Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2008, Az. II ZB 6/07

II. Zivilsenat | REWIS RS 2008, 4354

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[X.] vom 21. April 2008 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: ja [X.]R: ja [X.] § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 a) Ein Musterverfahren ist nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] einzuleiten, wenn bis zum Ablauf der dort genannten Frist zehn gleichgerichtete [X.] gestellt worden sind. Diese Anträge müssen nicht in zehn getrenn-ten Prozessen gestellt worden sein. Es reicht vielmehr aus, wenn zehn einfache Streitgenossen jeweils einen auf die Durchführung des [X.] Antrag gestellt haben. Die Möglichkeit einer Zurückweisung dieser Anträge wegen Prozessverschleppung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.] bleibt unbe-rührt. b) In das Klageregister ist gemäß § 2 Abs. 1 [X.] jeder einzelne [X.] einzutragen, auch wenn mehrere Streitgenossen jeweils gleichlau-tende Anträge gestellt haben.
[X.], [X.]uss vom 21. April 2008 - [X.]/07 - [X.] [X.] - 2 - Der I[X.] Zivilsenat des [X.] hat am 21. April 2008 durch [X.], [X.], [X.] und [X.] beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger zu 3, 9, 12 und 13 wird der [X.]uss des [X.] des [X.] vom 9. Februar 2007 im Kos-tenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu Ungunsten der [X.] entschieden worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Ent-scheidung - auch über die Kosten des [X.] - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 10.000,00 • festgesetzt. Gründe: [X.] Die vierzehn Kläger des bei dem [X.] anhängigen Ausgangsverfahrens (1 O 4341/04) verlangen von den Beklagten Schadenser-satz wegen fehlerhafter Ad-hoc-Mitteilungen. Neun Kläger haben dazu jeweils einen [X.] gestellt. Im Klageregister ist daraufhin "ein" Antrag bekannt gemacht worden. Innerhalb von vier Monaten nach der Be-kanntmachung sind gleichgerichtete [X.] in vier weiteren Verfahren von insgesamt 60 Klägern gestellt worden. 1 - 3 - Das [X.] hat "den" [X.] zurückgewiesen. Die dagegen von den Klägern zu 3, 9, 12 und 13 eingelegte sofortige Be-schwerde ist ohne Erfolg geblieben ([X.], [X.], 649). Dagegen richtet sich die von dem Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Kläger zu 3, 9, 12 und 13. 2 I[X.] Die Rechtsbeschwerde ist begründet. 3 1. Das Beschwerdegericht hat allerdings zutreffend angenommen, dass gegen die Zurückweisung eines [X.]s nach § 4 Abs. 4 [X.] die sofortige Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft ist (ebenso [X.]/[X.], NJW 2005, 2737, 2739; a.[X.] in Vorwerk/ [X.], [X.] § 4 Rdn. 36). Danach findet die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen statt, die eine mündliche Verhandlung nicht erfordern und durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, § 128 Abs. 4 ZPO. 4 2. Dem Beschwerdegericht ist aber nicht zu folgen in der Annahme, "der" [X.] - richtig: die [X.] - sei(en) vom [X.] zu Recht nach § 4 Abs. 4 [X.] zurückgewiesen worden. 5 Zur Begründung hat das Beschwerdegericht ausgeführt: Innerhalb von vier Monaten nach der Bekanntmachung des Antrags seien nicht in mindestens neun weiteren Verfahren gleichgerichtete [X.] gestellt worden, wie es § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] für den Erlass eines [X.]es voraussetze. Dass in vier Verfahren von insgesamt 60 Klägern derartige Anträge gestellt worden seien, reiche nicht aus. Es komme nicht auf 6 - 4 - die Zahl der Antragsteller an, sondern auf die Zahl der Verfahren, in denen [X.] gestellt worden seien. 7 Das beruht auf einer einseitig formale Gesichtspunkte in den [X.] stellenden fehlerhaften Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]. Nach § 4 Abs. 1 [X.] führt das Prozessgericht durch [X.]uss ei-nen Musterentscheid herbei, wenn in dem bei ihm anhängigen Verfahren der zeitlich erste [X.] gestellt worden ist und innerhalb von vier Monaten nach seiner Bekanntmachung in mindestens neun weiteren Ver-fahren gleichgerichtete Musterfeststellungen beantragt worden sind. Der Wort-laut dieser Norm ist - entgegen der Ansicht des [X.] - nicht ein-deutig. Erheben mehrere Personen gemeinsam eine Klage, ohne dass - wie auch hier nicht - die Voraussetzungen der notwendigen [X.] nach § 62 ZPO vorliegen, so kommt für jeden Kläger gemäß § 61 ZPO ein selb-ständiges Prozessrechtsverhältnis zustande. Die mehreren [X.] sind durch die - einfache - [X.] lediglich zu einem äußerlich einheitlichen Verfahren miteinander verbunden. Der Sache nach [X.] es sich aber um selbständige Verfahren ([X.] 8, 72, 78; [X.], Urt. v. 17. März 1989 - [X.], [X.], 997, 998; v. 26. Mai 1994 - [X.], [X.], 1121, 1122, insoweit in [X.] 126, 138 nicht abge-druckt; [X.]/Schilken, 3. Aufl. § 59 Rdn. 22; [X.]/Vollkommer, ZPO 26. Aufl. § 61 Rdn. 8). 8 Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] spricht für eine Berücksich-tigung jedes einzelnen von mehreren einfachen Streitgenossen gestellten [X.]. Danach wird durch den [X.] das Verfahren nach dem [X.] in Gang gesetzt, 9 - 5 - das bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen zu dem [X.] nach § 4 [X.] führt. Die Textteile "in einem – Verfahren" um-schreiben lediglich einen Teil der materiellen Voraussetzungen der Klagever-fahren, in denen überhaupt nach dem Gesetz ein Musterbescheid in Betracht kommt, enthalten aber keine Aussage über die Zahl der notwendigen Prozesse, wie das Beschwerdegericht meint. Stellen demnach zwei oder mehr Streitge-nossen jeweils einen solchen Antrag, handelt es sich um eigenständige Anträ-ge, über die auch jeweils gesondert entschieden werden muss. Auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] so auszulegen, dass bei einer [X.] unter "Verfahren" das jeweilige einzelne Prozessrechtsverhältnis zu verstehen ist, die Vorausset-zungen für einen Vorlagebeschluss also schon dann erfüllt sind, wenn insge-samt mindestens zehn Kläger jeweils einen zulässigen Musterfeststellungsan-trag gestellt haben (ebenso [X.], [X.], 1731, 1732 siehe dazu [X.].[X.]. v. 25. Februar 2008 - [X.] z.[X.].; [X.], [X.]. v. 28. November 2006 - 10a [X.], veröffentlicht im Klageregister; [X.], Verfügung v. 13. Februar 2007, unveröffentlicht; [X.], [X.] 2005, [X.]; [X.], BB 2005, 2249, 2252; [X.] in Festschrift Vollkommer, 2006, [X.], 130; [X.]/ [X.], [X.], 457, 458; [X.]/[X.] in [X.], Aktienrecht und Kapital-marktrecht 2. Aufl. § 4 [X.] Rdn. 2; a.A. KG, [X.]. v. 18. September 2007 - 4 [X.] 2/06 [X.], veröffentlicht im Klageregister; [X.] aaO § 4 Rdn. 11). 10 Mit der Einführung des [X.] hat der Gesetzgeber die Mög-lichkeit schaffen wollen, in Verfahren, die Kapitalmarktinformationen oder An-gebote nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz zum Gegenstand 11 - 6 - haben und damit i.d.R. eine Vielzahl von Personen betreffen, verallgemeine-rungsfähige Tatsachen- und Rechtsfragen in einem möglichst frühen Stadium mit Bindungswirkung für alle Verfahren zu klären und dadurch den Schutz der Kapitalanleger zu verbessern (Begr. zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/5091, [X.] ff.; [X.].[X.]. v. 3. Dezember 2007 - [X.], [X.], 137). Ein Bedürfnis für eine derartige Klärung besteht unabhängig davon, ob die Anleger jeweils gesondert Klage erhoben haben oder in einfacher [X.] klagen. Die Entscheidung für den einen oder anderen Weg hängt häufig von Zufälligkeiten ab. Eine subjektive Klagenhäufung in An-legerschutzsachen ist - trotz der jeweils auf den Einzelfall abzustellenden Prü-fung der Ursächlichkeit etwaiger fehlerhafter Kapitalmarktinformationen (vgl. [X.].Urt. v. 9. Mai 2005 - [X.], [X.], 1270, 1274 - [X.]) - zwar häufig, aber nicht stets unzweckmäßig. Letztlich nimmt dies auch das Be-schwerdegericht an, indem es darauf hinweist, es stehe den Klägern frei, nach Zurückweisung ihres [X.]s eine Prozesstrennung nach § 145 ZPO zu beantragen und dann, wenn die Prozesse getrennt sind, neue [X.] zu stellen. Damit fordert es unzutreffend die Einhal-tung bestimmter Formalien, missachtet jedoch das berechtigte Interesse der Kläger, in [X.] zu klagen und sich damit Kostenvorteile [X.] zu machen. Die Systematik des [X.]es steht [X.] nicht entgegen. Allerdings werden nach § 2 Abs. 1 [X.] die [X.] im Klageregister öffentlich bekannt gemacht, ohne dass dabei Angaben zu der Person des jeweiligen Antragstel-lers zu machen sind. Das ist indessen nicht erforderlich, weil nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 [X.] und den allgemeinen Grundsätzen des Prozessrechts jeder zulässige [X.] gesondert einzutragen ist. Deshalb 12 - 7 - kann - anders als das Beschwerdegericht meint - nicht die Gefahr entstehen, dass unklar bliebe, wie viele Personen derartige Anträge gestellt haben. 13 Entgegen der Auffassung des [X.] muss bei dieser Aus-legung ein Musterverfahren nicht notwendigerweise schon dann durchgeführt werden, wenn in einem einzigen (Gesamt-)Verfahren zehn Streitgenossen - im Übrigen zulässige - [X.] stellen. In einem solchen Fall können die [X.] vielmehr wegen Prozessverschleppung nach § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.] zurückgewiesen werden, wenn die Durchführung eines [X.] zu einer unnötigen Verfahrensauswei-tung statt einer Verfahrensvereinfachung führen würde. Der Sinn des [X.] liegt nämlich darin, Massenverfahren zu vereinfachen, nicht dage-gen Einzelverfahren unnötig zu verzögern. [X.]Strohn

Reichart Drescher Vorinstanzen: [X.], Entscheidung vom 16.10.2006 - 1 O 4341/04 - [X.], Entscheidung vom [X.] - W ([X.]) 1/06 -

Meta

II ZB 6/07

21.04.2008

Bundesgerichtshof II. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2008, Az. II ZB 6/07 (REWIS RS 2008, 4354)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 4354

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