Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.01.2020, Az. XII ZB 500/19

12. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1173

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Gegenstand

Vergütung des Berufsbetreuers: Einsatz eines aus Pflegegeld angesparten Vermögens


Leitsatz

Der Einsatz eines aus Pflegegeld nach § 37 SGB XI angesparten Vermögens für die Vergütung des Berufsbetreuers stellt für den Betreuten keine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dar.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 18. September 2019 aufgehoben.

Auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des [X.] vom 7. Mai 2019 abgeändert und die von der weiteren Beteiligten zu 1 an die Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 1.105,66 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Wert: 1.106 €

Gründe

I.

1

Das Verfahren betrifft die Frage, ob Vermögen, das durch nicht verbrauchtes Pflegegeld angespart wurde, für die Vergütung eines [X.] eingesetzt werden muss.

2

Die Beteiligte zu 1 ist seit vielen Jahren zur Betreuerin der Betroffenen bestellt. Sie übt ihr Amt berufsmäßig aus. In der [X.] vom 1. Januar 2016 bis 31. März 2018 wurde ihr für ihre Tätigkeit eine Vergütung von insgesamt 4.158 € aus der Landeskasse gezahlt. Mit Beschluss vom 7. Mai 2019 hat das Amtsgericht die Erstattung dieser Vergütung in Höhe von 3.000 € aus dem Vermögen der Betroffenen angeordnet. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Betroffene über ein entsprechendes Vermögen oberhalb des [X.] von 5.000 € verfügt. Auf die Beschwerde der Betreuerin hat das [X.] den amtsgerichtlichen Beschluss ersatzlos aufgehoben. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 (nachfolgend: Landeskasse).

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Abänderung des amtsgerichtlichen Beschlusses.

4

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung folgendes ausgeführt:

5

Zum maßgeblichen [X.]punkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz habe die Betroffene über ein den Schonbetrag von 5.000 € übersteigendes Vermögen von 1.105,66 € verfügt. Dieses Vermögen beruhe darauf, dass die Betroffene nicht verbrauchtes Pflegegeld, das ihr von der [X.] ausgekehrt worden sei, angespart habe. Da die der Betroffenen zugeflossenen Leistungen aus der Pflegeversicherung nach § 13 Abs. 5 Satz 1 [X.] nicht als Einkommen zu bewerten seien, könne ein damit angespartes Vermögen auch nicht für die Vergütung des Betreuers eingesetzt werden. Nach dem Rechtsgedanken der Härtefallregelung des § 90 Abs. 3 Satz 1 [X.] widerspreche es der Billigkeit, Leistungen aus dem Pflegegeld, die der Betroffenen zugeflossen seien, die sie aber aus in ihrer Krankheit liegenden Gründen nicht zweckbestimmt habe verwenden können, als einsetzbares Vermögen zu bewerten. Das Pflegegeld sei grundsätzlich eine zweckbestimmte Leistung, mit der der Empfänger in die Lage versetzt werden solle, die für die Pflege erforderlichen Aufwendungen zu decken. [X.] es dem Leistungsempfänger aber, seinen pflegerischen Aufwand mit einem geringeren finanziellen Aufwand zu bestreiten, könne dies nicht dazu führen, dass die Leistungen aus der Pflegeversicherung wirtschaftlich dazu heranzuziehen seien, aus der Staatskasse getragene Betreuervergütungen auszugleichen.

6

Hinzu komme, dass die Betroffene im Hinblick auf von ihrem Enkel in ihrer Wohnung verursachte Schäden in unmittelbarer Zukunft davon ausgehen müsse, von ihrem Vermieter auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden. Der Enkel sei selbst nicht in der Lage, für diese Schäden einzustehen.

7

2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

8

a) Vergütungsschuldner des [X.] ist bei Mittellosigkeit des Betreuten die Staatskasse (§§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 3 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 2 VBVG) und bei vorhandenem verwertbaren Vermögen der Betreute (§§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 VBVG). Soweit die Staatskasse Leistungen zur Vergütung eines Betreuers erbracht hat, geht gemäß § 1908 i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1836 e Abs. 1 Satz 1 BGB der Anspruch des Betreuers gegen den Betreuten auf die Staatskasse über. Ob bzw. inwieweit die Staatskasse den Betreuten aus der übergegangenen Forderung tatsächlich in Anspruch nehmen kann, bestimmt sich nach dessen Leistungsfähigkeit. Maßstab hierfür ist das nach § 1836 c BGB einzusetzende Einkommen und Vermögen des Betreuten, auf das seine Inanspruchnahme begrenzt ist. Demzufolge muss auch ein zur [X.] der Betreuertätigkeit mittelloser Betreuter grundsätzlich später vorhandene Mittel im Rahmen des § 1836 c BGB für die Kosten der Betreuung einsetzen ([X.]sbeschluss vom 9. Januar 2013 - [X.] 478/11 - FamRZ 2013, 440 Rn. 10 ff.). Dabei ist für die Feststellung, ob der Betreute mittellos oder vermögend ist, auf den [X.]punkt der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz abzustellen ([X.]sbeschluss vom 6. Februar 2013 - [X.] 582/12 - FamRZ 2013, 620 Rn. 18).

9

Das vom Betreuten einzusetzende Vermögen bestimmt sich gemäß § 1836 c Nr. 2 BGB nach § 90 [X.]. Dabei geht § 90 Abs. 1 [X.] von dem Grundsatz aus, dass das gesamte verwertbare Vermögen für die Betreuervergütung einzusetzen ist ([X.]sbeschluss vom 9. Juni 2010 - [X.] 120/08 - FamRZ 2010, 1643 Rn. 21 ff.), soweit es nicht zu dem in § 90 Abs. 2 [X.] abschließend aufgezählten Schonvermögen gehört. Im Übrigen bleibt gemäß § 90 Abs. 3 [X.] Vermögen unberücksichtigt, dessen Einsatz oder Verwertung für den Betroffenen eine Härte bedeuten würde.

b) Nach den vom Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen betrug das Vermögen der Betroffenen zum maßgeblichen [X.]punkt der Entscheidung über die Beschwerde 6.105,66 €. Davon hat das Beschwerdegericht zu Recht einen Betrag von 5.000 € als Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 [X.] i.V.m. § 1 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des [X.] in Abzug gebracht, so dass die Betroffene über ein einzusetzendes Vermögen von 1.105,66 € verfügte.

c) Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Auffassung des [X.], bei der Berechnung des einzusetzenden Vermögens der Betroffenen blieben die angesparten Leistungen aus der Pflegeversicherung außer Betracht. Die Verwertung des Vermögens, das die Betroffene mit Zahlungen aus der Pflegeversicherung angespart hat, stellt keine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 1 [X.] dar.

aa) Mit dieser Vorschrift können atypische Fallkonstellationen im Einzelfall aufgefangen werden, die nicht von den in § 90 Abs. 2 [X.] genannten Fallgruppen erfasst sind, die aber den in dieser Vorschrift zum Ausdruck kommenden Leitvorstellungen des Gesetzes für die Verschonung von Vermögen vergleichbar sind (vgl. [X.]sbeschluss vom 9. Juni 2010 - [X.] 120/08 - FamRZ 2010, 1643 Rn. 19). Dabei ist für die Anwendung des § 90 Abs. 3 [X.] die Herkunft des Vermögens grundsätzlich unerheblich. Lediglich in Einzelfällen kann die Herkunft des Vermögens dieses so prägen, dass seine Verwertung eine Härte darstellen würde (vgl. [X.]sbeschluss vom 9. Juni 2010 - [X.] 120/08 - FamRZ 2010, 1643 Rn. 18). Davon kann etwa ausgegangen werden, wenn der gesetzgeberische Grund für die Nichtberücksichtigung einer laufenden Zahlung als Einkommen auch im Rahmen der Vermögensanrechnung durchgreift, weil das Vermögen den gleichen Zwecken zu dienen bestimmt ist wie die laufende Zahlung selbst (vgl. BVerwGE 137, 85 = NVwZ-RR 2010, 771 Rn. 20 mwN). Deshalb hat die verwaltungs- und sozialgerichtliche Rechtsprechung in der Vergangenheit bereits mehrfach den Einsatz angesparter Beträge aus Sozialleistungen als eine Härte für den Begünstigten nach § 90 Abs. 3 [X.] angesehen (vgl. BVerwGE 137, 85 = NVwZ-RR 2010, 771 Rn. 22 ff. zur Beschädigtengrundrente nach dem Opferentschädigungsgesetz; BVerwGE 185, 199 = NJW 1998, 397 zum Erziehungsgeld; BVerwGE 45, 135 zur Grundrentennachzahlung; [X.], 441 zum Blindengeld). Auch ein aus Schmerzensgeldzahlungen gebildetes Vermögen bleibt nach § 90 Abs. 3 [X.] grundsätzlich einsatzfrei (BVerwGE 98, 256 = FamRZ 1995, 1348; [X.], 1). Ebenso entspricht es mittlerweile einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum zur Betreuervergütung, dass der Betroffene ein aus Schmerzensgeldzahlungen angespartes Vermögen einschließlich der erwirtschafteten Zinsen nicht für die Betreuervergütung einsetzen muss, weil dies für ihn eine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 [X.] darstellen würde (vgl. [X.]sbeschluss vom 26. November 2014 - [X.] 542/13 - FamRZ 2015, 488 Rn. 13 mwN).

bb) Diese Erwägungen gelten jedoch nicht für ein Vermögen, das aus Leistungen der Pflegeversicherung angespart worden ist.

Zwar werden nach § 13 Abs. 5 Satz 2 [X.] Leistungen der Pflegeversicherung bei einkommensabhängigen Sozialleistungen nicht als Einkommen berücksichtigt. Anders als bei den vorgenannten Sozialleistungen und beim Schmerzensgeld führt die Zweckbestimmung des [X.] nach § 37 [X.] jedoch nicht dazu, dass der Einsatz eines aus diesen Zahlungen angesparten Vermögens für die Betreuervergütung eine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 [X.] für den Betreuten darstellen würde.

Mit dem Pflegegeld soll der Pflegebedürftige die erforderlichen körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung in geeigneter Weise selbst sicherstellen (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 2 [X.]). In der Regel handelt es sich dabei um eine laufende monatliche Leistung ([X.]Diepenbruck [Stand: 1. März 2019] [X.] § 37 Rn. 4). Der Zweck des [X.] besteht folglich allein darin, den Pflegebedarf des Leistungsempfängers im jeweiligen Monat der Auszahlung zu decken. Dieser Zweck reicht nach Ablauf des Auszahlungsmonats nicht weiter fort. [X.] Pflegegeld kann seinen Zweck nicht mehr erfüllen, wenn der Pflegebedarf in der Vergangenheit gedeckt war und der aktuelle Bedarf durch die fortlaufende Auszahlung des Pflegegeldes gedeckt werden kann ([X.] FamRZ 2016, 402; [X.] Urteil vom 27. November 2014 - [X.] [X.] 65/14 - juris Rn. 16). Hinzu kommt, dass das Gesetz keine Bestimmung über die Verwendung des Pflegegeldes trifft und der Pflegebedürftige hierüber auch keinen Nachweis führen muss. Er kann vielmehr frei darüber entscheiden, zu welchen Zwecken er das Pflegegeld einsetzt ([X.]/Schütze/Wahl [X.] Soziale Pflegeversicherung 5. Aufl. § 37 Rn. 3). Kann der Pflegebedürftige seinen Pflegebedarf kostengünstiger decken oder nimmt er - wie im vorliegenden Fall - ihm zustehende Leistungen, die mit dem Pflegegeld finanziert werden müssten, nicht in Anspruch, steht ihm der verbleibende Rest des [X.] mit Ablauf des Monats, für den es ausgezahlt wurde, zur freien Verfügung. Eine Rückzahlung nicht verbrauchten [X.] an die [X.] ist gesetzlich nicht vorgesehen. [X.] er das nicht verbrauchte Pflegegeld an, bildet er damit Vermögen, das er nicht für seine Pflege einsetzen muss. Unter diesen Umständen stellt es für den Betreuten auch keine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 [X.] dar, wenn dieses Vermögen zur Vergütung seines Betreuers herangezogen wird.

d) Entgegen der Auffassung des [X.] stellt die Verwertung des angesparten Vermögens für die Betroffene auch nicht deshalb eine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 [X.] dar, weil sie in naher Zukunft möglicherweise von ihrem Vermieter auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.

Bei der Ermittlung des verwertbaren Vermögens kommt es, entsprechend dem Zweck der sozialhilferechtlichen Leistungen, einer tatsächlichen Notlage abzuhelfen bzw. einen tatsächlichen Bedarf abzudecken, auf die tatsächlich vorhandenen und tatsächlich verwertbaren Vermögenswerte an. Dabei ist grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, ob den Vermögenswerten Schulden oder Verpflichtungen des Hilfebedürftigen gegenüberstehen ([X.]sbeschluss vom 6. Februar 2013 - [X.] 582/12 - FamRZ 2013, 620 Rn. 13 mwN). Deshalb können Schadensersatzansprüche, die möglicherweise zukünftig gegen einen Betreuten geltend gemacht werden können, bei der Ermittlung des für die Betreuervergütung einzusetzenden Vermögens nicht berücksichtigt werden.

3. Danach kann die angegriffene Entscheidung keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Da nach den Feststellungen des [X.] das nach Abzug des [X.] einzusetzende Vermögen der Betroffenen allein aus angespartem Pflegegeld besteht, ist auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 der Beschluss des Amtsgerichts abzuändern, die von der weiteren Beteiligten zu 1 an die Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 1.105,66 € festzusetzen und deren Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen.

Dose     

      

[X.]     

      

Günter

      

Botur     

      

Krüger     

      

Meta

XII ZB 500/19

29.01.2020

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Köln, 18. September 2019, Az: 1 T 200/19

§ 1836c Nr 2 BGB, § 1836d BGB, § 1908i Abs 1 S 1 BGB, § 13 Abs 5 S 1 SGB 11, § 37 Abs 1 SGB 11, § 90 Abs 3 S 1 SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.01.2020, Az. XII ZB 500/19 (REWIS RS 2020, 1173)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 633-634 REWIS RS 2020, 1173

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