Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.11.2014, Az. V B 80/14

5. Senat | REWIS RS 2014, 1132

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Gegenstand

Aussetzung des Verfahrens - Begründetheit einer Beschwerde - maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt


Leitsatz

1. NV: Die Beschwerde gegen die Aussetzung des Verfahrens ist begründet, wenn das Beschwerdegericht zugunsten des Beschwerdeführers zu einer abweichenden Entscheidung kommt, weil sich die Rechtslage aufgrund zulässigen neuen Vorbringens geändert hat. Dabei können die neuen Tatsachen auch durch den Beschwerdegegner in das Verfahren eingeführt worden sein.

2. NV: Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit der Beschwerde gegen die Aussetzung des Verfahrens ist der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung.

Tatbestand

1

I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Finanzgerichts ([X.]) vom 4. Juni 2014, mit dem es das Klageverfahren (6 K 1794/11) bis zum rechtskräftigen Abschluss des zivilgerichtlichen Rechtsstreits ([X.]. …/12) ausgesetzt hat.

2

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der [X.] Das Insolvenzverfahren wurde am … Dezember 2009 eröffnet. Mit der finanzgerichtlichen Klage macht er den Abzug [X.] [X.] als Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes geltend, obgleich er nicht im Besitz der zollamtlichen Belege oder etwaiger vom Zollamt bescheinigter [X.] war.

3

Die D-GmbH hatte die I-GmbH --vor [X.] mit der Zolllagerverwaltung beauftragt. Dem Zolllager entnommene Waren wurden teilweise nicht den Einfuhrabgaben (Einfuhrzoll und [X.]) unterworfen. Aufgrund von Selbstanzeigen und entsprechender Unterlagen setzte das Hauptzollamt ([X.]) Einfuhrabgaben für den Zeitraum September 2007 bis Juni 2009 gegenüber der nicht vorsteuerabzugsberechtigten I-GmbH fest und stellte dieser nach Entrichtung der festgesetzten [X.] sog. [X.] für Zwecke des Vorsteuerabzugs aus. Die I-GmbH übergab diese Belege weder der D-GmbH noch dem Kläger.

4

Mit der am 6. Oktober 2010 vom Kläger für die D-GmbH beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) eingegangenen zustimmungsbedürftigen Umsatzsteuervoranmeldung für August 2010 machte dieser den Abzug der durch die [X.] festgesetzten und von der I-GmbH entrichteten [X.] in Höhe von … € als Vorsteuer geltend.

5

Nach zunächst erteilter Zustimmung erließ das [X.] am 14. Dezember 2010 einen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für August 2010, in dem es den zuvor anerkannten Vorsteuerabzug aus [X.] nicht mehr berücksichtigte.

6

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

7

Mit der beim [X.] dagegen erhobenen Klage (6 K 1794/11) begehrt der Kläger weiterhin, die entrichtete [X.] als Vorsteuer abzuziehen, da die vom [X.] erteilte Aufstellung über die entrichteten Einfuhrabgaben und die Tabellenanmeldung in der besonderen Situation eines Insolvenzverfahrens amtlichen Belegen gleichzustellen seien. Deshalb komme es --entgegen Abschn. 199 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abschn. 202 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2008-- für den Vorsteuerabzug nicht darauf an, ob der Kläger im Besitz der zollamtlichen Dokumente sei.

8

Während des finanzgerichtlichen Verfahrens wurde dem [X.] bekannt, dass der Kläger die I-GmbH auf Auskunft, eidesstattliche Versicherung und Herausgabe der vom [X.] ausgestellten [X.] im Wege der Stufenklage verklagt hatte. Das [X.] hatte bereits durch Teilurteil vom 27. September 2013 ([X.]. …/12) zugunsten des [X.] entschieden, dass die I-GmbH zur Auskunft verpflichtet sei und in der Urteilsbegründung ausgeführt, dass der Kläger auch einen Anspruch auf Herausgabe der [X.] habe.

9

Daraufhin hat das [X.] --nach Anhörung der [X.] mit dem vorliegend angefochtenen Beschluss das Verfahren (6 K 1794/11) gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) bis zum rechtskräftigen Abschluss des zivilgerichtlichen Verfahrens ([X.]. …/12) ausgesetzt. Das zivilgerichtliche Verfahren sei vorgreiflich, weil dort über ein bürgerlich-rechtliches Rechtsverhältnis entschieden werde, welches u.a. die Herausgabe der zollamtlichen [X.] zum Gegenstand habe. Der Besitz dieser Belege würde den Kläger --unstreitig-- zum Abzug der entrichteten [X.] als Vorsteuer berechtigen. Der Herausgabeanspruch habe demnach Auswirkungen auf den materiellen Steueranspruch.

Hiergegen richtet sich die --vom [X.] nicht abgeholfene-- Beschwerde des [X.]. Er trägt insbesondere vor, dass der Ausgang des [X.] nicht vorgreiflich und die Entscheidung des [X.] zudem ermessensfehlerhaft sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Aussetzungsbeschluss des [X.] aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.

Das [X.] hat keinen Antrag gestellt.

Es teilte jedoch mit, dass eine (weitere) Aussetzung des finanzgerichtlichen Verfahrens nicht mehr erforderlich sei. Der Kläger sei zwischenzeitlich im Besitz der zollamtlichen [X.]. Der begehrte Vorsteuerabzug sei deshalb zu gewähren.

Entscheidungsgründe

II. Die nach § 128 Abs. 1 [X.]O zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des [X.] war daher aufzuheben (§ 132 [X.]O).

1. Die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens nach § 74 [X.]O liegen jedenfalls im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht vor.

a) Nach § 74 [X.]O kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei. Die Aussetzung unterliegt dem Ermessen des Gerichts, das prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Verfahrensbeteiligten gegeneinander abzuwägen hat (Beschluss des [X.] --BFH-- vom 21. Dezember 2005 III B 145/05, [X.], 1103, unter [X.], m.w.N.).

Begründet ist die Beschwerde u.a. dann, wenn das Beschwerdegericht zugunsten des Beschwerdeführers zu einer abweichenden Entscheidung kommt, weil sich die Rechtslage aufgrund zulässigen neuen Vorbringens (§ 155 i.V.m. § 571 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung) geändert hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Begründetheit der Beschwerde ist der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (vgl. z.B. [X.] vom 27. November 1992 III B 133/91, [X.], 498, [X.] 1993, 240, unter 1., und vom 15. Mai 2009 IV B 24/09, [X.], 1402, unter [X.]). Bei Beschlüssen ohne mündliche Verhandlung muss jedes Vorbringen berücksichtigt werden, das bis zur Hinausgabe der Entscheidung zur Bekanntgabe eingeht (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 132 Rz 12).

b) Nach diesen Maßstäben ist der Beschluss des [X.] vom 4. Juni 2014  6 K 1794/11 aufzuheben.

Die vom [X.] angenommene Vorgreiflichkeit des zivilgerichtlichen Verfahrens kann kein Grund mehr für die Aussetzung des finanzgerichtlichen Klageverfahrens (6 K 1794/11) sein.

Nachdem der Kläger zwischenzeitlich im Besitz der zollamtlichen Ersatzbelege ist, deren Herausgabe er mit dem zivilgerichtlichen Verfahren (Az. …/12) erwirken wollte, kommt es im finanzgerichtlichen Verfahren nicht mehr auf den Ausgang des zivilgerichtlichen Verfahrens an. Da das [X.] den Ausgang des Rechtsstreits maßgeblich vom Besitz dieser Belege abhängig gemacht und der Kläger nunmehr deren Besitz erlangt hat, ist eine für eine Aussetzung des Verfahrens maßgebliche Änderung der Rechtslage eingetreten. Unerheblich ist dabei, dass die neuen Tatsachen nicht durch den Kläger, sondern durch den Schriftsatz des [X.] in das Beschwerdeverfahren eingeführt worden sind. Der Kläger hat ihnen nicht widersprochen, so dass die neuen Erkenntnisse als wahr unterstellt und bei der Entscheidung über die Beschwerde berücksichtigt werden konnten.

c) Der beschließende Senat musste daher nicht entscheiden, ob die Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens nach § 74 [X.]O im Zeitpunkt der Beschlussfassung durch das [X.] vorgelegen hatten. Insbesondere bedurfte es nicht mehr der Überprüfung, ob der [X.] vorgreiflich für das finanzgerichtliche Verfahren oder der [X.]-Beschluss in diesem Zusammenhang von --im Rahmen des § 74 [X.]O unbeachtlichen-- Zweckmäßigkeitserwägungen geleitet war (vgl. [X.] in [X.], 1103, unter [X.], m.w.N.).

2. Eine Kostenentscheidung ist in diesem unselbständigen Nebenverfahren nicht zu treffen; über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist im Rahmen der Entscheidung über die Hauptsache zu befinden (vgl. z.B. [X.] in [X.], 1103, unter II.3., m.w.N.).

Meta

V B 80/14

20.11.2014

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 4. Juni 2014, Az: 6 K 1794/11, Beschluss

§ 15 Abs 1 S 1 Nr 2 UStG, § 74 FGO, § 128 FGO, § 132 FGO, § 155 FGO, § 571 Abs 2 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.11.2014, Az. V B 80/14 (REWIS RS 2014, 1132)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1132

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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