Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2022, Az. 4 StR 99/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2022, 3782

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


Leitsatz

Die zugleich angeordnete Sicherungsverwahrung ist kein bestimmender Strafzumessungsumstand.

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 15. November 2021

a) im [X.] dahin geändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.160,00 € gegen den Angeklagten als Gesamtschuldner angeordnet wird;

b) im [X.] dahin ergänzt, dass die festgestellte Verpflichtung des Angeklagten, dem Adhäsionskläger jeglichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Vorfall vom 30. Oktober 2020 zu ersetzen, nur besteht, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Versicherer übergegangen sind.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die dem Neben- und Adhäsionskläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und den Wert von Taterträgen eingezogen. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

3

2. Der Strafausspruch und die auf § 66 Abs. 1 StGB gestützte Maßregel-anordnung (bei Ablehnung einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt) halten rechtlicher Nachprüfung ebenfalls stand, auch wenn das [X.] bei der Festsetzung der Freiheitsstrafe nicht erörtert hat, dass gegen den Angeklagten zugleich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Denn einer solchen Erörterung bedurfte es nicht.

4

a) Soweit der 1. und der 2. Strafsenat des [X.] ausgeführt haben, dass zu den nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB zu berücksichtigenden Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten sind, auch die Wechselwirkung zwischen der verhängten Strafe und einer angeordneten Maßregel der Besserung und Sicherung gehören könne, und deshalb die Bemessung von (Einzel-)Strafen bei zugleich angeordneter Sicherungsverwahrung beanstandet haben, weil dieser Aspekt nicht ausdrücklich erörtert worden ist (vgl. [X.], Beschluss vom 22. März 2022 – 1 [X.] Rn. 4 f. [unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Einzelfall]; Beschluss vom 30. März 2021 – 2 StR 18/21 Rn. 4; Beschluss vom 21. Januar 2021 – 2 [X.]/20 Rn. 16), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Ein derartiger bestimmender Strafzumessungsgrund besteht nicht.

5

aa) Die Strafe und der präventive Freiheitsentzug der Sicherungsverwahrung verfolgen verschiedene Zwecke. Während die Strafe dem Schuldgrundsatz unterliegt, dient die Maßregel dem Schutz der Allgemeinheit durch die Verhinderung künftiger Straftaten und knüpft an die Gefährlichkeit des [X.] an (vgl. [X.] 128, 326, 374; [X.] 109, 133, 174; [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 389 mwN). Für ihre Anordnung gelten kategorial verschiedene Voraussetzungen, die getrennt voneinander zu beurteilen sind (vgl. [X.], Urteil vom 24. Oktober 2013 – 4 [X.], [X.]St 59, 56 Rn. 22 mwN). Daraus ergibt sich, dass zwischen der Strafe und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung grundsätzlich keine Wechselwirkung besteht (vgl. [X.], Urteil vom 9. September 2021 – 3 [X.] Rn. 11; Urteil vom 19. August 2020 – 5 [X.] Rn. 24; Urteil vom 8. August 2017 – 5 [X.] Rn. 12; Urteil vom 24. Mai 2018 – 4 [X.] Rn. 13; jew. zur Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung). Strafe und Maßregel sollen vielmehr unabhängig voneinander bemessen bzw. verhängt werden (vgl. [X.], Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, [X.]St 38, 362, 365; [X.]/[X.]/[X.], Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 433). Hiermit ist die Annahme unvereinbar, die Anordnung der Sicherungsverwahrung sei als ein bestimmender Strafzumessungsumstand bei der Festsetzung der Strafe zu erörtern.

6

bb) Eine solche Verpflichtung des Tatgerichts, die auch den vom 1. und 2. Strafsenat des [X.] zur Stützung ihrer Rechtsauffassung herangezogenen Entscheidungen nicht zugrunde liegt (vgl. etwa Senat, Urteil vom 19. Juni 2008 – 4 [X.] Rn. 18), würde voraussetzen, dass sich die Würdigung im Rahmen der Strafzumessung aufdrängt oder unverzichtbar erscheint (vgl. [X.] in [X.], § 267 Rn. 320 mwN). Dies ist mit Blick auf den Zweck der Sanktionen für die neben der Strafe angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht der Fall.

7

cc) Auch aus § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB folgt kein anderes Ergebnis. Die Norm soll verhindern, dass die Rechtsfolgen zur Entsozialisierung des [X.] führen oder seiner Resozialisierung entgegenstehen (vgl. [X.], Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 [X.] Rn. 10; s. ferner bereits [X.], Urteil vom 8. Dezember 1970 – 1 [X.], [X.]St 24, 40, 42 f.). Die Gesamtheit der verhängten Rechtsfolgen muss verhältnismäßig sein, und die Kumulierung von Strafe und Maßregel darf nicht übermäßig sein (vgl. [X.] 91, 1, 32). Dies ist bei der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch die [X.] und [X.] gewährleistet (vgl. [X.], Urteil vom 24. Oktober 2013 – 4 [X.], [X.]St 59, 56 Rn. 22 ff.). Das Tatgericht hat gemäß § 62 StGB die Verhältnismäßigkeit der Maßregel, mit der ein besonders schwerwiegender Eingriff in das [X.] verbunden ist, zu prüfen. Deren Vollstreckung ist zudem durch eine behandlungsorientierte Ausgestaltung des Strafvollzugs möglichst zu vermeiden (vgl. § 66c Abs. 1, 2, § 67c Abs. 1 StGB). Mit dem Strafmaß korreliert daher keine maßregelspezifische Mehrbelastung des Angeklagten, aus der sich ein bestimmender Strafzumessungsumstand zu seinen Gunsten ergeben könnte. Die ggf. erst später erfolgende Prüfung gemäß § 67d Abs. 3 StGB nach dem Vollzug von zehn Jahren der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung genügt hierfür aufgrund der vorgesehenen besonderen Ausgestaltung des Straf- wie des Maßregelvollzugs nicht.

8

b) Der Senat ist nicht gehalten, beim 1. und 2. Strafsenat anzufragen, ob diese an ihrer Rechtsauffassung festhalten (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG), da die Revision des Angeklagten auch unter Zugrundelegung der Rechtsmeinung der anderen Senate zu verwerfen wäre. Denn der Senat vermag auszuschließen, dass die [X.] auf eine mildere Strafe erkannt hätte, wenn von ihr die angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausdrücklich in den Blick genommen worden wäre. Das [X.] hat angesichts des [X.] und des [X.] des Angeklagten die Strafe maßvoll zugemessen und hierbei dessen schwierige Lebenssituation durch die Suchtproblematik strafmildernd bedacht, in der es rechtsfehlerfrei die Wurzel des Hangs des Angeklagten gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB gesehen hat. Damit fehlt es im Ergebnis an den Voraussetzungen für ein Vorlageverfahren (vgl. [X.], Urteil vom 22. April 1997 – 1 [X.], [X.]St 43, 53, 58 mwN).

9

3. Der im Übrigen rechtsfehlerfreie Einziehungsausspruch bedarf der vom [X.] beantragten Ergänzung um die gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten. Die [X.] hat übersehen, dass zumindest dessen ebenfalls in die Wohnung des Geschädigten eingedrungener Mittäter die Mitverfügungsgewalt über die gesamte [X.] hatte (vgl. [X.], Urteil vom 20. November 2019 – 2 StR 54/19 Rn. 11; Urteil vom 5. Juni 2019 – 5 [X.] Rn. 7).

4. Im Rahmen der Adhäsionsentscheidung hat der Senat den Feststellungsausspruch unter den erforderlichen Vorbehalt eines Forderungsübergangs nach § 116 [X.], § 86 [X.] gestellt (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 17. August 2017 – 4 StR 343/17 Rn. 2; Beschluss vom 25. April 2017 – 5 StR 8/17).

[X.]     

        

Bartel     

        

Ri[X.] Dr. Maatsch ist
wegen Urlaubs an der
Unterschriftsleistung
gehindert.

                                   

[X.]

                          

Ri[X.] Weinland ist
wegen Urlaubs an der
Unterschriftsleistung
gehindert.

        
        

Scheuß     

        

[X.]

        

Meta

4 StR 99/22

10.05.2022

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 15. November 2021, Az: 2 KLs 7/21

§ 46 Abs 1 S 2 StGB, § 62 StGB, § 66 Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.05.2022, Az. 4 StR 99/22 (REWIS RS 2022, 3782)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3782 NJW 2022, 2945 REWIS RS 2022, 3782


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 StR 99/22

Bundesgerichtshof, 4 StR 99/22, 10.05.2022.


Az. 2 KLs 7/21

Landgericht Bielefeld, 2 KLs 7/21, 15.11.2021.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

6 StR 227/23 (Bundesgerichtshof)


4 StR 31/23 (Bundesgerichtshof)


4 StR 178/17 (Bundesgerichtshof)

Sicherungsverwahrung: Bezeichnung des Anordnungstatbestands in der Anklageschrift


4 StR 168/18 (Bundesgerichtshof)

Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe: Zulässigkeit des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung


3 StR 31/19 (Bundesgerichtshof)

Revision in Strafsachen: Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung; Rückfallgeschwindigkeit als Strafzumessungsgrund


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.