Bundessozialgericht, Urteil vom 15.09.2016, Az. B 12 R 2/15 R

12. Senat | REWIS RS 2016, 5500

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Eröffnung des Insolvenzverfahrens - Freistellung von der Arbeit - Vollstreckungsverbot für Altmasseverbindlichkeit - Geltendmachung einer Beitragsnachforderung trotz Berufung des Insolvenzverwalters gegenüber Arbeitnehmern auf ein Zurückbehaltungsrecht bis zur Erteilung von Auskünften zu anderweitigem Verdienst - bei Betriebsprüfung ist Verfahren zur Erhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen grundsätzlich zweigeteilt - Fortbestehen einer Beschäftigung bei Freistellung von Arbeitnehmern


Leitsatz

Werden Arbeitnehmer nach Insolvenzeröffnung unter Anrechnung auf etwaige anderweitige Vergütungsansprüche von der Arbeitsleistung freigestellt, steht es der Geltendmachung von Beitragsforderungen wegen Beschäftigung gegen den Insolvenzverwalter nicht entgegen, dass sich dieser ihnen gegenüber auf ein Zurückbehaltungsrecht bis zur Erteilung von Auskünften zu anderweitigem Verdienst beruft.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 23 090,25 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen.

2

Der Kläger ist Insolvenzverwalter der [X.], über deren Vermögen durch Beschluss des [X.] am [X.] das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Er zeigte dem Insolvenzgericht gegenüber die Masseunzulänglichkeit (§ 208 Insolvenzordnung <[X.]>) an, kündigte sämtlichen Arbeitnehmern und stellte diese ab dem [X.]punkt der Insolvenzeröffnung von der Arbeitsleistung frei, dies unter Anrechnung auf eventuell noch bestehende Urlaubsansprüche und anderweitige Vergütungsansprüche. Beitragsnachweise für die gekündigten Arbeitnehmer erstellte der Kläger für die [X.] ab [X.] nicht mehr.

3

Nach einer Betriebsprüfung forderte die beklagte [X.] vom Kläger als Insolvenzverwalter für die [X.] vom [X.] bis 30.9.2006 Beiträge für alle Zweige der Sozialversicherung zuzüglich Säumniszuschlägen zur Zahlung an die beigeladenen Einzugsstellen nach (Bescheid vom [X.]). Im Widerspruchsverfahren reduzierte die Beklagte die Beitragsforderung, weil einige Arbeitnehmer während der [X.] der Freistellung neue Beschäftigungen aufgenommen hatten (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Zuletzt hat die Beklagte die Beitragsforderung im Klageverfahren um die von der [X.] getragenen Beiträge auf insgesamt 23 090,25 Euro reduziert (Bescheid vom [X.]).

4

Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Auf die Berufung des [X.] hat das L[X.] das Urteil des [X.] sowie den Bescheid der Beklagten vom [X.] "aufgehoben, soweit der Kläger darin zur Zahlung von Beiträgen und Säumniszuschlägen verpflichtet wird". Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen: Der zum alleinigen Gegenstand des Verfahrens gewordene Bescheid vom [X.] sei insoweit rechtswidrig, als der Kläger bei sog Altmasseverbindlichkeiten iS von § 209 Abs 1 [X.] 3 [X.] nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Anzeige der Masseunzulänglichkeit "nicht mehr zur Zahlung aufgefordert werden" dürfe. Dem Bescheid komme nur die Bedeutung eines Beitragsnachweises zu. Bei den von der Beklagten festgesetzten Beiträgen für die [X.] nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens handele es sich um sog Altmasseverbindlichkeiten, da diese nicht vom Kläger als Insolvenzverwalter begründet worden seien. Wegen einer solchen Masseverbindlichkeit sei die Vollstreckung nach § 210 [X.] unzulässig, sobald der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt habe. Dabei richte sich das [X.] nicht nur gegen titulierte Ansprüche der [X.], sondern stehe bereits einer Verfolgung der Ansprüche im Wege der Leistungsklage entgegen. Die Beklagte sei daher nicht berechtigt gewesen, sich durch den Erlass des [X.] einen Vollstreckungstitel zu verschaffen. Für den Erlass eines zur "Zahlung" verpflichtenden [X.] fehle es an einer Rechtsgrundlage. Das [X.] stehe allerdings dem Erlass eines Bescheides der Beklagten mit dem Inhalt der "Feststellung" einer Beitragsschuld in bestimmter Höhe nicht entgegen. Die Insolvenz des Arbeitgebers und die Freistellung der Arbeitnehmer ließen die bestehenden Beschäftigungsverhältnisse unberührt. Damit seien [X.] nach § 22 Abs 1 S 1 [X.]B IV entstanden und nach § 23 [X.]B IV fällig. Diese seien nicht davon abhängig, ob das geschuldete Arbeitsentgelt den Arbeitnehmern zugeflossen sei. Da keine Verpflichtung zur Beitragszahlung bestanden habe, sei die Festsetzung von Säumniszuschlägen rechtswidrig (Urteil vom 16.12.2014).

5

Hiergegen richtet sich (allein) die Revision des [X.], der die Verletzung von §§ 22, 23, 14 [X.]B IV und von § 615 BGB rügt. Entgegen der Ansicht des L[X.] seien [X.] der Versicherungsträger von vornherein nicht entstanden. Nach dem Entstehungsprinzip seien Sozialversicherungsbeiträge nur für geschuldetes Arbeitsentgelt zu entrichten. Für die von der Arbeitspflicht freigestellten und damit faktisch nicht mehr beschäftigt gewesenen Arbeitnehmer werde aber kein Arbeitsentgelt geschuldet. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] habe er (der Kläger) sich als Insolvenzverwalter im Annahmeverzug befunden. In diesem Falle könnten die Arbeitnehmer zwar für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen. Die Arbeitnehmer müssten sich darauf jedoch nach § 615 S 2 BGB dasjenige im Wert anrechnen lassen, was sie infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart hätten oder durch anderweitige Verwendung ihrer Dienste erwürben oder zu erwerben böswillig unterließen. Zur Bezifferung dieses Wertes stehe ihm (dem Kläger) ein Auskunftsanspruch gegen die Arbeitnehmer zu. Er habe nach der Rechtsprechung des [X.] die Zahlung des Arbeitsentgelts verweigern dürfen, da die Arbeitnehmer trotz entsprechender Aufforderung keine Auskunft zu erzielten Einsparungen oder Einkünften erteilt hätten (Hinweis auf [X.] Urteile vom 19.3.2002 - 9 AZR 16/01 und vom [X.] - 5 [X.]), weshalb diesen auch - beitragspflichtige - Vergütungsansprüche nicht zugestanden hätten.

6

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 16. Dezember 2014 zu ändern und das Urteil des [X.] vom 31. Juli 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2013 in vollem Umfang aufzuheben.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision des [X.] zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

9

Die Beigeladenen stellen keine Anträge und äußern sich nicht.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] bleibt ohne Erfolg. Es kann offenbleiben, ob die Revision zulässig ist (dazu 1). Jedenfalls ist sie unbegründet (dazu 2).

1. Der Senat muss nicht entscheiden, ob die Revision mangels einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Revisionsbegründung im Hinblick darauf unzulässig ist, dass sie möglicherweise in Bezug auf die gerügte Verletzung von Vorschriften des materiellen Rechts nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 S 1 und 3 [X.] genügt (vgl dazu nur: [X.]-1500 § 164 [X.] RdNr 9; zuletzt Senatsurteil vom [X.] KR 14/14 R - NZS 2016, 919 Rd[X.] = Juris Rd[X.] mwN).

Um diese Voraussetzungen zu erfüllen, muss die Revisionsbegründung ua den wesentlichen Lebenssachverhalt darstellen, über den das [X.] entschieden hat (vgl hierzu [X.] vom [X.] - [X.] R 5/15 R - Juris RdNr 11 mwN - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen). Hierfür genügt es nach dem Verständnis des Senats, wenn der Revisionsführer - wie der Kläger - den für die geltend gemachte Rechtsverletzung entscheidungsrelevanten, also den vom [X.] festgestellten, Lebenssachverhalt in eigenen Worten kurz wiedergibt (so bereits [X.] vom 24.2.2016 - B 13 R 31/14 R - Juris RdNr 16 - zur Veröffentlichung in [X.]-1500 § 164 [X.] vorgesehen; [X.] vom [X.] - [X.] R 5/15 R - Juris RdNr 11 - zur Veröffentlichung in [X.]-1500 § 164 [X.] vorgesehen). Ob darüber hinaus - wie der 5. Senat des BSG annimmt - auch ausdrücklich darzulegen ist, dass und an welcher genauen Stelle des Berufungsurteils das [X.] bestimmte Tatumstände festgestellt hat (BSG Beschluss vom 5.11.2014 - B 5 RE 5/14 R - BeckRS 2014, 74155 RdNr 8; [X.] vom 23.7.2015 - B 5 R 32/14 R - NZS 2015, 838 RdNr 7 = Juris RdNr 7), kann vorliegend dahinstehen. Zwar genügt die Revisionsbegründung des [X.] diesen strengeren Anforderungen nicht. Eine in Betracht kommende Divergenz ist jedoch nicht entscheidungserheblich und daher nicht klärungsbedürftig (vgl demgegenüber ua Anfragebeschlüsse des 12. Senats an den 5. Senat vom 27.4.2016 - [X.] KR 16/14 R und [X.] KR 17/14 R), weil - wie im Folgenden unter 2. näher darzulegen ist - das angegriffene Urteil des [X.] im Ergebnis aus anderen Gründen Bestand hat.

2. Die Revision des [X.] bleibt ohne Erfolg, weil sie jedenfalls unbegründet ist. Das angefochtene Urteil des [X.] lässt revisionsrechtlich bedeutsame Rechtsfehler zu Lasten des [X.] nicht erkennen.

a) Gegenstand des Rechtsstreits iS von §§ 95, 96 [X.] sind die [X.] der beklagten [X.] vom [X.] und vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.] sowie der Bescheid vom [X.]. Mit diesen [X.]n wurden im [X.] an eine Betriebsprüfung von dem Kläger Beiträge für alle Zweige der Sozialversicherung sowie Säumniszuschläge zur Zahlung an die beigeladenen Einzugsstellen nachgefordert.

Anders als im Tenor des [X.]-Urteils angedeutet, hat der zuletzt im Klageverfahren ergangene Bescheid vom [X.] die vorherigen [X.] nicht iS von § 96 Abs 1 [X.] vollständig ersetzt, sondern nur geändert. Ein Verwaltungsakt wird nämlich "geändert", wenn er teilweise aufgehoben und durch eine Neuregelung ersetzt wird; ein Verwaltungsakt wird hingegen nur dann "ersetzt", wenn der neue Verwaltungsakt vollständig an die Stelle des bisherigen tritt (vgl zB [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 11. Aufl 2014, § 96 Rd[X.] mwN). Letzteres ist hier nicht der Fall.

Die Beklagte hat ihre ursprünglichen [X.] durch den im Klageverfahren ergangenen Bescheid ausdrücklich nur "teilweise zurückgenommen". Die vorangegangenen [X.] hatten damit - sowohl nach dem eigenen Verständnis der Beklagten als auch aus der Sicht eines objektiv verständigen Bescheidadressaten - hinsichtlich des nicht zurückgenommenen Teils weiter Bestand. Aus den Entscheidungsgründen des [X.]-Urteils wird allerdings deutlich, dass auch das Berufungsgericht der Sache nach - zutreffenderweise - über den gesamten Streitgegenstand (einschließlich der nur in den früheren [X.]n angesprochenen Säumniszuschläge) entschieden hat.

Im Revisionsverfahren zu überprüfen sind vor diesem Hintergrund alle genannten [X.] der Beklagten, dies allerdings nur noch, soweit der Kläger, der alleiniger Revisionsführer ist, in der Berufungsinstanz unterlegen ist. Da die Beklagte keine Revision eingelegt hat, ist das [X.]-Urteil nämlich in dem Umfang rechtskräftig geworden, in dem es der Klage stattgegeben und die [X.] aufgehoben hat. Damit hat der Senat die Frage der vom [X.] angenommenen fehlenden Berechtigung der Beklagten zur Aufforderung "zur Zahlung" von Beiträgen sowie zur (nach Ansicht des [X.] bereits fehlenden) Berechtigung zur Feststellung und Aufforderung "zur Zahlung" von Säumniszuschlägen im Revisionsverfahren nicht (mehr) zu beantworten. Für das Revisionsverfahren ist damit schon ein Rechtsschutzbedürfnis des [X.] zu verneinen, soweit er mit Schreiben vom 13.10.2015 dennoch ausdrücklich eine "klarstellende Entscheidung" des Senats "zur Aufbürdung bzw zum Unterbleiben vom Säumniszuschlägen" begehrt. Vom Senat zu überprüfen ist nur die Berechtigung der Beklagten zur "Feststellung" einer Beitragsschuld.

b) Die [X.] sind - in dem dargestellten noch streitigen Umfang - rechtmäßig.

Die Beklagte war für den Erlass der [X.] sachlich zuständig (dazu [X.]). Für die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages für die betroffenen Beschäftigten ist der Kläger als Arbeitgeber passivlegitimiert; er ist auch richtiger Adressat der ergangenen [X.] (dazu [X.]). Der Erteilung der [X.] steht ein möglicherweise bestehendes Vollstreckungsverbot nach § 210 [X.] dabei nicht entgegen (dazu [X.]). Der Kläger muss den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die betroffenen Beschäftigten zahlen, weil diese auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entgeltlich beschäftigt und damit versicherungspflichtig waren, sodass [X.] entstanden sind (dazu [X.]). Fehler bei der Berechnung der Beiträge sind nicht ersichtlich (dazu ee).

[X.]) Die Beklagte war für den Erlass der [X.] nach der von ihr durchgeführten Betriebsprüfung gemäß § 28p Abs 1 S 1 [X.] sachlich zuständig.

Nach dieser Regelung prüfen die Träger der [X.] bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem [X.], die im Zusammenhang mit der Abführung von [X.] stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a [X.]) mindestens alle [X.]. Nach Satz 5 der Vorschrift erlassen die Träger der [X.] im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der gesetzlichen Kranken-, [X.] Pflege- und gesetzlichen [X.] sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern; insoweit gelten § 28h Abs 2 [X.] sowie § 93 iVm § 89 Abs 5 SGB X nicht.

[X.]) Der Kläger ist in seiner Funktion als Insolvenzverwalter der insolventen [X.] als Arbeitgeber (§ 28e [X.]) für die Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge zuständig. Als Schuldner ist er daher zu Recht Adressat der [X.] der Beklagten. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht nämlich das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs 1 [X.]). Insofern rückt der Insolvenzverwalter in die Arbeitgeberstellung ein und nimmt sämtliche hiermit verbundenen Rechte und Pflichten wahr (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - [X.], 105 RdNr 18 mwN).

[X.]) Ein - möglicherweise bestehendes - Vollstreckungsverbot nach § 210 [X.] steht einer Geltendmachung der von der Beklagten nachgeforderten Beiträge und deren Zahlung an die Einzugsstellen gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter und Arbeitgeber im Übrigen nicht entgegen.

Wie der Senat bereits entschieden hat, hindert ein nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit bestehendes [X.] den prüfenden [X.]sträger nicht daran, nach einer Betriebsprüfung ermittelte rückständige Gesamtsozialversicherungsbeiträge gegenüber dem Insolvenzverwalter durch Leistungs- bzw Zahlungsbescheid festzusetzen (vgl ausführlich [X.] vom 28.5.2015 - [X.] R 16/13 R = [X.]-2400 § 28p [X.] RdNr 20 ff; zustimmend [X.], EWiR 2016, 55 f; [X.], jurisPR-[X.]/2016 [X.] 4; vgl auch [X.], [X.], 31 f). Denn im Falle einer Betriebsprüfung, wie sie hier erfolgte, ist das Verfahren zur Erhebung von [X.] grundsätzlich zweigeteilt. Der Leistungs- bzw Zahlungsbescheid des prüfenden [X.]strägers hat die Funktion eines Grundlagenbescheides. Ob ein solcher Bescheid vollstreckt werden darf oder die zwangsweise Durchsetzung der Beitragsforderung wegen eines insolvenzrechtlichen Vollstreckungsverbots ausscheidet, ist erst auf [X.] von den Krankenkassen als Einzugsstellen beim Einzug der Beiträge zu prüfen. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

[X.]) Die Beklagte hat in ihren [X.]n auch beanstandungsfrei angenommen, dass der Kläger den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die [X.] Gesetzes in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung versicherten Beschäftigten zu zahlen hat, weil solche [X.] bestehen (vgl § 28d S 1 [X.] iVm § 7 [X.] und § 5 Abs 1 [X.], § 20 Abs 1 S 2 [X.], § 1 S 1 [X.]I, § 24 Abs 1, § 25 Abs 1 S 1 SGB III). Auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] waren die Arbeitnehmer wegen Beschäftigung versicherungspflichtig (dazu <1>) und insbesondere im Sinne des Sozialversicherungsrechts gegen Entgelt beschäftigt (dazu <2>).

(1) Die Arbeitnehmer waren auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] wegen Beschäftigung in den Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig. Ihre (entgeltliche) Beschäftigung endete insbesondere nicht durch die vom Kläger als Insolvenzverwalter erklärte Freistellung der Arbeitnehmer von ihrer vertraglichen Pflicht zur Arbeitsleistung. Eine versicherungspflichtige Beschäftigung setzt nämlich nicht zwingend eine tatsächliche Arbeitsleistung voraus. Bei einer Freistellung von Arbeitnehmern besteht die Beschäftigung vielmehr selbst dann fort, wenn eine anschließende Fortsetzung der vertraglichen Beziehungen mit [X.]ick auf eine bereits konkretisierte Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr beabsichtigt ist, etwa - wie im vorliegenden Fall - nach dem Ablauf der Kündigungsfrist (vgl [X.], 183, 185 = [X.]100 § 168 [X.] f; [X.], 273 = [X.]-2400 § 7 [X.], RdNr 19).

(2) Entgegen der Ansicht des [X.] waren die Arbeitnehmer ferner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] im Sinne des Sozialversicherungsrechts gegen Entgelt beschäftigt (§ 7 [X.] iVm den oben genannten, für die einzelnen Versicherungszweige geltenden Regelungen; vgl § 14 [X.]).

Die betroffenen Arbeitnehmer hatten einen Entgeltanspruch aus dem bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortbestehenden Arbeitsverhältnis. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 611 Abs 1 [X.] iVm dem (unabhängig von der Insolvenz der [X.] fortbestehenden) Arbeitsvertrag. Dabei kann es dahinstehen, ob sich der Kläger als Arbeitgeber - wie er meint - durch die Freistellung der Arbeitnehmer in Annahmeverzug (§ 293 [X.]) befand. Liegen die Voraussetzungen eines Annahmeverzugs vor, erhält § 615 S 1 [X.] den Arbeitnehmern - abweichend vom Grundsatz "Ohne Arbeit kein Lohn" (§ 326 Abs 1 [X.]) - jedenfalls den ursprünglichen Vergütungsanspruch des § 611 Abs 1 [X.] aufrecht (vgl [X.] zu § 615 [X.] RdNr 17; [X.] zu § 305 [X.] RdNr 13; [X.] zu § 280 nF [X.] [X.] 416; [X.] in [X.]/[X.]/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 7. Aufl 2016, § 615 Rd[X.]; [X.] in [X.], [X.], 16. Aufl 2015, § 95 Rd[X.]; [X.] in [X.], [X.], 14. Aufl 2014, § 615 Rd[X.]4). Die Höhe des Anspruchs bemisst sich dabei nach dem Lohnausfallprinzip (vgl [X.] zu § 305 [X.] RdNr 13; [X.] in [X.] Kommentar zum [X.], 6. Aufl 2012, § 615 Rd[X.]1, 56).

Das Vorliegen einer entgeltlichen, zur Beitragspflicht des [X.]s in den Zweigen der Sozialversicherung führenden Beschäftigung ist unabhängig davon zu bejahen, ob die Arbeitnehmer der [X.] das Entgelt bereits ausgezahlt bekommen hatten oder nicht. Das folgt aus dem im Beitragsrecht der Sozialversicherung geltenden Entstehungsprinzip (§ 22 Abs 1 S 1 [X.]).

Danach entstehen die [X.] (schon), sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Für die Beitragspflicht von [X.] ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats, die auch hier einschlägig ist, insoweit allein das Entstehen eines arbeitsrechtlichen [X.] maßgebend, ohne Rücksicht darauf, ob (und von wem) dieser Anspruch im Ergebnis erfüllt wird oder nicht (stRspr; vgl zuletzt [X.] vom 16.12.2015 - [X.] R 11/14 R <"[X.]"> - Juris RdNr 25 mwN [X.]-2400 § 28p Nr 6, auch zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen; zuletzt [X.] vom [X.] R 8/14 R - RdNr 18 - zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] vorgesehen; aus dem Schrifttum vgl zB Hase in Festschrift 50 Jahre [X.], 2004, [X.] ff; [X.] in von Maydell/Ruland/[X.], [X.], 5. Aufl 2012, § 14 Rd[X.]2; [X.] in [X.] Online-Kommentar Sozialrecht, Stand Dezember 2015, § 22 [X.] Rd[X.]; [X.] in [X.]/[X.]/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl 2015, § 22 [X.] Rd[X.] f; [X.] in [X.], Stand Juni 2016, § 22 [X.] Rd[X.] f; zur Verfassungskonformität des Prinzips vgl [X.] [X.]-2400 § 22 [X.]). Dabei ist es für die Beitragsbemessung unerheblich, ob der einmal entstandene Entgeltanspruch - zB wegen tarifvertraglicher Verfallklauseln oder wegen Verjährung - vom Arbeitnehmer (möglicherweise) nicht mehr realisiert werden kann. Sobald die Voraussetzungen eines Vergütungsanspruchs vorliegen, entsteht [X.] Gesetzes die Beitragspflicht, und zwar unabhängig davon, ob und in welcher Höhe das [X.] tatsächlich ausgezahlt wird [X.], [X.], 380, 382 mwN; Körner, [X.] 2014, 57, 60). Der (tatsächliche) Zufluss von [X.] ist für das Beitragsrecht der Sozialversicherung dagegen nur relevant, soweit der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehr leistet als Letzterem unter Beachtung der gesetzlichen, tariflichen oder einzelvertraglichen Regelungen zusteht, also dann, wenn ihm über das geschuldete [X.] hinaus überobligatorische Zahlungen zugewandt werden (vgl zuletzt [X.] vom 16.12.2015 - [X.] R 11/14 R, [X.]O, Juris RdNr 25 mwN).

Aus diesem Grunde ist es im zu entscheidenden Fall ohne Bedeutung, ob sich der Kläger als Insolvenzverwalter nach Freistellung der Arbeitnehmer der [X.] im Annahmeverzug befand, insbesondere, ob (und mit welchen Folgen) die Arbeitnehmer auf ein rechtmäßiges [X.]sverlangen des [X.] zur Höhe anderweitigen Verdienstes (§ 615 S 2 [X.]) geschwiegen hatten. Zwar trifft es zu - worauf sich der Kläger beruft -, dass nach der Rechtsprechung des [X.] im Falle des Annahmeverzugs ein [X.]srecht des Arbeitgebers bezüglich der Höhe anderweitigen Verdienstes für den Gesamtzeitraum des Annahmeverzugs in entsprechender Anwendung des § 74c Abs 2 HGB besteht; dieses [X.]srecht befreit den Arbeitgeber allerdings nicht davon, insoweit gegenüber dem Arbeitnehmer zumindest greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines anderweitigen Verdienstes darzulegen und dieses ggf zu beweisen (stRspr; vgl. [X.] EzA § 615 [X.] [X.]8, [X.]; [X.] zu § 615 [X.] Anrechnung, [X.] 1088; [X.] AP [X.]2 zu § 615 [X.], [X.] 700 R; ebenso [X.] in [X.] Online-Kommentar Arbeitsrecht, Stand Juni 2016, § 615 [X.] RdNr 82; Preis in [X.] Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Aufl 2016, § 615 [X.] RdNr 111). Auch kann der Arbeitgeber die Zahlung des [X.]s verweigern, solange die betroffenen Arbeitnehmer die verlangte [X.] nicht erteilen (stRspr; vgl [X.] EzA § 615 [X.] [X.]8, [X.]; [X.] zu § 615 [X.] Anrechnung, [X.] 1088 f; [X.] AP [X.]2 zu § 615 [X.], [X.] 700 R; ebenso [X.], [X.]O, § 615 RdNr 124; [X.], [X.]O, § 615 RdNr 110; [X.], [X.]O, § 95 RdNr 78; Preis, [X.]O, § 615 [X.] RdNr 111; [X.] in [X.], [X.], 75. Aufl 2016, § 615 [X.] RdNr 19). Dieses Zurückbehaltungsrecht hat jedoch auf das im Beitragsrecht der Sozialversicherung allein maßgebende, dem zeitlich vorangehenden Entstehen des [X.] der Arbeitnehmer keinen Einfluss. Erst recht entfaltet ein Zurückbehaltungsrecht aus dem Arbeitsverhältnis - also aus dem Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer - keine Rechtswirkungen für das in § 22 [X.] iVm den für die einzelnen Versicherungszweige geltenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen geregelte Entstehen des Beitragsanspruchs der Sozialversicherungsträger. Ein solches Zurückbehaltungsrecht lässt damit die Pflicht des Arbeitgebers zur Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen gänzlich unberührt.

ee) Für Fehler bei der Berechnung der Beiträge durch die Beklagte bestehen keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat im Rechtsstreit insoweit auch keine Einwände erhoben.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 [X.] iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO, da weder der Kläger noch die Beklagte zu dem in § 183 [X.] genannten Personenkreis gehören.

4. Der Streitwert für das Revisionsverfahren war gemäß § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 [X.] iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG in Höhe des Betrags der streitigen Beitragsforderung festzusetzen.

Meta

B 12 R 2/15 R

15.09.2016

Bundessozialgericht 12. Senat

Urteil

Sachgebiet: R

vorgehend SG Mannheim, 31. Juli 2013, Az: S 12 R 2382/10, Urteil

§ 7 SGB 4, § 22 Abs 1 S 1 SGB 4, § 28e SGB 4, § 28h SGB 4, § 28p Abs 1 SGB 4, § 80 Abs 1 InsO, § 210 InsO, § 611 Abs 1 BGB, § 615 S 1 BGB, § 615 S 2 BGB, § 74c Abs 2 HGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 15.09.2016, Az. B 12 R 2/15 R (REWIS RS 2016, 5500)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5500

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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