Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.08.2015, Az. 10 AZB 27/15

10. Senat | REWIS RS 2015, 6605

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Umfang der prozessualen Kostenerstattungspflicht - Klage am Gerichtsstand des Erfüllungsorts - hypothetische Reisekosten der obsiegenden Partei


Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des [X.] vom 27. April 2015 - 1 Ta 88/15 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.066,48 Euro festgesetzt.

Gründe

1

[X.]. Die [X.]en streiten im [X.]ostenfestsetzungsverfahren über die Erstattung von Reisekosten.

2

Die Beklagte vertreibt an ihrem Sitz in [X.] bei [X.]ugsburg [X.]larmanlagen und Videoüberwachungsanlagen an Händler. Sie beschäftigt nach eigenen [X.]ngaben 80, nach [X.]ngaben des [X.] etwa 150 bis 160 Mitarbeiter. In der einzigen weiteren Betriebsstätte der [X.] in [X.] wird ausschließlich Software entwickelt. Dort beschäftigt die Beklagte insgesamt fünf bis sechs [X.]rbeitnehmer, darunter einen Teamleiter sowie - bis zu seinem [X.]usscheiden - den [X.]läger.

3

Die [X.]en stritten zunächst über die Wirksamkeit einer [X.]ündigung des [X.]rbeitsverhältnisses durch die Beklagte und einigten sich im Vergleichswege auf dessen Beendigung. In der Folgezeit klagte der [X.]läger einen Betrag von mehr als 57.000,00 Euro als Differenzvergütung für den Zeitraum Dezember 2009 bis Juni 2011 ein mit der Begründung, die mit ihm getroffene Vergütungsvereinbarung sei wegen Sittenwidrigkeit unwirksam. Dabei stritten die [X.]en unter anderem um die Frage, welchem Wirtschaftszweig das Unternehmen der [X.] zuzurechnen sei und in welche Gehaltsgruppe des betreffenden Rahmentarifvertrags der [X.]läger einzugruppieren wäre.

4

Der [X.]läger erhob seine [X.]lage vor dem [X.]rbeitsgericht [X.]iel, welches drei Termine durchführte. Zu diesen Terminen erschien jeweils der anwaltliche Prozessbevollmächtigte der [X.] als deren einziger Vertreter. Er reiste zu den Terminen vom Sitz seiner [X.]anzlei in [X.]ugsburg an.

5

Das [X.]rbeitsgericht wies die [X.]lage ab und verurteilte den [X.]läger, die [X.]osten des Rechtsstreits zu tragen. Die Berufung des [X.] gegen dieses Urteil wies das [X.] rechtskräftig zurück.

6

Das [X.]rbeitsgericht hat die vom [X.]läger der [X.] zu erstattenden [X.]osten auf 6.024,33 Euro festgesetzt. Davon entfallen 2.066,48 Euro auf hypothetische Reisekosten der [X.] für die drei erstinstanzlichen Gerichtstermine.

7

Gegen die Festsetzung dieser hypothetischen Reisekosten hat sich der [X.]läger mit seiner sofortigen Beschwerde gewandt und geltend gemacht, die Beklagte habe den Rechtsstreit von [X.] aus mit dem dortigen Teamleiter führen können, der auch Vertragsänderungen mitverhandelt und ein Zwischenzeugnis unterzeichnet habe. Im Übrigen bestehe kein [X.]nspruch auf [X.]ostenerstattung für die Terminswahrnehmung, wenn der [X.]rbeitgeber am Gerichtsstand des [X.] verklagt werde.

8

Die Beklagte hat geltend gemacht, sie habe durch keinen der in [X.] beschäftigten Mitarbeiter einen arbeitsgerichtlichen Prozess führen können. Es handele sich um eine Niederlassung ohne eigene Personalverwaltung, in der die Mitarbeiter mit Tätigkeiten aus dem Bereich Technik und EDV beschäftigt würden.

9

Das [X.]rbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Das [X.] hat sie zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der [X.]läger sein Begehren weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde des [X.] ist unbegründet.

Das [X.] hat zu Recht die sofortige Beschwerde des [X.] gegen den [X.]ostenfestsetzungsbeschluss des [X.]rbeitsgerichts zurückgewiesen. Die Beklagte kann vom [X.]läger Erstattung ihrer hypothetischen Reisekosten von [X.] nach [X.]iel für die drei erstinstanzlichen Termine vor dem [X.]rbeitsgericht verlangen.

I. Die Beklagte hat gegen den [X.]läger gemäß § 91 [X.]bs. 1 ZPO [X.]nspruch auf Erstattung der erstinstanzlichen [X.]nwaltskosten in Höhe ihrer ersparten Reisekosten.

1. Reisekosten sind notwendige [X.]osten iSv. § 91 [X.]bs. 1 ZPO, wenn eine [X.] in der konkreten Lage die die [X.]osten verursachende Reise vernünftigerweise als sachdienlich ansehen darf (vgl. B[X.]G 21. Januar 2004 - 5 [X.]ZB 43/03 - zu II 1 der Gründe). Dabei ist jede Prozesspartei verpflichtet, die [X.]osten ihrer Prozessführung, die sie im Falle eines Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt. Diese Verpflichtung beherrscht als [X.]usdruck von Treu und Glauben das gesamte [X.]ostenrecht (vgl. B[X.]G 14. November 2007 - 3 [X.]ZB 36/07 - Rn. 11; [X.] 2. Mai 2007 - XII ZB 156/06 - Rn. 12 f.).

2. Erscheint die [X.] nicht selbst, sondern entsendet sie einen Prozessbevollmächtigten, sind die durch diesen entstehenden [X.]osten im Rahmen hypothetisch berechneter Reisekosten, die der [X.] sonst entstanden wären, grundsätzlich erstattungsfähig (vgl. GMP/Germelmann 8. [X.]ufl. § 12a Rn. 22; G[X.]-[X.]rbGG/Schleusener Stand Juni 2015 2013 § 12a Rn. 46; [X.]/[X.]/[X.] [X.]rbGG 4. [X.]ufl. § 12a Rn. 25). Zwar sind nach § 12a [X.]bs. 1 Satz 1 [X.]rbGG die [X.]osten für die Beiziehung eines Prozessbevollmächtigten erstinstanzlich nicht erstattungsfähig. Durch diese Regelung soll das [X.]ostenrisiko der [X.] begrenzt werden. Sie soll aber nicht dadurch begünstigt werden, dass die erstattungsberechtigte Gegenpartei nicht selbst erscheint, sondern einen Prozessbevollmächtigten entsendet. Das folgt aus dem vom Gesetz verfolgten Zweck, die durch einen Prozessbevollmächtigten eintretende Verteuerung des Prozesses zu verhindern, nicht jedoch [X.]ostenerstattungsansprüche schlechthin auszuschließen (vgl. [X.] [X.]rbeitsgerichtsverfahren 7. [X.]ufl. § 49 Rn. 12). [X.]lle außergerichtlichen [X.]osten der [X.], die nicht in § 12a [X.]bs. 1 Satz 1 [X.]rbGG genannt sind, bleiben erstattungsfähig (vgl. [X.]/[X.]/[X.] [X.]rbGG § 12a Rn. 19).

3. ([X.]) Reisekosten der [X.] vom Sitz des Unternehmens zum Gerichtsort können auch dann notwendig im Sinne von § 91 [X.]bs. 1 ZPO sein, wenn der Rechtsstreit am Erfüllungsort des [X.]rbeitsverhältnisses geführt wird.

a) Die prozessuale Möglichkeit, [X.]lagen gemäß § 29 [X.]bs. 1 ZPO am Erfüllungsort oder in arbeitsrechtlichen Verfahren am gewöhnlichen [X.]rbeitsort gemäß § 48 [X.]bs. 1a [X.]rbGG erheben zu können, besagt noch nichts über den Umfang der [X.]ostentragungspflicht nach § 91 [X.]bs. 1 ZPO. Die gesetzlichen Gerichtsstandsregelungen haben keinen kostenrechtlichen Bezug. [X.]uch aus § 12a [X.]bs. 1 Satz 1 [X.]rbGG, der diesen kostenrechtlichen Bezug hat, folgt für die vorliegende [X.]onstellation keine Besonderheit. Diese Norm schließt im ersten Rechtszug nur einen Entschädigungsanspruch der obsiegenden [X.] wegen [X.] und auf Erstattung der [X.]osten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten aus. ([X.]) Reisekosten der obsiegenden [X.] werden von dieser Regelung nicht berührt. Insoweit bleibt es bei dem oben geschilderten Grundsatz eines [X.]ostenerstattungsanspruchs der obsiegenden [X.] in Verbindung mit dem Erfordernis eines möglichst kostenschonenden Vorgehens.

b) Danach wird die Notwendigkeit von Reisekosten der [X.] zum Gerichtsstand des [X.] häufig ausgeschlossen sein. Dies ist aber nicht zwingend der Fall. Für die Frage der Notwendigkeit der Reisekosten im Sinne von § 91 [X.]bs. 1 ZPO kommt es darauf an, ob eine ordnungsgemäße Prozessführung durch Mitarbeiter der [X.] am Ort des Prozessgerichts möglich wäre (vgl. [X.]/[X.] ZPO 30. [X.]ufl. § 91 Rn. 13 [X.]rbeitsgerichtsverfahren; Erf[X.]/[X.] 15. [X.]ufl. § 12a [X.]rbGG Rn. 4). Dabei ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen (vgl. B[X.]G 21. Januar 2004 - 5 [X.]ZB 43/03 - zu II 1 der Gründe).

4. Die (hypothetischen) Reisekosten der [X.] von [X.] nach [X.]iel waren im vorliegenden Fall notwendig. Ihr war es nicht möglich, den Rechtsstreit durch einen ihrer Mitarbeiter aus der Betriebsstätte [X.] zu führen. Dort werden nur wenige [X.]rbeitnehmer und diese ausschließlich im technischen Bereich beschäftigt. [X.]uch der dort beschäftigte Teamleiter kam nicht als [X.] der [X.] in Betracht. Nach den Feststellungen des [X.]s im angegriffenen Beschluss war dieser angesichts der im Rechtsstreit inhaltlich zu behandelnden Rechtsfragen und dessen Bedeutung nicht ausreichend kompetent, diesen zu führen. Das [X.] hat seine Feststellung, auch unter angemessener Berücksichtigung der Vorgesetztenstellung des [X.], näher begründet. Ein Rechtsfehler ist dabei nicht zu erkennen. Der [X.]läger hat insoweit auch keine konkrete Verfahrensrüge erhoben, sondern nur seine [X.]nsicht gegen die des [X.]s gesetzt.

II. Die Höhe der hypothetischen Reisekosten der [X.] für die Wahrnehmung der drei Termine vor dem [X.]rbeitsgericht von 2.066,48 Euro ist zwischen den [X.]en unstreitig.

III. Der [X.]läger hat gemäß § 97 [X.]bs. 1 ZPO die [X.]osten der Rechtsbeschwerde zu tragen. Die [X.] beruht auf § 63 [X.]bs. 2 G[X.]G.

        

    Linck    

        

    Brune    

        

    Schlünder    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

10 AZB 27/15

17.08.2015

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Kiel, 27. Januar 2015, Az: 2 Ca 2116 d/11, Beschluss

§ 91 Abs 1 ZPO, § 12a Abs 1 S 1 ArbGG, § 48 Abs 1a ArbGG, § 29 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.08.2015, Az. 10 AZB 27/15 (REWIS RS 2015, 6605)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 3053 REWIS RS 2015, 6605

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 Ta 193/17 (Landesarbeitsgericht Köln)


9 AZB 41/20 (Bundesarbeitsgericht)

Vertretung durch den Arbeitgeberverband - Erstattungsfähigkeit der Kosten


10 AZB 93/14 (Bundesarbeitsgericht)

Beschwerdeverfahren - Kostenerstattung


10 AZB 43/15 (Bundesarbeitsgericht)

Kostenfestsetzung - zweckentsprechende Rechtsverfolgung


10 AZB 2/13 (Bundesarbeitsgericht)

Terminsgebühr bei Besprechung mit Dritten ohne Beteiligung des Gegners - fehlende Bereitschaft zum Eintritt in …


Referenzen
Wird zitiert von

4 Ta 125/20

2 Ca 58/18

13 Ta 456/18

4 Ta 193/17

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.