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Entscheidung bei inzwischen fehlendem Vorliegen materiell-rechtlicher Voraussetzungen für Unterbringungsmaßnahme
1. Das Beschwerdegericht hat auf die Beschwerde des Betroffenen den Beschluss, mit dem eine Unterbringung genehmigt oder angeordnet wurde, aufzuheben, wenn es zu der Erkenntnis gelangt, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die vom Betreuungsgericht genehmigte Unterbringungsmaßnahme nicht mehr vorliegen oder schon zum Zeitpunkt der erstgerichtlichen Entscheidung nicht vorgelegen haben.
2. Eine Aufrechterhaltung der erstinstanzlich erteilten Unterbringungsgenehmigung für eine „Übergangsfrist“ ist nicht möglich, weil es hierfür an der zwingend erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt.
3. Für die Feststellung nach § 62 Abs. 1 FamFG ist kein Raum, wenn und soweit das Vorliegen des Rechtsfehlers noch vor Eintritt der Erledigung jedenfalls inzident festgestellt worden ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 2. September 2015 - XII ZB 226/15, FamRZ 2015, 2050).
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.]vom 27. März 2023 und der Beschluss der 83. Zivilkammer des [X.]vom 7. September 2023 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben, soweit die Unterbringung des Betroffenen bis zum 22. November 2023 genehmigt wurde. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.
I.
Das Verfahren betrifft die Unterbringung des Betroffenen in einer beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung.
Der Betroffene leidet an einer chronifizierten [X.]Schizophrenie sowie an Diabetes [X.]Für ihn ist seit 1992 eine rechtliche Betreuung eingerichtet. Der Beteiligte zu 1 ist zum Betreuer bestellt. Nachdem der Betroffene in der Vergangenheit bereits mehrfach geschlossen untergebracht war, hatte das Amtsgericht zuletzt dessen Unterbringung in einer geschlossenen Wohneinrichtung bis zum 29. März 2023 genehmigt. Auf Antrag des Betreuers vom 1. Februar 2023 hat das Amtsgericht die weitere Unterbringung des Betroffenen in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung gemäß § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB bis längstens 26. März 2025 genehmigt.
Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das [X.]nach Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens und erneuter Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 7. September 2023 die Dauer der Unterbringung auf bis zum 22. November 2023 verkürzt und das Rechtsmittel im Übrigen zurückgewiesen.
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit welcher er nach Ablauf der genehmigten Unterbringungsdauer die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vorinstanzlichen Beschlüsse beantragt.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt nach der in der [X.]entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Februar 2023 - [X.]130/22 - FamRZ 2023, 638 Rn. 4 mwN) zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts, soweit die Unterbringung des Betroffenen bis zum 22. November 2023 genehmigt wurde.
1. Das [X.]hat zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt:
Der Betroffene müsse nicht wegen Selbstgefährdung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB untergebracht werden. Zwar leide er an einer chronischen Schizophrenie bei Verdacht auf vaskuläre Demenz, die eine dauerhafte Einschränkung der Leistungs- und Belastungsfähigkeit zur Folge habe. Krankheitsbedingt liege auch eine tiefgreifende Denk- und Wahrnehmungsstörung vor, die verhindere, dass er die Notwendigkeit der medikamentösen Behandlung seiner Krankheit erkenne. Die Ablehnung der Medikamente durch den Betroffenen erfolge jedoch unabhängig davon, ob er geschlossen untergebracht sei oder nicht. Zudem bestehe auch nicht die Gefahr, dass der Betroffene sich krankheitsbedingt selbst töte oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge, sodass er deswegen in Verbindung mit Freiheitsentziehung - geschlossen - in der Wohneinrichtung untergebracht werden müsste. Eine hinreichend sichere Gefährdungsprognose sei nicht möglich. Deswegen sei die Beendigung der Unterbringung grundsätzlich geboten.
Die Voraussetzungen für die Genehmigung einer Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB lägen ebenfalls nicht vor. Denn es sei weder eine Untersuchung des Betroffenen noch eine Heilbehandlung, die über die bisherigen Versuche, dem Betroffenen Medikamente zu verabreichen, hinausginge, oder ein sonstiger ärztlicher Eingriff geplant.
Im vorliegenden Fall sei jedoch eine Übergangsfrist bis zum 22. November 2023 zu bestimmen. Denn nach Angaben des [X.]im Anhörungstermin sei derzeit kein Platz für den Betroffenen im offenen Bereich des Wohnheims vorhanden. Daher müsse einerseits dem Betreuer ausreichend [X.]gegeben werden, eine passende Unterkunft für den Betroffenen zu finden, andererseits müsse der Betroffene nach der langen Unterbringungszeit zunächst geschützt werden. Er sei schwer krank und durch die lange Unterbringung möglicherweise im Straßenverkehr und in der Orientierung unbeholfen geworden. Die Umgebung des Wohnheims sei geprägt durch eine große Straße mit starkem Autoverkehr, mehreren Straßenbahnlinien sowie einer weiträumigen Kreuzung. Außerdem könne der nahe Park nur durch „Überqueren mehrerer Ampeln“ erreicht werden und der Bürgersteig vor dem Haus an der frequentierten Straße sei verhältnismäßig schmal. Deshalb sei es wichtig, den Betroffenen daran heranzuführen, wieder mehr Spaziergänge alleine machen zu können.
2. Diese Ausführungen halten in einem entscheidenden Punkt rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Beschwerdegericht hätte aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen nicht nur den Genehmigungszeitraum verkürzen dürfen. Vielmehr hätte es auf die Beschwerde des Betroffenen die vom Amtsgericht erteilte Genehmigung der Unterbringung vollständig aufheben müssen.
a) Nach § 1831 Abs. 2 Satz 1 BGB bedarf die Unterbringung eines Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, grundsätzlich der Genehmigung durch das Betreuungsgericht. Die Genehmigung kann nur erteilt oder aufrechterhalten werden, wenn und solange die Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 BGB zulässig ist. Sind die materiellen-rechtlichen Voraussetzungen für die [X.]nicht mehr gegeben, ist die Freiheitsentziehung unverzüglich zu beenden, und zwar unabhängig davon, für welche Dauer die [X.]genehmigt oder angeordnet wurde und wieviel [X.]seither verstrichen ist (BeckOGK/[X.][Stand: 15. Juni 2023] BGB § 1831 Rn. 101). Den Betreuer trifft dann nach § 1831 Abs. 3 Satz 1 BGB die Verpflichtung, die Unterbringung sofort zu beenden und die Entlassung des Betroffenen zu veranlassen (vgl. MünchKommFamFG/[X.]3. Aufl. § 330 Rn. 1). In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird diese Verpflichtung des Betreuers dadurch ergänzt, dass nach § 330 Satz 1 FamFG das Gericht von Amts wegen den [X.]unverzüglich aufzuheben hat, wenn die Voraussetzungen für die Genehmigung oder Anordnung der [X.]weggefallen sind (Sternal/[X.]FamFG 21. Aufl. § 330 Rn. 1). Deshalb hat auch das Beschwerdegericht auf die Beschwerde des Betroffenen den Beschluss, mit dem eine Unterbringung genehmigt oder angeordnet wurde, aufzuheben, wenn es zu der Erkenntnis gelangt, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die vom Betreuungsgericht genehmigte [X.]nicht mehr vorliegen oder schon zum Zeitpunkt der erstgerichtlichen Entscheidung nicht vorgelegen haben.
b) Nach diesen rechtlichen Grundsätzen hätte das Beschwerdegericht aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen die Unterbringungsgenehmigung insgesamt aufheben müssen.
aa) Das Beschwerdegericht hat die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Betroffenen nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB verneint. Danach ist die Unterbringung zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Erkrankung oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Dabei steigen mit zunehmender Dauer der Unterbringung die Voraussetzungen für deren Fortdauer (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 218, 111 = FamRZ 2018, 950 Rn. 17 ff.).
Eine solche Selbstgefährdung des Betroffenen, der sich nur mit der Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung begegnen lässt, konnte das Beschwerdegericht aufgrund des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Hiergegen ist aus rechtsbeschwerderechtlicher Sicht nichts zu erinnern. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten ausgeführt, dass die Ablehnung der Medikamente durch den Betroffenen, die vom Amtsgericht als ein Grund für die Erforderlichkeit einer geschlossenen Unterbringung des Betroffenen angesehen worden ist, unabhängig davon erfolgt, ob er geschlossen untergebracht ist oder nicht. Eine Verbesserung der Medikamentencompliance könne durch die Unterbringung nicht erreicht werden, sondern es könnten und müssten im Rahmen einer offenen Wohnsituation durch Bezugspflege vertrauensbildende Maßnahmen (intensivierte aufsuchende Behandlung, Medikamententraining, [X.]und Tagesstrukturierung etc.) erfolgen. Ebenso wenig konnte das Beschwerdegericht tragfähige Feststellungen für die Annahme des Amtsgerichts treffen, dass der Betroffene krankheitsbedingt aufgrund mangelnder Orientierung im Straßenverkehr erheblich gefährdet wäre.
Zu Recht hat das Beschwerdegericht deshalb angenommen, dass eine weitere Unterbringung des Betroffenen nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht mehr erforderlich ist, weil die notwendige medizinische Unterstützung des Betroffenen auch in einer anderen Einrichtung, etwa in einer überwachten Wohnform, und durch weitere psychosoziale Maßnahmen sichergestellt werden kann. Da die Genehmigung einer Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 BGB stets erforderlich sein muss, kommt eine Unterbringung als unverhältnismäßig nicht in Betracht, wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2011 - [X.]263/11 - FamRZ 2011, 1864 Rn. 11 mwN).
bb) Ebenfalls zutreffend hat das Beschwerdegericht die Voraussetzungen für die Genehmigung einer Unterbringung des Betroffenen zur Durchführung einer Heilbehandlung gemäß § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB verneint.
Eine solche Genehmigung kann nur erteilt werden, wenn eine erfolgversprechende Heilbehandlung auch durchgeführt werden kann. Dies setzt entweder einen die Heilbehandlung deckenden entsprechenden natürlichen Willen des Betreuten oder die rechtlich zulässige Überwindung seines entgegenstehenden natürlichen Willens mittels ärztlicher Zwangsbehandlung voraus (vgl. Senatsbeschluss vom 30. November 2022 - [X.]257/22 - FamRZ 2023, 468 Rn. 15 mwN).
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei verneint. Aus den getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass sich der Betroffene auch in der [X.]weigert, die zur Behandlung seiner Erkrankungen medizinisch notwendigen Medikamente einzunehmen. Das Vorliegen einer rechtswirksamen Genehmigung einer ärztlichen Zwangsbehandlung des Betroffenen hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt.
cc) Rechtsfehlerhaft ist die angegriffene Entscheidung allerdings, soweit das Beschwerdegericht die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen für die [X.]bis zum 22. November 2023 aufrechterhalten hat. Eine Aufrechterhaltung der erstinstanzlich erteilten Unterbringungsgenehmigung für eine „Übergangsfrist“, etwa um dem Betreuer [X.]zu geben, für den Betroffenen eine andere Wohneinrichtung zu finden, ist nicht möglich, weil es hierfür an der zwingend erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt.
c) Der Betroffene ist durch die Entscheidungen des Amts- und [X.]in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden, soweit die Unterbringung des Betroffenen bis zum 22. November 2022 genehmigt wurde.
Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der - hier durch Zeitablauf erledigten - [X.]feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 - [X.]291/20 - FamRZ 2021, 462 Rn. 21 mwN). Im vorliegenden Fall beschränkt sich das Feststellungsinteresse des Betroffenen jedoch auf den Zeitraum, auf den das Beschwerdegericht die Unterbringungsdauer verkürzt hat. Für die Feststellung nach § 62 Abs. 1 FamFG ist kein Raum, wenn und soweit das Vorliegen des Rechtsfehlers noch vor Eintritt der Erledigung jedenfalls inzident festgestellt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 2. September 2015 - [X.]226/15 - FamRZ 2015, 2050 Rn. 13 f.). Das ist hier der Fall. Das Amtsgericht hatte zwar rechtsfehlerhaft die Unterbringung des Betroffenen bis zum 26. März 2025 genehmigt, obwohl die Voraussetzungen des § 1831 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB nicht vorlagen. Diesen Fehler hat das Beschwerdegericht jedoch erkannt und die Unterbringungsdauer auf bis zum 22. November 2023 verkürzt.Damit ist die Rechtslage insoweit geklärt, so dass es in diesem Punkt an einem rechtlich anerkennenswerten Bedürfnis des Betroffenen für eine Feststellung nach § 62 Abs. 1 FamFG fehlt.
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Guhling |
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Klinkhammer |
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Pernice |
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Meta
05.06.2024
Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat
Beschluss
Sachgebiet: ZB
vorgehend LG Berlin, 7. September 2023, Az: 83 T 134/23
§ 1831 Abs 1 Nr 1 BGB, § 1831 Abs 1 Nr 2 BGB, § 62 Abs 1 FamFG
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 05.06.2024, Az. XII ZB 463/23 (REWIS RS 2024, 5227)
Papierfundstellen: REWIS RS 2024, 5227
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
XII ZB 130/23 (Bundesgerichtshof)
Formale Anforderungen an langfristige Unterbringung eines Betreuten und Erweiterung der Betreuung
XII ZB 122/24 (Bundesgerichtshof)
Unterbringungssache: Verpflichtung des Gerichts zur Bestellung eines externen Gutachters bei Verlängerung des Unterbringungszeitraums
XII ZB 219/23 (Bundesgerichtshof)
Anforderungen an Begründung einer Unterbringung über gesetzliche Höchstgrenze hinaus
XII ZB 167/18 (Bundesgerichtshof)
Unterbringungs- und Betreuungssache: Voraussetzungen der Unterbringung zum Schutz vor Selbstgefährdung bei Alkoholismus; Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts …
XII ZB 671/11 (Bundesgerichtshof)
Geschlossene Unterbringung eines Betreuten: Genehmigungsfähigkeit einer Unterbringung zur Heilbehandlung gegen den Willen des Betroffenen