Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2017, Az. XII ZR 48/17

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 4644

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:270917BXIIZR48.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZR 48/17

vom

27. September 2017

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 141, 286
a)
Dem Tatrichter ist es nach §
286 ZPO grundsätzlich erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der [X.]en und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist (im [X.] an [X.], 13 =
NJW 1982, 940; [X.] Beschluss vom 29.
Oktober 1987
III
ZR
54/87
[X.]R ZPO §
141 Würdigung
1).
b)
Der Tatrichter kann im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnis-ses den Behauptungen und Angaben (vgl. §
141 ZPO) einer [X.] unter [X.] auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht
auch nicht mittels [X.]vernehmung, weil es an der erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit fehlt

beweisen kann (im [X.] an [X.] Urteile vom 7.
Februar 2006
VI
ZR
20/05

NJW-RR 2006, 672; vom 25.
März 1992
IV
ZR
54/91
NJW-RR 1992, 920 und vom 24.
April 1991
IV
ZR
172/90
W-RR 1991, 983).
c)
Hat
die erste Instanz ihre freie Überzeugung nach §
286 ZPO auf eine [X.] gestützt, muss das Berufungsgericht sich im Rahmen seiner Überzeugungs-bildung mit dem Ergebnis dieser [X.] auseinandersetzen und die in-formatorische Anhörung nach §
141 ZPO ggf. selbst durchführen.

[X.], Beschluss vom 27. September 2017 -
XII ZR 48/17 -
O[X.]

[X.]
-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 27.
September
2017
durch den
Vorsitzenden
Richter
Dose,
[X.] Prof. Dr.
[X.], Schilling
und Guhling
und [X.]in Dr.
Krüger
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des
Beklagten zu
1 wird die Revision gegen das Urteil des 2.
Zivilsenats des Oberlandesge-richts [X.]
vom 4.
Mai 2017
insoweit zugelassen,
als da-rin zum Nachteil des Beklagten zu
1 entschieden worden ist.
Auf die Revision des
Beklagten zu
1 wird das vorgenannte Urteil im Kostenpunkt und im Umfang der zugelassenen Revision auf-gehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.
Wert: 58.736

Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt den
Beklagten
zu
1, ihren [X.], auf Rückzahlung von in einem Schließfach aufbewahrtem Geld in Anspruch.
Am 30.
Oktober 2012 suchte die Klägerin mit ihrem [X.]
und dessen Ehefrau, der Beklagten zu
2, die B.

Landessparkasse auf. Dort 1
2
-
3
-
wurden zwei Sparbücher der Klägerin mit einem Gesamtguthaben von 58.735,54

. Dieser Betrag wurde gegen Unterschrift der Klägerin ausgezahlt und der gesamte Barbetrag in einem am 24.
Oktober 2012 vom [X.] zu
1 auf seinen Namen bei der B.

Landessparkasse angemieteten Schließfach deponiert.
Ende Juli 2013 stellte die Klägerin Strafanzeige gegen beide Beklagten wegen vermeintlichen Diebstahls der beiden Sparbücher und Urkundenfäl-schung. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass sie die Auflösungs-
und [X.] selbst unterzeichnet hatte.
Die daraufhin von der Klägerin gegen die Beklagten erhobene Klage auf Zahlung von 58.735,54

as [X.] abgewiesen. Die Klägerin sei für ihre Behauptung, das Geld sei ihr nicht zurückgegeben worden,
beweisfällig geblieben. Die Beklagten hätten im Rahmen der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Anhörung
detailreich und frei von Widersprüchen die Rückgabe des Geldes geschildert. In Anbetracht dieser nachvollziehbaren An-gaben wäre es Sache der Klägerin gewesen, die Darstellung zu widerlegen. Das
sei ihr
nicht gelungen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.] die erstinstanz-liche Entscheidung teilweise abgeändert, den Beklagten zu
1 antragsgemäß verurteilt
und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der
Beklag-te zu
1 mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie
führt gemäß §
544 Abs.
7 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angegriffenen Ur-3
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6
-
4
-
teils und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsge-richt.
1. Dieses hat seine Entscheidung damit begründet, dass von der Kläge-rin und ihrem [X.] konkludent
ein Verwahrungsvertrag geschlossen worden sei, aus dem der Klägerin ein [X.] zustehe. Den Nachweis für die Erfüllung sei der beweisbelastete [X.] schuldig geblieben. Auf die vor dem [X.] erfolgte [X.] könne der Nachweis bei Bestreiten der Gegenseite nicht gestützt werden, weil diese kein Beweismittel im Sinne der Zivilprozessordnung darstelle. Es fehle auch an den
Voraussetzungen für eine förmliche [X.]vernehmung. Könne sich -
wie hier die inzwischen verhand-lungsunfähige Klägerin -
der Prozessgegner nicht selbst als [X.] äußern, kön-ne man die Feststellungen zur erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit nicht auf
die Bekundungen der [X.] selbst stützen.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass dieser Rechts-auffassung
ein entscheidungserheblicher
Verstoß des Berufungsgerichts
gegen Art.
103 Abs.
1 GG
zugrunde liegt.
a) Ohne Erfolg macht der Beklagte allerdings geltend, das Berufungsge-richt sei zu Unrecht von der Prozessfähigkeit der Klägerin ausgegangen. Von einer Begründung des Beschlusses wird insoweit abgesehen (§
544 Abs.
4 Satz
2 ZPO).
Rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht den Beklagten zu
1 als Verwahrer im Sinne des §
688 BGB eingestuft und als für die Erfüllung des aus §
695 Satz 1 BGB folgenden [X.]s der [X.] angesehen hat. Die Nichtzulassungsbeschwerde erinnert hiergegen auch nichts.
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9
10
-
5
-
b) Zutreffend moniert die Nichtzulassungsbeschwerde aber, dass das Berufungsgericht die informatorischen Angaben, die die Beklagten bei ihrer [X.] durch das [X.] gemacht haben, unberücksichtigt gelassen hat.
Dies findet im geltenden Prozessrecht keine Stütze und stellt einen Verstoß gegen Art.
103 Abs.
1 GG dar.
Die [X.] nach §
141 ZPO ist allerdings kein Beweismittel, so dass auf ihrer Grundlage nicht ein Beweisantrag der Gegenpartei abgelehnt werden kann (vgl. [X.]
Beschluss vom 28.
April 2011 -
V
ZR
220/10 -
juris Rn.
12
ff.).
Dem Tatrichter ist es nach §
286 ZPO jedoch grundsätzlich erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der [X.]en und ohne Beweiserhebung festzustel-len, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist ([X.], 13 = NJW 1982, 940, 941; [X.] Beschluss vom 29.
Oktober 1987 -
III
ZR
54/87 -
[X.]R ZPO §
141 Würdigung 1; [X.] Beschluss vom 1.
August 2017
-
2
BvR
3068/14 -
juris Rn.
58 mwN).
Er kann dabei im Rahmen der freien Wür-digung des [X.] den Behauptungen und Angaben (vgl. §
141 ZPO) einer [X.] unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht -
auch nicht mittels [X.]vernehmung, weil es an der erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit fehlt -
beweisen kann ([X.] Urteile vom 7.
Februar 2006 -
VI
ZR
20/05 -
NJW-RR 2006, 672 Rn.
9; vom 25.
März 1992 -
IV
ZR
54/91 -
NJW-RR 1992, 920, 921 und vom 24.
April 1991
-
IV
ZR
172/90 -
NJW-RR 1991, 983, 984), und ihr im Einzelfall sogar den [X.] vor den Bekundungen eines Zeugen oder des als [X.] vernommenen Prozessgegners geben ([X.] Beschluss vom 24.
Juni 2003 -
VI
ZR
327/02 -
NJW 2003, 2527, 2528; [X.]Z 122, 115 = NJW 1993, 1638, 1640).
Dem [X.] ist eine von der erstinstanzlichen Würdigung abweichende Würdi-gung einer [X.]vernehmung ohne Wiederholung der Vernehmung verwehrt (vgl. etwa [X.] Beschluss vom 17.
September 2013 -
XI
ZR
394/12 -
juris 11
12
-
6
-
Rn.
10
mwN). Nichts anderes gilt für die formlose [X.] ([X.]
Beschluss vom 1.
August 2017 -
2
BvR
3068/14 -
juris Rn.
58).
Dies hat das Berufungsgericht verkannt, als es den Inhalt der erstin-stanzlichen [X.] schlicht für unbeachtlich erklärt hat, obwohl das [X.] prozessual zulässig seine freie Überzeugung
im Sinne des §
286 Abs.
1 Satz
1 ZPO -
wenn auch mit unzutreffenden Erwägungen zur Beweis-lastverteilung -
hierauf gestützt hatte. Im Rahmen des §
286 ZPO hätte sich das Berufungsgericht ebenfalls mit den Angaben der Beklagten auseinandersetzen und ggf. selbst die
informatorische Anhörung nach §
141 ZPO durchführen müssen, um sich ausgehend von der als richtig erkannten Beweislastverteilung eine Überzeugung nach §
286 ZPO zu bilden. Dass eine Anhörung der Klägerin aufgrund deren Verhandlungsunfähigkeit nicht erfolgen kann, steht diesem Er-gebnis auch unter dem Aspekt der Waffengleichheit nicht entgegen. Denn das Gebot der Waffengleichheit
führt nicht dazu, dass dann, wenn aus tatsächlichen Gründen nur eine [X.] gemäß § 141 ZPO
angehört werden kann, auf die
[X.] dieser [X.] zu verzichten ist.
c) [X.] ist auch entscheidungserheblich, weil nicht ausge-schlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung der informatorischen Angaben der Beklagtenseite zu einem anderen als dem aus-geurteilten Ergebnis gelangt wäre.
13
14
-
7
-
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, soweit der [X.] zu
1 verurteilt worden ist, und die Sache ist an das Berufungsgericht zu-rückzuverweisen.
Dose
[X.]
Schilling

Guhling
Krüger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 27.04.2015 -
9 [X.] (223) -

O[X.], Entscheidung vom 04.05.2017 -
2 U 44/15 -

15

Meta

XII ZR 48/17

27.09.2017

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2017, Az. XII ZR 48/17 (REWIS RS 2017, 4644)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4644

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZR 48/17

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