Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.10.2011, Az. 1 StR 233/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 2254

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1
[X.]

vom
19. Oktober
2011
[X.][X.]:
ja
[X.]R:
ja
Na[X.]hs[X.]hlagewerk:
ja
Veröffentli[X.]hung:
ja
________________________

[X.]GB § 221 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3; § 13 Abs. 2

Aussetzung dur[X.]h [X.] lassen ist stets ein [X.]; eine [X.]raf-rahmenmilderung gemäß § 13 Abs. 2 [X.]GB ist ni[X.]ht mögli[X.]h, au[X.]h ni[X.]ht, wenn der Täter dur[X.]h die Tat den Tod des Opfers verursa[X.]ht (§ 221 Abs. 3 [X.]GB).

[X.], Bes[X.]hluss vom 19. Oktober 2011 -
1 [X.] -
LG -
S[X.]hwG -
Mem-mingen

in der [X.]rafsa[X.]he
gegen

wegen Aussetzung mit Todesfolge

-
2
-
Der 1. [X.]rafsenat des [X.] hat am 19. Oktober
2011 [X.]:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 20. Dezember 2010 wird als unbegründet [X.].
Der Bes[X.]hwerdeführer hat die Kosten des Re[X.]htsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwen-digen Auslagen zu tragen.

Gründe:
[X.] hat festgestellt:

Der Angeklagte lebte mit einer sieben Jahre jüngeren Frau zusammen, für die er "Verantwortung übernommen hatte". So unterstützte er etwa ihr Be-mühen, einen S[X.]hulabs[X.]hluss na[X.]hzuholen. Als sie während eines Gaststät-tenbesu[X.]hs über S[X.]hwindelanfälle klagte, ging er mit ihr na[X.]h [X.]. Dort gab es [X.]reit, weil er
einen ihrer Slips bei einem Mitbewohner gefunden hatte. Sie wollte den [X.]reit beenden und ging ins S[X.]hlafzimmer. Aus ni[X.]ht aufklärbaren Gründen kippte sie gegen 2.35 Uhr in der Na[X.]ht über ein 84 [X.]m hohes Balkon-geländer. Sie hing
außen mit den Beinen zur gut 12 m tiefer liegenden [X.]raße, konnte si[X.]h aber zunä[X.]hst mit den Händen von außen festhalten. Sie s[X.]hrie mehrfa[X.]h laut um Hilfe, wie in den umliegenden Häusern gehört wurde, z.B. mit den Worten "A.

, warum hilfst du [X.] ni[X.]ht?" Wie ebenfalls gehört wurde, wurde auf diese Rufe hin gela[X.]ht. Der Angeklagte, der die Situation erkannt hatte, griff jedenfalls ni[X.]ht ein, obwohl ihm dies ohne 1
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Weiteres mögli[X.]h gewesen wäre, und verließ die Wohnung. Etwa zu diesem Zeitpunkt konnte sie si[X.]h ni[X.]ht länger festhalten, stürzte ab und war sofort tot.

[X.] geht davon aus, dass der Angeklagte erkannte, dass sie in Todesgefahr war, wobei er jedo[X.]h -
was ni[X.]ht näher begründet ist und si[X.]h ni[X.]ht ohne Weiteres aufdrängt -
darauf vertraute, dass am Ende ni[X.]hts passieren würde, weshalb er hinsi[X.]htli[X.]h ihres Todes nur fahrlässig gehandelt habe. Auf dieser Grundlage hat sie ihn gemäß § 221 Abs.
1 Nr. 2 [X.]GB (im [X.]i[X.]h lassen) i.V.m. § 221 Abs. 3 [X.]GB zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Die auf die Sa[X.]hrüge gestützte Revision, die in Erwiderung auf den [X.] (§ 349 Abs. 3 Satz 2 [X.]PO) näher ausgeführt wurde, bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 [X.]PO).

1. Das im Wesentli[X.]hen gegen die Beweiswürdigung geri[X.]htete Vorbrin-gen, das dahin zusammengefasst ist, der Angeklagte wäre unter Verletzung des [X.] verurteilt worden, ist unbehelfli[X.]h. Anhaltspunkte für Zweifel der [X.]rafkammer sind ni[X.]ht ersi[X.]htli[X.]h; darauf, dass sie na[X.]h Auffassung der Revision Zweifel hätte haben müssen, bzw. auf die Zweifel der Revision kommt es ni[X.]ht an (vgl. zusammenfassend S[X.]horeit in KK,
6. Aufl.,
§ 261 Rn. 59 mwN).

2. Au[X.]h im Übrigen hält das Urteil re[X.]htli[X.]her Überprüfung im Ergebnis stand. Der näheren Erörterung bedarf dabei nur Folgendes:

[X.] ist letztli[X.]h davon ausgegangen, dass der Angeklagte ""
in der Wohnung war, na[X.]hdem sie (naheliegend) ni[X.]ht auf die Sekunde genau klären konnte, ob der Angeklag-3
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te die Wohnung kurz vor dem Absturz, zum Zeitpunkt des Absturzes oder kurz dana[X.]h verließ. Re[X.]htli[X.]he Erwägungen dazu, ob hier der Angeklagte seine Freundin dadur[X.]h i.S.d. § 221 Abs. 1 Nr.
2 [X.]GB "im [X.]i[X.]h ließ", dass er ohne Ortswe[X.]hsel passiv blieb, oder dadur[X.]h, dass er die
Wohnung verließ -
beide Mögli[X.]hkeiten gehen hier ineinander über -, also ob er si[X.]h dur[X.]h [X.] oder dur[X.]h Unterlassen strafbar gema[X.]ht hat, sind ni[X.]ht angestellt.

a) Der S[X.]huldspru[X.]h bleibt hiervon allerdings von vorneherein unberührt.

b) Der [X.]rafausspru[X.]h könnte jedo[X.]h dann keinen Bestand haben, wenn trotz einer au[X.]h dur[X.]h aktives [X.] mögli[X.]hen [X.]rafbarkeit hier eine [X.]rafbarkeit dur[X.]h Unterlassen und dementspre[X.]hend na[X.]h tatri[X.]hterli[X.]hem Ermessen eine (hier ni[X.]ht geprüfte) Milderung des [X.]rafrahmens gemäß § 13 Abs. 2 [X.]GB in Frage käme (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 17. August 1999 -
1 [X.], [X.], 607).

Der [X.] hat
dies jedo[X.]h verneint.

(1) Seit der Neufassung von § 221 [X.]GB dur[X.]h Art. 1 Nr. 37 des 6.
[X.]rRG vom 26. Januar 1998 ([X.]) hat die Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] (vgl. die Übersi[X.]ht bei
[X.], Die Aussetzung na[X.]h § 221 [X.]GB, S. 504) die Re[X.]htsnatur von § 221 Abs. 1 Nr. 2 [X.]GB im Sinne einer Ab-grenzung zwis[X.]hen Begehungs-
und [X.] no[X.]h ni[X.]ht behandelt. Die Fa[X.]hliteratur vertritt unters[X.]hiedli[X.]he [X.]andpunkte. Etli[X.]he Autoren spre-[X.]hen si[X.]h für ein sowohl dur[X.]h [X.] als au[X.]h dur[X.]h Unterlassen begehbares Delikt aus (z.B. Eser in [X.]/[X.],
[X.]GB,
28. Aufl.,
§ 221 Rn.
10;
[X.],
[X.]GB,
58. Aufl.,
§ 221 Rn. 12; [X.]/Kühl,
[X.]GB,
27. Aufl.,
§ 221 Rn.
4; [X.] in LK,
11. Aufl.,
§ 221 Rn. 22, 28, 29 mit ausdrü[X.]kli[X.]hem Hinweis 8
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auf die Anwendbarkeit von § 13 Abs. 2,
[X.]GB aaO,
Rn. 43; zusammenfassend
[X.],
aaO,
[X.] mwN in [X.]. 194; [X.], Systematik des [X.] mwN in [X.]. 1039).
Andere halten § 221 Abs. 1 Nr.
2 [X.]GB für ein (reines) [X.] (z.B. Horn/[X.] in [X.], §
221 Rn. 6; [X.] in MüKo-[X.]GB,
§ 221 Rn. 2; [X.] in [X.], 3.
Aufl., § 221 Rn.
19; zusammenfassend [X.],
aaO,
S. 112 f.
mwN in [X.].
183; [X.],
aaO,
mwN in [X.]. 1045 ff.). § 221 Abs. 1 Nr. 2
[X.]GB
wird au[X.]h als der (normierte) une[X.]hte Unterlassungstatbestand zu § 221 Abs. 1 Nr.
1 [X.]GB angesehen (vgl. z.B. [X.],
[X.]GB,
AT II
§ 31 Rn.
18; zusammen-fassend [X.],
aaO,
[X.] f.
mwN; [X.],
aaO,
Rn. 250 weist ausdrü[X.]kli[X.]h auf die Anwendbarkeit von § 13 Abs. 2 [X.]GB hin). Teilweise wird no[X.]h weiter differenziert (z.B. [X.],
[X.] 111, 30, 58 f.; [X.]/[X.],
[X.]GB, [X.] 2.
Aufl.,
S. 48).

(2) Der [X.] hält § 221 Abs. 1 Nr. 2 [X.]GB für ein [X.]. Das Verlassen des Opfers ist -
anders als na[X.]h der früheren Gesetzeslage
(vgl. hierzu [X.], Urteil vom 30. September 1991 -
1 [X.], [X.][X.] 38, 78 ff.)
-
nur no[X.]h ein faktis[X.]her Anwendungsfall, aber kein gesetzli[X.]her Unterfall des [X.]. Dass der Täter die gebotene Handlung deshalb ni[X.]ht vor-nimmt, weil er den Ort, an dem er handeln müsste, verlässt, ändert ni[X.]hts an dem grundsätzli[X.]hen Re[X.]hts[X.]harakter der
Tat (vgl. [X.],
aaO). Letztli[X.]h ist bei der Bewertung von Verhaltensweisen unter dem Bli[X.]kwinkel, ob strafbares [X.] oder strafbares Unterlassen vorliegt, darauf abzustellen, worin der "S[X.]hwerpunkt der [X.]"
liegt (st. Rspr., vgl.
[X.] (GrS[X.]),
Bes[X.]hluss vom 17. Februar 1954 -
GS[X.] 3/53,
[X.][X.] 6, 46, 59;
[X.], Urteil vom 1. [X.] 2005 -
1 [X.]R 422/04,
[X.] N[X.]Z 2005, 446, 447;
[X.], Urteil vom 12.
Juli 2005 -
1 [X.]R 65/05,
N[X.]Z-RR 2006, 174, 175; [X.]., au[X.]h für die anderen
Auffassungen, bei
[X.],
aaO,
S. 156 [X.].
379). Dieser liegt darin, dass der 12
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Täter die gebotene Hilfeleistung unterlässt, ohne dass es darauf ankommt, ob er si[X.]h (zusätzli[X.]h) entfernt.

[X.]) Ob § 13 [X.]GB anwendbar und damit au[X.]h (fakultativ) eine [X.]rafrah-menmilderung gemäß § 13 Abs. 2 [X.]GB mögli[X.]h ist, ri[X.]htet si[X.]h dana[X.]h, ob ein "e[X.]htes"
oder "une[X.]htes"
[X.] vorliegt. Für "e[X.]hte"
[X.] gilt § 13 [X.]GB ni[X.]ht (vgl. zusammenfassend [X.], [X.]GB,
58.
Aufl., § 13 Rn. 3 mwN). "E[X.]hte"
[X.]e müssen keinen Tater-folg aufweisen (vgl. [X.], Urteil vom 16. Mai 1960 -
2 [X.]R 65/60, [X.][X.] 14, 280, 281; BayObLG, Bes[X.]hluss vom 22. Januar 1990 -
RReg 1 [X.]/5/90,
NJW 1990, 1861; [X.],
aaO,
vor § 13 Rn. 16). So verhält es si[X.]h letztli[X.]h hier. Das pfli[X.]htwidrige Garantenverhalten führt im Rahmen von § 221 Abs. 1 Nr. 2 [X.]GB ni[X.]ht zu einer Verantwortli[X.]hkeit für den daraus resultierenden Verlet-zungserfolg, sondern zur strafre[X.]htli[X.]hen Haftung für die ni[X.]ht abgewendete konkrete Gefahr ([X.],
aaO,
58 f.). Ist aber aus diesen Gründen § 221 Abs. 1 Nr. 2 [X.]GB e[X.]htes [X.], sodass § 13 [X.]GB ni[X.]ht anwendbar ist
(so au[X.]h die überwiegende Meinung in der Fa[X.]hliteratur, vgl. zusammenfas-send [X.], aaO, [X.] mwN in [X.]. 1459, au[X.]h für gegenteilige [X.]), kann für den hierauf aufbauenden Qualifikationstatbestand des § 221 Abs. 3 [X.]GB ni[X.]hts anderes gelten.

Der [X.] hat dabei erwogen, dass bei Vorsatz hinsi[X.]htli[X.]h der Todes-folge Tots[X.]hlag (§ 212 [X.]GB) vorläge und § 221 [X.]GB dahinter zurü[X.]ktreten würde ([X.], aaO, § 221, Rn. 28; zu § 221 [X.]GB aF ebenso s[X.]hon [X.], Urteil vom 27. März 1953 -
1 [X.]R 689/52, [X.][X.] 4, 114, 116). Bei einer [X.]raf-barkeit gemäß § 212 [X.]GB ist § 13 Abs. 2 [X.]GB jedo[X.]h grundsätzli[X.]h anwend-bar, so dass gegebenenfalls
die Mindeststrafe bei Fahrlässigkeit hinsi[X.]htli[X.]h der Todesfolge (drei Jahre Freiheitsstrafe gemäß § 221 [X.]GB) höher sein könn-13
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te als bei Vorsatz (zwei Jahre Freiheitsstrafe gemäß § 212 Abs. 1 [X.]GB i.V.m. §
13 Abs. 2 [X.]GB und § 49 Abs. 1 Nr. 3 [X.]GB). Ohne dass hier über einen sol-[X.]hen Fall zu ents[X.]heiden wäre, würde na[X.]h Auffassung des [X.]s zur Ver-meidung des aufgezeigten Wertungswiderspru[X.]hs (vgl. hierzu au[X.]h [X.], aaO, Rn. 250) der Grundsatz, dass die Mindeststrafe eines auf Konkurrenz-ebene hinter einem
anderen Delikt zurü[X.]ktretenden Delikts eine Sperrwirkung entfaltet (st. Rspr., vgl. nur [X.], Urteil vom 24. November 2005 -
4 [X.]R 243/05, N[X.]Z 2006, 288, 290 mwN; vgl. au[X.]h zusammenfassend [X.], aaO, vor § 52 Rn. 45 mwN) hier entspre[X.]hend gelten.

Na[X.]k

Wahl Elf

Jäger [X.]

Meta

1 StR 233/11

19.10.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.10.2011, Az. 1 StR 233/11 (REWIS RS 2011, 2254)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2254

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1 StR 233/11

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