Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 09.12.2014, Az. 1 ABR 19/13

1. Senat | REWIS RS 2014, 622

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Gegenstand

Betriebsvereinbarung - Betriebsratsbeschluss


Leitsatz

Der wirksame Abschluss einer Betriebsvereinbarung setzt einen darauf bezogenen Betriebsratsbeschluss voraus.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen gegen den Beschluss des [X.] vom 22. Oktober 2012 - 16 [X.] - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. [X.]ie Beteiligten streiten über die Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung.

2

[X.]ie antragstellenden Arbeitgeberinnen betreiben am Standort [X.] ein [X.]istributionscenter zum Vertrieb von Kosmetika und Parfums in der Form eines Gemeinschaftsbetriebs. In diesem ist der zu 3. beteiligte Betriebsrat im Februar 2010 gewählt worden (Betriebsrat). Zuvor war ein von Mitarbeitern der Standorte [X.] und [X.] gewählter Betriebsrat (Betriebsrat [X.]e) für den Gemeinschaftsbetrieb zuständig. [X.]urch Tarifvertrag wurde dessen Übergangsmandat bis zum 28. Februar 2010 verlängert.

3

[X.]er stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrats [X.]e unterzeichnete unter dem 17. Januar 2010 eine für den Standort [X.] bezogene Betriebsvereinbarung über die Überwachung und Aufzeichnung durch optische, akustische und elektronische Geräte ([X.]). [X.]iese konnte erstmals mit einer Frist von drei Monaten zum 1. Oktober 2012 gekündigt werden. Bei einer Kündigung sollte die Betriebsvereinbarung bis zum Abschluss einer neuen Vereinbarung nachwirken (Nr. 7 [X.]).

4

[X.]er Betriebsrat kündigte die [X.] mit Schreiben vom 13. [X.]ezember 2010 fristlos mit sofortiger [X.]irkung, hilfsweise mit gesetzlicher Frist sowie hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.

5

[X.]ie Arbeitgeberinnen haben beantragt

        

festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung über die Überwachung und Aufzeichnung durch optische, akustische und elektronische Geräte im [X.]istribution Center der [X.]e GmbH, Standort [X.], vom 17. Januar 2010 durch die Kündigung des Betriebsrats vom 13. [X.]ezember 2010 nicht vor dem 1. Oktober 2012 aufgelöst worden ist.

6

[X.]er Betriebsrat hat die Abweisung des Antrags beantragt und behauptet, der Betriebsrat [X.]e habe dem Abschluss der [X.] nicht zugestimmt.

7

[X.]as Arbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberinnen entsprochen. [X.]agegen hat der Betriebsrat Beschwerde eingelegt und im [X.]ege des [X.]iderantrags die Feststellung beantragt, dass die Betriebsvereinbarung über die Überwachung und Aufzeichnung durch optische, akustische und elektronische Geräte im [X.]istributionscenter der [X.] GmbH, Standort [X.], vom 17. Januar 2010 keine Rechtswirkungen entfaltet. [X.]ie Arbeitgeberinnen haben die Abweisung des [X.]iderantrags beantragt. [X.]as [X.] hat der Beschwerde des Betriebsrats entsprochen und unter Abweisung des Antrags der Arbeitgeberinnen nach dem [X.]iderantrag erkannt. Mit der vom Senat zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Arbeitgeberinnen ihre zuletzt gestellten Anträge weiter.

8

B. [X.]ie Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen ist unzulässig, soweit sich diese gegen die Abweisung ihres [X.] durch das [X.] wenden. Im zulässigen Umfang ist sie unbegründet.

9

I. Soweit sich die Arbeitgeberinnen gegen die Abweisung ihres [X.] wenden, ist ihre Rechtsbeschwerde unzulässig. [X.]ie Begründung der Rechtsbeschwerde genügt nicht den Anforderungen des § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG. [X.]as [X.] hat den Antrag der Arbeitgeberinnen mit der Begründung abgewiesen, zum Zeitpunkt der Entscheidung des [X.], dem 22. Oktober 2012, habe für den Feststellungsantrag das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gefehlt, weil Gegenstand des Antrags der Bestand der [X.] bis zum Ablauf des 30. September 2012 gewesen sei. Mit dieser Begründung setzt sich die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen nicht auseinander.

II. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen unbegründet. [X.]as [X.] hat dem [X.]iderantrag des Betriebsrats zu Recht entsprochen. [X.]ie [X.] ist unwirksam.

1. [X.]er [X.]iderantrag des Betriebsrats ist zulässig.

a) Mit seinem Antrag begehrt der Betriebsrat die Feststellung, dass die [X.] gegenwärtig im Gemeinschaftsbetrieb nicht kraft Nachwirkung (§ 77 Abs. 6 [X.]) anzuwenden ist. [X.]ie Geltung einer Betriebsvereinbarung kraft Nachwirkung betrifft ein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis, wenn sie die Rechtsbeziehungen der Betriebsparteien in Bezug auf eine dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegende Maßnahme des Arbeitgebers ausgestaltet. [X.]iese Voraussetzungen liegen vor. Bei einem wirksamen Abschluss der [X.] hätte der Betriebsrat sein Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 [X.] in Bezug auf die in der [X.] geregelten Maßnahmen der Arbeitgeberinnen ausgeübt. Hieran wäre er bis zum Abschluss einer anderen, die Nachwirkung beendenden Abmachung gebunden.

b) Für den so verstandenen Antrag besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die [X.] nach deren Kündigung durch den Betriebsrat über den 30. September 2012 im Gemeinschaftsbetrieb weiter anzuwenden ist. An der Klärung dieser Frage hat der Betriebsrat ein rechtliches Interesse. Eine die [X.] ersetzende andere Abmachung, die eine etwaige Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 [X.] beenden würde, haben die Betriebsparteien bislang nicht getroffen.

2. [X.]er [X.]iderantrag des Betriebsrats ist begründet. [X.]ie [X.] ist nicht wirksam zwischen den Arbeitgeberinnen und dem Betriebsrat vereinbart worden. Es fehlt an dem für ihren Abschluss erforderlichen Betriebsratsbeschluss. [X.]ie fehlende normative Geltung der [X.] hindert auch den Eintritt ihrer Nachwirkung.

a) Nach der Konzeption des [X.] handelt der Betriebsrat als Kollegialorgan. Er bildet seinen gemeinsamen [X.]illen durch Beschluss (§ 33 Abs. 1 [X.]). [X.]ieser ist beachtlich, wenn er ordnungsgemäß zustande gekommen ist. [X.]azu muss der Betriebsrat beschlussfähig iSd. § 33 [X.] sein und sich auf einer Betriebsratssitzung aufgrund einer mit den Vorschriften des [X.] in Einklang stehenden Ladung mit dem jeweiligen Sachverhalt befasst und durch Abstimmung eine einheitliche [X.]illensbildung herbeigeführt haben ([X.] 15. April 2014 - 1 [X.] [B] - Rn. 20). Eine nicht von einem Betriebsratsbeschluss umfasste Erklärung seines Vorsitzenden ist unwirksam und entfaltet keine Rechtswirkungen. Nach § 26 Abs. 2 Satz 1 [X.] vertritt der Vorsitzende den Betriebsrat nur im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Allerdings können ohne einen wirksamen Betriebsratsbeschluss abgeschlossene Vereinbarungen vom Betriebsrat durch eine spätere ordnungsgemäße Beschlussfassung nach § 184 Abs. 1 BGB genehmigt werden ([X.] 17. November 2010 - 7 [X.] - Rn. 37).

b) Nach den von den Arbeitgeberinnen nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat bindenden (§ 559 Abs. 1 ZPO) Feststellungen des [X.]s hat der Betriebsrat [X.] vor der Unterzeichnung der [X.] durch seinen stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden keinen entsprechenden Zustimmungsbeschluss gefasst. [X.]eder er noch der antragstellende Betriebsrat als sein Funktionsnachfolger haben eine solche Beschlussfassung nachgeholt und dadurch das Handeln des damaligen stellvertretenden Vorsitzenden genehmigt. [X.]anach fehlt es an dem für einen wirksamen Abschluss der [X.] erforderlichen Betriebsratsbeschluss. [X.]ieser Mangel steht nicht nur ihrer normativen Geltung, sondern auch ihrer Anwendung kraft Nachwirkung entgegen. [X.]ie Rechtswirkungen des § 77 Abs. 6 [X.] setzen die Geltung der beendeten Betriebsvereinbarung voraus.

c) [X.]ie fehlende Beschlussfassung des Betriebsrats [X.] ist nicht deswegen unbeachtlich, weil die Arbeitgeberinnen von einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden ausgehen durften. Es kann dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine widerlegbare Vermutung besteht, wonach die vom Betriebsratsvorsitzenden abgegebenen Erklärungen auf einem entsprechenden Beschluss des Gremiums beruhen (dafür [X.] 19. März 2003 - 7 [X.] - zu II 2 b der Gründe, [X.]E 105, 311; 24. Februar 2000 - 8 [X.] - zu II 3 b der Gründe; 17. Februar 1981 - 1 [X.] - zu II 1 a aa der Gründe, [X.]E 35, 80; demgegenüber zweifelnd [X.] 19. Januar 2005 - 7 [X.] - zu [X.] 3 der Gründe). Nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.]s wäre eine solche Vermutung als widerlegt anzusehen. [X.]er Betriebsrat hat schon keinen Zustimmungsbeschluss gefasst.

        

    Schmidt    

        

    K. Schmidt    

        

    Koch    

        

        

        

    Benrath    

        

    [X.]    

                 

Meta

1 ABR 19/13

09.12.2014

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Darmstadt, 6. Juli 2011, Az: 5 BV 1/11, Beschluss

§ 77 Abs 6 BetrVG, § 26 Abs 2 S 1 BetrVG, § 33 Abs 1 BetrVG, § 256 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 09.12.2014, Az. 1 ABR 19/13 (REWIS RS 2014, 622)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 622

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Referenzen
Wird zitiert von

11 Sa 490/20

10 TaBV 64/17

5 Sa 752/19

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