Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.01.2018, Az. 5 StR 541/17

5. Strafsenat | REWIS RS 2018, 15990

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:090118B5STR541.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS

5 StR 541/17

vom
9. Januar 2018
in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

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Der 5. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Januar 2018 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 25. Juli 2017 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] im Revisionsverfahren entstandenen notwen-digen Auslagen zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener und mit ge-fährlicher Körperverletzung in 13 Fällen, wegen Nötigung in zwei Fällen, in ei-nem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener, sowie we-gen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Schutzbefohle-ner und mit gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen zu einer [X.] von vier Jahren verurteilt. Von der Gesamtfreiheitsstrafe hat es [X.] rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung sechs Monate als vollstreckt erklärt. Die gegen das Urteil gerichtete und auf eine Verfahrensrüge sowie die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
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Der ergänzenden Erörterung bedarf nur Folgendes:
1. Die durch den Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge betreffend Satz 2 StPO). Denn der Beschwerdeführer hat vorgetragen, der Angeklagte zum eigentlichen Tatgeschehen due-räumt. Dieser Vortrag ist wahrheitswidrig. Aus der Sitzungsniederschrift, den Urteilsgründen und der dienstlichen Äußerung der Vorsitzenden geht hervor,

sondern sich umfänglich zur Sache eingelassen hat.
Ferner kann dem Vorbringen die Angriffsrichtung der Rüge nicht hinrei-chend klar entnommen werden. Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, er hätte der Verständigung nicht zugestimmt, wenn diese verlesen worden wäre, steht seiner Behauptung schon entgegen, dass der Verständigungsvorschlag von der Vorsitzenden in das Protokoll diktiert worden ist und dass der Ange-klagte exakt diesem Vorschlag nach Erteilung der erforderlichen Belehrungen und nach Rücksprache mit dem Verteidiger zugestimmt hat. Soweit der [X.] dahin zu verstehen ist, dass die Verständigung unter dem ([X.]) Vorbehalt der Nichtvernehmung der Nebenklägerin zustande [X.] ist, fehlt es an jeglichem Vortrag zu Umständen, auf die sich eine diesbezügliche Erwartungshaltung des Angeklagten hätte gründen können. Die Vorsitzende hat in ihrer dienstlichen Äußerung in Abrede gestellt, dass ein sol-cher Vorbehalt im Rahmen der Verständigung eine Rolle gespielt hat.
2. Der Schuldspruch wird von den Feststellungen getragen. Das gilt auch, soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in 17 Fällen (§ 224 Abs. 1 Nr. 5, teils auch Nr. 2 StGB) zum Nachteil seiner Tochter und in 2
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einem Fall zum Nachteil seines [X.] verurteilt wurde. Insoweit sind die Ta-ten nicht etwa wegen Einwilligung der Tatopfer gerechtfertigt.
a) Nach den Feststellungen des [X.]s würgte der Angeklagte seine beiden Kinder jeweils bis zum Eintritt von Atemnot, wobei er vielfach Stri-cke, Schals, Tücher oder Lederbänder einsetzte. Die sadomasochistischen Praktiken filmte bzw. fotografierte er, um sich an den Aufnahmen sexuell zu erregen.
aa) Die Mitwirkungsbereitschaft der während der ersten [X.] (Taten 1 bis 12) höchstens zwölf Jahre alten Tochter und des zur Tatzeit zehn Jahre alten [X.] des Angeklagten (Tat 13) ist jeweils schon wegen Einwilligungs-unfähigkeit rechtlich ohne Bedeutung. Nach Rechtsprechung und herrschender Lehre ist einwilligungsfähig, wer nach seiner geistigen und sittlichen Reife im-stande ist, Bedeutung und Tragweite des konsentierten Rechtsgutsangriffs zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen, wobei umso strengere Anforderungen zu stellen sind, je gewichtiger der Angriff ist und je schwerer seine Folgen ab-zusehen sind (vgl. [X.], Urteile vom 12. November 1953

3 StR 713/52, [X.]St 5, 362, 363 f.; vom 10. Februar 1959

5 StR 533/58, [X.]St 12, 379, 382 f.; BayObLG NJW 1999, 372; [X.] in [X.]/[X.], StGB, 29. Aufl., vor § 32 ff. Rn. 40 mwN). Es muss nicht entschieden werden, ob Einwilligungsfähigkeit in Bezug auf geringer wiegende Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit auch unterhalb der Altersgrenze von 14 Jahren gegeben sein kann (dazu [X.]/[X.], 12. Aufl., vor § 32 Rn. 195 mwN). Denn es liegt auf der Hand, dass einem zehn bzw. zwölf Jahre alten Kindes das erforderliche Urteilsvermögen in Bezug auf vom Täter nicht vollständig [X.] und damit zumindest abstrakt lebensgefährliche [X.] fehlt. Eines [X.] auf eine Unwirksamkeit der Einwilligung der Nebenklä-6
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gerin wegen Täuschung oder der Einwilligung beider Kinder wegen Sittenwid-rigkeit (§ 228 StGB) bedarf es daher nicht mehr.
bb) Vor der rund ein Jahr nach dem ersten Tatkomplex folgenden zwei-ten [X.] drohte der Angeklagte seiner nunmehr 14 Jahre alten Tochter un-ter [X.], dass ihr zunächst die Finger gebrochen und die Haare ausgerissen würden, wonach sie durch Überstülpen einer Plastiktüte erstickt werde, wenn sie nicht (weitere) Aufnahmen von sadomasochistischen Prakti-ken von sich erstellen lasse und übermittle. In dieser von ihr als real empfunde-nen Drucksituation ergab sich die Nebenklägerin in ihr Schicksal. Die solcher-maßen erzwungene Mitwirkungsbereitschaft ist ohne Weiteres irrelevant (vgl. [X.], aaO, vor §§ 32 ff. Rn. 48 mwN).
2. Der [X.] beanstandet, dass das [X.] die schweren Tatfolgen für die Nebenklägerin sowohl bei der Bemessung der Ein-zelstrafen als auch bei der Bildung der Gesamtstrafe straferschwerend berück-sichtigt hat. Er bezieht sich dabei auf Rechtsprechung des [X.], wonach Beeinträchtigungen des Opfers durch eine Mehrheit von Taten dem Täter nur dann mit vollem Gewicht bei den [X.] angelastet werden [X.], wenn sie unmittelbare Folge der [X.] sind; sind sie dagegen Folge aller Taten, so können sie nur einmal, nämlich bei der Gesamtstrafenbildung, gewichtet werden (vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 13. November 1997

4 StR 539/97, [X.], 107 f.; vom 22. Juli 2014

2 StR 84/14,
[X.], 340). Allerdings ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass bereits die [X.] des ersten Tatkomplexes die Nebenklägerin seelisch, gilt dies für die Taten
der zweiten [X.], aufgrund derer sich die Nebenkläge-8
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rin ständig in großer Angst befand und schon damals ernsthafte Suizidgedan-ken hegte ([X.], 20).
Es kann offenbleiben, ob der Strafausspruch als durchgreifend rechts-fehlerhaft angesehen werden
muss, wenn das Tatgericht unter solchen Vorzei-chen die schweren Tatfolgen bei der Bemessung der Einzelstrafen ohne aus-drücklich einschränkenden Hinweis in Ansatz gebracht hat. Denn mit dem Ge-neralbundesanwalt ist hier jedenfalls ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Umstand ausgeschlossen (§ 337 Abs. 1 StGB). Gegen den Ange-klagten sprechen nämlich derart gewichtige Erschwerungsgründe, dass die ausgeurteilten Einzelstrafen (jeweils ein Jahr Freiheitsstrafe für die Miss-brauchstaten des ersten Tatkomplexes, jeweils zwei Jahre Freiheitsstrafe für die Taten der sexuellen Nötigung im zweiten Tatkomplex) als im untersten Be-reich des bei der Strafzumessung zu Gebote stehenden Spielraums angesehen werden müssen.
Der Angeklagte hat seine Tochter unter
Ausnutzung der väterlichen Au-torität und des in ihn gesetzten Vertrauens durch die Täuschung zu ihrer Zu-stimmung zu den Handlungen der ersten [X.] gebracht, ohne den Verkauf der bei den Taten gemachten Film-
bzw. Fotoaufnahmen werde die Familie die Wohnung verlieren und auseinanderbrechen. Bei der Fertigung der Bilder [X.] er das zumeist unbekleidete Mädchen mit den Händen oder strangulierte es mit Schlingen und Schals solange, bis dessen Gesicht wegen Atemnot rot an-gelaufen und angeschwollen war. Regelmäßig hatte es danach Kopfschmer-zen, Striemen und [X.] am [X.]. Dass die Nebenklägerin unter der [X.] während des zweiten Tatkomplexes immer stärker litt und sich mit [X.] trug, berührte den Angeklagten nicht ([X.]). Die-10
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ses Vorgehen offenbart ein ungewöhnliches Maß an menschenverachtender Gesinnung.
Darüber hinaus hat das [X.] bei der Bemessung der [X.] zugunsten des Angeklagten gewertet, dass dessen Hemmschwelle im Verlauf der Taten gesunken sei ([X.]). Diese gerade bei serienhaft [X.] [X.] ohnehin nicht unproblematische Erwägung [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. Rn. 1213 mwN; ganz abl. [X.], 9, 11 f.) kann jedenfalls dann nicht zu-gunsten des Täters
wirken, wenn er, was beim Angeklagten der Fall war, von vornherein eine Vielzahl von Taten geplant hat (vgl. auch [X.], Urteil vom 27.
Januar 2016

5 StR 387/15, [X.], 105 Rn. 17 mwN).
4. Dass das [X.] trotz der auch durch die Taten des Kindesmiss-brauchs verursachten gravierenden Konsequenzen für die körperliche und see-lische Entwicklung der Nebenklägerin (unter anderem schwere Depressionen, hierdurch bedingter Abgang vom Gymnasium, halbjährige stationäre Unterbrin-gung in der Psychiatrie, Verlust des gesamten [X.], Notwendigkeit weiterer Therapien) den Verbrechenstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 3 StGB nicht erkennbar bedacht hat, beschwert den Angeklagten nicht. [X.] gilt für § 176a Abs. 5
Variante 1 StGB (schwere körperliche Misshandlung).
Mutzbauer [X.] Schneider

Dölp König

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Meta

5 StR 541/17

09.01.2018

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.01.2018, Az. 5 StR 541/17 (REWIS RS 2018, 15990)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 15990

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5 StR 541/17

2 StR 84/14

5 StR 387/15

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