Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.04.2015, Az. XII ZB 29/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 13098

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 29/15

vom

1. April 2015

in der Betreuungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 1896 Abs. 2 Satz 1
Zur
Erforderlichkeit einer Betreuung für das Eingehen von Verbindlichkeiten und für die Vertretung gegenüber Gerichten, wenn diese Punkte aus der erteilten Vorsorgevollmacht ausgenommen worden sind.

[X.], Beschluss vom 1. April 2015 -
XII ZB 29/15 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 1.
April 2015 durch den [X.] [X.] und [X.], Dr.
Günter, Dr.
Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 3.
Zivilkammer des [X.]s [X.]
vom 14.
Januar 2015 aufgehoben.
Auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 3 wird der Be-schluss des [X.] vom 30.
Oktober 2014 in Gestalt seiner Abhilfeentscheidung vom 30.
Dezember 2014 auf-gehoben.
Das Verfahren auf Einrichtung einer Betreuung wird eingestellt.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren,
werden der Staatskasse auf-erlegt.
[X.]: 5

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3
-
Gründe:
I.
Der
77jährige Betroffene leidet an einer
Demenz, wegen derer er seine
Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann
und geschäftsunfähig ist.
Am 18. Juni 2002
hatte er seiner Ehefrau, der Beteiligten zu 2,
[X.] unter Verwendung des vom
Bundesministerium der Justiz bereitge-stellten Musterformulars erteilt. In dem Formular ist unter der Überschrift "Ver-mögenssorge"
der Punkt "Sie darf mein Vermögen verwalten und hierbei alle Rechtshandlungen und Rechtsgeschäfte im In-
und Ausland vornehmen, Erklä-rungen aller Art abgeben und entgegennehmen sowie Anträge stellen, [X.], zurücknehmen"
mit "ja"
angekreuzt. Die mit "namentlich..."
daran ange-knüpften
Unterpunkte sind ebenfalls mit "ja"
angekreuzt mit Ausnahme des Un-terpunkts "Verbindlichkeiten eingehen", der
weder mit "ja"
noch mit "nein"
ange-kreuzt
ist.
Unter der Überschrift "Vertretung vor Gericht"
ist der Punkt "Sie darf [X.] gegenüber Gerichten vertreten sowie Prozesshandlungen aller Art vor-nehmen"
mit
"nein"
angekreuzt.
Das Amtsgericht hat eine Betreuung für alle
Angelegenheiten einschließ-lich Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post eingerichtet und die [X.] zu 2 zur
Betreuerin bestellt.
Dagegen hat die Betreuungsbehörde Beschwerde eingelegt, mit der sie
geltend gemacht hat, die Betreuung sei angesichts der vorliegenden [X.] nicht erforderlich. Das Amtsgericht hat der Beschwerde insoweit ab-geholfen, als es die [X.] der Betreuung auf die Eingehung von [X.] und die Vertretung gegenüber Gerichten sowie [X.] aller Art begrenzt hat. Die weitergehende Beschwerde hat das [X.] 1
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zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der [X.].

II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie
führt zur Aufhebung der
ange-fochtenen Beschlüsse
und zur Einstellung des Verfahrens auf Einrichtung einer Betreuung.
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Gemäß §
1896 Abs.
2 Satz
2 BGB sei eine Betreuung nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten durch einen Bevollmächtigten ebenso gut besorgt werden könnten. Die vorliegende Vorsorgevollmacht sei jedoch lückenhaft ausgefüllt. Hinsichtlich der Vertretung gegenüber Gerichten bestehe "unproblematisch"
ein Betreuungsbedarf unabhängig davon, ob konkrete Angelegenheiten derzeit [X.]. Hinsichtlich der Eingehung von Verbindlichkeiten sei die [X.] jedenfalls unklar und es bestehe insoweit Betreuungsbedarf.
Da die Angelegenheiten des Betroffenen lückenlos besorgt werden müssten,
sei eine die Vorsorgevollmacht ergänzende [X.] notwendig.
2. Dies
hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Nach §
1896 Abs.
2 Satz
1 BGB darf ein Betreuer nur für [X.] bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grund-satz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie -
auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit
-
not-wendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die [X.] einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähig-5
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keit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können. Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob
und für welche Aufgabenbereiche ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen
(Senatsbeschluss vom 6.
Juli 2011 -
XII ZB 80/11
-
FamRZ 2011, 1391 Rn.
9 mwN).
Auch im Bereich der Vermögenssorge kann die Erforderlichkeit der [X.] nicht allein mit der subjektiven Unfähigkeit des Betreuten begründet werden, seine diesbezüglichen Angelegenheiten selbst zu regeln. Vielmehr muss aufgrund konkreter tatrichterlicher Feststellungen die gegenwärtige Ge-fahr begründet sein, dass der Betreute einen Schaden erleidet, wenn man ihm oder den damit bisher [X.] die Erledigung seiner vermögensrechtlichen Angelegenheiten eigenverantwortlich überließe. Dabei ist das Vorliegen eines aktuellen Handlungsbedarfs zugunsten des Vermögens des Betreuten nicht zwingend erforderlich; es genügt, dass dieser Bedarf jederzeit auftreten kann und für diesen Fall die begründete Besorgnis besteht, dass ohne die Einrich-tung einer Betreuung nicht
das Notwendige veranlasst wird
(vgl. Senatsbe-schluss vom 21.
Januar 2015 -
XII ZB 324/14
-
juris Rn.
9
mwN).
b) Diesen Grundsätzen
wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Die vom
[X.] getroffenen Feststellungen begründen
keinen Betreu-ungsbedarf in der gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen.
aa) Das [X.] hat die Erforderlichkeit einer
Betreuung
für den [X.] der Vertretung gegenüber Gerichten sowie Prozesshandlungen aller Art
damit begründet, dass diese "unproblematisch"
bestehe, weil dieser Bereich von der Vorsorgevollmacht durch Ankreuzen des Feldes "nein"
ausdrücklich 9
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ausgenommen worden sei.
Damit verkennt das [X.] die Voraussetzun-gen für die Notwendigkeit der Betreuung.
Die Formularfrage zielt
darauf, ob der Bevollmächtigte im Falle einer Prozessunfähigkeit des Betroffenen in die prozessuale Stellung eines gesetzli-chen Vertreters einrücken soll

51 Abs.
3 ZPO).
(1) Zu den Prozessvoraussetzungen eines Zivilprozesses
gehört die Pro-zessfähigkeit der Beteiligten sowohl auf Kläger-
als auch auf Beklagtenseite (Stein/Jonas/Jacoby
ZPO 23.
Aufl. §
51 Rn.
8). Eine Person ist insoweit pro-zessfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann

52 ZPO). Geschäfts-unfähige sind somit prozessunfähig; sie bedürfen vor Gericht eines gesetzlichen Vertreters.
(2) Während durch Vollmachterteilung
grundsätzlich keine gesetzliche, sondern (nur) eine rechtsgeschäftliche
Vertretungsmacht
begründet
werden kann,
trifft das Gesetz in §
51 Abs.
3 ZPO
eine Sonderregelung
für [X.]en. Danach steht
der Vorsorgebevollmächtigte einem
gesetzlichen Vertreter
des prozessunfähigen Betroffenen gleich, wenn die Vorsorgevollmacht die gerichtliche Vertretung umfasst. Die fehlende Prozessfähigkeit des
Betroffe-nen wird im Wege der gesetzlichen
Vertretung durch den Vorsorgebevollmäch-tigten
ersetzt.
(3)
Erstreckt sich die Vorsorgevollmacht -
wie hier
-
nicht auf die gericht-liche Vertretung gemäß §
51 Abs.
3 ZPO, steht einer Prozessführung die [X.] des Betroffenen entgegen, solange für ihn nicht ein Betreuer bestellt wird, der ihn gerichtlich vertritt (§§
1902 BGB, 53 ZPO). In Fällen des §
57 ZPO kann außerdem ein Prozesspfleger
bestellt werden.

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(4) Daraus ergibt sich, dass für den Aktivprozess die Notwendigkeit einer Betreuung
mit dem Aufgabenkreis der Vertretung vor Gericht (erst) dann [X.], wenn beabsichtigt ist, einen solchen tatsächlich anzustrengen.
Die Füh-rung von [X.] gehört indessen nicht zu denjenigen Aufgaben, die im Rahmen der Fürsorge für einen an Altersdemenz erkrankten Menschen
regel-mäßig anfallen. Das Führen einer gerichtlichen
Auseinandersetzung setzt näm-lich
ein streitiges Rechtsverhältnis voraus, welches außergerichtlich nicht beige-legt werden kann.
Eine solche Lage stellt sich nicht regelmäßig ein, sondern bleibt die Ausnahme. Im vorliegenden Fall sind Anhaltspunkte dafür, dass die Führung eines Aktivprozesses anstünde, weder festgestellt noch ersichtlich.
Einer vorbeugenden [X.] bedarf es dann nicht.
Ebenso sind keine Anhaltspunkte dafür
festgestellt
oder ersichtlich, dass der Betroffene zur Partei eines Passivprozesses werden könnte.
Selbst wenn dies unvorhergesehen geschähe, könnte
seiner
Prozessunfähigkeit in Fällen von Gefahr im Verzug einstweilen durch Bestellung eines Prozesspflegers be-gegnet werden
(§ 57 ZPO), so dass es nicht bereits vorbeugend der Anordnung einer
Betreuung
bedarf.
Für das Betreuungsverfahren ist der Betroffene ohnehin unabhängig von seiner Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig (§
275 FamFG).
[X.])
Gleichfalls
unzutreffend ist die Annahme des [X.]s, der Be-troffene benötige eine Betreuung für die Eingehung von Verbindlichkeiten, weil auch die Berechtigung zur Aufnahme größerer Schulden
lückenlos geregelt sein müsse.
Wie das [X.] im Ansatz zutreffend erkannt hat, ist die Vertretung des Betroffenen im Rahmen von "einfachen Verträgen"
durch die erteilte [X.] erfasst. Denn mit der Bejahung des Punktes "Sie darf mein 16
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Vermögen verwalten und hierbei alle Rechtshandlungen und Rechtsgeschäfte im In-
und Ausland vornehmen, Erklärungen aller Art abgeben und entgegen-nehmen sowie Anträge stellen, abändern, zurücknehmen"
ist grundsätzlich eine Vollmacht im Bereich der Vermögenssorge erteilt, die auch den Abschluss und die Erfüllung von Verpflichtungsgeschäften
beinhaltet. Die daran anschließende Unterrubrik, bei der es um die Berechtigung zum "Eingehen von [X.]"
geht, bezieht sich auf Geschäfte von außergewöhnlicher Bedeutung.
Mit dieser Formulierung ist im Zusammenhang mit
Vorsorgevollmachten vor allem die Begründung von Kreditverpflichtungen
und die Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung gemeint, also die Begründung solcher Verbindlichkeiten, die durch das verfügbare
Vermögen nicht gedeckt sind und deshalb eine
Ver-schuldung bewirken
(vgl. Müller/[X.] Betreuungsrecht und Vorsorgeverfü-gungen in der Praxis 2.
Aufl. S.
290; Platz Die Vorsorgevollmacht 2.
Aufl. S.
107; [X.]/Spalckhaver Handbuch der Vorsorgeverfügungen §
14 Rn.
59).
-
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-
Dass für Rechtsgeschäfte solcher Art ein konkreter Bedarf besteht, hat das [X.] weder
festgestellt
noch sind
Anhaltspunkte dafür ersichtlich.
Auch die Bevollmächtigte
und
der Betroffene
sehen keinen Bedarf für die An-ordnung einer Betreuung mit diesem Aufgabenkreis.
[X.]

Schilling Günter

Nedden-Boeger Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 30.10.2014 -
405 [X.]/14 -

LG [X.], Entscheidung vom 14.01.2015 -
32 [X.] -

21

Meta

XII ZB 29/15

01.04.2015

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 01.04.2015, Az. XII ZB 29/15 (REWIS RS 2015, 13098)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13098

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XII ZB 29/15

XII ZB 80/11

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