- als auch der Führungsaufsicht entzogen hatte. Im September 2016 wurde die Unterbringung für erledigt erklärt. Seitdem wird die 2013 gegen den Angeklagten neben der Maßregel verhängte Freiheitsstrafe vollstreckt.

5

Das sachverständig beratene [X.]hat teils entgegen den Einschätzungen des psychiatrischen Sachverständigen die Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht. Auch unter Berücksichtigung gewichtiger prognostisch ungünstiger Umstände bei dem Angeklagten bestünden hinreichend konkrete Aussichten auf einen Therapieerfolg.

II.

6

Die dagegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

7

1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Anordnung der Maßregel beschränkt. Über diese kann unabhängig vom Schuld- und Strafausspruch entschieden werden. Insbesondere hat das [X.]keine Verknüpfung zwischen der Strafe und der Maßregelentscheidung hergestellt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15 Rn. 12 [insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2016, 113 f.] mwN), was rechtlich regelmäßig auch nicht tragfähig wäre (vgl. BGH, Urteile vom 15. März 2016 – 1 StR 526/15 Rn. 28 [insoweit nicht abgedruckt in StV 2017, 29] und vom 5. Dezember 2017 – 1 StR 416/17, NStZ 2018, 206).

8

2. Die Prognose des Landgerichts, bei dem Angeklagten bestehe die erforderliche hinreichend konkrete Aussicht auf einen Therapieerfolg (§ 64 Satz 2 StGB), enthält auch unter Berücksichtigung des dem Tatrichter dabei zustehenden [X.](BGH, Beschluss vom 13. September 2005 – 3 [X.]mwN; siehe auch Urteil vom 27. Juli 2000 – 1 StR 263/00, NStZ 2000, 587, 588 [bzgl. der Gefährlichkeitsprognose bei § 66 StGB]) der Überprüfung durch das Revisionsgericht zugängliche und durchgreifende Rechtsfehler.

9

a) Das Urteil enthält [X.]im Hinblick auf das eingeholte Gutachten, in dem der psychiatrische Sachverständige – ausweislich der Wiedergabe im Urteil – die näher begründete Einschätzung abgegeben hat, angesichts der vorliegenden gewichtigen prognoseungünstigen Faktoren sei im Vergleich mit anderen Probanden des [X.]von einer unterdurchschnittlichen Erfolgsaussicht auszugehen. Es bestehe eine große Gefahr, dass es in der Lockerungsphase des [X.]– wie in der Vergangenheit – zu Rückfällen und Straftaten des Angeklagten kommen werde ([X.]16).

aa) Zwar war das [X.]an einer vom Gutachten abweichenden Beurteilung des hinreichend konkreten Therapieerfolges nicht grundsätzlich gehindert, weil die gutachterlichen Ausführungen stets lediglich eine Grundlage der eigenen richterlichen Überzeugungsbildung sind (siehe nur BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2017 – 3 StR 368/17 Rn. 11 [NStZ-RR 2018, 85 nur redak. Leitsatz]). [X.]das Tatgericht allerdings in einer Frage, für deren Beantwortung es sachverständige Hilfe für erforderlich gehalten hat oder deren Inanspruchnahme – wie im Fall des § 246a StPO – gesetzlich vorgeschrieben ist, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss es die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlauben, ob es die Darlegungen des Sachverständigen zutreffend gewürdigt und aus ihnen rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit dessen Ausführungen zu den Gesichtspunkten, auf die das Gericht seine abweichende Auffassung stützt ([X.]aaO mwN).

bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht. Das [X.]gründet seine Prognose eines hinreichend konkreten Therapieerfolgs vor allem auf den von ihm angenommenen ernsthaften Therapiewillen des Angeklagten und dessen Verhalten im Freiheitsstrafenvollzug ([X.]17 f.). Es lässt sich dem Urteil allerdings bereits nicht entnehmen, ob der psychiatrische Sachverständige beide Aspekte seiner gutachterlichen Stellungnahme zugrunde gelegt und dennoch keinen hinreichend sicheren Therapieerfolg zu prognostizieren vermochte. Falls diese Umstände im Gutachten Berücksichtigung gefunden haben sollten, hätte es Ausführungen dazu bedurft, warum das [X.]diesen abweichend vom Gutachter ausreichendes Gewicht zumisst, um von den Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB ausgehen zu können.

b) Darüber hinaus weist das Urteil Rechtsfehler bei den der Prognose zugrunde gelegten prognoserelevanten Anknüpfungstatsachen auf.

Soweit das [X.]annimmt, ungeachtet des bisherigen zweimaligen Versagens des Angeklagten jeweils in der [X.]bzw. Stabilisierungsphase des Vollzugs von Maßregeln gemäß § 64 StGB sei bei einem diese Schwierigkeiten in den Blick nehmenden therapeutischen Konzept eine Stabilisierung des Angeklagten erreichbar ([X.]16), fehlt es dafür an tragfähigen Anknüpfungstatsachen.

aa) Maßgeblicher Zeitpunkt für sanktionsrechtliche Prognoseentscheidungen, zu denen diejenige über den hinreichend konkreten Therapieerfolg gemäß § 64 Satz 2 StGB gehört, ist der der tatrichterlichen Hauptverhandlung (BGH, Urteile vom 17. Februar 2004 – 1 [X.]und vom 3. August 2017 – 4 StR 193/17, StraFo 2017, 426 [bzgl. der Gefährlichkeitsprognose nach § 63 StGB] mwN). Die vom Tatrichter als prognostisch bedeutsam bewerteten Umstände müssen zu diesem Zeitpunkt vorliegen. Noch ungewisse positive Veränderungen und lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen während des Vollzugs der fraglichen Maßnahme genügen als tragfähige Anknüpfungstatsachen nicht (vgl. BGH, Urteile vom 28. März 2012 – 2 StR 592/11 Rn. 12, [in NStZ-RR 2012, 272 nur redak. Leitsatz] und vom 22. Oktober 2015 – 4 StR 275/15, NStZ 2016, 337 mwN). Entsprechend vermag auch die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung die Prognose eines hinreichend konkreten Therapieerfolgs nicht zu stützen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010 – 2 StR 519/09, NStZ-RR 2010, 141, 142).

bb) Dem angefochtenen Urteil lässt sich nicht entnehmen, aufgrund welcher konkreten, im Urteilszeitpunkt vorliegenden Umstände das [X.]von dem Vorhandensein eines derartigen therapeutischen Konzepts sowie dessen erfolgversprechender Anwendung auf den Angeklagten ausgeht. Nähere Darlegungen dazu waren wegen des früheren Verhaltens des Angeklagten im Vollzug der Maßregel des § 64 StGB rechtlich geboten. Wie sich aus den Feststellungen zur Person ergibt und vom [X.]an sich nicht verkannt wird, war der Angeklagte bereits in der [X.]seiner ersten Unterbringung gemäß § 64 StGB rückfällig geworden, hatte dies aber zunächst durch Verschiebungen der Termine von [X.]zu verheimlichen vermocht ([X.]3). Während des zweiten [X.]kam es in der [X.]zu einem Rückfall des Angeklagten in Drogenkonsumverhalten. Selbst nachdem dies aufgefallen und die bereits vorgesehene Entlassung zunächst nicht erfolgte, kam es zu weiterem Lockerungsmissbrauch ([X.]5). Obwohl eine „therapeutische Aufarbeitung“ des Rückfalls stattgefunden und es anschließend – wie angesprochen – zu bewährungsweiser Aussetzung des Vollzugs von Freiheitsstrafe und freiheitsentziehender Maßregel kam, entzog sich der Angeklagte der damit einhergehenden Aufsicht ([X.]7).

Auch soweit das [X.]einen prognostisch günstigen Umstand in dem guten Arbeitsverhalten des Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt sehen möchte ([X.]17 f.), erweist sich diese Erwägung angesichts der festgestellten sonstigen persönlichen Umstände wiederum als so nicht tragfähig. Ausweislich der Urteilsfeststellungen und der Wiedergabe des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen hat der Angeklagte während der früheren Unterbringungen in einer Entziehungsanstalt den stationären Teil in beiden Fällen durchgestanden. Rückfälle sind jeweils in den [X.]bzw. Stabilisierungsphasen aufgetreten. Dies passt zu den Ausprägungen, wie sich ebenfalls aus den im Urteil dargelegten Ausführungen des Sachverständigen ergibt, der dissozialen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten, die damit einhergehenden gewährten Freiheiten auszunutzen und Straftaten zu verüben ([X.]16). Angesichts dessen hätte es belastbarer Anknüpfungstatsachen bedurft, um dem Verhalten des Angeklagten unter den Bedingungen des Freiheitsstrafenvollzugs prognostisch Aussagekraft für die nicht stationären Phasen des [X.]zuzumessen. Das gilt in Bezug auf die vom [X.]insbesondere herangezogene Arbeitsleistungen in der Justizvollzugsanstalt erst recht vor dem Hintergrund, dass sich der Angeklagte während der (ersten) [X.]der ab Juni 2013 vollzogenen Unterbringung in der Entziehungsanstalt ebenfalls in einem Beschäftigungsverhältnis befunden hatte ([X.]5), ohne dass damit eine erkennbare stabilisierende Wirkung einher gegangen wäre. Vielmehr kam es gerade in dieser Phase zu erneutem Drogenkonsum.

3. Die Rechtsfehler in der Prognose über den Therapieerfolg bedingen die Aufhebung des Maßregelausspruchs. Das erfasst die zugrunde liegenden Feststellungen, weil die aufgezeigten Mängel auch die tatsächlichen Grundlagen der Prognose betreffen.

Der Senat kann unter Berücksichtigung der bisherigen Feststellungen nicht ausschließen, dass sich in der neuen Hauptverhandlung die Voraussetzungen der Unterbringung des § 64 StGB noch ergeben werden. Das Vorliegen eines Hangs des Angeklagten ist bei isolierter Betrachtung rechtsfehlerfrei festgestellt. Ein symptomatischer Zusammenhang liegt schon deshalb nicht fern, weil von dem verfahrensgegenständlichen Methamphetamin 10 % dem Eigenkonsum des Angeklagten dienen sollten.

Raum     

      

Bellay     

      

Cirener

      

Radtke     

      

Hohoff     

      

Meta

1 StR 51/18

28.05.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 10. Oktober 2017, Az: 8 Ss 25/18

§ 64 S 2 StGB, § 318 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.05.2018, Az. 1 StR 51/18 (REWIS RS 2018, 8597)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 8597

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