Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.08.2019, Az. 1 A 2/19

1. Senat | REWIS RS 2019, 4420

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Gegenstand

Unzulässige Klage mangels Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Klägers und Nichtvorlage einer Prozessvollmacht


Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine auf § 58a [X.] gestützte Abschiebungsanordnung.

2

Der Kläger ist ein 1996 in [X.] geborener und aufgewachsener bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger. Mit Verfügung vom 26. März 2019, die dem Kläger am 28. März 2019 ausgehändigt wurde, ordnete das [X.], Flüchtlinge und Integration des [X.] seine Abschiebung in die [X.] an. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt: Die vorliegenden Erkenntnisse führten zu der Prognose, dass von dem Kläger eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dieser gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik [X.] ausgehe. Die Gesamtschau der festgestellten Tatsachen ergebe, dass sich der Kläger spätestens seit 2012/2013 zunehmend islamistisch radikalisiert habe und mit der terroristischen Vereinigung "[X.]" und dem von dieser propagierten bewaffneten Kampf, dem [X.], sympathisiere.

3

Am 3. April 2019 hat der Kläger beim [X.] Klage erhoben, die nicht begründet worden ist.

4

Am 11. April 2019 ist der Kläger gemeinsam mit seinen beiden [X.], gegen die gesondert Verfügungen nach § 58a [X.] ergangen waren, nach [X.] abgeschoben worden.

5

Mit gerichtlicher Verfügung vom 23. April 2019 ist der Prozessbevollmächtigte des [X.] aufgefordert worden, eine Prozessvollmacht vorzulegen und die ladungsfähige Anschrift des [X.] mitzuteilen, unter welcher dieser nach der zwischenzeitlich erfolgten Abschiebung nunmehr erreichbar ist.

6

Mit weiterer gerichtlicher Verfügung vom 3. Juni 2019, dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 5. Juni 2019 zugestellt, ist dem Kläger u.a. nach § 82 Abs. 2 Satz 1 VwGO aufgegeben worden, bis zum 28. Juni 2019 die Klage durch Mitteilung der aktuellen [X.] Anschrift des [X.] zu ergänzen. Zusätzlich ist darauf hingewiesen worden, dass die gesetzte Frist ausschließende Wirkung hat und eine verspätete Klageergänzung nicht mehr zu berücksichtigen ist, es sei denn, es liegen [X.] nach § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO i.V.m. § 60 VwGO vor. Ferner ist dem Prozessbevollmächtigten des [X.] aufgegeben worden, bis zum 28. Juni 2019 eine Prozessvollmacht vorzulegen.

7

Diesen gerichtlichen Verfügungen ist der Kläger nicht nachgekommen.

8

Der Kläger hat in der Klageschrift beantragt,

1. die Verfügung des [X.], Flüchtlinge und Integration des [X.] vom 26. März 2019 aufzuheben,

2. den Beklagten unter Aufhebung der [X.] der angefochtenen Verfügung zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des [X.] zu verlängern,

3. den Beklagten zu verpflichten, gemäß § 11 Abs. 4 [X.] das Einreise- und Aufenthaltsverbot für den Fall der Abschiebung aufzuheben, hilfsweise deutlich zu verkürzen, äußerst hilfsweise unter Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 1. abzuweisen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 15. August 2019 den Rechtsstreit hinsichtlich der Feststellung eines unbefristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots in der Verfügung des [X.], Flüchtlinge und Integration des [X.] vom 26. März 2019 und des Begehrens des [X.] auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis unter dem Aktenzeichen [X.] abgetrennt, sich insoweit für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist.

1. Der Zulässigkeit der Klage steht entgegen, dass der Kläger seine ladungsfähige Anschrift nach seiner Abschiebung in die [X.] trotz Hinweises auf ihre Erforderlichkeit bis zur mündlichen Verhandlung nicht mitgeteilt hat.

a) Zur [X.]ezeichnung des [X.] im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört regelmäßig auch die Angabe der [X.] Anschrift, d.h. der ([X.], unter welcher der Kläger tatsächlich zu erreichen ist ([X.]VerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - [X.] 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 3 ff.). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Kläger von einem Prozessbevollmächtigten vertreten wird ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 1. September 2005 - 1 [X.] 79.05 - [X.] 310 § 82 VwGO Nr. 22 S. 12 f.). Die Angabe der [X.] Anschrift soll nicht nur dessen hinreichende Individualisierbarkeit sowie Identifizierbarkeit sicherstellen und die Zustellung von Entscheidungen, Ladungen sowie gerichtlichen Verfügungen ermöglichen; sie soll darüber hinaus gewährleisten, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt und sich im Falle seines Unterliegens der Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Daher wird eine Klage unzulässig, wenn der Kläger einer gerichtlichen Aufforderung, seine während des Verfahrens geänderte Anschrift binnen einer bestimmten Frist mitzuteilen, ohne triftigen Grund nicht nachkommt. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Angabe einer [X.] Anschrift nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Die Pflicht zur Angabe der Anschrift kann im Hinblick auf den aus Art. 19 Abs. 4 GG fließenden Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ausnahmsweise entfallen, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen oder wenn der Kläger glaubhaft nicht über eine Anschrift verfügt ([X.]VerfG, [X.] vom 2. Februar 1996 - 1 [X.]vR 2211/94 - NJW 1996, 1272 und vom 11. November 1999 - 1 [X.]vR 1203/99 - juris Rn. 1; [X.]VerwG, Urteil vom 13. April 1999 - 1 C 24.97 - [X.] 310 § 82 VwGO Nr. 19 S. 8 und [X.]eschluss vom 14. Februar 2012 - 9 [X.] 79.11 - [X.] 310 § 82 VwGO Nr. 24 Rn. 11).

b) Der Prozessbevollmächtigte des [X.] hat die Klage nicht innerhalb der ihm durch gerichtliche Verfügung vom 3. Juni 2019 gesetzten Ausschlussfrist um eine den Erfordernissen des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genügende ladungsfähige Anschrift ergänzt. Auf die Rechtsfolge des § 82 Abs. 2 Satz 2 VwGO war er durch das Gericht mit Verfügung vom 3. Juni 2019 hingewiesen worden. Der Kläger hat dem Gericht keine Erklärung dafür gegeben, weshalb er dieser Aufforderung nicht nachgekommen ist. Er hat auch nicht dargetan, dass ihm die Angabe seiner aktuellen Anschrift ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Die Nennung der [X.] Anschrift kann nach Ablauf der gesetzten Ausschlussfrist nicht mehr wirksam vorgenommen werden, es sei denn, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO i.V.m. § 60 VwGO liegen vor. Das ist hier indes nicht der Fall. Dem Kläger ist keine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nach § 82 Abs. 2 Satz 3 VwGO i.V.m. § 60 VwGO zu gewähren. Weder hat der Kläger die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist beantragt noch kann diese von Amts wegen erfolgen, weil der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen zu sein.

2. Unabhängig hiervon kann hier nicht vom [X.]estehen einer wirksamen Vollmacht ausgegangen werden. Der für den Kläger auftretende Rechtsanwalt hat die nach § 67 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 VwGO erforderliche schriftliche Prozessvollmacht trotz entsprechender gerichtlicher Aufforderungen vom 23. April 2019 und 3. Juni 2019 nicht zu den Akten gereicht. § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO hindert den Senat nicht, das Fehlen der Vollmacht zu berücksichtigen. Die Vorschrift verpflichtet das Gericht zur [X.]erücksichtigung des Mangels der Vollmacht von Amts wegen, wenn nicht als [X.]evollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. In diesem Fall entfällt die Pflicht, nicht jedoch auch die [X.]efugnis, den Mangel der Vollmacht unabhängig von einer Rüge anderer [X.]eteiligter zu prüfen und zu berücksichtigen. Vielmehr kann die Art und Weise der Prozessführung dem Gericht dazu berechtigten Anlass geben. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn - wie hier - der auftretende Rechtsanwalt trotz gerichtlicher Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist weder die Vollmacht nachreicht, noch den angeblich vertretenen Kläger ordnungsgemäß bezeichnet (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 27. Juni 2011 - 8 A 1.10 - juris Rn. 16).

3. Die Kosten des Verfahrens sind in entsprechender Anwendung vom § 173 VwGO, § 89 Abs. 1 Satz 3 ZPO i.V.m. § 179 [X.]G[X.] dem Prozessbevollmächtigten des [X.] aufzuerlegen, weil er als vollmachtloser Vertreter das erfolglose Klageverfahren veranlasst hat (stRspr, [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 23. März 1982 - 1 C 63.79 - [X.] 310 § 67 VwGO Nr. 55; vom 25. September 2006 - 8 KSt 1.06 - [X.] 310 § 67 VwGO Nr. 108 und vom 16. Januar 2007 - 8 C 14.06 - juris).

Meta

1 A 2/19

15.08.2019

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: A

Art 19 Abs 4 GG, § 82 Abs 1 S 1 VwGO, § 82 Abs 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.08.2019, Az. 1 A 2/19 (REWIS RS 2019, 4420)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 4420

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Mangels ladungsfähiger Anschrift unzulässige Klage


Referenzen
Wird zitiert von

10 C 23.250

VIII ZR 262/20

29 K 4677/21.A

B 1 KR 10/19 R

B 6 A 2/20 R

1 BvR 305/21

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