Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2019, Az. 4 StR 183/19

4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 3649

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[X.]:[X.]:[X.]:2019:120919U2STR183.19.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
4
StR 183/19
vom
12. September
2019
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.]s hat in der Sitzung vom 12.
September
2019, an der
teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin
am [X.]
Sost-Scheible,

die Richterin am [X.]
Roggenbuck,
die Richter am [X.]
Bender,
[X.],
Dr. Paul

als beisitzende Richter,

[X.]
beim [X.]

in der Verhandlung ,
[X.] beim [X.]

bei der Verkündung

als Vertreterinnen des [X.],

Rechtsanwältin

als Verteidigerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
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-

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 2.
Oktober 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurge-richt zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Des Weiteren hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaub-nis von
neun Monaten
festgesetzt. Hiergegen richtet sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegte, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestütz-te und vom [X.] vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit welcher die Beschwerdeführerin in erster Linie eine
Verurteilung des Ange-klagten wegen versuchten Mordes erstrebt.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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I.
Nach den Feststellungen ließ sich der spätere Geschädigte, der nach ei-nem Gaststättenaufenthalt
sichtlich
erheblich alkoholisiert war, in den frühen Morgenstunden des 15.
September 2017 vom Angeklagten in dessen [X.], ei-nem Toyota
Prius, in [X.] in die [X.] fahren, wo er in Höhe des Anwesens

Nr.

aus dem [X.] ausstieg und sich entgegen der Fahrtrichtung entfernte, oh-ne
den Fahrpreis von 6,50

e
verließ daraufhin [X.], folgte dem Geschädigten und verlangte die Bezahlung des
Fahr-preises. Da der Geschädigte den Angeklagten ignorierte und sich weiter [X.], ging der Angeklagte zu seinem [X.] zurück, wendete das Fahrzeug und fuhr dem Geschädigten hinterher, den er auf Höhe des Anwesens [X.]
in der dorti-
gen Einfahrt wieder erreichte. Durch das offene Fenster des Fahrzeugs kam es sodann zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Geschädigte möglicherweise mit einer Hand auf die Motorhaube des [X.]s klopfte.
Obwohl der Angeklagte über das Verhalten des Geschädigten verärgert war, beschloss er, die Auseinandersetzung zu beenden und wegzufahren, ohne den Fahrpreis erhalten zu haben. Um von der Einfahrt
wieder
auf die [X.] ein-zufahren, setzte er das Fahrzeug zunächst etwas zurück und lenkte dann stark nach links. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Fahrbahn
frei
war, rollte er mit einer Geschwindigkeit von ca. 1 bis
2 km/h langsam an. Dabei nahm er wahr, dass der alkoholisierte Geschädigte seitlich neben dem Fahrzeug auf Höhe des vorderen linken [X.] stand. Der Angeklagte erkannte, dass er den 3
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Geschädigten mit dem [X.] touchieren könnte und dass ein Anfahren mit dem [X.] auch bei sehr langsamer Geschwindigkeit geeignet ist, bei dem Geschädig-ten erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Dies war ihm zumindest gleichgül-tig.

Der Geschädigte wurde von dem vorderen linken Radlauf des [X.]s
der-gestalt
erfasst, dass sein rechter Unterschenkel zwischen Radlaufkante und In-nenflanke des nach links eingeschlagenen Vorderrades geriet. Infolge des
vom Angeklagten nicht wahrgenommenen Anstoßes geriet der Geschädigte ins [X.], stürzte und kam letztlich in Bauchlage seitlich links vor dem Wagen zu lie-gen. Der Angeklagte, der mit seinem Fahrzeug weiter über die Bordsteinkante von der Einfahrt auf die [X.] fuhr, überfuhr den Geschädigten mit der vollen Fahrzeuglänge und schleifte ihn anschließend noch etwa fünf Meter mit. Das ge-samte Geschehen dauerte nur zwei bis drei Sekunden. Der Angeklagte hatte nicht wahrgenommen, dass der Geschädigte so zu Fall und auf der [X.] zu liegen gekommen war, dass er ihn beim Weiterfahren mit seinem Fahrzeug über-fahren könnte. Ein Überfahren des Geschädigten nahm er jedenfalls nicht auch nur billigend in Kauf. Erst nachdem der Angeklagte auf die Fahrbahn gefahren und wieder nach rechts gelenkt hatte, bemerkte er den Geschädigten, der hinten mittig unter dem Fahrzeug wieder hervorgekommen war

und regungslos auf der Fahrbahn lag. Obwohl er erkannte, für die Situation möglicherweise mitursächlich gewesen zu sein, fuhr er zugleich weiter und verließ den Unfallort.
Der Geschädigte wurde wenig später von einer Polizeistreife reglos auf der [X.] liegend aufgefunden. Durch das Anfahren erlitt er eine Risswunde am rechten Knie und Verletzungen am rechten Unterschenkel. Infolge des Überfah-rens mit dem [X.] trug er ein Schädel-Hirn-Trauma Grad I, multiple Schürfungen, 5
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eine [X.] rechts, eine Deckplattenimpressionsfraktur sowie diverse Prellungen am ganzen Körper und erhebliche Schmerzen davon. Zudem wurde das linke Ohr des Geschädigten halb abgerissen. [X.] waren die Verletzungen nicht.

II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil die [X.] den von Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss erfassten Lebenssachver-halt, wie er sich als Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt, in sachlich-rechtlicher Hinsicht nicht erschöpfend gewürdigt hat und damit der ihr gemäß §
264 StPO obliegenden umfassenden Kognitionspflicht nicht nachgekommen ist (vgl. [X.], Urteil vom 17.
August 2017

4
StR 127/17, [X.], 352, 353 mwN). Denn das [X.] hat eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen eines durch Unterlassen verwirklichten versuchten Tötungsdelikts erkennbar nicht be-dacht.
Ausweislich der [X.] zur Beweiswürdigung hat die [X.] die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte, der beim Anfahren den links seitlich neben dem Fahrzeug auf Höhe des vorderen [X.] ste-henden Geschädigten wahrgenommen, mit einer Kollision gerechnet
und diese unter Inkaufnahme erheblicher Verletzungen hingenommen
hatte, unmittelbar nach dem Überfahren des Geschädigten bemerkte, dass der nunmehr reglos auf der Fahrbahn liegende Geschädigte unter das Fahrzeug geraten war. Bei dieser Sachlage hätte für den Tatrichter
Veranlassung bestanden, sich näher mit dem Vorstellungsbild des Angeklagten bei Fortsetzung der Fahrt zu befassen und zu 7
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prüfen, ob der Angeklagte subjektiv davon ausging, eine möglicherweise für den Geschädigten bestehende Lebensgefahr entgegen einer aus seinem vorange-gangenen pflichtwidrigen Gefährdungsverhalten resultierenden Handlungspflicht nicht abzuwenden. In diesem Falle lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Tötungsversuchs durch Unterlassen vor. Zu alledem verhalten sich die Ur-teilsgründe nicht.

Um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatrichter eine umfassende, in sich stimmige Beurteilung der subjektiven Tatseite zu ermöglichen, hebt der [X.] das gesamte Urteil mit den Feststellungen auf.

Sost-Scheible
Rin[X.] Roggenbuck ist im Urlaub und daher gehindert zu unter-schreiben.
Sost-Scheible
Bender
Feilcke
Paul

10

Meta

4 StR 183/19

12.09.2019

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2019, Az. 4 StR 183/19 (REWIS RS 2019, 3649)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3649

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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