Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.03.2007, Az. 3 StR 497/06

3. Strafsenat | REWIS RS 2007, 4918

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.] vom 6. März 2007 in der Strafsache gegen wegen Totschlags - 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] - zu 2. auf dessen Antrag - am 6. März 2007 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 7. September 2006 a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig ist; b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf-gehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere [X.] des [X.] zu-rückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen "Totschlags durch Unter-lassen" zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verur-teilt. Seine hiergegen gerichtete Revision führt zur Änderung des Schuld-spruchs und Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen [X.]. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] - 3 - fertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). 1. Nach den Feststellungen lebte der von Schmerz- und Beruhi- gungsmitteln abhängige Angeklagte mit seinem querschnittsgelähmten Freund

[X.], dessen umfassende Betreuung er gegen Bezahlung übernommen hatte, in häuslicher [X.] zusammen. Ab Mitte Mai 2005 vernachlässigte er die Pflege und die Versorgung des hilflos im Bett liegenden [X.]. Obwohl sich für ihn erkennbar der Gesundheitszustand seines [X.] so dramatisch verschlechterte, dass jede Erkrankung zum Tode führen konnte, holte der Angeklagte keine ärztliche Hilfe. Dabei sah er den möglichen tödlichen Verlauf voraus, den er aus Gleichgültigkeit in Kauf nahm. [X.]ver-starb zwischen dem 5. und 7. Juni 2006 infolge unzureichender Versorgung und fehlender ärztlicher Betreuung an einer Lungenentzündung. 2 2. Der Angeklagte hat die Vernachlässigung der Pflege eingeräumt und sich hinsichtlich der letzten Wochen des Zusammenlebens mit [X.]weitgehend auf Erinnerungslücken berufen. Die [X.] hat - ausgehend von der Einlassung des Angeklagten, seinem Freund sei es zuletzt schlecht gegangen, er habe ihm Medikamente geben müssen - auf einen be-dingten Tötungsvorsatz geschlossen und hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Auch wenn der Angeklagte die Diagnose einer Lungenentzündung nicht habe stellen können, sei in Anbetracht des sichtbar geschwächten Gesamtzustandes des [X.]für ihn die konkrete Todesgefahr erkennbar gewesen. Es sei ihm bewusst gewesen, dass ohne ärztliche Hilfe jede Erkrankung tödlich verlaufen könne. Dennoch habe er nicht reagiert und sei bis zuletzt untätig geblieben. Zwar könnten der verwahrloste Zustand der Wohnung sowie das Fehlen eines Tötungsmotivs gegen einen bedingten Tötungsvorsatz sprechen. Dies sei [X.] - 4 - doch nicht entscheidend, weil bei einer Tötung durch Unterlassen nur der [X.] zum Tätigwerden unterdrückt werden müsse und daher die zu überwin-dende Hemmschwelle geringer sei als bei [X.]. Dieser Impuls sei beim Angeklagten durch die Beschäftigung mit seiner eigenen Person überla-gert gewesen. Bei vernünftiger Betrachtung komme als Motiv für die von ihm behaupteten Erinnerungslücken lediglich der Versuch in Betracht, dadurch den Nachweis eines Tötungsvorsatzes zu verhindern. 3. Die Verurteilung des Angeklagten wegen durch Unterlassen begange-nen Totschlags kann nicht bestehen bleiben. 4 a) Zu Bedenken Anlass geben schon die vom [X.] zur Begrün-dung des bedingten Tötungsvorsatzes im Urteil mehrfach verwendeten Formu-lierungen, für den Angeklagten seien der schlechte Gesundheitszustand des [X.] und die konkrete Todesgefahr "erkennbar gewesen". Durch sie wird das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes nicht belegt. Dieses ist nur dann gegeben, wenn der Angeklagte die Möglichkeit tatsächlich erkannt hat, ohne ärztliche Hilfe werde sein Freund zu Tode kommen (vgl. BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7; [X.]/[X.], StGB 54. Aufl. § 15 Rdn. 9 a, 17). 5 b) Selbst wenn der Angeklagte - was aufgrund der festgestellten objekti-ven Tatumstände nicht fern liegend ist - ab einem bestimmten Zeitpunkt damit gerechnet hat, sein Freund [X.]könne wegen des sich ständig verschlech-ternden Gesundheitszustandes ohne sofortige ärztliche Hilfe zu Tode kommen, und er den Todeseintritt billigend in Kauf genommen hat, tragen die [X.] den Schuldspruch nicht. 6 - 5 - Wegen Totschlags durch Unterlassen hat sich der Angeklagte nur straf-bar gemacht, wenn das gebotene Handeln, insbesondere die Herbeiholung ärztlicher Hilfe, den als möglich erkannten Tod noch hätte verhindern können und er sich dessen bewusst war (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/ [X.], StGB 27. Aufl. § 15 Rdn. 94; [X.]/[X.] aaO § 13 Rdn. 18). [X.] enthält das angefochtene Urteil keine Feststellungen. Es ist schon nicht [X.], zu welchem Zeitpunkt während der lang andauernden Vernachlässigung der Pflege der Angeklagte aufgrund welcher Indizien die Todesgefahr erkannte und der [X.] in einen Tötungsvorsatz umgeschlagen ist. Auch enthält das Urteil keine Aussage dazu, ob zu diesem Zeitpunkt bei soforti-ger ärztlicher Hilfe die Verhinderung des [X.] mit an Sicherheit gren-zender Wahrscheinlichkeit (vgl. [X.]/[X.] aaO vor § 13 Rdn. 20) noch möglich und dem Angeklagten die Möglichkeit einer Rettung überhaupt bewusst war. Angesichts der besonderen Umstände des Falles erscheint nicht ausge-schlossen, dass der Angeklagte auf Grund seines eigenen schlechten [X.] die Todesgefahr nicht oder jedenfalls so spät erkannte, dass eine Rettung des schwer kranken [X.]nicht mehr in Betracht kam. 7 4. Demnach hat die Verurteilung wegen Totschlags keinen Bestand. Es ist auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung die für eine [X.] wegen Totschlags durch Unterlassen erforderlichen Feststellungen, insbe-sondere die Möglichkeit der Erfolgsverhinderung nach Erkennen der [X.], getroffen werden könnten. Aufgrund des festgestellten Sachverhalts ist der Angeklagte jedoch der Körperverletzung mit Todesfolge (durch Unterlassen) gemäß § 227 StGB schuldig. Der [X.] hat den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 Abs. 1 StPO steht der Änderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs führt schon deshalb zur Aufhebung des Strafausspruchs mit 8 - 6 - den zugehörigen Feststellungen, weil die Mindeststrafe der Körperverletzung mit Todesfolge deutlich geringer ist als die des Totschlags. 5. Die Strafzumessung in dem angefochtenen Urteil gibt Anlass zu fol-gendem Hinweis: 9 Die zu Lasten des Angeklagten berücksichtigten Strafzumessungsgrün-de, er habe letztlich sein Wohlbefinden "ohne Not" über das des Getöteten ge-stellt, das Opfer sei auf Grund der Querschnittslähmung ohne fremde Hilfe überhaupt nicht überlebensfähig gewesen, so dass sich die Untätigkeit nur we-nig von einer aktiven Tötung unterscheide, ist im Hinblick auf das Doppelver-wertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB bedenklich. Denn mit diesen Erwägun-gen wird dem Angeklagten strafschärfend angelastet, dass er seine Garanten-pflicht gegenüber dem hilflosen [X.] verletzt hat, obwohl ihm ein Tätigwerden zumutbar gewesen wäre. Bei der Festsetzung der für die Körperverletzung mit Todesfolge schuldangemessenen Strafe wird der neue Tatrichter auch den sich aufdrängenden Umstand berücksichtigen müssen, dass der noch junge Angeklagte mit der Betreuung und Pflege seines quer-schnittsgelähmten Freundes offensichtlich überfordert war. 10 Tolksdorf [X.] Becker

Meta

3 StR 497/06

06.03.2007

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.03.2007, Az. 3 StR 497/06 (REWIS RS 2007, 4918)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 4918

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 626/07 (Bundesgerichtshof)


5 StR 561/10 (Bundesgerichtshof)

Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Tötungsvorsatz eines Schönheitschirurgen bei unterlassener Einweisung einer rechtswidrig operierten …


4 StR 162/21 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Nichteinräumung des Rechtes des Nebenklägers auf einen Schlussvortrag


3 StR 488/20 (Bundesgerichtshof)

Totschlag durch Unterlassen und Körperverletzung mit Todesfolge: Erforderliche Feststellungen für die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes und …


2 StR 305/08 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.