Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.08.2020, Az. StB 25/20

3. Strafsenat | REWIS RS 2020, 11312

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[X.]:[X.]:[X.]:2020:180820BSTB25.20.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 25/20

vom
18. August 2020

Nachschlagewerk:
ja
[X.]St:
ja
Veröffentlichung:
ja

[X.] §
143a Abs.
4, §
304 Abs.
4 Satz 2 Halbsatz
2 Nr.
1
[X.] Art.
12 Abs.
1

Einem Pflichtverteidiger steht gegen die Aufhebung seiner Bestellung kein
eigenes Beschwerderecht zu.

[X.], Beschluss vom 18. August 2020 -
StB 25/20 -
OLG Frankfurt

in dem
Strafverfahren
gegen

wegen Mordes
hier:
sofortige Beschwerde des vormaligen Pflichtverteidigers des Angeklagten gegen die Aufhebung seiner Bestellung

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Angeklagten und des [X.] am 18.
August
2020 gemäß §
143a Abs.
4, §
304 Abs.
4 Satz
2 Halbsatz
2 Nr.
1 [X.] beschlossen:

1.
Die sofortige Beschwerde des vormaligen Pflichtverteidigers des Angeklagten gegen den Beschluss des [X.] vom 28.
Juli 2020 wird verworfen.
2.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
I.
Das Oberlandesgericht führt gegen den Angeklagten ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Mordes.
Der
Angeklagte hat beantragt, die Pflichtverteidigerbestellung des [X.] zurückzunehmen, weil das Vertrauensverhältnis zu diesem vollständig zerrüttet sei. Diesem Antrag ist der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats nach vorheriger Anhörung des Beschwerdeführers nach-gekommen. Dieser wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen seine Entpflichtung. Zur Begründung führt er unter näherer Darlegung des [X.] und rechtlicher Erwägungen aus, einem Pflichtverteidiger stehe generell ein eigenes Beschwerderecht gegen die Aufhebung seiner Bestellung zu; zumindest sei ein solches bei willkürlichen oder unsachlichen, unter keinem 1
2
-
3
-
Gesichtspunkt mehr vertretbaren Entscheidungen gegeben. Das Rechtsmittel sei auch begründet, denn das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschwerde-führer und dem Angeklagten sei nicht zerrüttet.
Der [X.] und der Angeklagte haben beantragt, die [X.]de als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist unzulässig. Sie ist zwar nach §
304 Abs.
4 Satz
2 Halbsatz
2 Nr.
1 [X.] statthaft, jedoch ist der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung nicht im rechtlichen Sinne beschwert.
Einem Pflichtverteidiger steht gegen die Aufhebung seiner Bestellung kein eigenes Beschwerderecht zu (vgl. [X.], Beschluss vom 17.
November 1997 -
2
Ws
255/97, NJW 1998, 621; [X.], Beschluss vom 6.
März 1996 -
3
Ws
191/96, [X.], 272; [X.], Beschluss vom 1.
Juni 1993 -
3
Ws
286/93, [X.] 1993, 1226; [X.]/[X.], 8.
Aufl., §
143 Rn.
6; MüKo[X.]/[X.]/Kämpfer, §
143 Rn.
18; [X.]/[X.], [X.], 63.
Aufl., §
143a Rn.
36; für ein Beschwerderecht im Falle einer willkürlichen Entscheidung vgl. [X.], Beschluss vom 2.
Dezember 1985 -
2
Ws
652/85, [X.], 138; [X.], Beschluss vom 24.
Juli 1981 -
2
Ws
378/81, [X.], 129; [X.]/[X.]/[X.]/[X.]/
Weiler, Gesamtes Strafrecht, 4.
Aufl., §
143 [X.] Rn.
7; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
143 Rn.
16; SK-[X.]/[X.], 5.
Aufl., §
143 Rn.
26; für ein generelles Beschwerderecht hingegen [X.], [X.], 1, 6
f.; HK-[X.]/
[X.], 6.
Aufl., §
143 Rn.
10; SSW-[X.]/[X.],
4.
Aufl., §
143 Rn.
29 jeweils mwN). Nach der Regelung des §
304 Abs.
2 [X.] können zwar 3
4
5
-
4
-
andere Personen, zu denen auch Verteidiger zählen können (vgl. [X.], [X.] vom 5.
März 2020 -
StB
6/20, NJW 2020, 1534 Rn.
3 mwN), (sofortige) Beschwerde einlegen, wenn sie in ihren Rechten betroffen sind. Anders als durch die Ablehnung der von einem Pflichtverteidiger beantragten Rücknahme seiner Beiordnung (vgl. [X.], Beschluss vom 5.
März 2020 -
StB
6/20, NJW 2020, 1534) ist eine die Beschwerdebefugnis begründende Rechtsbeeinträchti-gung durch die gegen seinen Willen vorgenommene Entpflichtung jedoch nicht gegeben.
1.
Der Zweck der Pflichtverteidigung, die ein Rechtsanwalt grundsätzlich übernehmen muss

49 Abs.
1 [X.]), besteht -
ausschließlich
-
darin, im
öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in [X.] (§
140 [X.]) rechtskundigen Beistand erhält und der [X.] Verfahrensablauf gewährleistet wird (vgl. [X.], Beschluss vom 8.
April 1975 -
2
BvR
207/75, [X.]E 39, 238, 242; [X.], Beschluss vom 1.
Juni 1993 -
3
Ws
286/93, [X.] 1993, 1226; [X.], Beschluss vom 2.
Dezember 1985 -
2
Ws
652/85, [X.], 138). Die Beiordnung eines Verteidigers erfolgt demzufolge nicht in dessen, sondern allein im öffentlichen Interesse zum Schutz des Beschuldigten. Ein Rechtsanwalt hat deshalb keinen aus eigenem Recht ableitbaren Anspruch darauf, in einer bestimmten Strafsa-che zum Verteidiger bestellt zu werden, eine ihm übertragene Pflichtverteidi-gung weiterzuführen und seiner -
drohenden oder vollzogenen
-
Abberufung entgegenzutreten (vgl. [X.], Beschluss vom 2.
Dezember
1985
-
2
Ws
652/85, [X.], 138). Anders als die Ablehnung der von ihm nach §
49 Abs.
2 i.V.m. §
48 Abs.
2 [X.] beantragten Aufhebung seiner Beiord-nung, die ihn mit Blick auf die ihm aus §
49 Abs.
1 [X.] erwachsende Berufs-pflicht in seinem Recht auf Berufsausübungsfreiheit nach Art.
12 Abs.
1 [X.] beeinträchtigen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 5.
März 2020 -
StB
6/20, NJW 6
-
5
-
2020, 1534 Rn.
3
ff.; s. auch [X.], Beschluss vom 8.
April 1975 -
2
BvR 207/75, [X.]E 39, 238, 241
f.), ist die Rücknahme der Bestellung kein ihn beschwerender Eingriff in sein Grundrecht aus Art.
12 Abs.
1
[X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 8.
April 1975 -
2
BvR
207/75, [X.]E 39, 238, 241
f.; so auch [X.], Beschlüsse vom 14.
Oktober 1997 -
2
BvQ
32/97, NJW 1998, 444; vom 11.
März
1997 -
2
BvR
325/97, NStZ-RR 1997, 202, 203).
Aus der ihm durch die staatliche Indienstnahme zukommenden öffent-lichen Funktion folgt nichts anderes (so aber [X.], [X.], 1, 7; SSW-[X.]/[X.], 4.
Aufl., §
143 Rn.
29), denn die Aufgabenerfüllung im öffent-lichen Interesse endet mit der Aufhebung der Bestellung. Mit Blick auf seine öffentliche Funktion liegt auch keine vergleichbare Interessenlage zu einem Wahlverteidiger und dessen Beschwerderecht aus §
138d Abs.
6 Satz
1 [X.] vor (anders [X.], [X.], 1, 6
f.). Zudem darf der ausgeschlossene Wahlverteidiger in dem betreffenden Verfahren für den Angeklagten in keiner Form mehr auftreten (vgl. [X.]/[X.], [X.], 63.
Aufl., §
138a Rn.
22), während der Pflichtverteidiger nach seiner Abberufung grundsätzlich weiterhin als Wahlverteidiger tätig werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 8.
April 1975 -
2
BvR
207/75, [X.]E 39, 238, 245
f.). Da dem Verteidiger kein Anspruch auf Fortführung des [X.] zusteht, vermögen
-
anders
als der Beschwerdeführer meint
-
damit ggf. verbundene wirtschaft-liche Interessen oder ein Rehabilitationsinteresse eine Rechtsbetroffenheit ebenfalls nicht auszulösen.
2.
Diese Grundsätze entsprechen auch dem Willen des Gesetzgebers nach Inkrafttreten des [X.] vom 10.
Dezember 2019 ([X.]
I, S.
2128
ff.). Insbesondere hat der Gesetzgeber in Kenntnis der bisherigen Rechtspraxis für die sofortige Be-7
8
-
6
-
schwerde in §
143a
Abs.
4 [X.]
nF an dem Erfordernis einer Beschwer [X.].
Das [X.] dient der Umsetzung der Richtlinie ([X.]) 2016/1919 des [X.] und des Rates vom 26.
Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für ver-dächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Per-sonen in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls (ABl. [X.] L
297
S.
1
ff.). In Beibehaltung des "bewährten Systems der notwendigen Ver-teidigung"
(BT-Drucks. 19/13829, S.
2) regeln §§
143, 143a [X.]
nF nunmehr die nach bisheriger Rechtslage nur ansatzweise und fragmentarisch normierten Fragen der Dauer, Aufhebung und Zurücknahme der Pflichtverteidigerbestel-lung (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S.
20). Soweit Entscheidungen über einen [X.], die nach bisheriger Gesetzeslage der (einfachen) Beschwerde unterlagen, nunmehr mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde angegrif-fen werden können

143a Abs.
4 [X.]), ergibt sich aus der [X.], dass für die Zulässigkeit des Rechtsmittels an dem Erfordernis einer [X.] festgehalten wird. Denn der Gesetzgeber hat ausdrücklich Bezug auf die bisherige [X.] genommen und dargelegt, die [X.] einer sofortigen Beschwerde
diene ausschließlich dazu, rasch Klarheit über die Frage zu schaffen, wer die Verteidigung übernimmt (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S.
49 ["soweit eine Beschwer besteht"]).
Auch das [X.]-Recht begründet keine Beschwerdebefugnis des Pflichtver-teidigers in der hiesigen Konstellation. Art.
8 RL 2016/1919/[X.] verpflichtet die Mitgliedstaaten, verdächtigen, beschuldigten und gesuchten Personen einen wirksamen Rechtsbehelf für den Fall der Verletzung ihrer Rechte aus der Richt-9
10
-
7
-
linie zur Verfügung zu stellen; die Schaffung besonderer [X.] für Verteidiger intendiert die Richtlinie indes nicht.
3.
Schließlich kann dahinstehen, ob ein Verstoß gegen das aus Art.
3 Abs.
1 [X.] folgende objektive Willkürverbot (vgl. [X.], Beschluss vom 27.
Mai 2020 -
2
BvR
2054/19, juris Rn.
34
f.; [X.]/[X.], [X.], 12.
Aufl., Art.
3 Rn.
5) ein Beschwerderecht zu begründen vermag (so [X.], [X.] vom 2.
Dezember 1985 -
2
Ws
652/85, [X.], 138; [X.],
Beschluss vom 24.
Juli 1981 -
2
Ws
378/81, [X.], 129; [X.]/[X.]/
[X.]/[X.]/Weiler, Gesamtes Strafrecht, 4.
Aufl., §
143 [X.] Rn.
7; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
143 Rn. 16; SK-[X.]/[X.], 5.
Aufl.,
§
143 Rn.
26), denn die angefochtene Entscheidung ist auch mit Blick auf die von dem Vorsitzenden abgegebenen Erklärungen in der Hauptverhandlung [X.] in der Sache nicht offensichtlich unter keinem denkbaren Aspekt recht-lich unvertretbar (zu den Voraussetzungen eines Verstoßes s. [X.], [X.] vom 27.
Mai 2020 -
2
BvR
2054/19, juris Rn.
35; BeckOK [X.]/Kischel, 43.
Ed., Art.
3 Rn.
84,
jeweils mwN).
Schäfer
Wimmer
Anstötz
11

Meta

StB 25/20

18.08.2020

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.08.2020, Az. StB 25/20 (REWIS RS 2020, 11312)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 11312

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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