Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.05.2018, Az. XII ZB 625/17

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 9352

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:090518BXIIZB625.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 625/17
vom
9.
Mai
2018
in der [X.]
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 1896 Abs. 2 Satz 1
Die ausdrückliche Erwähnung des [X.] in §
1896 Abs.
2 Satz
1 BGB soll verhindern, dass dem Betreuer formularmäßig und ohne eingehende Prüfung verhältnismäßig umfangreiche Aufgaben zugewiesen wer-den. Sofern die [X.] allein der Verwirklichung der [X.] dient, ist daher eine entsprechende Einschränkung des [X.]es geboten.
[X.], Beschluss vom 9. Mai 2018 -
XII ZB 625/17 -
LG Düsseldorf

[X.]

-
2
-

Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am
9.
Mai
2018
durch den [X.] Richter Dose
und
die Richter Prof.
Dr.
[X.], Dr.
Günter, Dr.
Nedden-Boeger
und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen
wird der Beschluss der 19.
Zivilkammer des [X.] vom 16.
November 2017 unter Zurückweisung der weitergehenden [X.] teilweise aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des [X.] vom 12.
September 2017 unter Zurückwei-sung der
weitergehenden Beschwerde
aufgehoben, soweit der Aufgabenkreis der Betreuerin die [X.] ein-schließlich der Entscheidung über Unterbringung und freiheitsent-ziehende Maßnahmen auch über den Bereich der [X.] hinaus umfasst. Insoweit wird das Betreuungsverfahren eingestellt.
Das Beschwerde-
und das Rechtsbeschwerdeverfahren sind ge-richtskostenfrei. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Wert
beider Rechtsmittelverfahren: 5.000

-
3
-

Gründe:
I.
Die im Jahre
1969
geborene Betroffene leidet an einer schizophrenen Erkrankung. Diese geht in den akuten Krankheitsphasen mit einer schweren psychotischen Symptomatik und Realitätsverlust einher, so dass es zu einer in das Extreme gesteigerten Abkapselung und Unfähigkeit zur Kontaktaufnahme kommt und die Betroffene nicht in der Lage ist, Nahrung und Flüssigkeit zu sich zu nehmen.
Bereits im Oktober 2004 hatte die Betroffene eine Patientenverfügung erstellt, wonach dann, wenn "keine Aussicht mehr auf Besserung im Sinne ei-nes für [X.] erträglichen und umweltbezogenen Leben"
bestehe, keine lebens-erhaltenden Maßnahmen oder
künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr er-folgen sollten.
Wegen ihrer Erkrankung musste die Betroffene Ende 2010/Anfang 2011, Mitte 2016 und ab März 2017 jeweils mehrere Monate lang stationär -
teilweise unter Einsatz ärztlicher Zwangsmaßnahmen -
behandelt werden. Im Zuge des letzten Krankenhausaufenthalts wurde die Beteiligte zu
1, eine Rechtsanwältin, zur vorläufigen Betreuerin der Betroffenen mit dem Aufgabenkreis Aufenthalts-bestimmung einschließlich der Entscheidung über
Unterbringung und freiheits-entziehende Maßnahmen, Behördenangelegenheiten, Gesundheitssorge und [X.] bestellt.
Nach weiteren Ermittlungen hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 12.
September 2017 die Beteiligte zu
1 auch in der Hauptsache zur Betreuerin bestellt, dabei die Behörden-
und die [X.] aus dem Aufgabenkreis herausgenommen und als spätesten Überprüfungszeitpunkt
1
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-

den 12.
September 2019 bestimmt. Die von der Betroffenen mit dem Ziel der vollständigen Aufhebung der Betreuung
eingelegte Beschwerde hat das Land-gericht zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat
teilweise Erfolg.
Sie führt zur Einschränkung der Betreuung im Bereich der [X.] insoweit, als sich die [X.] einschließlich der Entscheidung über Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen auf den Bereich der Gesundheitssorge bezieht.
1. Das [X.] hat seine Entscheidung unter weitgehender [X.] auf den Beschluss des Amtsgerichts wie folgt begründet: Die Betroffene sei zu einer kritischen und verantwortlichen Abwägung nicht in der Lage, was ihre Erkrankung und deren
Behandlung angehe; ohne Intervention könnten die akuten Krankheitsphasen binnen kurzer Zeit einen tödlichen Verlauf nehmen. Die Betroffene beharre auf ihrer Patientenverfügung, um eine Behandlung ab-zulehnen, obwohl die Erkrankung behandelbar sei und die Lebensgefahr nur aus der Nichtbehandlung folge. Krankheitseinsicht bestehe nicht, der Wille zur Nichtbehandlung sei ausschließlich durch die psychische Erkrankung bedingt. Deshalb sei sie aus gesundheitlichen Gründen gehindert, ihre Angelegenheiten im angeordneten Aufgabenkreis [X.] zu regeln, und benötige in-soweit Hilfe durch eine
Betreuung.
Die Betreuung sei zwar wegen der fehlenden Kooperation der [X.] schwierig, aber nicht
undurchführbar. Anderweitige Hilfen bestünden nicht. 5
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8
-
5
-

Insbesondere sei der Vater der Betroffenen nicht mehr bereit, als Warnposten zu dienen, so dass bei akuter Erkrankung ein noch rechtzeitiges Eingreifen
zu-künftig nur im Rahmen der Betreuung erfolgen könne.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung im überwiegenden Umfang stand.
a) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestel-lung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie -
auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit -
notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine [X.] selbst regeln zu können (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für [X.] Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden [X.] jederzeit auftreten kann (st. [X.]., vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 21.
Januar 2015 -
XII
ZB
324/14 -
FamRZ 2015, 649 Rn. 7 und vom 27.
September 2017 -
XII
ZB
330/17 -
FamRZ 2018, 54 Rn.
12 mwN).
Trotz bestehenden Handlungsbedarfs kann es an der Erforderlichkeit der Betreuung unter anderem fehlen, wenn die Betreuung -
aus welchem Grund auch immer -
keinerlei Änderung der Situation des Betroffenen herbeizuführen geeignet ist und mit ihr daher keine Verbesserung zu Gunsten des Betroffenen erreicht werden kann. Das kommt nach der Senatsrechtsprechung unter engen Voraussetzungen etwa dann in Betracht, wenn der Betroffene jeden Kontakt mit seinem Betreuer verweigert und der Betreuer dadurch handlungsunfähig ist, 9
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-
6
-

also eine "Unbetreubarkeit"
vorliegt (vgl.
Senatsbeschluss vom 27.
September 2017 -
XII
ZB
330/17 -
FamRZ 2018, 54 Rn.
13 mwN).
b) Bei Anlegung dieses Maßstabs macht die Rechtsbeschwerde ohne [X.] geltend, der für die Betroffene eingerichteten Betreuung fehle es schon deshalb an der Erforderlichkeit im Sinne des § 1896 Abs.
2 Satz
1 BGB, weil wegen der Patientenverfügung und der [X.] durch die Betroffene
ein Fall der tatsächlichen Unbetreubarkeit vorliege.
Nach den rechtlich beanstandungsfrei getroffenen tatrichterlichen Fest-stellungen kann bei der eine vorbeugende medikamentöse Behandlung verwei-gernden Betroffenen jederzeit eine erneute
akute
Krankheitsphase auftreten, die dann eine ärztliche
Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären [X.] mit Einwilligung der Betreuerin (§
1906
a BGB) erfordern
kann. Einer solchen Zwangsbehandlung steht die von der Betroffenen erstellte Patienten-verfügung nicht entgegen, weil sie -
wie die Vorinstanzen
zutreffend ausgeführt haben -
nur Krankheitsverläufe erfasst, die nicht im Sinne einer Verbesserung der gesundheitlichen Situation behandelbar sind. Um einen solchen geht es jedoch weder bei der psychischen Erkrankung der Betroffenen noch bei den aus der Abkapselung mit Unfähigkeit zur Nahrungs-
und Flüssigkeitsaufnahme folgenden Zuständen. Mithin hat die Betreuerin die Möglichkeit, durch rechtliche Entscheidungen positiv auf die Lage der Betroffenen einzuwirken.
c) Teilweise zu Recht wendet sich die Rechtsbeschwerde jedoch gegen den Umfang des angeordneten Aufgabenkreises.
aa) Keinen rechtlichen Bedenken begegnet insoweit allerdings, dass die Gesundheitssorge ohne Einschränkungen und damit umfassend in den [X.] aufgenommen worden ist.
Selbst
wenn als Ursache für medizinische Behandlungsmaßnahmen nur die psychische Erkrankung der Betroffenen ab-12
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sehbar ist, können die sich in einer akuten Krankheitsphase aus ihr ergebenden gesundheitlichen Komplikationen -
wie die Vergangenheit gezeigt hat -
weit darüber hinaus gehen und sind einer näheren Eingrenzung nicht zugänglich. Vielmehr kann sich insoweit ein umfassender Handlungsbedarf für die Betreue-rin ergeben.
bb) Anders liegt es aber für den Bereich der [X.]. Der angefochtenen Entscheidung und dem von dieser in Bezug genommenen amtsgerichtlichen Beschluss ist zu entnehmen, dass ein den Bereich der [X.]bestimmung einschließlich der Entscheidung über die Unterbringung und
freiheitsentziehende Maßnahmen
betreffender Handlungsbedarf nur im Zusammenhang mit der Gesundheitssorge absehbar ist
und damit jederzeit auftreten kann. Dass für die Betroffene neben Entscheidungen über den [X.]ort, an dem Behandlungsmaßnahmen zum Wohl der Betroffenen vor-zunehmen sind, auch solche etwa
zu ihrem Wohnort zu treffen sind, ist vom Tatrichter weder festgestellt noch anderweitig ersichtlich.
Mit der ausdrücklichen Erwähnung des [X.] in §
1896 Abs.
2 Satz
1 BGB sollte nach dem Willen des Gesetzgebers aber ge-rade verhindert werden, dass dem Betreuer formularmäßig und ohne eingehen-de Prüfung verhältnismäßig umfangreiche Aufgaben zugewiesen werden, etwa die gesamte Vermögenssorge und die [X.] (BT-Drucks. 11/4528 S.
58, 120). Sofern -
wie hier -
die [X.] allein der Verwirklichung der Gesundheitssorge dient, ist daher eine entsprechende Ein-schränkung geboten (vgl. [X.], 1060, 1061; vgl. auch
[X.]/[X.] BGB [2017] §
1896 Rn.
203
ff.).
3. Soweit das [X.] die Entscheidung des Amtsgerichts, der Be-treuerin die [X.] einschließlich der Entscheidung über Un-

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terbringung und
freiheitsentziehende Maßnahmen
über den Bereich der [X.] hinaus zu übertragen, bestätigt hat, ist die Beschwerdeent-scheidung daher gemäß §
74 Abs.
5 FamFG aufzuheben.
Da keine weiteren Feststellungen zu treffen sind, entscheidet der Senat nach §
74 Abs.
6 Satz
1 FamFG in der Sache selbst.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeu-tung, zur Fortbildung des Rechts
oder zur Sicherung einer einheitlichen Recht-sprechung beizutragen (§
74 Abs.
7 FamFG).

Dose
[X.]
Günter

Nedden-Boeger
Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 12.09.2017 -
115 [X.] 28/17 Z -

LG Düsseldorf, Entscheidung vom 16.11.2017 -
19 [X.]/17 -

19

Meta

XII ZB 625/17

09.05.2018

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.05.2018, Az. XII ZB 625/17 (REWIS RS 2018, 9352)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9352

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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