Bundessozialgericht, Urteil vom 10.03.2010, Az. B 3 P 10/08 R

3. Senat | REWIS RS 2010, 8601

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Soziale Pflegeversicherung - vollstationäre Pflege - Bemessung des Pflegebedarfs - Pflegestufe II - Grundpflege - Zeitaufwand - Hilfe beim Gehen: Wege von und zur Toilette - Pauschalierung der Wegstrecken in Pflegeheimen - keine Rundung auf volle Minuten für einzelne Wegstrecken


Leitsatz

1. Die Wege von und zur Toilette als Orientierungsgröße zur Ermittlung des Zeitaufwands für die Hilfe beim Gehen sind in stationären Pflegeeinrichtungen mit acht Metern regelmäßig sachgerecht bemessen.

2. Der Hilfebedarf für die Hilfe beim Gehen ist nicht für jede einzelne Wegstrecke, sondern nur für die Tagesdurchschnittsbemessung auf volle Minuten aufzurunden.

Tatbestand

1

Streitig ist die Bemessung des Zeitaufwandes für die Hilfe beim Gehen im Rahmen des Anspruchs auf Zuerkennung von Leistungen nach der [X.] im Zeitraum [X.] bis 30.11.2008.

2

Die 1923 geborene Klägerin ist bei der beklagten Pflegekasse gesetzlich pflegeversichert. Sie leidet gesundheitlich im Wesentlichen an einer im streitigen Zeitraum noch mittelgradigen Demenz mit halluzinatorischer Symptomatik sowie einem beidseitigen Glaukom mit erheblicher Beeinträchtigung der Sehkraft. Seit dem [X.] ist sie vollstationär in einem Seniorenzentrum untergebracht. Die Beklagte gewährte zunächst Pflegeleistungen bei vollstationärer Pflege nach der [X.] und seit dem 1.12.2008 nach der [X.] (Bescheid vom 10.3.2009). Einen früheren Höherstufungsantrag der Klägerin vom [X.] lehnte die Beklagte nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung ([X.]) ab und führte zur Begründung aus, der durchschnittliche Hilfebedarf in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität betrage lediglich 66 Minuten (Bescheid vom 16.6.2006). Der hiergegen eingelegte Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27.9.2006).

3

Das von der Klägerin angerufene [X.] hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens vom [X.], ausweislich dessen ein Hilfebedarf im Bereich Hauswirtschaft von mindestens 60 Minuten täglich und ein grundpflegerischer Hilfebedarf im Umfang von 109 Minuten täglich bestanden hat (Körperpflege 55 Minuten, Ernährung 24 Minuten und Mobilität 30 Minuten). Für die Bemessung des Hilfebedarfs beim Gehen wurden dabei 25 bis 27 Wegstrecken für die Hin- und Rückwege zu den Mahlzeiten, zur Toilette und zur Dusche sowie dem abendlichen Zubettgehen zugrunde gelegt. Bei einer nach den Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit ([X.]) anzunehmenden durchschnittlichen Wegstrecke von acht Metern benötige die Klägerin hierfür pro Weg eine halbe Minute. Insgesamt sei daher für die Hilfe beim Gehen ein durchschnittlicher täglicher Zeitbedarf von 13 Minuten (26 x ½ Minute) festzustellen. Das [X.] hat der Klage mit Urteil vom [X.] stattgegeben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab [X.] Leistungen nach [X.] zu gewähren. Über die Feststellungen im Gutachten vom [X.] hinaus seien weitere 14 Minuten Hilfebedarf (insgesamt 123 Minuten Grundpflege) anzurechnen: Eine Minute davon entfalle auf das Aufstehen und Zubettgehen und 13 Minuten auf die Verrichtung des "Gehens". Nach den [X.] sei der Wert der Verrichtungen jeweils mit mindestens einer Minute zu berücksichtigen - daher müsse jede einzelne Wegstrecke mit einem Hilfebedarf von einer Minute bemessen werden.

4

Auf die Berufung der Beklagten hat das L[X.] das Urteil des [X.] geändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Verrichtung im Sinne der [X.] sei nicht jeder einzelne Weg, sondern das Gehen an sich. Die in den [X.] enthaltene Regelung, wonach für jede Verrichtung volle Minutenwerte anzugeben sind, beziehe sich nicht auf einzelne Tätigkeiten oder "Einzelverrichtungen", sondern nur auf die Tagesdurchschnittsbemessung.

5

Mit der vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. § 14 Abs 4 [X.]B XI sei für die Frage, welche Verrichtungen berücksichtigungsfähig seien, nicht in jedem Fall als abschließende Regelung zu betrachten. Offensichtlich irrtümlich habe der Gesetzgeber den Toilettengang nicht als Verrichtung aufgeführt. Zudem sei jeder Gang zur bzw von der Toilette jeweils mit einer vollen Minute anzusetzen. Es sei einem Pflegenden nicht zuzumuten, quasi mit der Stoppuhr den Hilfebedarf sekundengenau zu dokumentieren.

6

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des L[X.] Nordrhein-Westfalen vom [X.] mit der Maßgabe zu ändern, dass nur noch Leistungen der [X.] für die Zeit vom [X.] bis 30.11.2008 begehrt werden, und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] Duisburg vom [X.] insoweit zurückzuweisen.

7

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

[X.]ie zulässige Revision der [X.]lägerin ist unbegründet. Zutreffend hat das [X.] entschieden, dass ein Anspruch auf Pflegeleistungen bei vollstationärer Pflege nach der [X.] für den [X.]raum vom [X.] bis 30.11.2008 nicht bestanden hat, sondern nur - wie bereits zuerkannt - nach der Pflegestufe I.

9

1. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs für die [X.] von März 2006 bis Juni 2007 ist § 43 Abs 5 Satz 1 [X.] in der bis zum [X.] geltenden Fassung des [X.] ([X.] 2702), für die [X.] von Juli 2007 bis Juni 2008 § 43 Abs 2 Satz 1 [X.] in der bis zum 30.6.2008 geltenden Fassung des [X.] ([X.] 378) und für die [X.] von Juli bis November 2008 in der aktuellen Fassung des § 43 Abs 2 Satz 2 [X.] (Gesetz vom 28.5.2008, [X.] 874) - jeweils iVm § 14, § 15 Abs 1 [X.] und § 15 Abs 3 Satz 1 [X.].

2. Für Pflegebedürftige in vollstationären Einrichtungen übernimmt die Pflegekasse gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 [X.] im Rahmen von pauschalen Leistungsbeträgen die pflegebedingten Aufwendungen sowie die Aufwendungen der [X.] Betreuung und für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. [X.]ie monatliche Leistungshöhe hängt von der Pflegestufe iS des § 15 [X.] ab und beträgt für Pflegebedürftige der [X.] damals wie heute 1279 Euro. Nach § 14 Abs 1 [X.] sind Personen pflegebedürftig, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen [X.]rankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf [X.]auer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. Gemäß § 15 Abs 1 Satz 1 [X.] ist schwerpflegebedürftig und damit der [X.] zuzuordnen, wer bei der [X.]örperpflege, der Ernährung oder der Mobilität mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung bedarf. [X.]iese Vorschrift wird durch § 15 Abs 3 Satz 1 [X.] insofern konkretisiert, als der [X.]aufwand für die Hilfen täglich im Wochendurchschnitt (die Formulierung in § 15 Abs 3 Satz 1 [X.] "wöchentlich im Tagesdurchschnitt" ist so gemeint, vgl [X.]-3300 § 14 [X.] RdNr 9) bei der [X.] mindestens drei Stunden betragen muss, von denen wiederum mindestens zwei Stunden auf die Grundpflege entfallen müssen. [X.]ie Grundpflege erfasst diejenigen Verrichtungen, die für die [X.]örperpflege, die Ernährung und die Mobilität iS von § 14 Abs 4 [X.] bis 3 [X.] erforderlich sind ([X.]-3300 § 14 [X.] RdNr 9).

3. Ein die Zuordnung zur [X.] begründender [X.] bestand in dem hier zur Entscheidung stehenden [X.]raum nicht. Nach den [X.] und deshalb für den [X.] bindenden (§ 163 [X.]G) Feststellungen des [X.] betrug der tägliche Hilfebedarf der [X.]lägerin für die [X.]örperpflege 55 Minuten und für die Ernährung 24 Minuten (zusammen 79 Minuten). [X.]er im Hinblick auf die [X.] erforderliche [X.] von zumindest 120 Minuten wurde aber nicht erreicht, weil die [X.]lägerin in Bezug auf ihre Mobilität keiner Hilfe im Umfang von weiteren zumindest 41 Minuten bedurfte. [X.]er mobilitätsbedingte und im Gutachten vom [X.] festgestellte Hilfebedarf von 30 Minuten ist nicht um weitere 13 Minuten wegen zusätzlicher Hilfezeiten beim Gehen zu erhöhen (dazu unter a). Ob darüber hinaus - wie vom [X.] angenommen - wegen der Hilfe beim Aufstehen/Zubettgehen der Hilfebedarf um eine weitere Minute zu erhöhen ist, bedarf daher keiner Entscheidung (dazu unter b).

a) [X.]as [X.] hat den Hilfebedarf beim Gehen zu Recht nur insoweit anerkannt, als die Wege zu und von der Toilette, zu und von den Mahlzeiten sowie beim Zubettgehen zu berücksichtigen waren (dazu unter aa); bezüglich des Gehens hat es seiner Entscheidung ebenfalls zu Recht nur die einfache Wegstrecke von pauschal acht Metern zugrunde gelegt (dazu unter [X.]) und die dabei benötigte Hilfe zeitlich auch nicht auf eine volle Minute pro Wegstrecke aufgerundet (dazu unter [X.]).

aa) [X.]er Hilfebedarf beim Gehen (§ 14 Abs 4 [X.] [X.]) ist dem Grunde nach nur im Hinblick auf die Wege zu und von der Toilette, zu und von den Mahlzeiten und beim Zubettgehen anzuerkennen. [X.]enn die notwendige Hilfe beim Gehen ist nur dann zu berücksichtigen, wenn sie im Zusammenhang mit den anderen in § 14 Abs 4 [X.] genannten zielgerichteten Verrichtungen - dh [X.]örperpflege, Ernährung und hauswirtschaftliche Versorgung - erfolgt (so schon B[X.] SozR 3-3300 § 14 [X.]0 S 70 f; zustimmend: Wagner in [X.]/[X.], [X.], Stand März 2010, [X.] § 14 RdNr 47; kritisch: [X.]lie in LP[X.] [X.], 3. Aufl 2009, § 14 Rd[X.]2). [X.]er [X.] des § 14 Abs 4 [X.] ist grundsätzlich abschließend und auf bestimmte elementare Lebensbereiche beschränkt (B[X.] SozR 3-3300 § 14 [X.] f; vgl zur "offensichtlichen Lücke des Gesetzes" zur Hilfe beim Liegen und Sitzen aber: B[X.] SozR 3-3300 § 14 [X.]4 S 91 f). [X.]ie Auffassung der [X.]lägerin, die Wege von und zur Toilette seien nicht der Verrichtung "Gehen" zuzuordnen, sondern über den Wortlaut des § 14 Abs 4 [X.] hinaus ebenfalls als eigenständige Verrichtung zu erfassen, ist unzutreffend, da schon keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke besteht. [X.]ie [X.]arm- und Blasenentleerung in Form des hygienischen Vorgangs ist eine für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit relevante Verrichtung der [X.]örperpflege (§ 14 Abs 4 [X.] [X.]), so dass der Hilfebedarf für die Wege zur bzw von der Toilette im Rahmen der Mobilität über die Verrichtung des Gehens vollständig erfasst wird.

[X.]) Ebenfalls zutreffend hat das [X.] bezüglich des zeitlichen Umfangs der Hilfe beim Gehen auf das individuelle Gehvermögen der [X.]lägerin abgestellt und dabei für eine einfache Wegstrecke pauschal acht Meter zugrunde gelegt.

(1) Ausgangspunkt für die Ermittlung des [X.]aufwandes für die Hilfe beim Gehen ist auch bei stationärer Pflege die [X.]auer, die eine - nicht als Pflegekraft ausgebildete, also nicht professionelle - durchschnittliche Pflegeperson iS von § 19 [X.] für die Hilfe angesichts des individuellen Gehvermögens des Pflegebedürftigen benötigt (§ 15 Abs 3 Satz 1 [X.]). Entscheidend ist der individuelle, sachlich begründete Bedarf aus Sicht des zu Pflegenden (B[X.] SozR 3-3300 § 14 [X.]), wobei sich das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit nicht pauschal nach [X.]rankheitsbildern oder Funktionsstörungen, sondern danach richtet, welcher [X.]aufwand in Bezug auf den individuellen Pflegebedarf konkret erforderlich ist ([X.], [X.], 3. Aufl 2010, § 15 RdNr 4). [X.]ementsprechend ist in dem vom [X.] eingeholten Sachverständigengutachten vom [X.] (aaO, [X.]) zutreffend auf die individuelle Bewegungsfähigkeit der [X.]lägerin abgestellt und festgestellt worden, dass ein [X.]aufwand von jeweils einer Minute zu hoch und nur eine geringere [X.] pro Wegstrecke angemessen ist.

(2) [X.]ie Ermittlung des maßgeblichen [X.]aufwandes für die Hilfe beim Gehen hängt jedoch nicht nur vom individuellen Gehvermögen des Pflegebedürftigen ab, sondern auch von den [X.] Verhältnissen. Hierfür und somit für die Länge der zurückzulegenden Wege stellt der Gesetzgeber grundsätzlich auf die Pflege in häuslicher Umgebung ab (§§ 3, 19 Satz 1 [X.]); maßgeblich sind also die in einer Wohnung üblicherweise zurückzulegenden Wegstrecken. [X.]ies entspricht dem vom Gesetzgeber gewollten Vorrang der häuslichen vor der stationären Pflege und stellt einen wesentlichen Grundsatz der [X.] Pflegeversicherung dar (BT-[X.]rucks 12/5262, [X.] f). Mit dem Abstellen auf die individuellen Wohngegebenheiten bei der Bemessung des [X.]aufwandes für die Hilfe beim Gehen wird dieses Grundprinzip bestätigt; eine rein pauschalierte Betrachtungsweise würde dem wi[X.]prechen. Bei der vollstationären Pflege sind solch individualisierte Feststellungen indes nicht möglich, weil es eine "Pflege in häuslicher Umgebung" und damit auch den in § 3 Satz 1 [X.] normierten Vorrang gerade nicht mehr gibt. Trotz Fehlens von "häuslich"-geprägten Rahmenbedingungen hat der Gesetzgeber gleichwohl auch für die Leistungen bei vollstationärer Pflege eine Feststellung der Pflegestufen nach Maßgabe der §§ 15 ff [X.] angeordnet, ohne hierfür eine eigenständige und auf die stationäre Pflege zugeschnittene Regelung zu schaffen. [X.]er [X.] teilt deshalb den rechtlichen Ausgangspunkt des [X.], dass der [X.]aufwand für die Hilfe beim Gehen bei dauerhaft vollstationärer Pflege mangels anderer Anhaltspunkte auf der Grundlage pauschalierter Wegstrecken im Heim festgestellt werden kann.

(3) [X.]er [X.] sieht die vom [X.] zugrunde gelegte Strecke von acht Metern pro Weg im vorliegenden Fall als sachgerecht an; Bedenken hiergegen sind von der [X.]lägerin selbst nicht vorgebracht worden. Ausgangspunkt des [X.] für den hier streitgegenständlichen [X.]raum sind die "Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem [X.]. [X.]" ([X.] - vom [X.] idF des Beschlusses vom 11.5.2006, abgedruckt etwa bei [X.], Ergänzungsband "Gesetzliche [X.]rankenversicherung, Soziale Pflegeversicherung", Gl[X.]610). [X.]iese nach §§ 17, 53a [X.] erlassenen [X.] erläutern die Begutachtungskriterien und das Begutachtungsverfahren und sollen bundesweit einheitliche Maßstäbe für die [X.] sichern. Für die Festlegung des [X.]aufwandes für die Hilfe beim Gehen sehen sie als Maß sowohl für die durchschnittliche häusliche Wohnsituation als auch bei dauerhaft stationärer Unterbringung eine einfache Wegstrecke von acht Metern vor ([X.] Teil C Ziff 2.4, Teil [X.] Ziff 4.3 [X.]2; abgedruckt bei [X.], aaO, [X.], 50). [X.]iese für den M[X.][X.] gemäß § 53a Satz 3 [X.] verbindlichen Richtlinien sind allerdings für das gerichtliche Verfahren nicht bindend. [X.]enn die §§ 17, 53a [X.] enthalten keine normative Ermächtigung der Spitzenverbände, Voraussetzungen und Ausmaß der Pflegebedürftigkeit mit Wirkung für außerhalb der Verwaltung stehende Personen oder die Gerichte festzulegen (B[X.] SozR 3-3300 § 15 [X.] S 5; [X.], aaO, § 17 RdNr 4; [X.] in: Festschrift [X.]rasney, [X.] 1997, [X.], 683 f; Wagner, aaO, [X.] § 17 RdNr 5). Sie stellen nur sog [X.] dar und werden von den Gerichten auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung und den Gesetzen sowie auf ihre sachliche Vertretbarkeit überprüft (ähnlich vgl etwa B[X.] SozR 3-3300 § 15 [X.] S 5; B[X.] SozR 3-3300 § 15 [X.]; B[X.] SozR 3-3300 § 14 [X.]0 S 77 mwN; zur [X.]asuistik zusammenfassend [X.], aaO, § 17 Rd[X.]). Nicht zu entscheiden war hier indes, ob bei der Festlegung des [X.]aufwandes für die Hilfe beim Gehen in der durchschnittlichen häuslichen Wohnsituation trotz des Individualisierungsgebots (vgl oben unter 3. a [X.] <2>) entsprechend den [X.] regelmäßig eine einfache Wegstrecke von acht Metern zugrunde gelegt werden darf, denn die [X.]lägerin ist stationär untergebracht. [X.]er [X.] kann aber auch offenlassen, ob und inwieweit der M[X.][X.] bei seiner Begutachtung im stationären Bereich grundsätzlich eine Wegstrecke von acht Metern berücksichtigen darf bzw welche Gehstrecke ansonsten angemessen wäre. [X.]enn im vorliegenden Fall sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der sachverständig zugrunde gelegte Wert nicht mit den Gegebenheiten im Seniorenzentrum der [X.]lägerin übereinstimmt - dies hat die [X.]lägerin auch selbst nicht behauptet.

[X.]) Zu Recht hat das [X.] den tatsächlichen Hilfebedarf von jeweils einer halben Minute nicht auf eine volle Minute pro zu berücksichtigendem Weg aufgerundet. Eine [X.], wonach der tatsächlich bestehende Pflegebedarf - in welcher Weise auch immer - auf- oder abzurunden wäre, enthält das [X.] nicht. Ein Anspruch auf Rundung aus Gründen der Gleichbehandlung ergibt sich auch nicht aus Art 3 GG iVm den nach §§ 17, 53a [X.] erlassenen [X.].

(1) [X.]ie [X.] verlangen bereits dem Wortlaut nach keine Rundung auf volle Minuten für jeden abgrenzbaren Einzelvorgang, der im Rahmen der Verrichtungen möglicherweise mehrmals täglich anfällt. [X.]ie [X.] sehen in Teil F - Orientierungswerte zur Pflegezeitbemessung - zwar vor, dass der Hilfebedarf "für jede Verrichtung der Grundpflege stets in vollen Minutenwerten anzugeben" ist (abgedruckt bei [X.], aaO, [X.]). [X.]iese Formulierung ist aber so zu verstehen, dass für jede der in § 14 Abs 4 [X.] genannten Verrichtungen in der jeweiligen Summe und bezogen auf den Tagesdurchschnitt volle Minutenwerte anzugeben sind. Wenn die [X.] von "Verrichtung" sprechen, beziehen sie sich lediglich auf die in § 14 Abs 4 [X.] aufgelisteten Handlungsbereiche und nicht auf jeden Einzelvorgang, der innerhalb dieses Handlungsbereichs möglicherweise mehrmals täglich anfällt. Sprachlich unterscheiden die [X.] nämlich konsequent zwischen der Verrichtung und den innerhalb der jeweiligen Verrichtung erforderlichen Handlungen. Wenn es um [X.] geht, die einer bestimmten Verrichtung zuzuordnen sind, sprechen die [X.] nicht von Verrichtung, sondern zB von einzelnen "Transferleistungen" die "nur Sekunden in Anspruch" nehmen ([X.] Teil [X.] Ziff 4.0/III./9.; abgedruckt bei [X.], aaO, [X.]). [X.]ass sich die [X.] nur auf die pro Tag durchschnittlich erforderliche Hilfe bezieht, legt auch die sich der Rundungsvorgabe unmittelbar anschließende Regelung zur Berechnung der nicht täglich erfolgenden Verrichtungen nahe: Auch hier wird eine auf den Tag bezogene Umrechnung des wöchentlichen [X.]aufwandes vorgesehen. Bei nicht täglich anfallenden Pflegeleistungen wie etwa dem [X.] wäre es wenig zielführend, wenn zunächst die Hilfeleistung pro Einzelvorgang auf volle Minuten gerundet würde. [X.]enn bei der danach erforderlichen Umrechnung des [X.]bedarfes auf einen Tag (Hilfeleistung pro Woche geteilt durch sieben; vgl zur Berechnung der nicht täglich anfallenden Verrichtungen: B[X.] SozR 3-3300 § 14 [X.]0 S 75) - auf diesen kommt es für die Zuordnung im Rahmen von § 15 Abs 3 [X.] an - würde in den meisten Fällen ein rechnerisches Ergebnis produziert, welches keine vollen Minuten ergäbe - gerade das will die [X.] aber vermeiden.

(2) Etwas anderes ergibt sich - an[X.] als die [X.]lägerin meint - auch nicht daraus, dass in den [X.] betreffend der Hilfe zum Stehen/Transfer und der Hilfe zum Gehen festgelegt wird, dass jeder Transfer/jeder Weg "einzeln zu berücksichtigen" ist ([X.] Teil F Ziff 4.3/Teil [X.] Ziff 4.3 abgedruckt bei [X.], aaO, [X.] und 83) . [X.]ie Häufigkeitsangabe der einzelnen Hilfeleistungen im Gutachten ist notwendig, da der Gesetzgeber in § 15 Abs 1 S 1 [X.] die Pflegestufen auch von der Häufigkeit der Hilfeleistungen abhängig macht. Allein in diesem Sinne sind die in den [X.] enthaltenen Maßgaben zur "Zählweise" zu lesen; dies hat keine Relevanz für die [X.]auer der Hilfeleistung und steht daher auch nicht in Zusammenhang mit etwaigen [X.]n. Eine Rundung bereits bei jeder Einzeltätigkeit und die damit gegebenenfalls einhergehende erhebliche Ungenauigkeit wäre zudem nicht mit der gesetzlichen Vorgabe vereinbar, den Pflegebedarf angesichts der individuellen Situation des zu Pflegenden - einzelfallbezogen - so genau wie möglich festzustellen (hierzu: [X.]-3300 § 15 [X.] Rd[X.]3). [X.]as Anliegen einer möglichst großen Praktikabilität - und nur damit lässt sich eine Rundung der festzustellenden Hilfeleistung rechtfertigen - kann nicht dazu führen, Abweichungen von den gesetzlichen Vorgaben in [X.]auf zu nehmen (B[X.] SozR 3-3300 § 14 [X.]0 S 78). Zwar beruhen die von medizinischen Sachverständigen festzustellenden [X.]werte regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (B[X.]E 95, 57 = [X.]-1300 § 48 [X.] Rd[X.]5 ff). Mit dem Individualisierungsgebot des [X.] wäre es aber nicht vereinbar, solche Unschärfen sehenden Auges in verstärktem Maße durch [X.] bereits bei jeder einzelnen Hilfeleistung zu produzieren. [X.]erartig gesteigerte Unschärfen würden sich im Übrigen nicht zwangsläufig zugunsten der Versicherten auswirken; die [X.] sprechen keineswegs zwingend von einer Aufrundung, sondern erlauben mit der Formulierung "in vollen Minuten" durchaus auch, eine Abrundung vorzunehmen.

(3) [X.]ie zwischenzeitlich mit Beschluss vom [X.] neu gefassten [X.] (abgedruckt bei [X.], aaO, Anhang 4, [X.]) sind daher lediglich als [X.]larstellung zu verstehen, wenn dort nunmehr in den [X.] (Teil F, aaO, [X.]) bestimmt ist: "[X.]er [X.]aufwand für die jeweilige Verrichtung der Grundpflege ist pro Tag, gerundet auf volle Minuten anzugeben. [X.]abei erfolgt die Rundung nur im Zusammenhang mit der Ermittlung des [X.] und nicht für jede Hilfeleistung, deren [X.]aufwand weniger als eine Minute beträgt.“ [X.]ies galt auch schon im hier streitigen [X.]raum unter Geltung der früheren [X.] idF vom 11.5.2006; eine inhaltliche Änderung betreffend die Rundungsregel ist mit den seit 2009 gültigen [X.] nicht verbunden.

b) Einer Entscheidung des [X.]s zu der Frage, ob dem [X.] im Bereich Mobilität eine weitere Minute für die Hilfe beim Aufstehen bzw Zubettgehen hinzuzufügen ist, wie es das [X.] angenommen hat, bedurfte es nicht. [X.]urch Hinzufügen einer weiteren Minute würde sich der Hilfebedarf der [X.]lägerin nicht dergestalt erhöhen, dass allein dadurch ein [X.] von zumindest 120 Minuten festzustellen wäre.

4. [X.]ie [X.]ostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

                          

Meta

B 3 P 10/08 R

10.03.2010

Bundessozialgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: P

vorgehend SG Duisburg, 20. November 2007, Az: S 15 P 207/06, Urteil

§ 14 Abs 2 SGB 11, § 14 Abs 4 Nr 3 SGB 11, § 15 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 11, § 15 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB 11, § 43 Abs 5 S 1 Nr 2 SGB 11 vom 23.10.2001, § 43 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB 11 vom 26.03.2007, § 43 Abs 2 S 1 SGB 11 vom 28.05.2008, § 43 Abs 2 S 2 Nr 2 SGB 11 vom 28.05.2008

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 10.03.2010, Az. B 3 P 10/08 R (REWIS RS 2010, 8601)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8601

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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