Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.02.2014, Az. X ZR 107/12

10. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 8017

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Gegenstand

Patentnichtigkeitssache betreffend ein Europäisches Patent: Voraussetzungen wirksamer Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung - Kommunikationskanal


Leitsatz

Kommunikationskanal

Die Priorität einer Voranmeldung kann in Anspruch genommen werden, wenn sich die dort anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen technischen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. Mai 2012 verkündete Urteil des 5. Senats ([X.]) des [X.] abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die [X.] erteilten [X.] Patents 1 062 743 (Streitpatents). Das Streitpatent, das am 24. Dezember 1999 angemeldet worden ist, nimmt die Priorität von vier [X.] Patentanmeldungen in Anspruch und umfasst sechs Ansprüche. Die nebengeordneten Ansprüche 1 und 4, auf die die weiteren Ansprüche zurückbezogen sind, lauten in der [X.] wie folgt:

1. A radio station for use in a radio communication system having a communication channel between the radio station and a further station, the channel comprising an uplink and a downlink control channel for transmission of control information, and a data channel for the transmission of data, [X.], characterized by means for delaying the initial transmission of the data channel until after the initial transmission of the control channels during which delay the closed loop power control means is operable to adjust the control channel power.

4. A method of operating a radio station in a radio communication system having a communication channel between the radio station and a further station, the channel comprising an uplink and a downlink control channel for transmission of control information, and a data channel for the transmission of data, [X.] initial transmission of the data channel until after the initial transmission of the control channels during which delay the closed loop power control is operable to adjust the control channel power.

2

Die Klägerin hat das Streitpatent insgesamt angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung sowie mit siebzehn Hilfsanträgen verteidigt.

3

Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

4

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Streitpatent wie in erster Instanz verteidigt, wobei sie die [X.] bis [X.] in geänderter Fassung und nur weiter hilfsweise in der erstinstanzlichen Fassung weiter verfolgt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

5

I. [X.] betrifft ein Funkkommunikationssystem mit primären und sekundären Stationen sowie eine Methode zum Betrieb eines solchen Systems.

6

1. In der Beschreibung wird eingangs ausgeführt, dass es zwei grundlegende Arten von Kommunikation zwischen einer Basisstation und einer [X.] in einem Funkkommunikationssystem gibt. Dabei handele es sich einmal um [X.], etwa [X.]rach- oder Paketdaten, zum anderen um Steuerinformationen, die erforderlich sind, um verschiedene Parameter des Übertragungskanals einzustellen und zu überwachen, wodurch Basisstation und [X.] in die Lage versetzt werden, den [X.] abzuwickeln. [X.] geht dabei von Funkkommunikationssystemen aus, in denen eine der Funktionen der Steuerinformation darin besteht, eine Leistungsregelung zu ermöglichen. Eine Regelung der Leistung ist in beide Richtungen erforderlich. Die Regelung der Leistung der [X.] soll sicherstellen, dass die Basisstation die Signale verschiedener [X.]en auf etwa dem gleichen [X.] empfängt. Die Regelung der Leistung der Basisstation ist erforderlich, damit die [X.] die Daten mit geringer Fehlerquote erhält, zugleich aber Interferenzen mit anderen Funkzellen oder Funksystemen gering gehalten werden. [X.] legt insoweit einen Stand der Technik zugrunde, bei dem in einem Zweiwege-Funkkommunikationssystem die Leistungsregelung in einem geschlossenen Regelkreis erfolgt, bei dem die [X.] erforderliche Änderungen der Übertragungsleistung der Basisstation bestimmt und dieser signalisiert und umgekehrt.

7

Ein Nachteil dieser Technik besteht nach den Angaben der [X.] darin, dass beim Start der Übertragung oder nach einer Unterbrechung die Leistungsregelung eine gewisse [X.] in Anspruch nimmt, während der es zu Störungen der Datenübertragung kommen kann. Ist die Leistung zu niedrig, kommen die Daten beschädigt an, ist sie zu hoch, werden unerwünschte Interferenzen hervorgerufen.

8

Das technische Problem besteht mithin darin, die dargestellten Schwierigkeiten zu beheben.

9

2. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent in Anspruch 1 eine Vorrichtung vor, die folgende Merkmale aufweist (Gliederung des Patentgerichts in Klammern)

1. einen Kanal zur Kommunikation zwischen der Funkstation und einer weiteren Station (1a), umfassend

1.1 einen [X.] und einen Downlink-[X.] zur Übertragung von Steuerinformationen (1b) und

1.2 einen [X.] zur Übertragung von Daten (1c);

2. Mittel zur Verzögerung des Beginns der Übertragung im [X.] bis nach dem Beginn der Übertragung in den [X.]n (1e) und

3. Mittel zur Leistungsregelung mit einem geschlossenen Regelkreis (closed loop power control means, 1d), die

3.1 die Leistung der Steuer- und [X.] anpassen (1d) und

3.2 während der Verzögerung die [X.]leistung anpassen können (is operable to adjust the control channel power, 1f).

3. Zur Bedeutung der Merkmale ist zu bemerken:

Die Vorrichtung wird in einem Funkkommunikationssystem verwendet, das einen Kommunikationskanal zwischen einer Funkstation und einer weiteren Station aufweist. Dieser Kommunikationskanal umfasst zwei [X.] und (mindestens) einen [X.]. Der [X.] dient zur Übertragung von Steuerinformationen. Dabei handelt es sich nach dem [X.]rachgebrauch des Streitpatents um Signale, die benötigt werden, um die Parameter des Übertragungskanals einzustellen und zu überwachen, die die Datenübermittlung per Funk ermöglichen. Zu diesen Steuerinformationen zählen insbesondere Signale zur Leistungsregelung. Über den [X.] wird lediglich gesagt, dass er der Übertragung von Daten dient. Der Beschreibung ist zu entnehmen, dass damit jedenfalls auch Nutzerdaten, etwa [X.]rach-, Text- oder Bilddaten gemeint sind.

Nähere Angaben über die Gestaltung der Kanäle enthält das Streitpatent nicht. Unter einem Kanal im Bereich der Funkkommunikation ist aus fachlicher Sicht ein Weg zur Übertragung von Signalen von einer Funkstation an eine andere zu verstehen. Verschiedene Kanäle müssen danach nicht notwendig physikalisch abgegrenzt werden, etwa in der Weise, dass sie verschiedene Frequenzen in Anspruch nehmen. Die Trennung kann auch auf andere Weise erfolgen, etwa durch Zuweisung unterschiedlicher [X.]schlitze auf einer bestimmten Frequenz, durch unterschiedliche Gestaltung der übermittelten Daten mittels spezifischer Angaben in einem Header, durch die Verwendung eines für das jeweilige Teilnehmergerät spezifischen [X.]reizcodes oder dergleichen mehr, sofern gewährleistet wird, dass der jeweilige Empfänger die übermittelten Daten von anderen, auf einem anderen Übertragungsweg übermittelten Daten unterscheiden kann.

Die vorgesehenen Mittel zur Leistungsregelung arbeiten in einem geschlossenen Regelkreis (Merkmal 3), d.h. dass auf der Grundlage des übertragenen [X.] eine Rückkoppelung von der empfangenden Funkstation an die sendende Funkstation erfolgt, die Informationen darüber liefert, ob eine Änderung der Leistung erforderlich ist. Sie dienen der Regelung der Leistung sowohl der [X.] als auch des [X.]s (Merkmal 3.1). Dabei ist für den Beginn der Übertragung vorgesehen, dass die Übertragung im [X.] verzögert erfolgt, also zunächst nur über die [X.] Daten (Steuerinformationen) übertragen werden (Merkmal 2). Die durch diese Verzögerung gewonnene [X.]spanne wird genutzt, um die Leistung des [X.]s zu regeln (Merkmal 3.2). Der Anspruch trifft unmittelbar keine Aussage darüber, ob und auf welche Weise sich die Regelung der Leistung des [X.]s auf die Leistung des [X.]s auswirkt. Der Umstand, dass das Streitpatent darauf zielt, die Probleme zu lösen, die sich aus einer unzureichenden Regelung hinsichtlich der Qualität der Übertragung von Daten ergeben, spricht jedoch dafür, dass die in Merkmal 3.2 beschriebene Leistungsregelung - auf eine im Streitpatent nicht näher beschriebene Weise - auch für die Übertragungsleistung des [X.]s genutzt wird. Denn anderenfalls wäre die Übertragung der für den Nutzer im Vordergrund stehenden Daten weiterhin gefährdet. Dem entspricht es, dass in Absatz 18 der [X.] ausgeführt wird, der mit der Übermittlung zusätzlicher Steuerinformationen verbundene Aufwand werde dadurch ausgeglichen, dass die Nutzerdaten, die über den [X.] an die Basisstation übertragen werden, in besserer Qualität empfangen werden.

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung sei nicht patentfähig.

[X.] könne lediglich die Priorität der [X.] Patentanmeldung 9 922 575 ([X.]) vom 24. September 1999 in Anspruch nehmen, nicht jedoch diejenige aus den [X.] Patentanmeldungen 9 900 910, 9 911 622 und 9 915 569 ([X.] bis [X.]). Diese enthielten für den Fachmann explizite Aussagen dahin, dass es sich bei dem Kommunikationskanal um einen [X.] handele und über die [X.] Leistungssteuerungs- und [X.] übertragen würden. In dem erteilten Patentanspruch 1 werde demgegenüber allgemein ein Kommunikationskanal beansprucht, bei dem nicht näher spezifizierte Steuerinformationen über die [X.] übertragen werden. Daher handele es sich bei dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht um dieselbe Erfindung wie diejenige, die [X.] bis [X.] zu entnehmen sei.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme seien die Beiträge "[X.]" und "[X.]" des Unternehmens [X.] ([X.] und [X.]) bereits vor dem Prioritätszeitpunkt, im Rahmen einer Konferenz, die von 1. bis 4. Juni 1999 in [X.] den Mitgliedern der 3GPP-Gremien und damit einem Querschnitt der bedeutendsten Unternehmen auf dem Gebiet der Mobilfunktechnologie ohne Verpflichtung zur Geheimhaltung bekannt geworden. [X.] nehme alle Merkmale des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung vorweg.

[X.] habe auch in der Fassung der Hilfsanträge keinen Bestand.

III. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Auffassung des Patentgerichts, die Beklagte könne die Priorität der [X.] Anmeldung 9 900 910 ([X.]) nicht in Anspruch nehmen, trifft nicht zu.

1. Bei Anmeldung eines [X.] Patents kann das Prioritätsrecht einer vorangegangenen Anmeldung nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ in Anspruch genommen werden, wenn beide dieselbe Erfindung betreffen.

a) Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Senats erfüllt, wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der [X.] in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist ([X.], Urteil vom 11. September 2001 - [X.], [X.]Z 148, 383, 388 - Luftverteiler; Urteil vom 30. Januar 2008 - [X.], [X.], 597, 599 - [X.]). Der Gegenstand der beanspruchten Erfindung muss im Prioritätsdokument identisch offenbart sein; es muss sich um dieselbe Erfindung handeln ([X.], Beschluss vom 31. Mai 2001 - [X.]/98, [X.]. 2002, 80; [X.], Urteil vom 14. Oktober 2003 - [X.], [X.], 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit). Dabei ist die [X.] der ersten Anmeldung nicht auf die dort formulierten Ansprüche beschränkt, vielmehr ist dieser aus der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen zu ermitteln.

b) Für die Beurteilung der identischen [X.] gelten die Prinzipien der Neuheitsprüfung ([X.], [X.], 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist danach erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen "unmittelbar und eindeutig" ([X.], Urteil vom 11. September 2001 - [X.], [X.]Z 148, 383, 389 - Luftverteiler; Urteil vom 8. Juli 2010 - [X.], [X.], 910, Rn. 62 - [X.] Dokument; Urteil vom 14. August 2012 - [X.], [X.], 1133 Rn. 31 - UV-unempfindliche Druckplatte) als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann ([X.], Beschluss vom 11. September 2001 - [X.], [X.], 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung; Urteil vom 18. Februar 2010 - [X.], [X.], 599 Rn. 22, 24 - Formteil). Zu ermitteln ist mithin, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen allgemeinen Lehre entnimmt ([X.], Urteil vom 16. Dezember 2008 - [X.], [X.]Z 179, 168 Rn. 25 - Olanzapin). Maßgeblich ist dabei das Verständnis des Fachmanns zum [X.]punkt der Einreichung der prioritätsbeanspruchenden Patentanmeldung ([X.], [X.], 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit).

c) Das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen [X.] muss dabei in einer Weise angewendet werden, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des [X.]sgehalts der Voranmeldung vermeidet. Insoweit ist zugrunde zu legen, dass das Interesse des Anmelders regelmäßig erkennbar darauf gerichtet ist, möglichst breiten Schutz zu erlangen, also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und nicht auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken. Soweit in der Anmeldung bereits Ansprüche formuliert sind, haben diese vorläufigen Charakter. Erst im Verlauf des sich anschließenden Prüfungsverfahrens ist herauszuarbeiten, was unter Berücksichtigung des Standes der Technik schutzfähig ist und für welche Ansprüche der Anmelder Schutz begehrt. Erst mit der Erteilung des Patents mit bestimmten Ansprüchen erfolgt eine endgültige Festlegung des Schutzgegenstands.

aa) Dieser Gesichtspunkt liegt der Rechtsprechung des Senats zugrunde, wonach bei der Ausschöpfung des [X.]sgehalts auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zugelassen werden. Danach ist ein "breit" formulierter Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist ([X.], Urteil vom 17. Juli 2012 - [X.], [X.]Z 194, 107 Rn. 52 - [X.]). Solche Verallgemeinerungen sind vornehmlich dann zugelassen worden, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (ständige Rechtsprechung seit [X.], Beschluss vom 23. Januar 1990 - [X.], [X.]Z 110, 123, 126 - [X.]; aus jüngerer [X.] [X.]Z 194, 107 Rn. 52 - [X.]; [X.], [X.], 1133 Rn. 31 f. - UV-unempfindliche Druckplatte).

bb) Nach vergleichbaren Maßgaben ist die Prüfung vorzunehmen, ob der Gegenstand der Erfindung im Prioritätsdokument identisch offenbart ist. Die Priorität einer Voranmeldung kann in Anspruch genommen werden, wenn sich die dort anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist.

2. Danach kann die Beklagte die Priorität der [X.] in Anspruch nehmen.

a) Die Beschreibung des Prioritätsdokuments [X.] erwähnt zunächst ganz allgemein, dass die Erfindung ein Funkkommunikationssystem betreffe und im Folgenden zwar unter Bezugnahme auf das aufkommende UMTS-System beschrieben sei, es sich aber verstehe, dass sie gleichermaßen für andere [X.] geeignet sei. Im folgenden Absatz werden in gleicher Allgemeinheit der Nutzerdatenverkehr (user traffic) und die Übermittlung von Steuerinformationen (control information) erörtert. Zu dieser erläutert der dritte Absatz, dass eine Funktion der Steuerinformationen bei vielen Kommunikationssystemen darin bestehe, eine Leistungssteuerung (in einem geschlossenen Regelkreis) zu ermöglichen. Sodann wird ausgeführt, welche Bedeutung der Leistungssteuerung in [X.]n sowohl für die Basisstation als auch für die [X.]en zukommt.

Als Beispiel eines kombinierten zeit- und frequenzgesteuerten Mehrfachzugriffssystems mit einer Leistungssteuerung ("An example of a combined time and frequency division access system employing power control") nennt die Beschreibung das GSM-System, und fügt unter Verweis auf eine US-Patentschrift an, in ähnlicher Weise sei eine Leistungssteuerung für ein Codemultiplexsystem mit Frequenzspreizung (spread spectrum Code Division Multiple Access [CDMA]) beschrieben.

Die Beschreibung des Nachteils der bekannten Lösungen und der hieraus abgeleiteten Aufgabe ist - wie im Streitpatent - ganz allgemein dahin formuliert, dass die Regelkreise einige [X.] benötigten, die Leistungsstärke hinreichend präzise einzuregeln.

b) Die erste erfindungsgemäße Lösung soll nach der Anspruch 1 der Anmeldung wiedergebenden Beschreibung darin bestehen, dass bei einem Funkkommunikationssystem mit einer Primär- und einer Vielzahl von Sekundärstationen mit einem [X.]kanal (frequency division duplex communication channel) zwischen Primär- und Sekundärstation, der einen [X.] und einen Downlink-[X.] zur Übertragung von Leistungssteuerungs- und [X.] sowie einen [X.] zur Übertragung von Datenpaketen umfasse, und mit Leistungssteuerungsmitteln zur schrittweisen Veränderung der Leistung der Steuer- und [X.] anspruchsgemäß die Größe der Schritte variiert werden könne. Die zweite beanspruchte Lösung soll - in Übereinstimmung mit Anspruch 5 der Anmeldung - darin bestehen, dass bei einem (mit Ausnahme der entfallenen Leistungssteuerungsmittel zur schrittweisen Veränderung der Leistung der Steuer- und [X.]) wortgleich beschriebenen System die Primär- und Sekundärstationen Mittel zur Verzögerung des Beginns der Übertragung auf dem [X.] gegenüber der Übertragung auf den [X.]n aufweisen.

Unter Bezugnahme auf Figur 1 wird sodann ein Ausführungsbeispiel beschrieben, von dem es heißt, es umfasse ein Funkkommunikationssystem, das in einem [X.] arbeiten könne. Figur 2 zeigt schematisch ein herkömmliches Modell zum Aufbau einer Kommunikationsverbindung, wie es, so die Beschreibung, eine [X.] nutze. Anhand dieses Modells wird wiederum das Problem der Verzögerung bei der [X.] beschrieben, dessen Lösung durch einen verzögerten Beginn der Übertragung auf dem [X.] anhand der Figur 3 erläutert wird. Unter Rückgriff auf Figur 4 wird die zweite Lösung einer variablen Schrittgröße bei der [X.] erklärt. Abschließend heißt es, Ausführungsformen der Erfindung seien unter Verwendung von [X.] beschrieben worden, wie sie etwa in [X.]en eingesetzt würden; es verstehe sich jedoch, dass die Erfindung nicht auf den Einsatz in [X.] beschränkt sei.

c) Weder die Problembeschreibung noch die unter Bezugnahme auf die Figuren näher erläuterten Ausführungsbeispiele weisen damit einen konkreten Bezug zu der Ausgestaltung des [X.] als [X.] oder zu dem Umstand auf, dass auf dem [X.] auch [X.] übertragen werden. Die [X.] wird überhaupt nur bei der Wiedergabe des Wortlauts der angemeldeten Ansprüche erwähnt. Auf den [X.] kommt zwar, wie ausgeführt, die Beschreibung der Ausführungsbeispiele zurück; ein Zusammenhang mit den beanspruchten Lösungen des geschilderten technischen Problems, den Schwierigkeiten einer rechtzeitigen [X.] durch eine Variation der Anpassungsschritte oder durch eine Verzögerung des Beginns der Übertragung auf dem [X.] zu begegnen, wird jedoch nicht hergestellt. Weder ist irgendein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass sich das Problem der Leistungssteuerung nur oder doch zumindest in einer besonderen Ausprägung bei einem Funkkommunikationssystem mit einem [X.] stelle, noch gibt es Hinweise darauf, dass die Wahl eines solchen Kanals in irgendeiner Weise zur Lösung dieses Problems beiträgt. Entsprechendes gilt für die Ausgestaltung des [X.]s in der Weise, dass er auch der Übertragung von [X.] dient.

d) Danach ist für den Fachmann, der sich die Frage vorlegt, welche technische Lehre zur Lösung des geschilderten technischen Problems er dem Prioritätsdokument entnehmen kann, ohne weiteres ersichtlich, dass bereits in der [X.] die allgemeine technische Lehre offenbart wird, bei einem Funkkommunikationssystem mit [X.] und Downlink-[X.] zur Übertragung von Steuerinformationen die an sich bekannten Mittel zur Leistungsregelung mit einem geschlossenen Regelkreis vorteilhafterweise so zu nutzen, dass Mittel zur Verzögerung des Beginns der Übertragung im [X.] bis nach Beginn der Übertragung in den [X.]n vorgesehen werden, damit während dieser Verzögerung die [X.]leistung angepasst werden kann. Zugleich liegt damit für ihn auf der Hand, dass diese allgemeine Lehre lediglich beispielhaft anhand einer üblichen Ausgestaltung eines solchen Funkkommunikationssystems erläutert wird, bei dem der Kommunikationskanal als [X.] ausgebildet ist und der [X.] auch der Übertragung von [X.] dient.

e) Dieser Beurteilung stehen die Feststellungen des Patentgerichts nicht entgegen, das lediglich ausführt, das Prioritätsdokument enthalte "explizite Aussagen bezüglich der Ausgestaltung des [X.]", und der Fachmann werde den übrigen Inhalt der Beschreibung hierauf beziehen. Aus seinen Feststellungen ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Ausgestaltung des [X.] als [X.] oder die Wahl eines [X.]s, in dem auch [X.] übertragen werden können, zu der Lösung des in [X.] behandelten technischen Problems der Leistungssteuerung etwas beitragen, geschweige denn, dass sie hierfür erforderlich wären.

f) [X.] nimmt deshalb, entgegen der Auffassung des Patentgerichts, die Priorität der [X.] vom 16. Januar 1999 zu Recht in Anspruch. Danach haben die Entgegenhaltungen [X.], [X.], [X.], [X.], [X.] und [X.], die nach dem Vorbringen der Klägerin erst im Frühjahr 1999 veröffentlicht worden sind, bei der Beurteilung der Patentfähigkeit außer Betracht zu bleiben. Die Entscheidung des Patentgerichts, das der Klage mit der Begründung stattgegeben hat, der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 4 sei durch [X.] und [X.] vorweggenommen, kann mithin keinen Bestand haben.

IV. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis zutreffend.

1. Die [X.] Patentschrift 5 841 768 ([X.]) nimmt den Gegenstand von Patentanspruch 1 weder vorweg noch legt sie ihn nahe.

Zwar befasst sich [X.] mit der Regelung der Übertragungsleistung in einem Funkkommunikationssystem beim Aufbau einer Verbindung. In der dort behandelten frühen Phase des Verbindungsaufbaus erfolgt dies jedoch nicht mit Mitteln zur Leistungsregelung in einem geschlossenen Regelkreis. Wie der Beschreibung zu entnehmen ist ([X.]. 6, [X.] 56 ff.) werden solche Mittel erst zu einem späteren [X.]punkt eingesetzt, nämlich erst dann, wenn das in [X.] vorgeschlagene Verfahren bereits beendet ist. Die [X.], die die auch vom Streitpatent als bekannt vorausgesetzten und den Ausgangspunkt der erfindungsgemäßen Lösung bildenden Leistungssteuerungsmittel unter Bezugnahme auf die in der [X.] ebenfalls erörterte US-Patentschrift 5 056 109 als Mittel der [X.] erwähnt, aber als wenig geeignet ablehnt ([X.]. 2,. [X.] 42 bis 62), schlägt statt dessen eine andere Lösung vor. Sie setzt in einem frühen Stadium des Verbindungsaufbaus ein, in dem eine Leistungsregelungsschleife noch nicht eingerichtet worden ist ([X.]. 2, [X.] 27 bis 30) und ein Kommunikationskanal noch nicht besteht, sondern erst aufgebaut wird (Abstract, [X.] 2, [X.]. 3, [X.] 8, [X.]. 4, [X.] 56, [X.]. 5, [X.] 45 bis 48 und [X.] 60; [X.]. 8, [X.] 60 sowie Figur 11B). Demgegenüber befasst sich das Streitpatent mit einem Stadium des ([X.] einer Verbindung, in dem bereits ein Kommunikationskanal eingerichtet worden ist. Der Umstand, dass auch schon in dem früheren Stadium des Verbindungsaufbaus, das Gegenstand der [X.] ist, Signale zwischen der [X.] und der Basisstation ausgetauscht werden (request und acknowledgment), lässt nicht den Schluss zu, dass schon ein Kommunikationskanal bzw. ein [X.] eingerichtet worden ist. Die entsprechenden Signale werden vielmehr auf einem gemeinsam genutzten Kanal (random access channel - [X.]) übertragen.

[X.] ist demgemäß nicht zu entnehmen, dass dort Mittel vorgesehen sind, die eine Verzögerung des Beginns der Übertragung im [X.] zu einem [X.]punkt bewirken, in dem bereits [X.] eingerichtet sind, auf denen die Übertragung schon aufgenommen wird (Merkmal 2). Die Entgegenhaltung befasst sich auch nicht mit Mitteln zur Regelung der Übertragungsleistung gerade in diesem [X.]raum nach Einrichtung der [X.], aber vor Beginn der Übertragung im [X.] (Merkmal 3.2) und kann hierzu auch keine Anregung geben.

2. Auf die "[X.]ecifications of Air-Interface for 3G Mobile System" in der Version 0.5 ([X.]), die im ersten Rechtszug eingeführt worden war, ist die Klägerin nicht mehr zurückgekommen, nachdem die Beklagte vorgetragen hatte, sie sei nicht veröffentlicht worden.

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 [X.] und § 91 Abs. 1 ZPO.

Meier-Beck                      Grabinski                            Hoffmann

                   Deichfuß                       [X.]

Meta

X ZR 107/12

11.02.2014

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BPatG München, 23. Mai 2012, Az: 5 Ni 22/10 (EP), Urteil

Art 88 EuPatÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.02.2014, Az. X ZR 107/12 (REWIS RS 2014, 8017)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8017


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 5 Ni 22/10 (EP)

Bundespatentgericht, 5 Ni 22/10 (EP), 23.05.2012.


Az. X ZR 107/12

Bundesgerichtshof, X ZR 107/12, 11.02.2014.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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