Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.01.2020, Az. AK 64/19

3. Strafsenat | REWIS RS 2020, 11983

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[X.]:[X.]:[X.]:2020:150120BAK64.19.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
AK 64/19

vom
15. Januar
2020
in dem Ermittlungsverfahren
gegen

wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie des Beschuldigten
und seines Verteidigers am 15.
Januar 2020 gemäß §§
121, 122 StPO beschlossen:

Der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] vom 27.
Juni 2019 (3
BGs
131/19) wird aufgehoben.
Der Beschuldigte ist in dieser Sache aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Gründe:
I.
Der Beschuldigte wurde am 27.
Juni 2019 vorläufig festgenommen und befindet sich seither aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundes-gerichtshofs vom selben Tag (3
BGs
131/19) ununterbrochen in Untersu-chungshaft.
Gegenstand des Haftbefehls vom 27.
Juni 2019 ist der Vorwurf, der Be-schuldigte habe einem Mitbeschuldigten durch Veräußerung der Tatwaffe [X.] dazu geleistet, den Geschädigten,

[X.]

, heimtückisch und
aus niedrigen Beweggründen zu töten

211 Abs.
2, §
27 Abs. 1 StGB).
1
2
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3
-
Der Ermittlungsrichter des [X.] hat nach mündlicher Haftprüfung mit Beschluss vom 6.
August 2019 (3
BGs
250/19) Haftfortdauer angeordnet. Unter dem 12.
Dezember 2019 hat er die Vorlage der Akten an den [X.] verfügt, nachdem der [X.] beantragt hatte, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.
II.
Die Prüfung, ob die Untersuchungshaft fortdauern darf (§§
121,122 StPO), führt zur Aufhebung des Haftbefehls. Der Beschuldigte ist nach derzeiti-gem Stand der Ermittlungen der ihm vorgeworfenen Beihilfe zum Mord (§
211 Abs.
2, §
27 Abs. 1 StGB) nicht dringend verdächtig im Sinne des §
112 Abs.
1 Satz
1 StPO. Es kann offenbleiben, ob der Beschuldigte mit hoher Wahrschein-lichkeit eines
Waffendelikts und möglicherweise der fahrlässigen Tötung (§
222 StGB) dringend verdächtig ist. Denn ein dahingehender Tatverdacht würde mit Blick auf die damit verbundene deutlich geringere Straferwartung angesichts der persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten und des Umstandes, dass sich dieser zwischenzeitlich seit mehr als sechs Monaten ununterbrochen in Untersuchungshaft befindet, den Haftgrund der Fluchtgefahr nicht (mehr) be-gründen. Im Einzelnen:
1.
Nach dem Haftbefehl ist ein Mitbeschuldigter dringend verdächtig, am 1.
Juni 2019 gegen 23.30
Uhr den Regierungspräsidenten des [X.],

[X.]

, auf der Terrasse dessen Wohnhauses wis-
sentlich und willentlich mittels eines Trommelrevolvers, Kaliber
.38, erschossen zu haben. Der Mitbeschuldigte habe aus fremdenfeindlichen Motiven gehandelt und die Arglosigkeit sowie die darauf beruhende Wehrlosigkeit seines Tatopfers ausgenutzt, indem er sich an den sich in scheinbarer Sicherheit [X.] 3
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4
-
und sich keines Angriffs versehenden

[X.]

angeschlichen und aus kurzer
Distanz -
etwa ein bis zwei Meter
-
einmal in dessen Kopf geschossen habe. Dabei sei es ihm darauf angekommen, sein Tatopfer wegen dessen politischer Überzeugung und Betätigung als Regierungspräsident zu töten und gleichsam für die von ihm vertretene Linie in der Flüchtlingspolitik abzustrafen.
Dem Beschuldigten wird in dem genannten Haftbefehl im Sinne eines dringenden Tatverdachts zur Last gelegt, dem Mitbeschuldigten zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im [X.] -
mithin mindestens zweieinhalb Jahre vor dem Attentat
-
die Tatwaffe veräußert zu haben. Der Verkauf zu
einem Preis von 1.100

henden Geschäftsbeziehung erfolgt, die der Mitbeschuldigte auch als [X.] zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil genutzt habe. Zum Zeitpunkt der Veräußerung der Tatwaffe sei dem Beschuldigten die rechtsextremistische Gesinnung des Mitbeschuldigten und dessen Gewaltbereitschaft bekannt ge-wesen. Der Beschuldigte habe deshalb zumindest billigend in Kauf genommen, dass der Mitbeschuldigte unter Einsatz der veräußerten Schusswaffe aus rechtsextremistischen Motiven ein Tötungsverbrechen begehen werde.
Der dringende Tatverdacht betreffend den [X.] ist in dem Haftbefehl auf die Art und Weise des [X.] und die persönlichen Be-ziehungen zwischen dem Beschuldigten und dem Mitbeschuldigten gestützt. Diese Umstände werden in dem [X.] vom 6.
August 2019 vertieft dargestellt und ergänzt.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftbefehl sowie den genannten Beschluss Bezug genommen.
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5
-
2.
Die bisherigen Ermittlungsergebnisse belegen nicht im Sinne eines dringenden Tatverdachts, dass sich der Beschuldigte der Beihilfe zum Mord (§
211 Abs.
2, §
27 Abs.
1 StGB) strafbar gemacht hat; denn eine hohe Wahr-scheinlichkeit, dass er mit [X.] gehandelt hat, ist nicht gegeben.
a)
aa)
Dringender Tatverdacht besteht, wenn den ermittelten Tatsachen entnommen werden kann, dass sich der Beschuldigte mit großer Wahrschein-lichkeit der ihm angelasteten Tat schuldig gemacht hat; bloße Vermutungen genügen dagegen nicht ([X.], Beschluss vom 18.
Oktober 2007
-
StB
34/07, juris Rn.
4).
bb)
[X.] erfordert, dass der Gehilfe die Haupttat in ihren we-sentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein [X.] das Vorhaben des [X.] zu fördern ([X.], Urteile vom 1.
August 2000 -
5
StR
624/99, [X.]St 46, 107, 109; vom 26.
Mai 1988 -
1
StR
111/88, [X.]R StGB §
27 Abs.
1 Vorsatz
2). Einzelheiten der Haupttat muss er dabei nicht kennen und keine bestimmten Vorstellungen von ihr haben (s. [X.], Urtei-le
vom 18.
Juni 1991 -
1
StR
164/91, [X.]R StGB §
27 Abs.
1 Vorsatz
7; vom 16.
November 2006 -
3
StR
139/06, [X.]R StGB §
27 Abs.
1 Vorsatz
10).
Allerdings ist ein Mindestmaß an Konkretisierung erforderlich. Der Hilfeleistende muss die zentralen Merkmale der Haupttat, namentlich den wesentlichen Un-rechtsgehalt und die wesentliche Angriffsrichtung, im Sinne bedingten Vorsat-zes zumindest für möglich halten und billigen ([X.], Urteil vom 20.
Dezember 2018 -
3
StR
236/17, NJW 2019, 1818 Rn.
96 mwN). Zudem muss der [X.] wissen, dass seine Hilfe an sich geeignet ist, die fremde Haupttat zu för-dern ([X.], Urteil vom 25.
Oktober 1989 -
3
StR
148/89, [X.]R StGB §
27 Abs.
1 Vorsatz
5).
9
10
11
-
6
-
b)
Gemessen an diesen Maßstäben besteht kein dringender Tatverdacht eines vorsätzlichen Handelns des Beschuldigten. Auf der Grundlage des bis-herigen Ergebnisses der Ermittlungen ist es nicht hochwahrscheinlich, dass der Beschuldigte es bei dem Verkauf der Waffe für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, der Mitbeschuldigte werde mit dieser ein politisch motiviertes
Tötungsdelikt begehen.
aa)
Entsprechendes folgt zunächst nicht aus den Einlassungen der [X.].
Der Beschuldigte hat bereits bestritten, dem Mitbeschuldigten die [X.] veräußert zu haben. Er hat sich
weiterhin dahin eingelassen, diesem eine politisch motivierte Tötung nicht zugetraut zu haben.
Der Mitbeschuldigte hat in seiner -
zwischenzeitlich widerrufenen, aber weiterhin verwertbaren (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
August 2019 -
StB
21/19, juris Rn.
15)
-
Einlassung im Rahmen seiner verantwortlichen Vernehmung vom 25.
Juni 2019 zwar glaubhaft eingeräumt, die Tatwaffe im [X.] von dem Beschuldigten erworben zu haben. Er hat jedoch weder geschildert, diesen [X.] in Anschlagspläne eingeweiht zu haben, noch ein eigenes Verhalten be-hauptet, das den Beschuldigten hierauf hätte schließen lassen können. Auch einer schriftlichen Einlassung von Januar 2020, die dem Senat zu einer weite-ren Vernehmung des Mitbeschuldigten vorliegt und in der dieser sich von einer vorsätzlichen Tötung des

[X.]

distanziert hat, ist hierzu nichts zu
entnehmen.
bb)
Die weiteren Ermittlungsergebnisse vermögen einen dringenden [X.] ebenfalls nicht zu begründen.
12
13
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15
16
-
7
-
Gegen die Annahme, der Beschuldigte habe zum maßgeblichen Zeit-punkt des [X.], mithin im [X.], mit der Möglichkeit gerechnet, der Mitbeschuldigte werde mit dem erworbenen Revolver ein Tötungsdelikt be-gehen, spricht bereits der große zeitliche Abstand zur späteren Tat. Der [X.] hat sich nach seiner Einlassung, die nach derzeitigem Ermittlungs-stand als einzige Erkenntnisquelle für die näheren Umstände des [X.] zur Verfügung steht, überdies nicht gezielt an den Beschuldigten ge-wandt, um eine bestimmte ([X.] zu erwerben. Der Revolver wurde viel-mehr im Rahmen einer bereits seit mindestens zwei Jahren bestehenden
-
illegalen
-
"Geschäftsbeziehung" veräußert, innerhalb derer es zum Verkauf verschiedener Waffen gekommen war, die der Mitbeschuldigte seinerseits teil-weise zur Erzielung einer Einnahmequelle gewinnbringend weiterverkauft hatte. Eine solche "Geschäftsbeziehung" konnte -
auch mit Blick auf die
Vorstrafe des Mitbeschuldigten
-
nur auf dem Schwarzmarkt stattfinden, auf dem üblicher-weise überhöhte Kaufpreise zu entrichten sind. Sie wurde im [X.] zu
einem Zeitpunkt begründet, als etwaig bereits bestehende Anschlagspläne des Mitbeschuldigten zumindest noch nicht nach außen erkennbar waren (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
August 2019, juris Rn.
32). Dieser
fragte zudem nicht von sich aus nach einer bestimmten, für ein Tötungsdelikt geeigneten (handlichen, damit leicht zu transportierenden und zu versteckenden) scharfen Waffe. [X.] bot der Beschuldigte im Zuge eines anderweitigen [X.] den genannten Revolver ohne besonderen Anlass zum Verkauf an. Nach längerem Überlegen entschloss sich der Mitbeschuldigte schließlich,
die Waffe zu erwer-ben.
Die bisherigen Ermittlungen belegen überdies nicht, dass der Waffen-erwerb in einer besonderen, über das in vergleichbaren Fällen vorliegende Maß hinausgehenden "hochkonspirativen" Art und Weise erfolgte. Der Mitbeschul-17
18
-
8
-
digte hat hierzu lediglich erläutert, ein weiterer Mitbeschuldigter, der selbst "Kunde" bei dem Beschuldigten gewesen sei, habe ihm diesen als [X.] genannt. Aus der Einlassung des Mitbeschuldigten ergibt sich indes nicht, dass der Beschuldigte bei "Neukunden" besonders vorsichtig gewesen wäre und die Kontaktaufnahme von der Vermittlung durch einen als zuverlässig ein-gestuften "Türöffner" abhängig gemacht hätte.
Vor diesem Hintergrund liegt auch unter Berücksichtigung der persön-lichen Beziehung zwischen dem Beschuldigten und dem Mitbeschuldigten ein dringender Tatverdacht nicht vor. Der Beschuldigte hat zwar eingeräumt, dass sich zu dem Mitbeschuldigten auch ein persönlicher Kontakt entwickelt und man über "Politik", namentlich "Flüchtlinge", "Vergewaltigung" oder "Massenverge-waltigung" gesprochen habe. Jedoch hat die in der Haftfortdauerentscheidung vom 6.
August 2019 angestellte Vermutung, der Mitbeschuldigte habe den [X.] auch über seine Ansicht eingeweiht, dass mit Blick auf die politi-schen Verhältnisse "wir [X.] etwas tun müssen", in den weiteren Ermitt-lungen bislang keine Bestätigung gefunden. Insbesondere liegen keine [X.] dafür vor, dass der Beschuldigte von der Erregung des Mitbeschul-digten über die Aussagen des Geschädigten anlässlich der Bürgerversammlung in Lo.

und den daraus aus dessen Sicht bestehenden politischen Hand-
lungsbedarf Kenntnis erlangte. Soweit der Beschuldigte nach seinen eigenen Angaben "vor mehreren Jahren" von dem Mitbeschuldigten erfahren habe, die-ser sei vorbestraft und mutmaße, auf den Schirm der Ermittler als Hauptver-dächtiger zu geraten, sollte im Raum [X.] etwas passieren, ist bereits unklar, ob dieses Gespräch schon vor dem Waffenverkauf stattgefunden hat. Diesem Aspekt kommt daher nur untergeordnete Bedeutung zu.
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9
-
Auch eine Gesamtschau der vorliegenden Indizien vermag nach alledem im derzeitigen, bereits fortgeschrittenen [X.] den dringenden Tatverdacht vorsätzlichen Handelns nicht zu begründen.
Über die Frage, ob ein die Anklageerhebung und gegebenenfalls die Er-öffnung des Hauptverfahrens rechtfertigender hinreichender Tatverdacht bezüg-lich einer Straftat nach §
211 Abs.
2, §
27 Abs.
1 StGB anzunehmen ist, ist im Rahmen dieser Haftentscheidung nicht zu befinden.
3.
Danach scheiden die Aufrechterhaltung und der weitere Vollzug der nunmehr bereits seit über sechs Monaten
andauernden Untersuchungshaft aus; denn es besteht kein Haftgrund mehr. Mit dem Wegfall des dringenden Tatver-dachts der Beihilfe zum Mord entfällt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§
112 Abs.
3 StPO). [X.] kann, ob der Beschuldigte eines [X.] und ggf. einer fahrlässigen Tötung (§
222 StGB; vgl. [X.], Beschluss vom 22.
März 2012 -
1
StR
359/11, [X.], 238; [X.], Urteil vom 19.
Januar 2018 -
12
KLs 111
Js
239798/16, BeckRS 2018,
5795; [X.], Urteil vom 19.
Dezember 2018 -
4
KLs 608
Js
19580/17, [X.], 401; LK/
Laufhütte, 12.
Aufl., §
222 Rn.
92; [X.], [X.], 531
ff.) dringend verdächtig ist. Denn der weitere Haftgrund der Fluchtgefahr (§
112 Abs.
2 Nr.
2 StPO), auf den der Haftbefehl gestützt ist, setzt voraus, dass bei Würdigung der konkreten Einzelfallumstände es wahrscheinlicher ist, dass sich der Beschuldigte dem weiteren Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde; dies wäre indes bei Vorliegen des dringenden Tatverdachts einer fahr-lässigen Tötung und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz nicht der Fall. Neben der bisherigen Unbestraftheit des Beschuldigten, seinem festen [X.] und seiner ehelichen Bindungen fallen dabei insbesondere die gegenüber
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22
-
10
-
dem ursprünglichen Tatvorwurf weitaus geringere Straferwartung und die [X.] bereits seit über sechs Monaten
andauernde Untersuchungshaft ins Ge-wicht.
Schäfer
Wimmer
Anstötz

Meta

AK 64/19

15.01.2020

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.01.2020, Az. AK 64/19 (REWIS RS 2020, 11983)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11983

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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