Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.04.2015, Az. 5 StR 79/15

5. Strafsenat | REWIS RS 2015, 11903

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
5 StR 79/15

vom
29. April 2015
in der Strafsache
gegen

wegen fahrlässigen Vollrausches

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Der 5.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 29. Ap-ril
2015, an der teilgenommen haben:
[X.] Dr. Sander

als Vorsitzender,

[X.],
[X.] Dr. König,
[X.] [X.],
[X.] Bellay

als beisitzende [X.],

Staatsanwältin

als Vertreterin
der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

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für Recht erkannt:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 17. September 2014 mit den zu-gehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der
Angeklagte freigesprochen worden ist.

Auf die Revision des Angeklagten wird das genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit gegen ihn die Unter-bringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere [X.] des [X.] zu-rückverwiesen.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verwor-fen.

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Von Rechts wegen
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Gründe:
I.
Das [X.] hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je fünf Euro verurteilt, seine Unter-bringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und ihn im Übrigen freigespro-chen. Mit seiner gegen die Verurteilung gerichteten Revision rügt der [X.]. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision gegen den Freispruch; sie beanstandet die Beweiswürdigung. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten hat lediglich hinsichtlich der Anord-nung der Maßregel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Nach den Feststellungen des [X.] konsumierten der Ange-klagte und sein Bekannter

[X.]

, die beide Alkoholiker sind, am 31. Ok-tober 2013 in der Wohnung des Angeklagten erhebliche Mengen Bier und Schnaps. Sie schliefen am Abend ein. Am nächsten Morgen tranken sie ihre
Alkoholvorräte leer. Es kam
zum Streit, wer von beiden weiteren Alkohol be-schaffen und bezahlen sollte. Der Angeklagte, der so schwer alkoholisiert war, dass seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben war, ergriff ein auf dem [X.] liegendes Brotmesser und versetzte [X.]

damit einen Hieb auf die Stirn, der eine mehrere Zentimeter lange, blutende Schnittverletzung verursach-te.

Das Schwurgericht hat aufgrund der exzessiven Trinkgewohnheiten des r-

in einen Vollrausch geraten war. Es liege zwar nicht nahe, dass er sich bewusst und gewollt in den Zustand der 1
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Schuldunfähigkeit getrunken habe. Jedoch sei er im Laufe des nächtlichen Schlafs soweit ernüchtert gewesen, dass er habe beurteilen können, bei Wie-deraufnahme des Trinkens in einen Vollrausch geraten zu können.

2. Dem Angeklagten lag darüber hinaus zur Last, seinen Bekannten

S.

in den Abend-
oder Nachtstunden des 13.
Februar 2014 in dessen Wohnung
getötet zu haben. Nach den Urteilsfeststellungen tranken der Ange-klagte und S.

oftmals gemeinsam erhebliche Mengen Alkohol, so auch an diesem Abend. Der Angeklagte schlief anschließend auf der Couch ein. Als er aufwachte, stellte er fest, dass S.

vor dem laufenden Fernseher in einem Sessel saß und sich nicht bewegte. Der Angeklagte versuchte,
S.

zu we-des Sessels war eine große Blutlache sichtbar. Der Angeklagte verließ nun die Wohnung und begab sich nach [X.]. Am nächsten Tag offenbarte er einem Bekannten, dass S.

tot
sei; dieser verständigte
die Polizei.

Der Leichnam
wies eine etwa 7 cm tiefe Stichverletzung unterhalb der rechten Leistengegend auf. Hierbei waren

todesursächlich

die rechte
Ober-schenkelarterie und -vene durchtrennt worden. Weitere nicht todesursächliche Stich-
bzw. Schnittverletzungen befanden sich im Bereich des [X.] am rechten [X.]. Das [X.] wies eine Blutalkoholkonzentration von 3,03 auf.

Das [X.] hat sich nicht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen können. Es sei angesichts des Vorfalls vom 1. November 2013 zwar naheliegend, dass der die Tat bestreitende Angeklagte auch mit S.

in Streit geraten sei und ihn dabei mit einem
Messer angegriffen habe. [X.] sei dies aber nicht. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass 4
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S.

sich die Verletzungen in depressiver Stimmung selbst beigebracht
oder dass er

wie vom Angeklagten eingewendet

eine weitere Person in seine Wohnung eingelassen habe, die ihn getötet habe.

II.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, denn die Beweiswür-digung des [X.] (§ 261 StPO) hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täter-schaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatge-richts; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechts-fehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich wider-sprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene [X.] gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 6. Novem-ber
1998

2 [X.], [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 16). [X.] ist es weder im Hinblick auf den [X.] noch sonst geboten, zuguns-ten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Be-weisergebnis
keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. [X.], Urteile
vom 18. September 2008

5 [X.], [X.], 401, 402; vom 7. Juni 2011

5 StR 26/11).

b) Solche Rechtsfehler liegen hier vor. Die Beweiswürdigung der [X.] enthält Lücken. Des Weiteren hat sie die Anforderun-gen an die tatgerichtliche Überzeugungsbildung überspannt und sich dadurch 7
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den Blick für eine Gesamtwürdigung der für und gegen die Täterschaft des [X.] sprechenden Tatumstände verstellt.

aa) Zu Recht weist der [X.] hinsichtlich der vom Land-gericht in Betracht gezogenen Möglichkeit eines Suizids darauf hin, dass ein grundlegender Erörterungsmangel vorliegt. Zwar geht die Schwurgerichtskam-mer in Übereinstimmung mit dem rechtsmedizinischen Sachverständigen davon aus, dass die vorgefundenen Verletzungen keine typischen Suizidmerkmale aufwiesen, zumal es
an Probeschnitten

r-ma

einer Selbsttötung der Beurteilung zugrunde zu legen, weil es sich bei S.

um einen (depressiven) Alkoholiker handelte, der zum Zeitpunkt des Todes stark betrunken gewesen sei. Deshalb halte sie S.

sich durch einen Stich in
die [X.] das Leben nahm, wie sie es für unwahrscheinlich halte, dass der Angeklagte dem S.

in Tötungsabsicht ausgerechnet ins

Ungeachtet dessen, dass eine fehlende Tötungsabsicht des Angeklagten nicht die Täterschaft insgesamt in Frage stellen könnte, verhält sich das Urteil nicht dazu, inwieweit S.

sich die weiteren, im Einzelnen nicht näher be-schriebenen Verletzungen im Bereich des Brustkorbes und am rechten Ober-arm zugefügt haben kann und soll. In diesem Zusammenhang wäre vor allem dessen (verbliebene) Handlungsfähigkeit zur Selbstbeibringung aller [X.] zu erörtern gewesen. Des Weiteren geht das [X.] nicht auf den der [X.] widerstreitenden Umstand ein, dass in der

wenn auch von Angehörigen des S.

gesäuberten

Wohnung kein Messer mit Blutanhaf-tungen vorgefunden worden ist.

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bb) Es gibt keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass eine weitere unbekannte Person dem Opfer die tödlichen Verletzungen beigebracht haben S.

eine dritte Person in seine Wohnung eingelassen hat, die ihn dann getö-tet habe, ohne dass der Angeklagte hiervon geweckt worden wäre. Die

von der [X.] in Zweifel gezogene

Einlassung des Angeklagten,
Tatwohnung getroffen haben, vermögen Anhaltspunkte für eine Alternativtäterthese über [X.] hinaus nicht zu begründen.

2. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie den Schuld-
und den Strafausspruch angreift. Das [X.] hat ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen eines fahrlässigen Vollrausches (§ 323a Abs. 1 StGB), insbe-sondere den von der Revision vermissten Zeitpunkt des vorwerfbaren Sichbe-rauschens festgestellt ([X.]). Die Anordnung der Unterbringung des Ange-klagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hat hingegen keinen Bestand.

a) Die Voraussetzungen für die gemäß § 64 Satz 2 StGB erforderliche
hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges sind vom [X.] nicht dargetan. Es verweist lediglich auf die Beurteilung des forensisch-psychiatrischen Sachverständigen, dass der Angeklagte zurzeit zwar nicht mo-tiviert sei, an einer solchen Behandlung teilzunehmen, was einer Heilbehand-lung aber nicht entgegenstehe, weil dieser motivierungsfähig sei. Dieser [X.] hat sich das [X.] ohne Begründung
angeschlossen.

b) Das [X.] hat damit rechtsfehlerhaft eine eigene und ausrei-chende Würdigung hinsichtlich einer konkreten Aussicht eines Behandlungser-12
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folgs nicht vorgenommen. Vor dem Hintergrund des fortgeschrittenen Alters des Angeklagten, seiner langjährigen Alkoholabhängigkeit und körperlichen [X.] sowie zahlreicher im Ergebnis erfolgloser stationärer Entgiftungs-behandlungen hätte es mit Blick auf dessen geäußerte [X.] [X.] eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft, auf welche Um-stände das [X.] die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht stützt. Soweit es sich zudem nicht zur prognostizierten Therapiedauer verhält, kann schließ-lich auch nicht beurteilt werden, ob insoweit überhaupt eine tragfähige Basis für eine konkrete Therapieerfolgsaussicht besteht (vgl. [X.], Urteil vom 10. Ap-ril
2014

5 StR 37/14, [X.], 315 mwN).

Sander
[X.]
König

[X.]
Bellay

Meta

5 StR 79/15

29.04.2015

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.04.2015, Az. 5 StR 79/15 (REWIS RS 2015, 11903)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 11903

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