Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 06.12.2017, Az. 1 BvR 2160/16

1. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2017, 1172

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Abschließende Entscheidung des BGH über markenrechtliche Rechtsbeschwerde anstelle einer Zurückverweisung gem § 89 Abs 4 MarkenG mit Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art 101 Abs 1 S 2 GG) vereinbar - zudem keine willkürliche Anmaßung von Kompetenzen der Tatsacheninstanz hinsichtlich der Bewertung demoskopischer Gutachten


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

1. Die Beschwerdeführerinnen beantragten gemäß § 54 Abs. 1 [X.] die Löschung einer im Markenregister eingetragenen abstrakten Farbmarke, was das [X.] zurückwies. Das [X.] ordnete im Beschwerdeverfahren die Löschung der Farbmarke an (Beschluss vom 8. Juli 2015 - 25 W (pat) 13/14, [X.] -, [X.], S. 796). Auf die Rechtsbeschwerde des Markeninhabers hob der [X.] mit angegriffenem Beschluss die Entscheidung des [X.]s auf und wies die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen gegen den Beschluss des [X.] zurück, ohne die Sache gemäß § 89 Abs. 4 Satz 1 [X.] an das [X.] zurückzuverweisen ([X.]Z 211, 268). Das [X.] habe zu strenge Maßstäbe an den Nachweis einer der Löschung entgegenstehenden Verkehrsdurchsetzung der angegriffenen Marke angelegt. Da es hierbei auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem [X.] ankomme, könne eine Zurückverweisung dazu führen, dass sämtliche vorliegenden demoskopischen Gutachten durch Zeitablauf nicht mehr aussagekräftig seien und erneut Beweiserhebungen erforderlich würden. Eine derartige Verfahrensverzögerung brauche der Markeninhaber in dem seit mehr als sechs Jahren andauernden Löschungsverfahren nicht hinnehmen, wenn die Sache - wie hier - entscheidungsreif sei.

2

2. Die Beschwerdeführerinnen rügen eine Verletzung des Rechts auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), da der [X.] entgegen dem klaren Wortlaut von § 89 Abs. 4 [X.] die Sache nicht an das [X.] zurückverwiesen, sondern eine eigene Tatsachenwürdigung und -feststellung vorgenommen habe.

3

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 [X.] genannten Rechte angezeigt (vgl. [X.] 90, 22 <24 ff.>; 96, 245 <248 ff.>). Sie ist unbegründet.

4

Das [X.] hat die hier maßgeblichen Fragen zu Inhalt und Reichweite des Rechts auf [X.] gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bereits geklärt (vgl. [X.] 3, 359 <363 ff.>; 31, 145 <165>). Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerinnen nicht in diesem Anspruch.

5

1. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schützt den Anspruch des Rechtsuchenden auf eine Entscheidung seiner Rechtssache durch den hierfür von Gesetzes wegen [X.] (vgl. [X.] 22, 254 <258>; 118, 212 <239>). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kann insoweit auch verletzt sein, wenn ein an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebundenes Revisionsgericht eine nach dem Stand des Verfahrens gebotene Zurückverweisung an das [X.] zwecks weiterer Sachaufklärung unterlässt (vgl. [X.] 3, 255 <256>; 3, 359 <363 f.>; 31, 145 <165>; 54, 100 <115>). Die Verkennung der dem Revisionsgericht gezogenen Grenzen verstößt jedoch nur dann gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wenn sie von willkürlichen Erwägungen bestimmt ist (vgl. [X.] 3, 359 <364 f.>; 29, 45 <48>; 31, 145 <165>; 54, 100 <115 f.>; 82, 286 <299>).

6

Willkürlich ist eine Entscheidung dann, wenn sie sachlich schlechthin unhaltbar ist (vgl. [X.] 58, 163 <167 f.>). Es genügt nicht, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten; hinzukommen muss vielmehr, dass diese unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar sind und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen, es sich also um eine krasse Fehlentscheidung handelt (vgl. [X.] 4, 1 <7>; 80, 48 <51>; 81, 132 <137>; 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>).

7

Die Abgrenzung der Tatsachenfeststellung von der rechtlichen Würdigung ist nicht immer eindeutig und die Grenze der Entscheidungsbefugnis der [X.] kann daher im Einzelfall fließend sein (vgl. [X.] 3, 359 <364 f.>). Nicht jede irrtümliche Überschreitung der den [X.]en gezogenen Grenzen begründet einen Verfassungsverstoß. Durch einen schlichten error in procedendo wird niemand [X.] entzogen. Eine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters kommt aber in Betracht, wenn das Fachgericht Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat oder wenn die maßgeblichen Verfahrensnormen in objektiv willkürlicher Weise fehlerhaft angewandt wurden ([X.] 138, 64 <87 Rn. 71> m.w.N.).

8

2. Ausgehend von diesen Maßstäben kann vorliegend ein Verfassungsverstoß nicht festgestellt werden. Das Vorgehen des [X.]s war jedenfalls nicht willkürlich.

9

a) Eine Auslegung von § 89 Abs. 4 [X.] dahingehend, dass unter bestimmten Umständen von einer Zurückverweisung abgesehen werden kann, ist nicht völlig ausgeschlossen, auch wenn der Wortlaut für den Fall der Aufhebung eine Zurückverweisung vorschreibt, ohne ein Ermessen vorzusehen (vgl. auch [X.], 378 <381> - Disiloxan). Die Regelung wurde vom historischen Gesetzgeber bewusst mit dem Ziel einer Entlastung des [X.]s getroffen. Wortlaut und Entstehungsgeschichte stehen insoweit einer teleologischen Auslegung der Norm nicht zwingend entgegen. Tatsächlich hat der [X.] in der Vergangenheit bereits mehrfach unter Abweichung vom Wortlaut des § 89 Abs. 4 [X.] unter Berufung auf die [X.] selbst abschließend entschieden (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Juni 1997 - [X.], [X.] -, GRUR 1998, [X.]; Beschluss vom 13. Dezember 2007 - [X.], [X.] -, [X.], S. 714; Beschluss vom 16. Juli 2009 - [X.], [X.] -, juris) oder dies für grundsätzlich möglich erachtet (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 1997 - [X.], [X.] -, [X.], [X.]; Beschluss vom 14. März 2002 - [X.], [X.] alloy -, GRUR 2002, S. 884).

Die angegriffene Entscheidung basiert auf keinen willkürlichen Erwägungen. Der [X.] hat § 89 Abs. 4 [X.] aus Gründen der [X.] im Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG (dazu allgemein [X.] 143, 216 <224 f. Rn. 20> m.w.N., zum Zivilprozessrecht vgl. [X.] 88, 118 <123 f.>) einschränkend ausgelegt. Als teleologische Reduktion ist dies ein methodisch zulässiges Vorgehen (vgl. [X.] 88, 145 <167>). Es ist auch nicht zu erkennen, dass der [X.] die Interessen der Beschwerdeführerinnen grob einseitig unbeachtet gelassen hätte. Zwar stellen die knappen Ausführungen des [X.]s in erster Linie darauf ab, dass dem Markeninhaber ein weiteres Zuwarten unzumutbar gewesen wäre. Eine prozessökonomisch sinnvolle Entscheidung dient jedoch grundsätzlich dem Interesse beider Parteien.

b) Der [X.] hat sich auch nicht in willkürlicher Weise die allein der Tatsacheninstanz zustehenden Kompetenzen angemaßt (vgl. § 89 Abs. 2 [X.]).

Die Frage, welche Anforderungen an den Nachweis der Verkehrsdurchsetzung gestellt werden und insbesondere welche Prozentsätze erforderlich sind, ist eine Rechtsfrage. Eine Würdigung der Anknüpfungstatsachen im Hinblick auf die Richtigkeit der Subsumtion ist nach der Zivilrechtsprechung auch dem Revisionsgericht möglich (vgl. [X.]Z 122, 308 <316>). Der [X.] hat in der angegriffenen Entscheidung nochmals die Maßstäbe klargestellt, anhand derer die Gutachten zu würdigen sind. Damit war auch das Ergebnis vorgezeichnet, welche Prozentsätze für den [X.] anzusetzen waren.

Der [X.] würdigt zwar eingehend die Gutachten, klärt dabei aber im Wesentlichen Rechtsfragen und trifft keine eigenen Tatsachenfeststellungen. Die Bewertung von demoskopischen Gutachten ist insoweit nicht vergleichbar mit der Glaubwürdigkeitsbeurteilung einer Zeugenaussage durch das Revisionsgericht, welche der persönlichen Anschauung bedarf (vgl. hierzu [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 8. Mai 1991 - 2 BvR 1380/90 -, NJW 1991, [X.]). Der [X.] prüft in ständiger Rechtsprechung im Rahmen von Revisionsverfahren die methodische Zulässigkeit von konkreten Fragestellungen und setzt sich mit den sich im Hinblick hierauf zu berücksichtigenden Prozentsätzen auseinander (vgl. [X.]Z 156, 112 <121 f.> - Kinder I; [X.], Urteil vom 20. September 2007 - [X.], [X.] -, [X.], S. 1071 <1073 Rn. 30>; Urteil vom 25. Oktober 2007 - [X.], [X.] -, [X.], S. 505 <508 f. Rn. 29 f.>; Urteil vom 5. November 2008 - [X.], Stofffähnchen -, GRUR 2009, S. 766 <770 Rn. 40 f.>; Beschluss vom 9. Juli 2009 - [X.], [X.] -, GRUR 2010, [X.] <142 f. Rn. 49 ff.>). Dass er dies in der angegriffenen Entscheidung ebenso getan hat, ist nicht willkürlich.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2160/16

06.12.2017

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 3. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 21. Juli 2016, Az: I ZB 52/15, Beschluss

Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 89 Abs 2 MarkenG, § 89 Abs 4 MarkenG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 06.12.2017, Az. 1 BvR 2160/16 (REWIS RS 2017, 1172)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 1172


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 25 W (pat) 13/14

Bundespatentgericht, 25 W (pat) 13/14, 08.07.2015.


Az. 1 BvR 2160/16

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2160/16, 06.12.2017.


Az. I ZB 52/15

Bundesgerichtshof, I ZB 52/15, 24.11.2016.

Bundesgerichtshof, I ZB 52/15, 21.07.2016.


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2 ME 405/18

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