Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.06.2017, Az. 2 AZR 759/16

2. Senat | REWIS RS 2017, 8843

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Gegenstand

Internationale Zuständigkeit - Staatenimmunität - Verzicht bei hoheitlichem Handeln


Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 29. September 2016 - 11 [X.]/16 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

[X.]ie [X.]en streiten über den Zeitpunkt der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.

2

[X.]er Kläger ist [X.] Staatsangehöriger. [X.]ie beklagte [X.] ist das [X.]. [X.]er Kläger war seit Juli 1982 für das [X.] Konsulat in [X.] tätig. Nach dem in [X.] Sprache verfassten Arbeitsvertrag wurde er als Hilfskraft eingestellt, um exekutive Aufgaben zu verrichten. In der Präambel des Arbeitsvertrags sind die Normen des [X.]ekrets des Präsidenten der [X.] vom 5. Januar 1967 Nr. 18 ([X.]PR) in Bezug genommen. In einer beglaubigten Übersetzung von Art. 154 [X.]PR heißt es:

        

„Regelung der Verträge

        

[X.]ie unter dem hiesigen Titel geregelten Verträge sind, wenn sie nicht ausdrücklich anderweitig geregelt worden sind, nach dem Recht am Ort der Beschäftigung geregelt.

        

Vorbehaltlich der Allgemeinen Bestimmungen des internationalen und konventionellen Rechtes, für etwaige Streitigkeiten bezüglich der Anwendung des vorliegenden [X.]ekretes ist das Gericht am Ort der Beschäftigung zuständig.

        

…“    

3

[X.]er Kläger wurde im Verlauf des Arbeitsverhältnisses zur Ausübung von [X.] bevollmächtigt. Hierzu zählten die Gewährung von Beihilfen und Geldauszahlungen, Maßnahmen im Bereich der Rückführung [X.] Staatsbürger, die Entgegennahme und Übermittlung von Urkunden betreffend Nachlassangelegenheiten, Erhaltungs-, Aufsichts- und Verwaltungsakte sowie die Ausstellung von Bescheinigungen, Beglaubigungen und Legalisierungen. [X.]aneben wurde der Kläger im Jahr 2000 als eigenständig arbeitender Vertragsangestellter ermächtigt, als [X.] notarielle Urkunden, Bescheinigungen, Beglaubigungen und Legalisierungen auszustellen sowie das Register der [X.]n Staatsangehörigen und das Unterschriftenregister der örtlichen Behörden zu führen. Mit Beschluss aus Januar 2001 wurden dem Kläger weitere [X.] übertragen.

4

[X.]as Arbeitsverhältnis sollte nach einer Vereinbarung aus Mai 2013 am 1. Juli 2015 enden. Mit nicht unterschriebenem Schriftstück vom 4. September 2014 teilte die beklagte [X.] dem Kläger mit, das Arbeitsverhältnis werde durch [X.] „aufgrund (…) des [X.] vom 24. Juni 2014 Nr. 90 umgewandelt durch das Gesetz Nr. 114 vom 11. August 2014“ bereits zum 31. Oktober 2014 aufgehoben.

5

Hiergegen hat der Kläger, der das Schriftstück als Kündigung ansieht, die vorliegende Klage erhoben. [X.]ie [X.] Gerichtsbarkeit sei eröffnet. Er habe nur Aufgaben einer konsularischen Hilfskraft verrichtet. Im Übrigen könne sich die beklagte [X.] nach Art. 154 [X.]PR nicht auf Staatenimmunität berufen.

6

[X.]er Kläger hat sinngemäß beantragt,

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der [X.]en durch die außerordentliche Kündigung vom 4. September 2014 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31. Oktober 2014 hinaus und bis zum Renteneintritt im Juli 2015 fortbesteht;

        

3.    

die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Endzeugnis zu erteilen, welches sich auf Führung und Leistung erstreckt.

7

[X.]ie beklagte [X.] hat beantragt, die Klage abzuweisen. [X.]er Kläger sei fast ausschließlich mit hoheitlichen Tätigkeiten betraut gewesen. Sie habe nicht auf ihre Immunität verzichtet.

8

[X.]ie Vorinstanzen haben die Klage als unzulässig abgewiesen. [X.]agegen richtet sich die Revision des [X.], mit der er seine zuletzt gestellten Anträge weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Die Klage ist unzulässig. Das [X.] hat zu Recht angenommen, die [X.] Gerichtsbarkeit sei für den Rechtsstreit nicht eröffnet. Die beklagte [X.] genießt [X.] und hat auf diese nicht verzichtet.

I. Die beklagte [X.] kann für die vorliegende Streitigkeit [X.] beanspruchen.

1. Nach § 20 Abs. 2 GVG iVm. dem Allgemeinen Völkergewohnheitsrecht als Bestandteil des Bundesrechts (Art. 25 GG) sind [X.] und die für sie handelnden Organe ([X.] 26. September 1978 - [X.] ZR 267/76 - zu [X.]) der Gerichtsbarkeit anderer [X.] nicht unterworfen, soweit ihre hoheitliche Tätigkeit betroffen ist. Es ist mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit von [X.] und dem daraus abgeleiteten Rechtsprinzip, dass [X.] nicht übereinander zu Gericht sitzen ([X.] 19. Juli 2012 - [X.]/11 - [[X.]] Rn. 54), nicht zu vereinbaren, dass ein [X.]s Gericht hoheitliches Handeln eines anderen Staates rechtlich überprüft ([X.] 17. März 2014 - 2 BvR 736/13 - Rn. 20). Demgegenüber besteht keine allgemeine Regel des Völkerrechts, die die inländische Gerichtsbarkeit für Klagen gegen einen ausländischen Staat [X.], in denen seine nicht-hoheitliche Betätigung zur Beurteilung steht ([X.] 18. Dezember 2014 - 2 [X.] - Rn. 16). Für die Einordnung arbeitsrechtlicher Streitigkeiten ist vorbehaltlich einer - im Verhältnis zur [X.] und ihrer Organe nicht eingreifenden - besonderen Regelung maßgebend, ob die dem Arbeitnehmer übertragenen Aufgaben ihrer Art nach hoheitlich oder nicht-hoheitlich sind. Dies wiederum richtet sich nicht nach der Form der Rechtsbeziehung als entweder privatrechtlicher Vertrag oder öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis. Vielmehr kommt es auf den Inhalt der ausgeübten Tätigkeit und deren funktionalen Zusammenhang mit diplomatischen und konsularischen Aufgaben an ([X.] 18. Dezember 2014 - 2 [X.] - Rn. 18).

2. Das [X.] hat in Anwendung dieser Grundsätze ohne Rechtsfehler angenommen, im hiesigen Rechtsstreit stehe hoheitliche Betätigung der [X.] zur Überprüfung.

a) Es hat - zusammengefasst - gemeint, der Kläger sei der von der beklagten [X.] ausdrücklich aufgestellten Behauptung, er habe konsularische und sonst wie hoheitliche Tätigkeiten entsprechend den von ihr vorgelegten Bevollmächtigungen bzw. Erklärungen tatsächlich und dauerhaft ganz überwiegend verrichtet, nicht in beachtlicher Weise entgegengetreten. Er habe die von ihm an konkreten Arbeitstagen wahrgenommenen Tätigkeiten nicht im Einzelnen beschrieben.

b) Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben erfolglos. Das [X.] hat weder zu geringe Anforderungen an die Darlegungen der beklagten [X.] gestellt noch hat es die [X.] des [X.] überspannt.

aa) Die beklagte [X.] musste im Rahmen der sie treffenden - unterstellt primären - Darlegungslast keine Urkunden oder Bescheinigungen vorlegen, die der Kläger ausgestellt hat. Eine solche Anforderung hätte dazu geführt, dass sie auf prozessrechtlichem Wege gezwungen worden wäre, das ihr eingeräumte Vorrecht aufzugeben, indem sie Einzelheiten der behaupteten - hoheitlichen - Tätigkeit hätte preisgeben müssen ([X.] 18. Dezember 2014 - 2 [X.] - Rn. 26).

bb) Der Kläger hat seiner - unterstellt nur sekundären - Darlegungslast nicht genügt. Anstatt bloß beispielhaft auf einen Einsatz als Dienstfahrer und die Verrichtung „anderer einfacher Aufgaben“ zu verweisen, hätte er seine Tätigkeiten zumindest der Art und dem groben Inhalt nach umfassend darstellen müssen. Nur so hätte er eine abschließende qualitative und quantitative gerichtliche Beurteilung der ihm übertragenen Aufgaben ermöglicht.

cc) Es kann dahinstehen, ob entsprechender Vortrag des [X.] entbehrlich gewesen wäre, wenn nach dem Arbeitsvertrag die Zuweisung der von der beklagten [X.] behaupteten Tätigkeiten ausgeschlossen gewesen wäre. Dies ist nicht der Fall. Der Kläger ist als Hilfskraft eingestellt worden, um exekutive Aufgaben wahrzunehmen. Zu den exekutiven Aufgaben zählten nach einer Fußnote zum Arbeitsvertrag „Hilfe im [X.], [X.], [X.], Dolmetschen und Fotokopien“. Zudem behielt der Arbeitsvertrag dem Konsulat das Recht vor, den Kläger „zu anderen Aufgaben zu versetzen oder andere Tätigkeiten für ihn zu bestimmen, als die für die er überwiegend bestimmt wurde“. Auf die Wirksamkeit dieser Klausel kommt es bei der Beurteilung, ob die [X.] Gerichtsbarkeit eröffnet ist, nicht an. Allein maßgeblich ist insofern, dass hoheitliche Tätigkeiten nicht aufgrund eines anderen Arbeitsvertrags übertragen worden sind, als dem, über dessen vorzeitige Beendigung die [X.]en streiten.

dd) Danach geht die [X.], das [X.] habe Beweis erheben müssen, fehl. Der unsubstantiierte Klägervortrag bot keine Grundlage für eine Beweisaufnahme. Vielmehr war der [X.] als unstreitig anzusehen (§ 138 ZPO).

II. Der beklagten [X.] ist es nicht aufgrund eines Verzichts verwehrt, sich auf die ihr für die vorliegende Streitigkeit zukommende [X.] zu berufen.

1. Es ist allgemein anerkannt, dass ein Staat darauf verzichten kann, sich auf seine Immunität zu berufen. Die Annahme eines Immunitätsverzichts unterliegt allerdings strengen Anforderungen. Da eine so weitgehende Selbstentäußerung des ausländischen Staates im Zweifel nicht zu vermuten ist ([X.] 30. Januar 2013 - III ZB 40/12 - Rn. 19), dürfen die Umstände des Falles hinsichtlich des Vorliegens und der Reichweite eines Verzichts keinen Zweifel lassen. Dass die [X.]en für ihr Arbeitsverhältnis die Anwendung [X.]n Rechts vereinbart haben, bedeutet für sich genommen keinen Verzicht auf die [X.]. Demgegenüber ist es denkbar, ihn in einer Regelung „miterklärt“ zu sehen, die zunächst nur die internationale Zuständigkeit der Gerichte des [X.] bestimmt ([X.] 18. Dezember 2014 - 2 [X.] - Rn. 41 ff.).

2. Danach lässt sich ein Immunitätsverzicht nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit feststellen.

a) Das Prozessverhalten der beklagten [X.] gestattet keinen Schluss auf einen solchen. Sie hat sich im Gegenteil stets auf ihre Befreiung von der [X.]n Gerichtsbarkeit berufen.

b) Den in der Präambel des Arbeitsvertrags in Bezug genommenen Bestimmungen des [X.] lässt sich ein Immunitätsverzicht ebenfalls nicht entnehmen.

aa) Ein Verzicht, sich auf [X.] zu berufen, folgt nicht allein daraus, dass Art. 154 Abs. 1 [X.] für die betreffenden Verträge grundsätzlich die Geltung [X.]n Rechts vorsieht. Besondere Umstände, die im Streitfall eine andere Auslegung der Rechtswahlvereinbarung nahe legen, sind weder erkennbar noch von der Revision aufgezeigt. Im Übrigen gilt diese Rechtswahl nur, soweit die Verträge „nicht ausdrücklich anderweitig geregelt worden sind“. Die - vom Kläger angenommene - Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch „Kündigung“ aus bestimmten Gründen ist indes in Art. 166 [X.] ausdrücklich vorgesehen.

bb) Ein Wille der [X.], für sich und ihre Organe auf [X.] zu verzichten, tritt auch nicht dadurch zweifelsfrei zu Tage, dass Art. 154 Abs. 2 [X.] die Zuständigkeit der Gerichte des [X.] vorsieht. Deren Zuständigkeit steht unter dem Vorbehalt „der Allgemeinen Bestimmungen des internationalen und konventionellen Rechtes“. Es kann dahinstehen, ob dieser Vorbehalt die Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts in Bezug auf die hoheitliche Tätigkeit eines Staates umfasst und schon deshalb ein konkludenter Immunitätsverzicht ausscheidet. Jedenfalls lässt sich ein solcher nicht zweifelsfrei feststellen. Zum einen werden Arbeitnehmer, die hoheitliche Aufgaben verrichten, ohne einen Verzicht auf [X.] nicht rechtschutzlos gestellt. Die internationale Zuständigkeit der Gerichte „am Ort der Beschäftigung“ ist keine ausschließliche (Kassationshof der [X.] Großer Zivilsenat 28. November 2011 Nr. 29093). Mit hoheitlichen Aufgaben betraute Arbeitnehmer können deshalb ggf. die [X.] Gerichte anrufen. Zum anderen muss ein Immunitätsverzicht in Art. 154 Abs. 2 [X.] nicht denknotwendig deshalb „miterklärt“ sein, weil andernfalls die Bestimmung der Zuständigkeit ausländischer Gerichte leer liefe. Es ist weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der betreffende Titel [X.] des [X.] ausschließlich die Arbeitsverhältnisse von Mitarbeitern regelte, denen typischerweise konsularische oder sonst wie hoheitliche Aufgaben übertragen werden. Vielmehr sind von ihm die Vertragsverhältnisse sämtlicher Bediensteten von [X.] Konsulaten und [X.] Kultureinrichtungen im Ausland erfasst. Damit sind auch Arbeitsverhältnisse betroffen, hinsichtlich derer die [X.] sich von vornherein nicht auf [X.] berufen kann und in denen die Gerichtsbarkeit des [X.] eröffnet ist, ohne dass hierfür ein Immunitätsverzicht erforderlich wäre.

cc) Es tritt hinzu, dass Art. 154 [X.] die Zuständigkeit der Gerichte des [X.] nur für Streitigkeiten „bezüglich der Anwendung des vorliegenden Dekrets“ anerkennt. Das mag die Beendigung eines dem [X.] unterliegenden Arbeitsverhältnisses durch eine - als solche unstreitig erklärte - Kündigung gemäß Art. 166 [X.] einschließen. Die Klageanträge zu 1. und 2. werfen hingegen die Frage auf, ob das Arbeitsverhältnis der [X.]en nicht vielmehr durch [X.] in Umsetzung eines dem [X.] nachfolgenden Gesetzes vorzeitig aufgelöst worden ist. Der Klageantrag zu 3. soll allein dann anfallen, wenn die [X.]n Gerichte eine Entscheidung über das im Zeugnis anzugebende Beendigungsdatum getroffen haben.

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Koltze    

        

    Gerschermann    

                 

Meta

2 AZR 759/16

29.06.2017

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Dortmund, 10. März 2016, Az: 4 Ca 4214/14, Urteil

§ 20 Abs 2 GVG, Art 25 GG, § 138 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.06.2017, Az. 2 AZR 759/16 (REWIS RS 2017, 8843)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8843

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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