Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.06.2020, Az. 1 BvR 2843/18

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2020, 2923

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Grenzen zulässiger Beweisantizipation im PKH-Verfahren hängen ua von einfachrechtlicher Möglichkeit einer Beweisaufnahme ab - Überspannung der Anforderungen an Erfolgsaussichten eines Überprüfungsantrags gem § 44 SGB X (juris: SGB 10) nicht substantiiert dargelegt - Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Begründung unzulässig


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe und der Beiordnung eines Rechtsanwalts für ein Berufungsverfahren vor dem [X.] [X.].

2

1. [X.] der zwischenzeitlich verstorbene Vater der Beschwerdeführer, wurde am 9. Februar 1994 bei einem Autounfall in [X.] schwer verletzt. Ein Antrag, diesen Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen, weil [X.] sich als Angestellter seines Bruders [X.] zusammen mit diesem auf Geschäftsreise befunden habe, wurde vom zuständigen Träger der Unfallversicherung abgelehnt. Einer hiergegen erhobenen Klage gab das [X.] statt. Auf eine Berufung des Trägers der Unfallversicherung hob das [X.] [X.] dieses Urteil auf und wies die Klage ab, weil das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nicht nachgewiesen werden könne. Die von [X.] erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision blieb erfolglos.

3

2. In der Folge beantragte [X.] erneut, den Unfall vom 9. Februar 1994 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Träger der Unfallversicherung legte diesen Antrag als Überprüfungsantrag nach § 44 [X.] aus und wies ihn zurück. Widerspruch und Klage vor dem [X.] blieben erfolglos. Nachdem [X.] während des Berufungsverfahrens vor dem [X.] [X.] verstorben war, führten die Beschwerdeführer als seine Erben das Verfahren fort und beantragten die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung eines Rechtsanwalts. Zur Begründung führten sie aus, dass in dem ursprünglichen Verfahren der Fahrer des [X.] nicht als Zeuge vernommen worden sei. Vielmehr hätten nur zwei von ihm verfasste schriftliche Erklärungen vorgelegen. Auch ein weiterer Insasse des [X.] sei noch nicht als Zeuge vernommen worden. Diese beiden Zeugen könnten bestätigen, dass [X.] sich zum Zeitpunkt des Unfalls als Angestellter seines Bruders [X.] zusammen mit diesem auf Geschäftsreise befunden habe. Auch könnten durch eine Vernehmung dieser Zeugen die vom [X.] [X.] in der früheren Berufungsentscheidung angeführten Widersprüche in den Angaben von [X.] und seinem Bruder [X.] ausgeräumt werden.

4

3. Mit Beschluss vom 8. August 2018 lehnte das [X.] [X.] den Antrag der Beschwerdeführer auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts ab. Zur Begründung führte es aus, dass angesichts der bereits vorliegenden schriftlichen Erklärungen des Fahrers des [X.], der Zeugenaussage von [X.] sowie der bereits in früheren Entscheidungen dargelegten Widersprüche in den Angaben von [X.] sowie den weiteren Unfallbeteiligten kein hinreichend konkreter Anhaltspunkt für eine von den früheren Entscheidungen abweichende Beurteilung bestünde. Die Berufung habe deshalb keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

5

Eine von den Beschwerdeführern erhobene Anhörungsrüge blieb ebenso wie eine gleichzeitig erhobene Gegenvorstellung erfolglos.

6

4. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 103, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 sowie Art. 3 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaats- und dem Sozialstaatsprinzip. Eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren sei nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Sofern eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht komme und keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass diese Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Beschwerdeführer ausgehen werde, müsse Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Vorliegend sei zur Begründung der eingelegten Berufung der behauptete Sachverhalt umfassend vorgetragen und durch die Benennung des Fahrers des [X.] sowie eines weiteren Insassen dieses Fahrzeugs als Zeugen entsprechender Beweis angeboten worden. Da diese beiden Zeugen bislang noch nicht vernommen worden seien, seien die vorhandenen Beweise noch nicht vollständig und abschließend erhoben worden. Es liege daher eine unzulässige Beweisantizipation sowie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.

7

Die Verfassungsbeschwerde ist mangels Vorliegen der Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da die Beschwerdeführer sie nicht in einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] entsprechenden Weise begründet haben.

8

1. Eine hinreichende Begründung der Verfassungsbeschwerde setzt zunächst voraus, dass der die mögliche Rechtsverletzung enthaltende Vorgang substantiiert und schlüssig vorgetragen wird (vgl. [X.] 81, 208 <214>; 89, 155 <171>; 99, 84 <87>; 108, 370 <386 f.>; 113, 29 <44>). Hierzu gehört auch, dass vorangegangene Entscheidungen, gerichtliche Hinweise oder sonstige Unterlagen, auf die die angegriffene Entscheidung Bezug nimmt, vorgelegt oder ihrem Inhalt nach wiedergegeben werden, sofern der entsprechende Inhalt zur Prüfung einer Grundrechtsverletzung des Beschwerdeführers erforderlich ist ([X.]K 13, 557 <559>; [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 20. März 2013 - 2 BvR 67/11 -, Rn. 14; Beschluss der [X.] des [X.] vom 24. Mai 2019 - 1 BvR 673/19 -, Rn. 2).

9

Vorliegend nimmt das [X.] [X.] in dem angegriffenen Beschluss von 8. August 2018 zur Begründung seiner Annahme, dass sich aus dem Berufungsvorbringen kein hinreichender Anhaltspunkt für eine von den bereits vorliegenden Entscheidungen abweichende Beurteilung ergebe, unter anderem Bezug auf die Erklärung des Fahrers des [X.] vom 23. November 2007. Die Beschwerdeführer legen aber weder diese Erklärung vor noch teilen sie deren Inhalt mit. Da diese Erklärung angesichts der ausdrücklichen Bezugnahme hierauf zum Verständnis des angegriffenen Beschlusses vom 8. August 2018 erforderlich ist, liegt insoweit ein Begründungsmangel vor.

2. Ferner erfordert die Begründung der Verfassungsbeschwerde nach §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 [X.], dass die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung mittels einer substantiierten Auseinandersetzung mit dem zu Grunde liegenden einfachen Recht und der verfassungsrechtlichen Beurteilung des entsprechenden Sachverhalts aufgezeigt wird ([X.]K 20, 327 <329>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 4. Mai 2011 - 1 BvR 1502/08 -, Rn. 19). Auch diesem Erfordernis trägt die Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht in ausreichendem Maße Rechnung.

Die Beschwerdeführer führen zwar zutreffend aus, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von Verfassungs wegen unter anderem dann nicht versagt werden darf, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten, nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 11. März 2020 - 1 BvR 2434/19 -, Rn. 7 m.w.N.; umfassend zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 28. Oktober 2019 - 2 BvR 1813/18 -, Rn. 23 ff. m.w.N.).

Hingegen setzen sich die Beschwerdeführer nicht hinreichend mit der einfachrechtlichen Ausgangslage, auf deren Grundlage sowohl die Möglichkeit einer Beweisaufnahme als auch die Wahrscheinlichkeit ihres für die Beschwerdeführer ungünstigen Ausgangs zu beurteilen ist, auseinander. Denn Gegenstand des Verfahrens ist nicht die erstmalige Geltendmachung eines Anspruchs, sondern ein Antrag auf Überprüfung und gegebenenfalls Abänderung von bereits vorliegenden Entscheidungen nach § 44 [X.]. Nach einem erheblichen Teil der Rechtsprechung ist aber jedenfalls dann, wenn geltend gemacht wird, dass bei einer Entscheidung von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen wurde, eine erneute umfassende Prüfung des Sachverhalts im Rahmen des § 44 [X.] nur angezeigt, wenn Umstände vorgetragen werden oder sonst mögliche Anhaltspunkte ersichtlich sind, die für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen, und zudem auf einer zweiten Stufe festgestellt werden kann, dass die entsprechenden vorgetragenen Umstände beziehungsweise möglichen Anhaltspunkte tatsächlich vorliegen (vgl. [X.], 33 <35 f.>; Schleswig-Holsteinisches Landesozialgericht, Urteil vom 7. Oktober 1999 - L 5 U 11/99 -, juris, Rn. 26; [X.], Urteil vom 9. Februar 2010 - L 3 U 50/08 -, juris, Rn. 13; Bayerisches [X.], Urteil vom 8. April 2014 - L 15 VK 2/11 -, juris, Rn. 43 ff.; [X.], Urteil vom 23. November 2017 - L 14 U 111/13 -, juris, Rn. 26). Die vorgetragenen Umstände, welche die benannten Zeugen bestätigen sollten, waren aber größtenteils bereits in der vorliegenden schriftlichen Erklärung des Fahrers des [X.] vom 12. Januar 1999 enthalten. Dies gilt insbesondere für das Vorliegen einer Geschäftsreise sowie die Wahl einer anderen Fahrtstrecke aufgrund einer Radiomeldung über kriegerische Auseinandersetzungen. Angesichts von Widersprüchen in den Angaben des früheren Klägers [X.] und seinem als Zeugen vernommenen Bruder [X.] waren diese Schilderungen aber in dem vorangegangenen Verfahren für das Gericht nicht ausreichend, um einen entsprechenden Geschehensablauf als erwiesen anzusehen. Weshalb dies nach einer persönlichen Vernehmung dieser Zeugen nunmehr anders sein sollte, legen die Beschwerdeführer nicht dar. Insbesondere gehen sie nicht darauf ein, dass auch eine Bestätigung der zumindest von einem Zeugen bereits schriftlich vorliegenden Aussage im Rahmen einer persönlichen Vernehmung nichts an den vorhandenen Widersprüchen in dem bisherigen Vortrag des früheren Klägers [X.] und der Zeugenaussage seines Bruders [X.] ändert.

Ferner legen die Beschwerdeführer auch nicht dar, weshalb die der Beurteilung der Erfolgsaussichten in der angegriffenen Entscheidung vom 8. August 2018 zu Grunde liegende einschränkende Auslegung des § 44 [X.] verfassungsrechtlich unzulässig sein sollte. Insbesondere setzen sie sich nicht damit auseinander, inwieweit eine solche einschränkende Auslegung zur Gewährleistung von Rechtssicherheit gerechtfertigt sein kann (vgl. hierzu [X.], in: [X.]/[X.], [X.], § 44 [X.] Rn. 39 ). Dementsprechend legen sie auch nicht dar, inwieweit auch auf Grundlage dieser einschränkenden Auslegung des § 44 [X.] die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der eingelegten Berufung in verfassungswidriger Weise überspannt worden sind.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 2843/18

15.06.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 14. November 2018, Az: L 4 SF 234/18 G, Beschluss

Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 44 SGB 10, § 114 Abs 1 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 15.06.2020, Az. 1 BvR 2843/18 (REWIS RS 2020, 2923)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2923

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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