Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.05.2020, Az. XII ZB 226/18

12. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 701

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Betreuervergütung: Wohngemeinschaft mit ambulanter Pflege als Heim; selbstverantwortete Wohngemeinschaft als Heim


Leitsatz

1. Lebt der Betroffene aufgrund Mietvertrags in einer Wohngemeinschaft und bezieht von einem gesonderten Anbieter ambulante Pflegeleistungen, so hält er sich damit grundsätzlich noch nicht in einem Heim gemäß § 5 Abs. 3 VBVG a.F. auf (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 28. November 2018 - XII ZB 517/17, FamRZ 2019, 477).

2. Danach führt es auch nicht zur Einstufung als Heim im Sinne des § 5 Abs. 3 VBVG a.F., wenn der Betroffene als Mitglied einer selbstverantworteten Wohngemeinschaft Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist, deren Zweck in der Aufnahme einer Wohngemeinschaft für Senioren unter Sicherstellung der altersgerechten Betreuung ihrer Gesellschafter besteht, und die Gesellschaft entsprechend Wohnraum zur Überlassung an die Gesellschafter anmietet, während die Gesellschafter ambulante Pflegeleistungen individuell mit einem gesonderten Anbieter vereinbaren.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 20. April 2018 aufgehoben.

Die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss des [X.] vom 27. November 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeverfahren sind gerichtskostenfrei; die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeverfahren trägt der weitere Beteiligte zu 3.

Wert: 1.188 €

Gründe

I.

1

Der Beteiligte zu 2 wehrt sich gegen eine Herabsetzung seiner Vergütungsansprüche.

2

Die Beteiligte zu 1, eine Mitarbeiterin des Beteiligten zu 2, ist seit 2011 als [X.] für die mittellose Betroffene bestellt, die an einer demenziellen Erkrankung leidet. Seit 2014 ist die Betroffene Gesellschafterin einer in Form einer [X.] organisierten selbstverantworteten Wohngemeinschaft, wobei der Gesellschaftszweck in der Aufnahme einer Wohngemeinschaft für Senioren unter Sicherstellung der altersgerechten Betreuung ihrer Gesellschafter besteht. Die Betroffene lebt seitdem in Räumlichkeiten, die die Gesellschaft zu diesem Zweck angemietet hat. Von einem gesonderten Anbieter bezieht sie ambulante Pflegeleistungen zur unmittelbaren Alltagsassistenz.

3

Bei der Berechnung des Zeitaufwands des Betreuers ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die mittellose Betroffene nicht in einem Heim lebt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 [X.] in der bis zum 26. Juli 2019 geltenden Fassung - im Folgenden: aF). Es hat die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung des Beteiligten zu 2 antragsgemäß für den Zeitraum vom 24. März 2016 bis 23. September 2016 auf 924 € festgesetzt und für den Zeitraum vom 24. September 2016 bis 23. September 2017 auf 1.848 €. Auf die hiergegen gerichtete zugelassene Beschwerde des Beteiligten zu 3 hat das [X.] die Vergütung für die genannten Zeiträume auf 528 € beziehungsweise 1.056 € herabgesetzt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Beteiligte zu 2 die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Wiederherstellung der Entscheidung des Amtsgerichts.

5

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, für die Bemessung der Vergütung sei die Wohnform der Betroffenen als Heim im Sinne des § 5 [X.] aF zu qualifizieren. Zwar seien der Vermieter und der Erbringer der Betreuungsleistungen hier verschiedene Personen. Es komme aber wesentlich darauf an, ob sich der Arbeitsaufwand des Betreuers bei abstrakter Betrachtung durch die Unterbringungsform reduziere. Vorliegend würden die tatsächlich vom Betreuer noch zu erbringenden Leistungen durch die im Betreuungsvertrag vereinbarte vollumfängliche Alltagsassistenz und Pflegeleistungen erheblich reduziert. Aufgrund der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags sei die Einrichtung auch in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig. Die Einstufung der Einrichtung als selbstverantwortete Wohngemeinschaft im Sinne des § 25 des Wohn- und Teilhabegesetzes Nordrhein-Westfalen ([X.]) führe schon angesichts der unterschiedlichen [X.] nicht zu einer anderen Bewertung. Vielmehr sei nach Art. 31 GG eine abweichende vergütungsrechtliche Betrachtung geboten.

6

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

Die dem Beteiligten zu 2 für die [X.] nach §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB in Verbindung mit §§ 1 Abs. 2 Satz 1, 7 Abs. 1 [X.] zustehende Vergütung ist aufgrund des Stundenansatzes gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 [X.] aF zu bemessen. Denn entgegen der Auffassung des [X.] hat die Betroffene ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Heim.

8

a) § 5 [X.] aF unterscheidet für den pauschal zu vergütenden Zeitaufwand eines Betreuers danach, ob der Betreute seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat oder nicht. Der danach maßgebende Begriff des Heims wird - in Anlehnung an § 1 Abs. 2 [X.] - in § 5 Abs. 3 [X.] aF dahingehend definiert, dass Heime im Sinne des Vergütungsrechts Einrichtungen sind, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen, sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind. Die Regelung beruht auf dem [X.] zur Änderung des Betreuungsrechts vom 21. April 2005 ([X.]. I 1073). Ziel dieses Gesetzes, das auf Vorschläge einer [X.] „Betreuungsrecht“ zurückgeht, ist es u.a., mit der Einführung von pauschalierenden [X.] die Abrechnung der Betreuervergütung zu vereinfachen. Praktisch sinnvoll erscheint danach ein striktes, an griffige und leicht feststellbare Kriterien gebundenes Verständnis des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs. Im Einzelfall dennoch bestehenden Schwierigkeiten ist durch eine teleologische Auslegung zu begegnen. Denn dem Gesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zuhause oder in einem Heim lebt ([X.]sbeschlüsse vom 28. November 2018 - [X.] 517/17 - FamRZ 2019, 477 Rn. 8 f. und vom 23. Januar 2008 - [X.] 176/07 - FamRZ 2008, 778 Rn. 14 ff.).

9

Dementsprechend hat der [X.] nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entschieden, dass die Voraussetzungen des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs nur dann erfüllt sind, wenn Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung sozusagen „aus einer Hand“ zur Verfügung gestellt oder bereitgestellt werden. Eine Wohnung wird danach nicht schon dadurch zum Heim, dass der Vermieter dem Mieter anbietet, ihm bei Erforderlichkeit Verpflegung und tatsächliche Betreuung durch einen Drittanbieter zu vermitteln, solange der Mieter nicht vertraglich gebunden ist, dieses Angebot im Bedarfsfall anzunehmen ([X.]sbeschluss vom 28. November 2018 - [X.] 517/17 - FamRZ 2019, 477 Rn. 11).

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall zu Unrecht zu der Einschätzung gelangt, dass die Betroffene in einem Heim gemäß § 5 Abs. 3 [X.] aF lebe.

aa) Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung werden vorliegend nicht „aus einer Hand“ erbracht. Vermieter und Pflegedienst sind weder identisch noch personell oder rechtlich verbunden. Zwischen dem Vermieter und der [X.] als Mieterin des der Betroffenen als Gesellschafterin zur Verfügung gestellten Wohnraums bestehen nach den Feststellungen des [X.] keine über den üblichen Inhalt eines [X.] hinausgehenden vertraglichen Verbindungen. Den [X.] hat die durch ihre Betreuerin vertretene Betroffene anderweitig mit einem Pflegedienst individuell abgeschlossen. Dass über die Auswahl des [X.] nach dem Gesellschaftsvertrag die Gesellschafterversammlung mit 3/4 Mehrheit entscheidet, vermag nichts an der rechtlichen Selbständigkeit des Mietvertrags und der individuell geschlossenen Pflegedienstverträge zu ändern.

Dass die Betroffene Gesellschafterin einer [X.] ist, deren Zweck nach dem Gesellschaftsvertrag in der Aufnahme einer Wohngemeinschaft für Senioren unter Sicherstellung der altersgerechten Betreuung ihrer Gesellschafter besteht, vermag keine andere Bewertung zu rechtfertigen. Nach dem Gesellschaftsvertrag soll der Zweck dadurch erreicht werden, dass die [X.] anmietet und die Betreuung der Gesellschafter durch einen ambulanten Pflege- und Betreuungsdienstleister rund um die Uhr organisiert und sicherstellt. Da indessen der von der [X.] und die von den einzelnen Gesellschaftern individuell geschlossenen Pflegedienstverträge rechtlich selbständig sind, fehlt es an der für den vergütungsrechtlichen Heimbegriff erforderlichen Bereitstellung von Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung sozusagen „aus einer Hand“.

bb) Auch der Zweck der §§ 5 Abs. 3 und 2 Satz 2 [X.] aF, durch den geringeren Stundenansatz einer Entlastung des Betreuers Rechnung zu tragen, führt zu keiner anderen Bewertung. Die Wohnungsgewährung und die tatsächlichen Pflege- und Betreuungsleistungen werden rechtlich und organisatorisch selbständig erbracht. Dadurch werden dem Betreuer die ihm diesbezüglich obliegenden Aufgaben der [X.] nicht abgenommen. Auch die Auswahl des [X.] bleibt Aufgabe des Betreuers. Hinzu kommt die Überwachung des Gesellschaftsvertrags. Dass der [X.] mit ihrem ambulanten Pflegedienst nach seinem Leistungsinhalt zu einer vollumfänglichen Alltagsassistenz ausgestaltet ist, verringert entgegen der Auffassung des [X.] allenfalls den diesbezüglichen organisatorischen Aufwand des Betreuers, nicht aber den Überwachungsaufwand. Anders als bei einer stationären Heimunterbringung steht dem Betreuer dabei auch nicht eine der Heimaufsicht vergleichbare Unterstützung zur Verfügung.

cc) Diesem Ergebnis widerspricht es nicht, dass ambulante Wohnformen zunehmend in die landesrechtlichen [X.] zur Heimpflege einbezogen werden ([X.]sbeschluss vom 28. November 2018 - [X.] 517/17 - FamRZ 2019, 477 Rn. 14 mwN). Denn die Wohngemeinschaft der Betroffenen wird durch den zuständigen Kreis als selbstverantwortete Wohngemeinschaft im Sinne des § 24 Abs. 2 [X.] eingestuft, was nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die Aufgaben des Betreuers hat. [X.] Wohngemeinschaften unterliegen gemäß § 25 [X.] geringeren Anforderungen, indem bewusst „eigenständige, gegenüber den Vorschriften für Einrichtungen mit umfassendem Leistungsangebot abgestufte Anforderungen“ aufgestellt und diese ordnungsrechtlich nicht anders behandelt werden, „als bei Nutzerinnen und Nutzern, die in der eigenen Häuslichkeit leben und betreut werden“ ([X.] LT-Drucks. 16/3388 vom 26. Juni 2013 S. 5 und 104). Auch dies spricht gegen eine Entlastung des Betreuers hinsichtlich seiner Überwachungsaufgaben. Zudem hat der Betreuer die sich aus §§ 24 Abs. 2, 29 [X.] ergebenden Rechte der Betroffenen wahrzunehmen. Art. 31 GG verbietet entgegen der Auffassung des [X.] auch nicht, diese landesrechtlich geregelten Besonderheiten der von der Betroffenen gewählten Wohnform im Rahmen der Beurteilung des insoweit entstehenden Betreuungsaufwands zu berücksichtigen. Denn Art. 31 GG betrifft lediglich Konstellationen, in denen Regelungen des Bundes- und Landesrechts auf denselben Sachverhalt anwendbar sind und bei ihrer Anwendung zu verschiedenen Ergebnissen führen ([X.] 121, 317 = NJW 2008, 2409 Rn. 99).

dd) Der Betreuer wird danach durch die vorliegend gewählte Wohn- und Betreuungsform nicht in einer mit einer stationären Heimunterbringung vergleichbaren Weise entlastet. Ob mit der gewählten Form der Unterbringung und Pflege gleichwohl einzelne Entlastungen, insbesondere hinsichtlich der Organisation, verbunden sein mögen, kann wegen der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise dahinstehen.

c) Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).

Dose     

      

[X.]     

      

Günter

      

Botur     

      

Krüger     

      

Meta

XII ZB 226/18

20.05.2020

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Mönchengladbach, 20. April 2018, Az: 5 T 2/18

§ 5 Abs 2 S 2 Nr 4 VBVG, § 5 Abs 3 VBVG vom 21.04.2005, § 25 WTG NW

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.05.2020, Az. XII ZB 226/18 (REWIS RS 2020, 701)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 1020-1021 REWIS RS 2020, 701

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZB 517/17 (Bundesgerichtshof)

Vergütung des Berufsbetreuers: Einstufung als Heim bei Unterbringung in einer Wohngemeinschaft und Bezug ambulanter Pflegeleistungen …


XII ZB 436/19 (Bundesgerichtshof)

Vergütung des Berufsbetreuers: Vorliegen eines Heimaufenthalts des Betreuten


XII ZB 46/21 (Bundesgerichtshof)

Vergütung des Berufsbetreuers: Gewöhnlicher Aufenthalt des Betroffenen in einer stationären Einrichtungen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform


XII ZB 582/20 (Bundesgerichtshof)

Vergütung des Berufsbetreuers: Aufenthalt des Betreuten in einer stationären Einrichtungen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform


XII ZB 580/20 (Bundesgerichtshof)

Vergütung des Berufsbetreuers: Aufenthalt der Betreuten in einer einer stationären Einrichtung gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform


Referenzen
Wird zitiert von

XII ZB 436/19

Zitiert

XII ZB 517/17

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.