Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.10.2020, Az. StB 30/20

3. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2121

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Gegenstand

Nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer akustischen Wohnraumüberwachung: Antragsbefugnis einer juristischen Person als Wohnungsinhaberin


Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des [X.] gegen den Beschluss des [X.] vom 28. Juli 2020 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

1

Der [X.] führte gegen mehrere Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung - teils auch als Rädelsführer - an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, der [X.]/[X.] ([X.]/[X.]). Auf seinen Antrag ordnete das [X.] mit Beschluss vom 20. Februar 2014 (21 [X.]) das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes bestimmter Beschuldigter und "weiterer unbekannter leitender Mitglieder der [X.]/[X.] in den Gruppenräumen des Gästehauses" eines [X.] in S.     im Zeitraum vom 14. bis 16. März 2014 an. Die Anordnung wurde vom Nachmittag des 14. März bis in den Abend des 16. März 2014 ausgeführt.

2

Der [X.] hat das Arbeiterausbildungszentrum    in S.     mit Schreiben vom 16. Juli 2015 über die Anordnung und Durchführung der Ermittlungsmaßnahme unterrichtet. Der [X.] hat die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der aufgrund des Beschlusses des [X.] vom 20. Februar 2014 durchgeführten Überwachungsmaßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs beantragt. Das [X.], zu dem zwischenzeitlich Anklage erhoben worden war, hat mit der Urteilsverkündung durch gesonderten Beschluss am 28. Juli 2020 festgestellt, dass das Abhören und Aufzeichnen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes sowie die Art und Weise des Vollzugs der Maßnahme rechtmäßig gewesen seien. Dagegen richtet sich die nicht näher begründete sofortige Beschwerde des [X.]n.

II.

3

Die gemäß § 101 Abs. 7 Satz 3, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss ist nicht zu beanstanden.

4

1. Das [X.] war für die Entscheidungen zuständig und hat darüber hinaus ohne Verfahrensfehler über die Anträge entschieden.

5

Es hatte gemäß § 101 Abs. 7 Satz 4 StPO infolge der Anklageerhebung auch über den Antrag des [X.]n auf nachträglichen Rechtsschutz zu befinden, da ansonsten divergierende Entscheidungen zu befürchten wären (vgl. im Einzelnen [X.], Beschluss vom 29. Oktober 2009 - StB 20/09, [X.]R StPO § 101 Abs. 7 Satz 4 Zuständigkeit 2 Rn. 6 ff.; zum [X.] nach Anklageerhebung [X.], Beschluss vom 8. Oktober 2008 - StB 12/08, [X.]St 53, 1 Rn. 14).

6

Der Beschwerdeführer war gemäß § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a und c, Abs. 7 Satz 2 StPO aF (entsprechend § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 Buchst. a und [X.] nF) antragsbefugt, da er Inhaber des überwachten Gästehauses im Sinne des § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 Buchst. [X.] aF war. Der Gesetzgeber hat die Benachrichtigungspflicht und die daran anknüpfende Antragsbefugnis für Inhaber einerseits sowie Bewohner andererseits im [X.] an eine Entscheidung des [X.] ausgestaltet (vgl. BT-Drucks. 16/5846 [X.]; [X.], Urteil vom 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 u.a., [X.]E 109, 279, 363 ff.). Da die Rechte des Inhabers unabhängig von einer Aufzeichnung von dessen Kommunikation durch die regelmäßig heimliche Einbringung der Überwachungstechnik in die Wohnung beeinträchtigt werden (BT-Drucks. 16/5846 [X.]) und zudem Vereine als Träger des Grundrechts aus Art. 13 GG in Betracht kommen (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Januar 1997 - StB 27/96, [X.]St 42, 372, 375 f.), ist eine Betroffenheit des Beschwerdeführers grundsätzlich möglich. Dieser ist als das Bildungszentrum betreibende juristische Person insbesondere mit Blick auf das Ziel eines effektiven Schutzes der in Rede stehenden Grundrechte (s. [X.], Urteil vom 3. März 2004 - 1 BvR 2378/98 u.a., [X.]E 109, 279, 364) als Wohnungsinhaber anzusehen. Das Gästehaus des Bildungszentrums kann dabei wegen des weit auszulegenden Begriffs der Wohnung nach Art. 13 GG eine solche darstellen (vgl. allgemein [X.], Urteil vom 10. August 2005 - 1 [X.], [X.]St 50, 206, 210 f. mwN).

7

Der Antrag war auch ansonsten zulässig, insbesondere form- und fristgerecht im Sinne des § 101 Abs. 7 Satz 2 StPO gestellt.

8

Das [X.] hat die Entscheidung im nachträglichen Rechtsschutzverfahren zulässigerweise im [X.] getroffen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29. Oktober 2009 - StB 20/09, [X.]R StPO § 101 Abs. 7 Satz 4 Zuständigkeit 2 Rn. 11; vom 24. Juni 2009 - 4 [X.], [X.]St 54, 30 Rn. 17).

9

2. Die Anordnung der beanstandeten Maßnahme sowie die Art und Weise ihres Vollzugs waren gemäß §§ 100c, 100d, 101 StPO in der zum Zeitpunkt der Anordnung und der Überwachung geltenden Fassung rechtmäßig. Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss verwiesen, gegen den mit der sofortigen Beschwerde nichts vorgebracht wird.

Ergänzend bemerkt der Senat im Hinblick auf die vorangegangenen Ausführungen des Beschwerdeführers:

Der Anordnung des [X.] ist gemäß § 100c Abs. 1 Nr. 1, § 100d Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO aF zu entnehmen, dass bestimmte Tatsachen den Verdacht begründeten, bei der [X.]/[X.] handele es sich um eine terroristische Vereinigung im Ausland im Sinne des § 129b Abs. 1 Satz 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB. Der Beschluss legt, ausgehend von der Satzung der [X.]/[X.], im Einzelnen deren Zielsetzung, Organisation und Tätigkeiten dar. Für die auf dieser Grundlage vorgenommene rechtliche Bewertung kommt es nicht darauf an, ob bereits entsprechende Urteile [X.] Strafgerichte vorlagen, die [X.]/[X.] auf einer "Anti-Terror-Liste" geführt wurde oder sie einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot unterlag.

Angesichts der vom [X.] dargelegten klandestinen Strukturen ergibt sich, dass nach dem damaligen Ermittlungsstand Maßnahmen in Wohnungen der Beschuldigten allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts führen würden (§ 100c Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO aF) und eine solche auf andere Weise unverhältnismäßig erschwert oder aussichtslos wäre (§ 100c Abs. 1 Nr. 4 StPO). Dies gilt zumal angesichts der zeitlichen Abstände einzelner Zusammenkünfte der Beschuldigten und vor dem Hintergrund, dass die Teilhabe an dem zu erwartenden Führungstreffen als mitgliedschaftlicher Beteiligungsakt selbst eine strafbare Betätigung darstellen kann, deren Umfang und Inhalt anderweitig schwerlich aufzuklären ist.

Eine unverhältnismäßige Einbeziehung unbeteiligter Personen war aufgrund des anordnenden Beschlusses nicht zu befürchten, da sich dieser zwar auf alle (drei) Gruppenräume des Gästehauses bezieht, allerdings nur das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Worts der Beschuldigten sowie weiterer Mitglieder der [X.]/[X.] gestattet. Wie vom [X.] näher dargelegt, war eine weitere örtliche Eingrenzung im [X.] nicht hinreichend sicher möglich.

[X.]                     Anstötz

Meta

StB 30/20

29.10.2020

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 101 Abs 4 S 1 Nr 4 Buchst a StPO vom 21.12.2007, § 101 Abs 4 S 1 Nr 4 Buchst c StPO vom 21.12.2007, § 101 Abs 7 S 2 StPO vom 21.12.2007, § 101 Abs 4 S 1 Nr 5 Buchst a StPO, § 101 Abs 4 S 1 Nr 5 Buchst c StPO, Art 13 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.10.2020, Az. StB 30/20 (REWIS RS 2020, 2121)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2121

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