Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.06.2011, Az. B 4 AS 32/11 B

4. Senat | REWIS RS 2011, 5612

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Gegenstand

(Zurückverweisung nach § 160a Abs 5 SGG - Verfahrensfehler - Prozess- statt Sachurteil - Zulässigkeit der Berufung - Nichtversäumung der Berufungsfrist - unrichtige Rechtsmittelbelehrung - Jahresfrist - Überschreitung der Berufungssumme - geltend gemachter Gesamtbedarf an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB 2)


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des [X.] vom 19. Januar 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] für die [X.] vom [X.] bis 31.7.2006.

2

Die Beklagte bewilligte der Klägerin auf ihren Antrag vom 12.9.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem [X.] unter Berücksichtigung von Einkommen aus [X.] und Erwerbstätigkeit sowie eines von der Beklagten angenommenen (tlw) Verzichts der Klägerin auf [X.]-Leistungen nur iHv 12,30 [X.] (12/2005), 73,80 [X.] (1/2006) und 20,32 [X.] (2/2006) und lehnte weitere Leistungen ab (Bescheid vom 15.5.2006; Widerspruchsbescheid vom 11.8.2006; Teilabhilfebescheid vom 2.3.2007). Die Beigeladene - als für die Kosten der Unterkunft und Heizung zuständige Trägerin - hat der Klägerin für die [X.] vom 27.12. bis 31.12.2005 iHv 43,42 [X.], für Januar 2006 iHv 264,50 [X.] und für den [X.]raum vom 1.4. bis 16.4.2006 iHv 92,80 [X.] bewilligt und Leistungen ab 16.4.2006 wegen eines von ihr angenommenen Verzichts der Klägerin auf Leistungen abgelehnt (Bescheide vom 19.7.2007).

3

Auf den Antrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem [X.], die Beklagte unter Änderung der Bewilligungsbescheide zu verpflichten, ihr für den [X.]raum vom [X.] bis 31.7.2006 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren und die Beigeladene zu verpflichten, für den [X.]raum vom [X.] bis 31.7.2006 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Ansatz der tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten zu erbringen, hat das [X.] die Beklagte unter Änderung der Bescheide verurteilt, der Klägerin für den Monat Oktober 2005 [X.] II in Höhe von 345 [X.] zu zahlen. Die Beigeladene wurde verurteilt, der Klägerin für den [X.]raum vom 12.9. bis 30.9.2005 Leistungen für Unterkunft und Heizung iHv 185 [X.] und für den Monat Oktober 2007 (gemeint: Oktober 2005) iHv 318,78 [X.] zu zahlen. Im Übrigen hat das [X.] die Klage abgewiesen (Urteil vom 16.6.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das [X.] ausgeführt, soweit die Klägerin Leistungen für die [X.] vom 12.9. bis 27.12.2005 und 16.4. bis 31.7.2006 begehre, sei dieser Anspruch nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil sie für diesen [X.]raum einen Verzicht erklärt bzw den Antrag zeitlich eingeschränkt habe. Die Beigeladene habe aber für den [X.]raum vom 27.12.2005 bis 31.7.2006 bindend entschieden. Im Übrigen ergebe sich die Höhe der (nur) zugesprochenen Beträge unter Berücksichtigung ihres Einkommens aus [X.], Erwerbseinkommen in schwankender Höhe, des [X.] und der Zuwendungen von privater Seite.

4

Gegen das ihr am 13.11.2009 zugestellte Urteil des [X.] hat die Beschwerdeführerin am 15.11.2010, einem Montag, Berufung eingelegt. Das L[X.] hat die Berufung der Klägerin als unzulässig mit der Begründung verworfen, dass die Klägerin diese nicht fristgerecht eingelegt habe (Beschluss vom 19.1.2011 - L 6 AS 591/10).

5

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 66 Abs 1 [X.]G und § 66 Abs 2 [X.]G. Über die Frist zur Einlegung der Berufung sei sie nicht belehrt worden. Die Rechtsmittelbelehrung des [X.]-Urteils mit dem Inhalt "Dieses Urteil kann nicht mit der Berufung angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist …" enthalte Ausführungen nur zur Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung. Maßgeblich sei daher die Frist von einem Jahr, die mit der am 15.11.2010 eingelegten Berufung gewahrt sei.

6

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.

7

Die Klägerin hat den als Zulassungsgrund geltend gemachten Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) formgerecht (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) gerügt, indem sie ausgeführt hat, das L[X.] habe die Berufung zu Unrecht wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen, also statt eines [X.] ein Prozessurteil erlassen.

8

Der geltend gemachte wesentliche Verfahrensmangel liegt auch vor, weil das L[X.] zu Unrecht im Wege eines Prozessurteils anstelle eines möglichen [X.] entschieden hat (B[X.] Urteil vom [X.] - B 11 AL 23/02 R). Die Berufung der Klägerin war zulässig. Nach § 151 Abs 1 [X.]G ist die Berufung bei dem L[X.] innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist läuft nicht, wenn der Beteiligte keine oder nur eine unvollständige oder unrichtige Rechtsmittelbelehrung erhalten hat; es gilt dann für die Einlegung der Berufung grundsätzlich die Jahresfrist des § 66 Abs 2 [X.]G ([X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 151 RdNr 8). So liegt der Fall hier.

9

Die Rechtsmittelbelehrung des [X.] war unrichtig, weil die Klägerin - nach ihrem erstinstanzlichen Begehren - die Berufungssumme des § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G iHv 750 [X.] überschritten hat. Für die Frage, ob die Berufung ohne Zulassung statthaft ist oder nicht, kommt es nach § 144 Abs 1 [X.]G auf den Wert des [X.] an, der danach zu bestimmen ist, was das [X.] dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was von diesem mit seinen Berufungsanträgen weiter verfolgt wird ([X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 144 Rd[X.]4). Mit ihrer Berufung hat die Klägerin ihr Begehren gegenüber dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag nicht weiter eingeschränkt. Bei der Bestimmung der von ihr mit der Berufung begehrten Leistungen ist daher ihr Schriftsatz gegenüber dem [X.] vom 13.1.2009 heranzuziehen, in dem sie den von ihr angenommenen ([X.] dem aus ihrer rechtlichen Sicht (nur) anrechenbarem [X.]-Einkommen gegenübergestellt hat. Auch ohne Berücksichtigung des hiervon abzusetzenden Grundfreibetrags sowie des [X.] ergibt sich - unter Beachtung der vom [X.] zugesprochenen Summe - ein 750 [X.] übersteigender Betrag. Hierbei ist - unabhängig davon, dass zwei Leistungsträger im Verfahren beteiligt sind - der Gesamtanspruch maßgebend.

Ausgehend von einer am 13.11.2009 erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Urteils vom 16.6.2009 war die einjährige Berufungsfrist des § 66 Abs 2 [X.]G mit dem Eingang der Berufung der Klägerin am 15.11.2010, einem Montag, erfüllt. Damit hätte das L[X.] über die Berufung der Klägerin in der Sache entscheiden müssen.

Auf der Grundlage von § 160a Abs 5 [X.]G macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückzuverweisen. Die Entscheidung über die Kosten unter Einbeziehung der Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des L[X.] vorbehalten.

Meta

B 4 AS 32/11 B

21.06.2011

Bundessozialgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Koblenz, 16. Juni 2009, Az: S 13 AS 488/06, Urteil

§ 160a Abs 5 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 151 Abs 1 SGG, § 66 Abs 1 SGG, § 66 Abs 2 SGG, § 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG, § 19 SGB 2, §§ 19ff SGB 2

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 21.06.2011, Az. B 4 AS 32/11 B (REWIS RS 2011, 5612)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5612

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