Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.10.2011, Az. 5 StR 14/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 1885

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Gegenstand

(Verfallsanordnung: Ermessensentscheidung  bei Vorhandensein von Vermögenswerten bis zur Höhe des verfallbaren Betrages; gesamtschuldnerische Haftung von Mitangeklagten und Berücksichtigung  steuerlicher Belastungen) 


Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 12. Mai 2010 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Verfallsbetrag (§ 111i Abs. 2 StPO) gegen den Angeklagten [X.]     74.175 € beträgt.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

– Von Rechts wegen –

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten [X.]wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und festgestellt, dass gegen ihn lediglich deshalb nicht auf Verfall in Höhe von 102.157,22 € erkannt wird, weil Ansprüche der Geschädigten V.     U.      N.      GmbH insoweit entgegenstehen. Gegen den Verfallsausspruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die vom [X.] in der Hauptverhandlung nicht vertreten worden ist. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, führt vielmehr zu einer Reduzierung des [X.] nach § 301 [X.].

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s war der Mitangeklagte S.     bei der Geschädigten, die Wertstoffe aufkauft, als [X.] beschäftigt. Zu seinen Aufgaben zählte, eigenverantwortlich [X.] auszustellen, welche die Grundlage für die Vergütung der angelieferten Wertstoffe bildeten. Der Angeklagte und sein mitangeklagter Bruder rechneten für ihre Unternehmen in erheblichem Umfang Wertstoffe gegenüber der Geschädigten ab. Entsprechend ihrem zuvor gefassten gemeinsamen [X.] lagen diesen Abrechnungen planmäßig nie erfolgte [X.] zugrunde, für die der Mitangeklagte [X.]falsche [X.] ausstellte. Zwischen den Angeklagten war ferner verabredet, dass der Angeklagte [X.]    von den für sein Unternehmen erhaltenen Geldern die anfallende Umsatzsteuer sowie 30 % pauschal für sonstige Aufwendungen, namentlich Steuern, abziehen durfte und der verbleibende Rest zwischen ihm und den Mitangeklagten zu gleichen Teilen aufgeteilt werden sollte. Dementsprechend leitete der Angeklagte diese Gelder an die Mitangeklagten weiter.

3

Insgesamt behielt der Angeklagte [X.]   den Betrag von 102.157,22 € für sich ein, den das [X.] auch seiner Feststellung nach § 111i Abs. 2 [X.] zugrunde gelegt hat. Die ausgekehrten Beträge – gegen die Mitangeklagten wurden über die ihnen zugeflossenen Gelder entsprechende Anordnungen nach § 111i Abs. 2 [X.] getroffen – hat es nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB außer Betracht gelassen, zumal der Angeklagte nur kurzfristig und transitorisch auf seinem Girokonto den vollen Betrag erlangt habe.

II.

4

Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die mit Verfahrensrügen und der Beanstandung der Verletzung sachlichen Rechts geführt wird, bleibt – abgesehen von der gebotenen Korrektur nach § 301 [X.] – ohne Erfolg.

5

1. Die beiden von der Staatsanwaltschaft erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Die eher fernstehende Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]) kann dahinstehen. Letztlich geht es der Staatsanwaltschaft gar nicht entscheidend um eine etwa unzureichende Ausschöpfung in die Hauptverhandlung eingeführter Erkenntnisse über die Vermögensverhältnisse des Angeklagten im Urteil (§ 261 [X.]) oder um deren unzulängliche Aufklärung (§ 244 Abs. 2 [X.]), sondern um die Frage der Erheblichkeit solcher Erkenntnisse für die Entscheidung nach § 111i Abs. 2 [X.] i.V.m. § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB, welche die Staatsanwaltschaft abweichend vom [X.] beurteilt, das ersichtlich deshalb nähere Erörterungen hierzu im Urteil und auch weitere Aufklärung unterlassen hat. Diese Erheblichkeitsfrage erfährt aber hinreichende Klärung im Rahmen der erhobenen Sachrüge, die ihrerseits erfolglos bleibt.

6

2. Die Revision zeigt hinsichtlich der nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB getroffenen Ermessensentscheidung, die an die Mitangeklagten abgeführten Beuteanteile von dem nach § 111i Abs. 2 [X.] festzulegenden Betrag in Abzug zu bringen, keinen Rechtsfehler auf.

7

a) Allerdings scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB regelmäßig dann aus, wenn der Angeklagte über Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem verfallbaren Betrag zurückbleibt ([X.], Urteile vom 2. Oktober 2008 – 4 [X.], [X.], 234, 235; vom 10. Oktober 2002 – 4 [X.], [X.]St 48, 40, 42).

8

Dies gilt freilich nicht uneingeschränkt. Steht zweifelsfrei fest, dass der fragliche Vermögenswert ohne jeden denkbaren Zusammenhang mit den abgeurteilten Straftaten erworben wurde, ist eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB nicht ausgeschlossen ([X.] aaO, [X.], 234, 235; [X.], Urteil vom 2. Dezember 2004 – 3 [X.], [X.], 104, 105). Ein umfassender Ausschluss wäre im Übrigen auch mit dem Wortlaut des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB nicht vereinbar, der gerade nicht auf den Wert des Vermögens, sondern auf den Wert des [X.] in dem Vermögen abstellt ([X.]St aaO). Dass hierdurch die Maßnahme des [X.] in ihrer präventiven Wirkung geschwächt sein könnte (so [X.], Urteil vom 16. Mai 2006 – 1 StR 46/06, Rn. 23 f., [X.]St 51, 65), ist nicht ersichtlich; gegebenenfalls hätte dies der Gesetzgeber hier wie auch bei anderen [X.] bewusst in Kauf genommen. Zudem erfordert die Feststellung dieser Ausnahmetatbestände – wie der vorliegende Fall zeigt – regelmäßig keine überbordenden Finanzermittlungen.

9

Das vorhandene Restvermögen des Angeklagten steht hier ersichtlich in keinem Zusammenhang mit den der gerichtlichen Würdigung unterstellten Straftaten. Der Angeklagte      [X.]     hat Teile der vereinnahmten Gelder unverzüglich an die Mitangeklagten weitergeleitet. Auch dass er in gleichartige oder andere Straftaten verwickelt gewesen sein könnte, ist nicht ersichtlich; er ist strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten. Damit war dem [X.] hinsichtlich des Restbetrags eine Ermessensentscheidung eröffnet. Deren Ergebnis ist zudem in Fällen des § 111i Abs. 2 [X.] schon aus Gründen der Ressourcenschonung vom Revisionsgericht bis zur äußersten Grenze der Vertretbarkeit hinzunehmen (vgl. hierzu auch [X.] in [X.], 6. Aufl., § 111i Rn. 3, 17). Diese ist hier ersichtlich nicht überschritten.

b) Die Anordnung ist auch nicht deshalb rechtsfehlerhaft, weil eine gesamtschuldnerische Haftung – bezogen auf die gesamte vom Angeklagten [X.]  vereinnahmten Summe – hätte angeordnet werden müssen. Der [X.] kann dabei offen lassen, ob bei Verfallsanordnungen oder Anordnungen nach § 111i Abs. 2 [X.] eine gesamtschuldnerische Haftung ohne die ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung überhaupt in Betracht kommen kann (vgl. [X.] NStZ 2010, 569). Denn im vorliegenden Fall liegen ihre Voraussetzungen, soweit die Rechtsprechung des [X.] eine solche bislang zugelassen hat, nicht vor. Danach kommt eine gesamtschuldnerische Haftung dann in Betracht, wenn die Täter zumindest zu einem bestimmten Zeitpunkt gemeinsam Mitverfügungsmacht über den gesamten Betrag hatten ([X.], Urteil vom 28. Oktober 2010 – 4 [X.], Rn. 21 ff., [X.]St 56, 39; Beschluss vom 8. Dezember 2010 – 2 [X.], Rn. 3, [X.], 113). Dieses Erfordernis war zu keinem Zeitpunkt eingetreten, weil der Angeklagte [X.]die Beuteanteile an seine Mittäter weitergeleitet hatte.

Im vorliegenden Verfahren kommt eine weitere Besonderheit hinzu. Die Staatsanwaltschaft hat die Anordnung nach § 111i Abs. 2 [X.] gegen die Mitangeklagten rechtskräftig werden lassen, ohne dass dort eine gesamtschuldnerische Haftung angeordnet gewesen wäre. Würde nunmehr gegen den Angeklagten allein eine gesamtschuldnerische Haftung für den vollen Betrag ausgesprochen, so wäre nicht gewährleistet, dass er auf dieser Grundlage gegen die Mitangeklagten Regress nehmen könnte. Umgekehrt könnte auch eine Erstreckung auf die übrigen Mitangeklagten nach § 357 [X.] nicht erfolgen, weil eine solche Erstreckung für sie auch nachteilig wäre, da sie dann über ihren (bislang als Verfallsbetrag ausgeurteilten) Beuteanteil hinaus haften müssten.

c) Die Ermessensbetätigung des [X.]s ist rechtsfehlerfrei. Es durfte dabei die Weggabe der Beuteanteile an die Mittäter des Angeklagten in Abzug bringen. Die Erwägung, dass er die Beute in Form von Giralgeld nur kurzfristig und transitorisch erlangt habe, ist nicht zu beanstanden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. Januar 2008 – 5 [X.], Rn. 7 ff., [X.], 565 und vom 27. Oktober 2009 – 5 [X.], [X.], 128). Bei der Berechnung des [X.] hat das [X.] in der Summe sämtlicher Anordnungen nach § 111i Abs. 2 [X.] den gesamten Betrag abgeschöpft. Der [X.] schließt daher aus, dass es im Rahmen seiner Entscheidung grundlegende Prinzipien des Rechts des Verfalls verkannt haben könnte.

3. Allerdings führt die Revision der Staatsanwaltschaft, die nach § 301 [X.] auch zugunsten des Angeklagten wirkt, insoweit teilweise zur Urteilskorrektur. Der nach § 111i Abs. 2 [X.] festgesetzte Betrag ist aus zwei Gründen zu hoch angesetzt. Der [X.] reduziert diesen Betrag (gerundet) um 27.981 € auf 74.175 €.

a) Das [X.] hätte die Gutschrift vom 31. Dezember 2006 in Höhe von (dem Angeklagten [X.]  zugerechneten) 1.556 € nicht in Ansatz bringen dürfen. Die Regelung des § 111i [X.] gilt nämlich erst für Taten, die nach dem 1. Januar 2007 beendet wurden ([X.], Beschluss vom 23. Oktober 2008 – 1 [X.], [X.], 56). Für frühere Taten – wie hier diejenige nach II.2. Fall 1 der Urteilsgründe – hat es mit dem Ausschluss des Verfalls nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB sein Bewenden.

b) Das [X.] hat zudem nicht bedacht, dass in den Rechnungen Umsatzsteuer ausgewiesen war. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist zu entnehmen, dass die ausgewiesene Umsatzsteuer auch tatsächlich abgeführt wurde. Im Übrigen würde der Angeklagte als Empfänger von einer von ihm veranlassten Gutschrift (§ 14 Abs. 2 Satz 2 UStG) mit unrichtigem [X.] umsatzsteuerlich haften (§ 14c Abs. 1 Satz 1 UStG). Entsprechende steuerliche Belastungen müssen im Rahmen des Verfalls berücksichtigt werden ([X.], Urteil vom 21. März 2002 – 5 [X.], [X.]St 47, 260; Beschluss vom 18. Februar 2004 – 1 StR 296/03, [X.], 22). Für Anordnungen nach § 111i Abs. 2 [X.] gilt nichts anderes, zumal die Umsatzsteuer für das geschädigte Unternehmen regelmäßig ein durchlaufender Posten sein wird. Dies bedeutet, dass von dem – unter Abzug von a) – ermittelten Rechnungsgesamtbetrag in Höhe von 165.504 € als Umsatzsteueranteil 19/119 in den Ansatz zu bringen und mithin 26.425 € herauszurechnen sind.

c) Weitere Abzüge wegen möglicher anderer Steuern (Körperschaft- bzw. Einkommensteuer) sind dagegen nicht veranlasst. Weder ist ersichtlich, dass entsprechende Steuern gezahlt wurden noch dass etwaige steuerliche Veranlagungen bestandskräftig abgeschlossen sind.

4. Eine Erstreckung der Korrektur der Verfallsentscheidung auf den Mitangeklagten U.   [X.]     (§ 357 [X.]) muss dagegen unterbleiben, weil der (zwar identische) Rechtsfehler unterschiedliche Taten betrifft (vgl. [X.], [X.], 54. Aufl., § 357 Rn. 13).

Basdorf                                   Raum                                       [X.]

                       König                                     [X.]

Meta

5 StR 14/11

27.10.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 12. Mai 2010, Az: 611 KLs 3/10, Urteil

§ 73c Abs 1 S 2 StGB, § 111i Abs 2 StPO, § 14 UStG, § 14c UStG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.10.2011, Az. 5 StR 14/11 (REWIS RS 2011, 1885)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1885

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