Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.09.2010, Az. I ZR 157/08

1. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 3518

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Gegenstand

Wettbewerbsrecht: Verstoß gegen den Verhaltenskodex eines Unternehmensverbandes als unlautere geschäftliche Handlung - FSA-Kodex


Leitsatz

FSA-Kodex

Ein Verhalten, das gegen einen Verhaltenskodex eines Unternehmensverbandes verstößt, stellt nicht bereits deshalb eine unlautere geschäftliche Handlung im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG dar .

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 29. Zivilsenats des [X.] vom 7. August 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin, die Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie, ist ein von den Mitgliedern des [X.] gegründeter eingetragener Verein. Zu ihren Aufgaben gehören insbesondere die Förderung der gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder sowie die Überwachung und Durchsetzung lauteren Geschäftsgebarens in Bezug auf die Kooperation der pharmazeutischen Industrie mit Angehörigen der Fachkreise.

2

Die Beklagte, die nicht Mitglied der Klägerin ist, stellt her und vertreibt generische Arzneimittel. Sie bot im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 24. November 2007 unter dem Titel "[X.] 2007" jeweils etwa dreistündige, für die Teilnehmer kostenlose Veranstaltungen zu gebührenrechtlichen Fragen an, die sich an Ärzte und deren mit der Gebührenabrechnung befasste Mitarbeiter richteten.

3

Die Klägerin hat dieses Verhalten der Beklagten als wettbewerbswidrig beanstandet. Es stehe insbesondere in Widerspruch zu dem von ihr beschlossenen "[X.]" (im Folgenden: [X.]). Dieser Kodex sehe in § 21 Abs. 2 unter der Überschrift "Geschenke" vor, dass im Rahmen einer nicht produktbezogenen Werbung Geschenke nur zu besonderen Anlässen (z.B. Praxiseröffnung, Jubiläen) gewährt werden dürften, wenn sie sich in einem sozialadäquaten Rahmen hielten und zur Verwendung in der beruflichen Praxis bestimmt seien.

4

Die Klägerin hat die Beklagte deshalb auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin begehrt.

Entscheidungsgründe

5

I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte das von der Klägerin beanstandete Verhalten zu unterlassen, weil sie gegen § 21 des [X.] der Klägerin verstoßen habe. Zur näheren Begründung hat es ausgeführt:

6

Die Klägerin sei nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt. Sie verfüge über eine erhebliche Zahl von Mitgliedern, die Waren gleicher oder verwandter Art auf dem Markt anböten, und sei aufgrund ihrer personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung auch in der Lage, ihre satzungsgemäßen Aufgaben zu erfüllen. Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs, den die Klägerin aus § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V. mit §§ 3, 4 Nr. 1 und 11 UWG herleite, gehöre zu ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich.

7

Die Beklagte habe gegen § 21 des [X.] verstoßen, weil keiner der Ausnahmefälle des § 21 Abs. 2 des [X.] vorliege, in denen unentgeltliche Zuwendungen der Pharmaindustrie im Rahmen ihrer Imagewerbung gegenüber den Fachkreisen als zulässig anzusehen seien. Die Zulässigkeit der Bewerbung der Fortbildungsseminare folge auch nicht aus § 20 Abs. 1 des [X.]. Danach dürften Mitgliedsunternehmen Angehörige der Fachkreise zu eigenen berufsbezogenen Fortbildungsveranstaltungen einladen, die sich insbesondere mit ihren Forschungsgebieten, Arzneien und deren Indikationen befassten. Einen solchen pharmakologischen Bezug weise ein Seminar nicht auf, das sich mit der [X.] im Rahmen des Gebührenwesens befasse.

8

Die beanstandete Bewerbung unentgeltlicher Fortbildungsveranstaltungen zum Gebührenrecht sei auch unlauter im Sinne von § 3 UWG. Bei der Würdigung des angegriffenen Verhaltens der Beklagten sei dem festgestellten Kodexverstoß eine indizielle Bedeutung für die Frage beizumessen, was in den einschlägigen Verkehrskreisen als lauter oder unlauter angesehen werde. Auf die Frage, ob sich das Verhalten der Beklagten darüber hinaus als unangemessene unsachliche Einflussnahme im Sinne von § 4 Nr. 1 UWG darstelle und auch aus diesem Grund unlauter im Sinne von § 3 UWG sei, komme es somit nicht an.

9

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Die bislang getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen seine Annahme nicht, der Klägerin stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu.

1. Das Berufungsgericht hat es dahinstehen lassen, ob das Verhalten der Beklagten, wie die Klägerin geltend gemacht hat, nach § 4 Nr. 1 UWG als unlauter anzusehen ist. Es hat sich auch nicht ausdrücklich auf § 4 Nr. 11 UWG bezogen, sondern sein Unlauterkeitsurteil unmittelbar auf § 3 UWG 2004 gestützt. Das ist schon deshalb rechtlich bedenklich, weil sich die Generalklausel des § 3 UWG 2004 bzw. des § 3 Abs. 1 UWG 2008 nicht ohne weiteres als Auffangtatbestand für von den [X.] der §§ 4 bis 6 UWG nicht erfasste Verhaltensweisen heranziehen lässt.

Eine Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG scheidet offensichtlich aus, weil es sich bei der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Bestimmung des § 21 des [X.] der Klägerin nicht um eine gesetzliche Vorschrift im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG handelt. Nach dem mit der Vorschrift des § 4 Nr. 11 UWG verfolgten Gesetzeszweck kann ein Verstoß gegen eine Bestimmung, die nicht die besonderen Voraussetzungen einer gesetzlichen Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG erfüllt, nicht ohne weiteres nach § 3 UWG 2004 bzw. § 3 Abs. 1 UWG 2008 als unlauter angesehen werden (vgl. [X.], Urteil vom 2. Dezember 2009 - [X.], [X.], 654 Rn. 25 = [X.], 876 - Zweckbetrieb). Auch im Übrigen kommt ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 3 UWG nur in Betracht, wenn das betreffende Verhalten von seinem Unlauterkeitsgehalt her den in den [X.] ff. UWG geregelten Verhaltensweisen entspricht ([X.], Urteil vom 22. April 2009 - [X.], [X.], 1080 Rn. 12 = [X.], 1369 - Auskunft der IHK).

2. Diesen rechtlichen Anforderungen an eine unmittelbare Anwendung der Generalklausel des § 3 UWG 2004 bzw. des § 3 Abs. 1 UWG 2008 genügt die vom Berufungsgericht vorgenommene Beurteilung nicht. Sie stellt lediglich darauf ab, dass dem festgestellten Verstoß gegen § 21 des [X.] der Klägerin eine indizielle Bedeutung für die Frage beizumessen sei, welche Verhaltensweisen in der betreffenden Branche bzw. von den einschlägigen Verkehrskreisen als lauter oder unlauter angesehen werde. Damit kann eine Unlauterkeit des Verhaltens der Beklagten im Sinne von § 3 UWG 2004 bzw. § 3 Abs. 1 UWG 2008 nicht begründet werden.

a) Für die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten als unlauter im Sinne von § 3 UWG 2004 bzw. § 3 Abs. 1 UWG 2008 zu beurteilen ist, haben Regeln, die sich ein Verband oder ein sonstiger Zusammenschluss von [X.] gegeben hat, nur eine begrenzte Bedeutung. Ihnen kann zwar unter Umständen entnommen werden, ob innerhalb der in Rede stehenden Verkehrskreise eine bestimmte tatsächliche Übung herrscht. Aus dem Bestehen einer tatsächlichen Übung folgt aber noch nicht, dass ein von dieser Übung abweichendes Verhalten ohne weiteres als unlauter anzusehen ist. Der Wettbewerb würde in bedenklicher Weise beschränkt, wenn das Übliche zur Norm erhoben würde. Regelwerken von ([X.] kann daher allenfalls eine indizielle Bedeutung für die Frage der Unlauterkeit zukommen, die aber eine abschließende Beurteilung anhand der sich aus den Bestimmungen des [X.] ergebenden Wertungen nicht ersetzen kann ([X.], Urteil vom 7. Februar 2006 - [X.], [X.]Z 166, 154 Rn. 19 - Probeabonnement).

Eine an den [X.] ausgerichtete Bestimmung der Unlauterkeit ist zudem deshalb geboten, weil es verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen würde, wenn zur Ausfüllung der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel des § 3 UWG Wettbewerbsregeln oder andere Regelwerke herangezogen würden, denen keine Gesetzesqualität zukommt ([X.]Z 166, 154 Rn. 21 - Probeabonnement). Im Übrigen kommt auch die Annahme einer (lediglich) indiziellen Bedeutung eines Verstoßes gegen selbst gesetzte Regeln eines Verbands für die Frage der Unlauterkeit nur dann in Betracht, wenn sich die aus dem festgestellten Kodexverstoß abgeleitete Regelwidrigkeit des betreffenden Verhaltens gerade auch als eine wettbewerbsbezogene, d.h. von den Schutzzwecken des [X.] (vgl. § 1 UWG) erfasste Unzulässigkeit erweist. Denn es ist nicht Aufgabe des [X.], alle nur denkbaren Regelverstöße im Zusammenhang mit geschäftlichen Handlungen auch lauterkeitsrechtlich zu sanktionieren (vgl. [X.], [X.], 654 Rn. 25 - Zweckbetrieb).

Auch nach Umsetzung der Richtlinie 2005/29/[X.] über unlautere Geschäftspraktiken sind Verstöße gegen einen Verhaltenskodex, zu dem sich [X.] verpflichtet haben (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 5 UWG 2008), oder Verstöße gegen die fachliche Sorgfalt (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG 2008) nicht bereits als solche unlauter (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, Anhang zu § 3 Abs. 3 Nr. 1 und 3 UWG 2008; vgl. dazu ferner [X.] in Gloy/[X.]/[X.], Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl., § 37 Rn. 7 ff.; [X.] in [X.]/[X.], UWG, 28. Aufl., § 2 Rn. 115; Harte/[X.]/[X.], UWG, 2. Aufl., § 2 Rn. 152; [X.] [X.], 593, 596). Auch die Richtlinie zieht diesen Schluss nicht, sondern sieht nur bestimmte Fälle des [X.] von Verhaltenskodizes als unlauter an (vgl. Art. 2 Buchst. f und 5 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2 Buchst. b, Anhang I Nr. 1 und 3; vgl. auch Art. 10 sowie Erwägungsgrund 20 der Richtlinie; vgl. dazu ferner [X.] in [X.]/[X.] aaO § 5 Rn. 5.164).

b) Das Berufungsgericht durfte sich bei seiner Beurteilung daher nicht darauf beschränken, dem Verstoß gegen den Kodex der Klägerin sei eine indizielle Bedeutung für die Frage der Unlauterkeit des beanstandeten Verhaltens der Beklagten beizumessen. Mit der nach den vorstehenden Ausführungen gebotenen Prüfung, ob der Verstoß von seinem Unlauterkeitsgehalt her den gesetzlichen Unlauterkeitstatbeständen entspricht, hat es sich dagegen nicht befasst. Insbesondere hat es offengelassen, ob durch das Angebot der unentgeltlichen Teilnahme an den gebührenrechtlichen Seminaren - unter Berücksichtigung einer damit verbundenen geldwerten Zuwendung sowie des von der Beklagten angeführten besonderen Anlasses einer mit der Gesundheitsreform verbundenen Umstellung der [X.] und vergleichbarer kostenfreier Angebote der [X.] - ein unangemessener unsachlicher Einfluss im Sinne von § 4 Nr. 1 UWG (vgl. dazu [X.], Urteil vom 30. Januar 2003 - I ZR 142/00, [X.], 624 = [X.], 886 - Kleidersack; Urteil vom 21. April 2005 - [X.], [X.], 1059 = [X.], 1508 - Quersubventionierung von Laborgemeinschaften I) auf die angesprochenen Teilnehmer ausgeübt worden ist.

III. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

[X.]     

        

Ri[X.] Pokrant ist in Urlaub und
kann daher nicht unterschreiben.

        

Schaffert

                 

[X.]

                 
        

Bergmann     

        

     Koch     

        

Meta

I ZR 157/08

09.09.2010

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 7. August 2008, Az: 29 U 2026/08, Urteil

§ 3 Abs 1 UWG, § 4 Nr 11 UWG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.09.2010, Az. I ZR 157/08 (REWIS RS 2010, 3518)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3518

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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