Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.03.2000, Az. VI ZR 158/99

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2000, 2757

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[[X.].] DES [[X.].] am:21. März 2000Holmes,[[X.].] Geschäftsstellein dem [[X.].]:ja[[X.].]Z: neinBGB § 823 [[X.].] den Anforderungen an die Organisation der Aufsicht in dem Freibad einer Ge-meinde.[[X.].], Urteil vom 21. März 2000 - [[X.].] - [[X.].] [[X.].] -Der VI. Zivilsenat des [[X.].] hat auf die mündliche [[X.].] 21. März 2000 durch [[X.].] [X.], [[X.].], [[X.].], [[X.].] und Wellnerfür Recht erkannt:Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [[X.].] vom 17. März 1999 aufgehoben.Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [[X.].] zurückverwiesen.Von Rechts [[X.].]:Die beklagte Gemeinde (der Flecken L.; künftig: der Beklagte) [[X.].] Freibad. Die klagende Krankenkasse begehrt von dem Beklagten [[X.].] Kosten, die ihr für die Heilbehandlung des [[X.].] ihres Versicherten ent-standen sind und künftig entstehen. Das damals 11 Jahre alte Kind trieb [[X.].] Juli 1995 im Freibad des Beklagten nach Benutzung der [[X.].] bewußtlos im Wasser, bis es von einem Bade-gast bemerkt und herausgezogen wurde. Der von einem weiteren Badegastgerufene Schwimmeister konnte es reanimieren. Der Junge wurde mit [[X.].] ins Krankenhaus gebracht. Nach den Feststellungen der [[X.].] 3 -kenhausärzte hat er sich "nicht mehr als 10 bis 15 Minuten" unter Wasser be-funden.Die Klägerin ist mit den Kosten der Heilbehandlung belastet. Sie hatMerk- und Denkstörungen sowie Störungen der Lernfähigkeit als Dauerscha-den des Kindes infolge des Unfalls vorgetragen. Die Klägerin ist der Ansicht,der Beklagte habe die ihm bei der [[X.].] obliegendenPflichten verletzt. Er sei deshalb zum Ausgleich der auf sie gemäß § 116SGB [X.] übergegangenen Ansprüche des Geschädigten verpflichtet.Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläge-rin hat das [X.] den Beklagten im wesentlichen antragsgemäßzur Zahlung von 53.872,20 DM nebst Zinsen verurteilt und festgestellt, daß [X.] verpflichtet sei, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen Schädenaus dem Unfall zu ersetzen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der [X.] die Zurückweisung der Berufung der Klägerin.Entscheidungsgründe:[X.] Berufungsgericht hat aufgrund eigener Sachkunde eine Untertauch-zeit des Kindes von mindestens vier Minuten, aber auch nicht wesentlich [X.] fünf Minuten angenommen. Es hat eine Verletzung der dem Beklagten ob-liegenden Verkehrssicherungspflicht durch fehlerhafte Organisation der [X.] im Freibad bejaht. Der Beklagte habe dem Schwimmeister einen ungeeig-- 4 -neten Standort im Eingangsbereich des Freibades zugewiesen. Aufgrund derräumlichen Entfernung zur Wasserrutsche von ca. 35 Metern sei es diesemauch unter Berücksichtigung der Anzahl der Badegäste nicht möglich gewesen,Einzelheiten in dem Nichtschwimmerbecken zu erkennen und Gefahrensitua-tionen rechtzeitig zu bemerken. Bei angemessener Kontrolle von einem Stand-ort aus, von dem er das Becken vollständig hätte einsehen können, hätte erden leblos unter Wasser treibenden Körper des Jungen innerhalb von vier Mi-nuten bemerkt und daraufhin in deutlich kürzerer Zeit Rettungsmaßnahmenergriffen. Damit hätte die kritische Phase einer Unterbindung der [X.] in entscheidender Weise verkürzt werden können. Für den [X.] erkennbar gewesen, daß er seiner Verkehrssicherungspflicht nicht hinrei-chend genügte.I[X.] Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision in einem entschei-denden Punkt nicht stand.1. Die Erwägungen des angefochtenen Urteils sind im Ansatzpunkt aufder Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des [X.]s nichtzu beanstanden. Sollte das Kind vier Minuten oder länger im Wasser [X.] untergetaucht gewesen sein, weil der zur Aufsichtbestellte Schwimmeister (ohne zusätzliche Maßnahmen) von dem ihm zuge-wiesenen Standort das Becken nicht habe einsehen können, und sollte da-durch die Schädigung des Kindes entstanden sein, würde die Haftung des [X.]n aus Rechtsgründen keinen Bedenken [X.] 5 -Der Beklagte hat, wenn er eine öffentliche Freizeiteinrichtung - wie [X.] Freibad - der Allgemeinheit zur Verfügung stellt, die Benutzer vor den [X.] zu schützen, die über das übliche Risiko bei der [X.], vom Benutzer nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkenn-bar sind (vgl. [X.] vom 29. Januar 1980 - [X.] - [X.],863, 864 m.w.N.). Dem Betreiber eines Freibades obliegt neben seiner Ver-pflichtung zur Erfüllung der von den Besuchern abgeschlossenen Benutzungs-verträge auch die deliktische (Garanten-) Pflicht dafür zu sorgen, daß keinerder Besucher beim Badebetrieb durch solche Risiken zu Schaden kommt. [X.] Zweck hat er die einzelnen Schwimmbecken darauf überwachen zulassen, ob dort Gefahrensituationen für die Badegäste auftreten (vgl. Senats-urteil vom 12. Juni 1990 - [X.] - [X.], 989, 990). Die hierfürerforderlichen Maßnahmen hängen - soweit gesetzliche oder andere [X.] (vgl. § 2 Abs. 2 der [X.], [X.] Badeanstalten, [X.]. bei [X.], Recht und Verwaltung im Bade-wesen, 2. Aufl. 1978, [X.] ff.) keine näheren Anforderungen enthalten - vonden tatsächlichen Umständen des Einzelfalles, wie etwa Größe und Lage desFreibades, Anzahl der Besucher und hierdurch bedingten "Spitzenbelastungen"(vgl. für den Badebetrieb im Hallenbad [X.] vom 2. Oktober 1979- VI ZR 106/78 - [X.], 67 f.), Einsatz technischer Hilfsmittel (z.B. Video-kameras) und vor allem auch davon ab, innerhalb welcher Zeit aus medizini-scher Sicht Maßnahmen getroffen werden müssen, um bleibende Schädigun-gen zu verhindern. Allerdings kann und muß nicht jeder abstrakten Gefahrdurch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden, da eine Verkehrssicherheit,die jeden Gefährdungsfall ausschließt, nicht erreichbar ist. Vielmehr bedarf esgerade auch im Hinblick auf die Zeitdauer, innerhalb der ein Eingreifen [X.] gewährleistet werden muß, stets nur solcher [X.] -nahmen, die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vor-sichtiger Mensch für ausreichend halten darf, um andere Personen vor [X.] zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zumutbar sind (vgl. [X.] vom 12. Juni 1990 aaO). So muß der Betreiber unter anderem [X.] einen geeigneten Standort zuweisen, von dem aus sie dasgesamte Freibad überblicken und Sicht in die Schwimmbecken haben [X.] muß er die Aufsicht anweisen, den Standort öfter zu [X.], um das Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln verfolgen und [X.] frühzeitig eingreifen zu können. Gegen diese ihm obliegende [X.] der Aufsicht im Freibad hätte der Beklagte auf der [X.] Feststellungen des Berufungsgerichts verstoßen.2. Die tatsächliche Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Unter-tauchzeit des Kindes mindestens vier Minuten betragen habe, ist jedoch ver-fahrensfehlerhaft (§ 286 ZPO) und vermag die Entscheidung nicht zu tragen.Die Revision rügt mit Erfolg, daß das Berufungsgericht eigene Sachkunde [X.] genommen hat, ohne diese hinreichend darzulegen (§ 286 ZPO).a) Das Berufungsgericht nimmt ausdrücklich eigene Sachkunde in [X.] und folgert aus der aufgetretenen Zyanose und der [X.] sowie der fehlenden Unterkühlung und dem Ausbleiben von gesund-heitlichen Schwerstschädigungen andererseits, daß das Kind mindestens vierMinuten untergetaucht war.Die Meinung des Berufungsgerichts, es könne aufgrund seiner Erfah-rung in anderen, von ihm nicht näher dargelegten Fällen den hier [X.] maßgeblichen medizinischen Sachverhalt ohne Hilfe eines Sachver-ständigen selbst feststellen, auswerten und seine Entscheidung darauf stützen,überschreitet jedoch den Rahmen des dem Tatrichter eingeräumten Ermessens- 7 -und entbehrt der erforderlichen Darlegung der eigenen Sachkunde. Es ist zwargrundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts überlassen, ob [X.] eigene Sachkunde für ausreichend erachtet (vgl. [X.] vom13. Oktober 1970 - [X.] - VersR 1971, 129, 130). Die Würdigung einesnicht einfachen medizinischen Sachverhalts, wie ihn die Folgen eines Bade-unfalls darstellen, erfordert aber regelmäßig eine spezielle Sachkunde und wirdnicht schon durch die Kenntnis allgemeiner Erfahrungssätze ermöglicht, diesich das Gericht in anderen Verfahren oder aus vorgelegten schriftlichen [X.] angeeignet haben mag. Sie setzt stets die sachkundige Berücksichti-gung der aus medizinischer Sicht maßgeblichen Umstände des konkreten [X.] voraus und übersteigt damit das gemeinhin zuzumutende Laienwis-sen. Die medizinischen Kenntnisse, die ein Gericht aus anderen von ihm zuentscheidenden Fällen und in diesen möglicherweise erstatteten Gutachten zugewinnen vermag, sind dagegen notwendig bruchstückhaft, auf den jeweils [X.] gestellten Einzelfall ausgerichtet und nicht verallgemeinerungs-fähig. Sie sind in aller Regel nicht geeignet, die erforderliche Sachkunde [X.] in einem anderen Fall zu begründen. Solche Kenntnisse sind er-wünscht und in der Regel auch erforderlich, um dem Gericht die Möglichkeit zuverschaffen, in zur Entscheidung anstehenden Rechtsstreitigkeiten erforderli-che und zweckdienliche Fragen an Parteien und Sachverständige richten zukönnen (vgl. § 139 Abs. 1 ZPO). Sie vermögen jedoch wegen der in jedem Ein-zelfall möglichen Besonderheiten die Entscheidung medizinischer Fragen auseigenem Wissen nicht zu tragen.Das Berufungsgericht legt seine Kenntnisse zudem nicht - wie [X.] - im Einzelnen dar, sondern verweist lediglich darauf, daß die Lunge [X.] mit Verdichtungen bis in die Peripherie und erheblichen interstitiellenStrukturveränderungen geschädigt worden sei und daß die Zyanose auf eine- 8 -Sauerstoffunterversorgung des gesamten Organismus schließen lasse. [X.] nicht auf, daß und welche allgemeingültigen medizinischen [X.] Schlußfolgerung auf die Untertauchzeit tragen könnten (vgl. [X.]vom 11. Mai 1993 - VI ZR 243/92 - [X.], 899, 900; [[X.].], Urteile vom20. Juli 1999 - [X.] ZR 121/96, [X.], 44, 46; vom 20. Februar 1997- VII ZR 231/95, NJW-RR 1997, 1108).b) Das angefochtene Urteil beruht auf diesem Verfahrensfehler. Es [X.] auszuschließen, daß die Befragung eines Sachverständigen eine kürzereUntertauchzeit ergeben hätte, die auch bei ordnungsgemäßer Organisation [X.] nicht mit zumutbarem Aufwand hätte vermieden werden können.[[X.].] [[X.].] [[X.].] Dr. Greiner Wellner

Meta

VI ZR 158/99

21.03.2000

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.03.2000, Az. VI ZR 158/99 (REWIS RS 2000, 2757)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 2757

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

6 U 172/99 (Oberlandesgericht Hamm)


1 U 7114/20 (OLG München)

Schadensersatzanspruch, Berufung, Aufhebung, Pflichtverletzung, Berufungsverfahren, Schriftsatz, Umfang, Erledigung, Klage, Endurteil, Beurteilung, Kostenentscheidung, Zusammenhang, Beweisaufnahme, Erledigung …


13 U 76/99 (Oberlandesgericht Hamm)


2 O 5124/19 (LG München II)

Baugenehmigung, Verkehrssicherungspflicht, Unfall, Leistungen, Staatsanwaltschaft, Kind, Mitverschulden, Unfallzeitpunkt, Pflichtverletzung, Verletzung, Haftung, Krankenhaus, Unfallgeschehen, Gemeinde, Stand …


VI ZR 95/03 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.