Bundessozialgericht, Urteil vom 05.09.2019, Az. B 8 SO 20/18 R

8. Senat | REWIS RS 2019, 3874

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Gegenstand

Sozialhilfe - Hilfe zur Pflege - Verzicht auf Leistungen - Rücknahme des Leistungsantrags - wirksame Vertretung durch den Ehegatten - Verwirkung des Leistungsanspruchs


Leitsatz

Das vom Sozialhilfeträger antragsgemäß eingeleitete Verwaltungsverfahren ist beendet, wenn der Antrag auf Sozialhilfe trotz fortbestehender Notlage zurückgenommen wird, ohne dass der Sozialhilfeträger ermitteln muss, ob der zur Kenntnis gebrachte Bedarf weiterhin besteht.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. März 2018 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] ist (noch) die Zahlung von 17 305,70 Euro für die stationäre Pflege des [X.], welche die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin nach § 19 Abs 6 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([X.]) geltend macht.

2

Die Klägerin betreibt ein Pflege- und Betreuungszentrum und erbrachte [X.] ab 15.12.2010 bis zu seinem Tod am 20.10.2011 stationäre Pflegeleistungen. Der mit [X.] geschlossene Wohn- und Betreuungsvertrag sah eine Fälligkeit des monatlichen [X.] innerhalb von zehn Tagen nach Rechnungsstellung vor. Die Tochter und die Ehefrau des [X.] beantragten beim Beklagten die Übernahme der Kosten für die stationäre Unterbringung (Anträge vom [X.]), nachdem das Heimentgelt für die Monate Januar bis April 2011 abgerechnet worden war (Rechnung vom 20.4.2011). Mit Schreiben vom 17.5.2011 teilte die Ehefrau des [X.] mit, dass sie den "von ihr gestellten Sozialantrag vom 4.5.2011" zurückziehe. Das von der Klägerin für den [X.] nach dem Gesetz zur Umsetzung des Pflegeversicherungsgesetzes [X.] ([X.]andespflegegesetz [X.] vom 19.3.1996 , zuletzt geändert durch Gesetz vom [X.] ) beantragte [X.] (Antrag vom [X.]) versagte der Beklagte wegen fehlender Mitwirkung (bestandskräftiger Bescheid vom 29.11.2011). Den im Januar 2014 gestellten Antrag der Klägerin, die ungedeckten Heimkosten des [X.] in Höhe von 18 435,25 Euro zu übernehmen, lehnte der Beklagte ab, weil der Verstorbene selbst keinen Anspruch auf Sozialhilfe für die [X.] seines Heimaufenthalts gehabt habe. Die Ehefrau des [X.] habe den Sozialhilfeantrag wieder zurückgenommen (Bescheid vom 10.2.2014; Widerspruchsbescheid vom 20.5.2014).

3

Während das Sozialgericht ([X.]) [X.] die Klage abgewiesen hat (Urteil vom 13.5.2016), hat das [X.]andessozialgericht ([X.][X.]) [X.] den Beklagten unter Abänderung des Urteils des [X.] verurteilt, an die Klägerin 17 305,70 Euro zu zahlen und die Berufung im Übrigen - in Höhe eines Eigenanteils des [X.] - zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Die Klägerin habe gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme offener Heimkosten aus übergegangenem Recht nach § 19 Abs 6 [X.]. Der Beklagte habe am 28.4.2011 vom Hilfebedarf Kenntnis erlangt. Weder habe die von der Ehefrau des [X.]eistungsberechtigten erklärte Rücknahme des Antrags auf Sozialhilfe zu einem Entfallen der Kenntnis geführt, noch liege ein Verzicht auf Sozialhilfeleistungen vor.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 18 Abs 1 [X.]. Sozialhilfe setze erst dann ein, wenn der Sozialhilfeträger positive Kenntnis vom Vorliegen der sozialhilferechtlichen Voraussetzungen erlangt habe. Dabei sei auf den Bedarf und nicht auf die zivilrechtliche Fälligkeit des Anspruchs abzustellen. Schon aus diesem Grund komme eine rückwirkende Bewilligung für die [X.] bis 27.4.2011 nicht in Betracht. Außerdem sei der Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe wirksam zurückgenommen worden. Nach einem Verzicht setze die Sozialhilfe erst wieder ein, wenn dem zuständigen Sozialhilfeträger der Wille, Sozialhilfeleistungen wieder in Anspruch nehmen zu wollen, bekannt werde. Dies müsse entsprechend für die Antragsrücknahme gelten.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.]andessozialgerichts [X.] vom 15. März 2018 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts [X.] vom 13. Mai 2016 insgesamt zurückzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die Entscheidung des [X.][X.] für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ). Entgegen der Auffassung des [X.] führt die Rücknahme des Antrags im Mai 2011 zur Beendigung des mit der [X.]enntniserlangung im April 2011 eingeleiteten Verwaltungsverfahrens und damit zum Wegfall der [X.]eistungspflicht des Beklagten gegenüber [X.], sofern dieser durch seine Ehefrau wirksam vertreten war. Ob dies der Fall war und ob und wann ggf durch den späteren Antrag auf [X.] im Juni 2011 der Beklagte erneut [X.]enntnis vom Bedarfsfall wegen der Hilfe zur Pflege erlangt hat, kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des [X.] (§ 163 SGG) nicht abschließend entscheiden.

9

Gegenstand des zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und [X.]eistungsklage 54 Abs 1 und 4 SGG) geführten Verfahrens ist der Bescheid vom 10.2.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.5.2014 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte gegenüber der [X.]lägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des [X.] (vgl § 19 Abs 6 [X.] in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - [X.]) die Übernahme ungedeckter Heimpflegekosten in Höhe von 18 435,25 Euro abgelehnt hat (zur zulässigen [X.]lageart im Fall der Sonderrechtsnachfolge vgl nur [X.] vom 6.12.2018 - [X.] [X.] 2/17 R - zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] vorgesehen, Rd[X.]0; BSG vom 8.3.2017 - [X.] [X.] 20/15 R - [X.] 4-3500 § 77 [X.] Rd[X.]3). Nachdem die [X.]lägerin das Urteil des [X.] nicht angefochten hat, sind im Streit nur noch [X.]osten in Höhe von 17 305,70 Euro.

Nach § 19 Abs 6 [X.] steht der Anspruch der Berechtigten auf [X.]eistungen für Einrichtungen, soweit die [X.]eistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die [X.]eistung erbracht oder die Pflege geleistet hat. Wegen des in § 19 Abs 6 [X.] geregelten gesetzlichen Forderungsübergangs geht ein möglicher Anspruch des verstorbenen [X.] nur insoweit auf die [X.]lägerin über, als dieser vor seinem Tod einen Anspruch auf [X.]eistungen gehabt hätte (vgl nur [X.] in jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2014, § 19 Rd[X.]0).

Rechtsgrundlage für einen möglichen Anspruch des [X.] kann nur § 19 Abs 3 [X.] (in der ab 1.1.2011 geltenden Fassung des [X.] [X.] und zur Änderung des [X.] und [X.] vom 24.3.2011 - [X.]) iVm §§ 61 ff [X.] (in der zum bis 31.12.2016 geltenden Normfassung des Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung vom 28.5.2008 - [X.]; im Folgenden: alte Fassung -) sein. Danach wird Hilfe zur Pflege nach dem Siebten [X.]apitel des [X.] geleistet, soweit dem [X.]eistungsberechtigten, seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder [X.]ebenspartner und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften [X.]apitels des [X.] nicht zuzumuten ist (§ 19 Abs 3 [X.]). Für die begehrten [X.]eistungen der Hilfe zur stationären Pflege ist der Beklagte als örtlicher Sozialhilfeträger (§ 1 des [X.]andesausführungsgesetzes zum Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch vom 16.12.2004, GVBl [X.] 816) mangels landesrechtlicher Zuweisung der sachlichen Zuständigkeit für [X.]eistungen der Hilfe zur Pflege an den überörtlichen Träger nach § 97 Abs 1 und 2 [X.] sachlich zuständig. Ob er auch als örtlich zuständiger Träger gehandelt hat, kann der Senat nicht abschließend feststellen, weil das [X.] zwar § 98 Abs 2 Satz 1 [X.] als Grundlage für die örtliche Zuständigkeit genannt, jedoch keine Feststellungen zum gewöhnlichen Aufenthalt des [X.] im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung getroffen hat.

Die Sozialhilfe setzt (erst) ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die [X.]eistung vorliegen (§ 18 Abs 1 [X.] in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - [X.]). § 18 Abs 1 [X.] regelt insoweit die Entstehung des Sozialhilferechtsverhältnisses. Ausreichend ist dabei die [X.]enntnis vom Bedarfsfall als solchem, sie braucht sich nicht auf die Höhe der zu erbringenden [X.]eistungen zu beziehen (BSG vom 10.11.2011 - [X.] [X.] 18/10 R - [X.] 4-3500 § 44 [X.], Rd[X.]1). Da die Regelung einen niedrigschwelligen Zugang zur Sozialhilfe sicherstellen soll ([X.] [X.] [X.] 5/10 R - [X.] 4-3500 § 62 [X.], Rd[X.]8), reicht es für die Vermittlung der erforderlichen [X.]enntnis auch aus, wenn eine Notlage über Dritte an den Sozialhilfeträger herangetragen wird ([X.] in jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2014, § 18 Rd[X.]4; [X.] in Oestreicher/[X.], [X.]/[X.], Stand März 2019, § 18 Rd[X.]2). Die [X.]enntnis leitet wie in anderen Fällen der [X.]eistungsantrag ein Verwaltungsverfahren ein und löst dann die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers aus, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären. Eine entsprechende [X.]enntnis von der Notlage des [X.] erlangte der Beklagte vorliegend durch die Mitteilung (Antrag) der Tochter am 28.4.2011, dass ihre Eltern die Rechnungen für den Heimaufenthalt des [X.] nicht bezahlen könnten (später ergänzt durch den Antrag der Ehefrau des [X.] am 4.5.2011).

Die spätere Erklärung der Ehefrau des [X.], den von ihr gestellten Antrag auf Sozialleistungen zurückzuziehen, kann auf Grundlage der bindenden Feststellungen des [X.] nicht als Verzicht auf [X.]eistungen iS des § 46 Abs 1 Sozialgesetzbuch [X.] - ([X.]) verstanden werden, der das Erlöschen des [X.]eistungsanspruchs zur Folge hätte ([X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand Juli 2014, [X.] § 46 Rd[X.]0; [X.] in jurisP[X.]-[X.], 3. Aufl 2018, § 46 Rd[X.]6). Ein Verzicht kann nur mit Wirkung für die Zukunft wieder beseitigt werden (vgl § 46 Abs 1 Halbsatz 2 [X.]) und bedarf einer einseitigen, empfangsbedürftigen Willenserklärung des Sozialleistungsberechtigten, die zum Schutz vor den Folgen übereilten Handelns schriftlich (§ 46 Abs 1 Halbsatz 1 [X.]) erfolgen muss ([X.] in jurisP[X.]-[X.], 3. Aufl 2018, § 46 Rd[X.]2). Zwar brauchen die Begriffe "Verzicht" oder "verzichten" in der Erklärung nicht enthalten zu sein ([X.] aaO, Rd[X.]2; [X.] in [X.]nickrehm/[X.]reikebohm/Waltermann, [X.]ommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl 2019, § 46 [X.] Rd[X.]); wegen der einschneidenden Wirkungen des Verzichts - das Erlöschen des Sozialleistungsanspruchs - muss der Verzichtswille jedoch unmissverständlich und unzweifelhaft zum Ausdruck kommen. Bei der Auslegung der Erklärung ist nach den §§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht allein an ihrem Wortlaut zu haften. Vielmehr sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die dafür von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war.

Bei der Auslegung von Willenserklärungen ist das BSG dabei an die im Urteil des Berufungsgerichts getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, wenn nicht in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsrügen vorgebracht sind (vgl § 163 SGG; dazu nur BSG vom [X.] - 10 [X.] - [X.] 75, 92, 95 f = [X.] 3-4100 § 141b [X.]0 S 46). Das Revisionsgericht darf die Würdigung einer Willenserklärung durch ein Tatsachengericht deshalb nur daraufhin prüfen, ob dieses Gericht auf Grundlage seiner Feststellungen die Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) beachtet und nicht gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstoßen hat (BSG vom [X.] - 10 [X.] - [X.] 75, 92, 96 = [X.] 3-4100 § 141b [X.]0 S 47 mwN; [X.] vom 13.12.1990 - [X.] - juris Rd[X.]2 f). Auf Grundlage der Feststellungen des [X.], die die Beteiligten nicht angegriffen haben, ist hier nicht zu beanstanden, dass es dem Schreiben der Ehefrau gerade nicht unmissverständlich und unzweifelhaft entnehmen konnte, dass sämtliche möglichen [X.]eistungsansprüche des [X.] erlöschen sollten, ihr Schreiben sich vielmehr ausschließlich auf den - von ihr selbst gestellten - Antrag vom 4.5.2011 beziehen sollte und also keinen Verzicht darstellt.

Auf Grundlage der Feststellungen des [X.] enthält das Schreiben vom 17.5.2011 jedoch die eindeutige Aussage, dass [X.]eistungen jedenfalls im Moment nicht gewünscht sind. Zwar liegt darin keine (rückwirkende) Beseitigung der [X.]enntnis im Sinne einer sog Negativerklärung; denn die [X.]enntnis leitet (nur) das Verwaltungsverfahren ein, kann aber nicht dadurch rückwirkend entfallen, dass ein [X.]eistungsantrag nicht mehr weiter verfolgt und ein Antrag zurückgenommen wird. Wird ein Antrag auf [X.]eistungen zurückgenommen, endet aber das Verwaltungsverfahren (Roller in von [X.]/Schütze, [X.], 8. Aufl 2014, § 8 Rd[X.]0; Palsherm in jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2017, § 8 Rd[X.]3). Der Träger der Sozialhilfe ist im Falle einer ernstlichen, in [X.]enntnis der ihn dann treffenden [X.]ostenlast ausgesprochenen Weigerung des [X.]eistungsberechtigten, Hilfe in Anspruch zu nehmen, nicht leistungspflichtig (BSG vom 23.8.2013 - [X.] [X.] 19/12 R - [X.] 114, 161 = [X.] 4-5910 § 121 [X.], Rd[X.]7). Es dürfen Niemandem aus [X.] ohne besondere gesetzliche Ermächtigung [X.]eistungen aufgedrängt werden ([X.] in Oestreicher/[X.], [X.]/[X.], Stand März 2019, § 18 Rd[X.]2). Die tatsächlich vorhandene [X.]enntnis des Sozialhilfeträgers bleibt zwar auch nach einer Rücknahmeerklärung bestehen, sie entfaltet nach Beendigung des Verwaltungsverfahrens jedoch keine rechtliche Wirkung mehr (vgl [X.], [X.]/SG[X.]007, 463, 470). Der Sozialhilfeträger muss deshalb weder die Gründe für das Verhalten des Berechtigten feststellen, sofern an der Ernsthaftigkeit der Erklärung keine Zweifel bestehen, noch muss er ermitteln, ob die materielle Rechtslage der Vorstellung des [X.]eistungsberechtigten entspricht, weil seine Motivation aus oben genannten Gründen (keine aufgedrängten [X.]eistungen) irrelevant ist und nicht hinterfragt werden muss.

Ob die Ehefrau für [X.] vorliegend wirksam mit der [X.] erklären konnte, dass dieser keine [X.]eistungen in Anspruch nehmen will, kann der Senat aber nicht abschließend entscheiden. Ausgehend von seiner Rechtsauffassung hat das [X.] keine Feststellungen dazu getroffen, ob [X.] im Verwaltungsverfahren durch seine Ehefrau wirksam vertreten wurde (vgl § 13 [X.] - <[X.]>). Diese Feststellungen wird das [X.] nachzuholen haben, wobei [X.] die Erklärung seiner Ehefrau auch dann gegen sich gelten lassen müsste, wenn er nur den Rechtsschein einer Vollmacht gesetzt hat. Die Grundsätze der sog [X.] bzw [X.] gelten entsprechend im Sozialrecht (vgl zur [X.]: BSG vom 15.11.2016 - [X.] U 19/15 R - [X.] 4-2700 § 131 [X.] Rd[X.]5 mwN). Eine Vermutung, wonach Eheleute sich auch ohne ausdrückliche Bevollmächtigung im Verwaltungsverfahren grundsätzlich gegenseitig vertreten, existiert dagegen nicht (vgl BSG vom 15.10.1981 - 5b/5 RJ 90/80 - [X.] 52, 245 = [X.] 2200 § 1303 [X.]2; [X.] in jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2017, § 13 Rd[X.]0). Eine § 38 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - ([X.]) vergleichbare Regelung kennt das [X.] nicht.

Eine [X.]eistungspflicht kann nach einer ggf wirksam erklärten Rücknahme des Antrags durch die Ehefrau des [X.] allerdings dann wieder eintreten, wenn der Sozialhilfeträger neue Hinweise auf eine Notlage erhält. Im Unterschied zum Verzicht iS des § 46 Abs 1 [X.], der bis zu einem Widerruf das Erlöschen des Sozialleistungsanspruchs bewirkt, kann sich die [X.]enntnis nach einer [X.] aktualisieren. Dies kommt durch eine Erklärung des [X.]eistungsberechtigten, nun doch [X.]eistungen beanspruchen zu wollen, ebenso in Betracht wie auch durch das Bekanntwerden neuer Tatsachen (ggf durch Dritte), die Anlass für weitere Ermittlungen geben. Ein Anspruch wäre dann, wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt, bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen wieder entstanden. [X.]iegt eine Rücknahme des Antrags im Mai 2011 vor, wird das [X.] zu prüfen haben, ob dem Beklagten durch die Umstände im Zusammenhang mit der Übersendung des Antrags auf [X.] und der darin enthaltenen Auskünfte des [X.] und seiner Ehefrau im Juni 2011 erneut solche Tatsachen bekannt geworden sind, die auf einen Hilfebedarf hinweisen, und ob für den Beklagten dadurch Veranlassung bestand, erneut in Ermittlungen einzutreten. Zwar hat die [X.]lägerin als Anspruchsberechtigte (vgl § 9 Abs 2, § 12 PfG [X.]) Ansprüche auf [X.] nicht weiter verfolgt; dies hat aber keine Auswirkung für das dann vor dem Tod des [X.] faktisch in Gang gesetzte Verwaltungsverfahren wegen möglicher Ansprüche auf Hilfe zur Pflege, das noch nicht abgeschlossen wäre.

Wurde [X.] durch seine Ehefrau bei Erklärung der Rücknahme nicht wirksam vertreten und liegen die übrigen [X.]eistungsvoraussetzungen vor (dazu sogleich), umfasst der Anspruch der [X.]lägerin auch die Heimkosten, die für den Aufenthalt des [X.] von Januar bis April 2011 entstanden sind. Zwar gilt auch für die Hilfe zur Pflege der Grundsatz des § 18 [X.], dass keine Hilfe für die Vergangenheit zu leisten ist (Meßling in jurisP[X.]-[X.], 2. Aufl 2014, § 61 Rd[X.]74). Zeitpunkt des [X.] ist jedoch der Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung des [X.]eistungserbringers (BSG vom 20.9.2012 - [X.] [X.] 20/11 R - [X.] 4-3500 § 19 [X.] Rd[X.]7), die - ausgehend von der [X.] zwischen der [X.]lägerin und dem [X.] - erst zehn Tage nach Rechnungsstellung vom 20.4.2011 eintritt.

Ob im Übrigen ein Anspruch des [X.] nach §§ 61 ff [X.] aF bestand, wird das [X.] im Einzelnen zu prüfen haben; die Feststellungen insbesondere zu berücksichtigendem Einkommen und Vermögen reichen insoweit für eine abschließende Beurteilung nicht aus. Auch die Höhe der ggf geschuldeten Vergütung kann der Senat mangels ausreichender Feststellungen des [X.] zu den Einzelheiten der zwischen [X.] und der [X.]lägerin getroffenen vertraglichen Regelung über die Heimvergütung und der zwischen den Beteiligten geltenden [X.]eistungs- und Vergütungsvereinbarungen nicht überprüfen und damit auch nicht über die Höhe der ungedeckten Heimkosten entscheiden, die den sozialhilferechtlichen Anspruch auf Hilfe zur Pflege bestimmen.

Der Anspruch der [X.]lägerin gegen den Beklagten ist nicht verjährt (§ 45 Abs 1 [X.]). Er ist auf Grundlage der bisherigen Feststellungen des [X.] auch nicht verwirkt. Die Einwände des Beklagten im Revisionsverfahren, er habe mit der Geltendmachung von Ansprüchen nicht mehr rechnen müssen, wird das [X.] erneut von Amts wegen (vgl nur [X.] in [X.], [X.], 5. Aufl 2014, § 45 Rd[X.]) insoweit zu überprüfen haben. Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebiets die verspätete Geltendmachung des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach [X.] und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat ([X.]), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr; vgl nur BSG vom 13.11.2012 - [X.] [X.]R 24/11 R - [X.] 112, 141 = [X.] 4-2500 § 275 [X.], Rd[X.]7 mwN; BSG vom [X.] - juris Rd[X.]7; BSG vom 29.7.1982 - 10 [X.] - juris Rd[X.]5; BSG vom [X.] - 9 RV 238/71 - juris Rd[X.]7). Ein "bloßes Nichtstun" als Verwirkungsverhalten reicht regelmäßig nicht aus (BSG vom 1.7.2010 - [X.]3 R 67/09 R - [X.] 4-2400 § 24 [X.], Rd[X.]3). Allein dass die [X.]lägerin mit der Geltendmachung des übergegangenen Anspruchs mehr als drei Jahre gewartet hat, führt danach nicht zu einer Verwirkung des Anspruchs. Auch die [X.] durch die Ehefrau reicht für ein Verwirkungsverhalten nicht aus, wenn sich [X.] dieses nicht zurechnen lassen muss oder nach einer wirksamen [X.] im Zusammenhang mit dem Antrag auf [X.] Umstände bekannt geworden sind, die auf einen Hilfebedarf hinweisen und es deshalb nicht zulassen, auf die [X.] auch zukünftig zu vertrauen.

Das [X.] wird ggf auch über die [X.]osten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 20/18 R

05.09.2019

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Köln, 13. Mai 2016, Az: S 27 SO 279/14, Urteil

§ 61 SGB 12, §§ 61ff SGB 12, § 18 Abs 1 SGB 12, § 46 Abs 1 Halbs 1 SGB 1, § 133 BGB, § 157 BGB, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 05.09.2019, Az. B 8 SO 20/18 R (REWIS RS 2019, 3874)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3874

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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