Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 17.12.2003, Az. 3 U 126/03

3. Zivilsenat | REWIS RS 2003, 127

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Tenor

Die Berufung der Klägerinnen gegen das am 5. Februar 2003 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Klägerinnen wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

G r ü n d e

I.

Die Klägerinnen sind die gesetzlichen Erbinnen des am 17.12.1996 im Universitätsklinikum F2 verstorbenen G zu je ½ in ungeteilter Erbengemeinschaft. Die Klägerin zu 1) ist die seit dem 21.12.2001 erneut verheiratete Witwe des Verstorbenen, die Klägerin zu 2) ist seine Tochter aus der Ehe mit der Klägerin zu 1).

Mit ihrer Klage und ihrer Berufung verlangen sie Ersatz materieller und immaterieller Schäden wegen angeblicher Behandlungs- und Aufklärungsdefizite im Zusammen-hang mit einer endoskopischen Operation vom 12.11.1996, in deren Folge sich eine mediastinitis und schließlich ein septisches Multiorganversagen mit Todesfolge ent-

wickelte.

Der Verstorbene wandte sich am 02.07.1996 wegen eines ständigen Räusperzwanges und Hustenreizes an den HNO-Facharzt Dr. F in F2, nachdem er bereits seit etwa einem Jahr daran sowie unter Schluckbeschwerden gelitten hatte. Zur Abklärung der Symptomatik erfolgte eine Untersuchung in der radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. T3 und T4 in F2, die nach einer Röntgen-Ösophagusbreischluckuntersuchung in der Beurteilung ein kleines Zenker’sches Diverti-kel Typ I bis II feststellten. Mit diesem Röntgenbefund stellte sich der später verstor-bene Herr G am 11.07.1996 in der HNO-Ambulanz der Beklagten zu 3) vor. Auf-grund des radiologischen Befundes und der klinischen Untersuchung wurde eine operative Maßnahme empfohlen und eine stationäre Aufnahme in der HNO-Abtei-lung der Beklagten für den 11.11.1996 vereinbart. Im Rahmen der Absprache gab es ein weiteres Gespräch des Herrn G mit dem Zeugen Dr. L. Der Inhalt im einzelnen ist zwischen den Parteien streitig.

Nach der stationären Aufnahme vom 11.11.1996, bei der im Rahmen der Anamnese nochmals das Fortbestehen der Beschwerden abgeklärt wurde, hatte der Patient ein Gespräch mit dem Zeugen T2, der sich zum damaligen Zeitpunkt noch im Studium befand. Bei diesem Gespräch erläuterte der Zeuge T2 nochmals die vorgesehene Operation, wobei der Patient eine Einverständniserklärung unterzeichnete. Am 12.11.1996 erfolgte dann die endoskopische laserchirurgische Schwellendurchtrennung durch den Beklagten zu 2) in Intubationsnarkose, wobei der ca. 15-minütige Eingriff unter Antibiotikagabe im OP nach den Unterlagen völlig problemlos verlief.

Am Nachmittag, sowie am späteren Abend des Operationstages sind im Über-wachungsbogen Klagen des Patienten jeweils über Nacken- und Schulterschmerzen dokumentiert. Er wurde hiergegen mit Salben und einem Gel behandelt. In der folgenden Nacht erbrach der Patient in den Morgenstunden gegen 5.00 Uhr und seine Temperatur erhöhte sich leicht auf 38,8 Grad. Im Laufe des 13.11.1996 erhöhte sich die Temperatur zum Nachmittag auf 39,4 Grad und der Puls auf 132. Aufgrund dieser Zustandsverschlechterung erfolgte die Anordnung von intravenöser Antibiotikagabe sowie weiterer verschärfter Überwachungsmaßnahmen hinsichtlich des Patienten. Nach einer vorübergehenden Verbesserung seines Zustandes, der Durchführung von Röntgenaufnahmen sowie einem Blutbild mit reduzierten Leukozyten und nicht mehr auffälligen Thrombozytenzahlen stellte sich im Laufe des 14.11.1996 eine deutliche Verschlechterung des Zustandes mit einer Arrhytmie ein, was zu einem internistischen Konsil zum Abend des 14.11.1996 führte.

Nach Gesprächen sowohl des Beklagten zu 1) als auch des Beklagten zu 2) mit dem Patienten über eine erneute Operation erfolgte am 15.11.1996 eine Revisionsoperation. Bei dieser collaren Mediastinotomie links wurde eine tiefgreifend infizierte und vereiterte Wunde im Bereich der Laserwunde aufgefunden. Nach Absaugen des Eiters und Spülung des Mediastinums wurde eine Abzeßdrainage gelegt und der Patient auf die Anästhesie-Intensivabteilung verlegt.

Im weiteren Verlauf verschlechterte sich der Zustand des Patienten auf der Intensivstation derart, daß er in der Nacht zum 17.11.1996 erneut operiert werden mußte, wobei diese Operation nicht mehr von den Beklagten, sondern von Chirurgen durchgeführt wurde. Nach einer kurzzeitigen Stabilisierung des Zustandes verschlechterte sich das Befinden des Patienten jedoch erneut, so daß am 02.12.1996 eine nochmalige Revision des Mediastinums erforderlich wurde. Da hierdurch keine nachhaltige Verbesserung des Allgemeinzustandes eintrat wurde dem Patienten am 04.12.1996 im Rahmen einer weiteren Operation neben weiteren Maßnahmen die Speiseröhre entfernt. Nach einer vorübergehenden Stabilisierung kam es ab dem 09.12.1996 wiederum zu einer Verschlechterung des Patientenzustandes, wobei die Ärzte aufgrund der Schwere des Befundes keine Möglichkeit zu einer weiteren operativen Operation mehr sahen. Schließlich verstarb der Patient am 17.12.1996 im septischen Multiorganversagen.

Mit der Klage haben die Klägerinnen ein Schmerzensgeld des Verstorbenen – Mindestvorstellung 150.000,-- DM – sowie eigene Schmerzensgeldbeträge – Mindestvorstellungen 30.000,-- DM hinsichtlich der Klägerin zu 1) und 20.000,‑‑ DM hinsichtlich der Klägerin zu 2) – sowie die Erstattung von Beerdigungskosten und Unterhaltsschäden verlangt und ferner verschiedene Feststellungsanträge erhoben.

Zur Begründung haben die Klägerinnen nur die Behandlung bis zur Revisionsope-ration vom 15.11.1996 beanstandet, nicht aber den weiteren Ablauf bei den nachbehandelnden Ärzten und im wesentlichen geltend gemacht, daß der Eingriff vom 12.11.1996 nicht indiziert gewesen und zudem fehlerhaft ausgeführt worden sei. Denn es sei bei der Laseroperation zu einer vollständigen Durchtrennung der Speiseröhrenwand mit einer Infizierung des gesamten Thorax gekommen, ohne daß diese Perforation im Rahmen der anschließenden Behandlung aufgefallen sei. Ferner sei der Verstorbene auch über die Risiken dieser Operation nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden, da er sich anderenfalls nicht für einen so gravierenden operativen Eingriff entschieden hätte.

Die Nachsorge der Beklagten sei ebenfalls insgesamt unzureichend gewesen und auch verspätet aufgenommen worden, wodurch rettende Maßnahmen verzögert worden seien. Nach den Umständen vom 13.11. bzw. spätestens vom 14.11.1996 sei eine sofortige operative Maßnahmen entsprechend den Ausführungen von Prof. Dr. Q aus dem Gutachten der Gutachterkommission geboten und erforderlich gewesen, was allerdings erst in der Nacht zum 17.11.1996 erfolgt sei. Der dann – ohne Einwilligung des Verstorbenen – erfolgte Revisionseingriff vom 15.11.1996 sei ebenfalls nicht sachgerecht ausgeführt worden, da die Ursache der Mediastinitis hierbei nicht ausreichend erkannt und die Durchtrennung des Ösophagus nicht durch eine Nacht geschlossen worden sei.

Das Landgericht hat nach Vernehmung der Zeugen Dr. L und Dr. T2 sowie nach Einholung schriftlicher Gutachten der Sachverständigen Dr. Y aus Y2 und Prof. Dr. I2 nebst jeweils ergänzenden schriftlichen Stellungnahmen sowie mündlicher Anhörung beider Gutachter im Termin vom 04.12.2002 die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß die Klägerinnen einen Behandlungsfehler nicht bewiesen hätten, da nach den übereinstimmenden Angaben beider Sachverständiger die Operation indiziert gewesen und in der Durchführung nicht zu beanstanden sei. Beide Gutachter seien übereinstimmend von der Behandlungsbedürftigkeit des vorliegenden Befundes ausgegangen, da derartige Aussackungen sich nicht von selbst zurückbilden würden, sondern regelmäßig progredient verliefen, was auch im vorliegenden Fall anzunehmen gewesen sei. Die Wahl der endoskopischen Operationsmethode sei nicht fehlerhaft gewesen und es könne nicht festgestellt werden, daß die Ausführung der Operation nicht sachgerecht gewesen sei. Auch die postoperative Behandlung einschließlich der Revisionsoperation sei nach den übereinstimmenden Angaben der Sachverständigen nicht zu beanstanden. Nach den Aussagen der Zeugen L und T2 sei auch eine Haftung wegen eines Aufklärungsdefizits nicht gegeben. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird im Übrigen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgen die Klägerinnen ihr Begehren auf Schmerzensgeld für den verstorbenen Ehemann und Vater und für sich selbst sowie auf Ersatz materieller Schäden und Feststellung weiter. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie ihre erstinstanzlichen Vorwürfe zu den Behandlungsfehlern unter Berufung auf die schriftlichen Ausführungen der Sachverständigen Y und Q, wobei sie insbesondere beanstanden, daß die Diagnose der Beklagten unzureichend und fehlerhaft gewesen und eine weitergehende Diagnostik geboten gewesen sei. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird insoweit auf die Beru-fungsbegründung vom 15.07.2003 (Bl. 723 ff. GA) Bezug genommen.

Ferner berufen sich die Klägerinnen erneut darauf, daß der Revisionseingriff vom 15.11.1996 ohne Einwilligung des Patienten erfolgt sei und die Aufklärung für den Eingriff vom 12.11.1996 nicht ordnungsgemäß gewesen sei und der verstorbene Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung den Eingriff nicht hätte durchführen lassen. Insoweit sei nach Auffassung der Klägerinnen auch zu berücksichtigen, daß der Zeuge Dr. L im Zeitpunkt des Gespräches noch nicht Facharzt gewesen und das Gespräch vom 11.11.1996 sogar von einem Studenten geführt worden sei, wobei hinsichtlich der Sprachkunde des Verstorbenen auch dessen ausländische Herkunft zu berücksichtigen sei.

Die Klägerinnen beantragen, nachdem sie im Senatstermin vom 17.12.2003 die Berufung gegenüber dem - beamteten - Beklagten zu 1) zurückgenommen haben, nunmehr

II.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

1.

an die Klägerinnen als Gesamtgläubiger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 20.02.1998 zu zahlen,

2.

an die Klägerin zu 1) Schadensersatz in Höhe von 3.531,76 Euro nebst 4 % Zinsen seit dem 01.04.1998 zu zahlen,

3.

an die Klägerinnen folgenden Unterhaltsschaden zu zahlen:

a)

für die Zeit vom 01.01.1997 bis zum 31.12.1997

für die Klägerin zu 1) in Höhe von monatlich 1.293,57 Euro

(insgesamt 15.522,82 Euro)

für die Klägerin zu 2) in Höhe von monatlich 258,20 Euro

(insgesamt 3.098,43 Euro)

b)

für die Zeit vom 01.01.1998 bis zum 30.07.1998

für die Klägerin zu 1) in Höhe von monatlich 1.340,61 Euro

(insgesamt 9.384,25 Euro)

und vom 01.08.1998 bis zum 31.12.1998 in Höhe von monatlich 644,22 Euro

(insgesamt 2.576,91 Euro)

für die Klägerin zu 2) für 1998 in Höhe von monatlich 262,45 Euro

(insgesmat 3.161,62 Euro)

c)

für die Zeit vom 01.01.1999 bis zum 31.05.1999

für die Klägerin zu 1) in Höhe von monatlich 689,73 Euro

(insgesamt 3.464,00 Euro)

für die Klägerin zu 2) in Höhe von monatlich 272,52 Euro

(insgesamt 1.362,60 Euro)

d)

für die Zeit vom 01.06.1999 bis zum 30.08.1999

für die Klägerin zu 1) in Höhe von monatlich 689,73 Euro

(insgesamt 2.069,20 Euro)

e)

für September 1999 in Höhe von 2.050,00 Euro und vom 01.10.1999 bis 31.12.1999 in Höhe von monatlich 875,33 Euro

(insgesamt 2.626,00 Euro)

f)

für die Zeit vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2000

für die Klägerin zu 1) in Höhe von monatlich 952,44 Euro

(insgesamt 11.105,26 Euro)

g)

für die Zeit vom 01.01.2001 bis zum 29.02.2001

für die Klägerin zu 1) in Höhe von monatlich 982,96 Euro

(insgesamt 1.965,92 Euro)

h)

für die Zeit vom 01.03.2001 bis zum 21.12.2001

für die Klägerin zu 1) in Höhe von monatlich 638,10 Euro

(insgesamt 6.380,92 Euro).

III.

festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zu 1) und der Klägerin zu 2) den Steuernachteil zu erstatten, der dadurch entstanden ist, daß der Unterhaltsschaden für die Jahre 1997 bis einschließlich 2001 nicht in dem jeweiligen Jahr versteuert werden kann, sondern nach Zahlung in einer Summe versteuert werden muß.

IV.

Weiterhin festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägerinnen die auf die Schadensersatzleistung jeweils zu entrichtende Einkommens- und Kirchensteuer zu erstatten.

V.

Festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägerinnen den aus der Tötung des Vaters und Ehemannes entstandenen über die Leistungsanträge hinausgehenden weiteren Schaden zu ersetzen.

Weiterhin beantragen die Klägerinnen vorsorglich,

Zurückverweisung im Falle der Voraussetzungen des § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil mit weiterem Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Behandlungsunterlagen, das Sitzungsprotokoll und den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 17.12.2003 über die ergänzende Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. I2 und Dr. Y Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerinnen gegenüber den Beklagten zu 2) und 3) ist nicht begründet.

Das Landgericht hat zu Recht angenommen, daß eine Haftung der Beklagten weder aus dem Gesichtspunkt eines schuldhaften Behandlungsfehlers noch wegen einer Aufklärungspflichtverletzung festgestellt werden kann.

1)

Nach dem Ergebnis der erneuten Sachverständigenanhörung vermag der Senat nicht festzustellen, daß die operative Maßnahme vom 12.11.1996 medizinisch nicht hinreichend indiziert gewesen wäre. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. I2 war der laserchirurgische Eingriff durch den Beklagten zu 2) vom 12.11.1996 ohne jegliches Bedenken aufgrund der vorangegangenen Diagnostik indiziert und beruhte keineswegs auf unzureichenden Diagnosemaßnahmen oder fehlerhaften Bewertungen der erhobenen Befunde. Prof. Dr. I2, dessen außergewöhnlich große praktische Erfahrung und Sachkunde, auch als Lehrbuchautor auf dem Gebiet der Chirurgie des Ösophagus und des Hypopharynx aufgrund seiner internationalen Anerkennung außer Zweifel steht, stimmt bei seiner Indikationsstellung mit der Beurteilung im  Gut-achten von Prof. Dr. X vom 23.10.1998 und mit dem Gutachten des von der Staatsanwaltschaft Essen eingeschalteten Prof. Dr. N2 vom 08.10.1999 sachlich überein. Der Gutachter hat bei seiner Anhörung nochmals überzeugend erläutert, daß die radiologische Beurteilung vom Juli 1996 im Zusammenhang mit dem erhobenen klinischen Befund über die Beschwerden des Patienten und der präoperativen endoskopischen Überprüfung eine völlig ausreichende und genügende Diagnostik darstellen würde, die einen zuverlässigen und hinreichend sicheren Schluß auf die Erforderlichkeit der durchgeführten Operation ergebe. Da es nach den Befunden über die Aussackung bzw. Ausstülpung innerhalb des Hypopharynx keine erfolgversprechende Behandlungsalternative gab, war nach Prof. Dr. I2, auch nach Einsicht in die vorliegenden Röntgenbilder von Juli 1996, eine eindeutige Indikation für die erfolgte laserchirurgische Schwellendurchtrennung gegeben. Der Sachverständige hat ausdrücklich angegeben, daß er bei dem gegebenen radiologischen und klinischen Befund ebenso wie die Beklagten gehandelt und den Patienten ebenfalls operiert hätte. Er hat dabei darauf verwiesen, daß die endoskopisch vom Operateur beschriebene Muskelverdickung gar keine andere Art der Beseitigung zugelassen habe, um die vorhandene und den Patienten schon seit geraumer Zeit störende Engstelle zu beseitigen. Der Sachverständige Prof. Dr. I hat dabei plausibel dargetan, daß weitere diagnostische Maßnahmen – wie et-wa eine in der mündlichen Verhandlung beim Landgericht erörterte Mammometrie – kein abweichendes Diagnoseergebnis erbracht hätten und wegen der im weiteren Verlauf der Erkrankung eintretenden massiven Beeinträchtigungen des betroffenen Patienten, die bis zu einer völligen sozialen Insolation führen könnten, auch bereits in einem relativ frühen Stadium des Divertikels eine Indikation zur operativen Maßnahmen gegeben sei.

Dem gegenüber vermochte der Senat der insofern abweichenden Beurteilung des Sachverständigen Dr. Y zur Frage der Operationsindikation nicht zu folgen. Dr. Y hat bei seinen Angaben über eventuell mögliche und gebotene weitere diagnostische Maßnahmen weder eine nachvollziehbare Begründung für deren Notwendigkeit geben noch konkrete Angaben dazu machen können, was die theoretisch denkbaren weiteren Untersuchungen im Ergebnis mit einer auch nur annähernd gewissen Wahrscheinlichkeit an neuen Erkenntnissen in Bezug auf den konkreten Patienten erbracht hätten und daß eine Operation danach mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit entbehrlich geworden wäre. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Y waren insgesamt eher theoretisch ausgelegt und vermochten keine praktische Alternative für die konkrete Behandlung und Befundung des hier in Frage stehenden Patienten unter Berücksichtigung des regelmäßig progredienten Erkrankungsverlaufs aufzuzeigen. Die bloße wissenschaft-lich-theoretische Möglichkeit einer anderweitigen Beschwerdeursache und das Vorhandensein von weitergehenden Diagnoseansätzen begründet im Ergebnis keinen ernsthaften Zweifel an dem Vorliegen der vom Sachverständigen Prof. Dr. I2 festgestellten Operationsindikation. Die eher spekulativen Ausführungen des Gutachtens Dr. Y konnten auch keine vernünftigen Zweifel daran begründen, daß die präoperativ endoskopisch festgestellte und im Operationsbericht als muskulär sehr kräftig beschriebene Schwelle nur durch eine operative Maßnah-me zu beseitigen war. Dr. Y hat trotz eingehender Befragung keine nach den gesamten Umständen ernsthaft in Betracht kommende andere Alternative aufzeigen könnnen.

Letztlich kann im Rahmen der Indikationsstellung der Beklagten im Übrigen auch schon deshalb kein schuldhafter Verstoß gegen den gebotenen medizinischen Standard gesehen werden, weil die sachliche Richtigkeit der Indikation für einen operativen Eingriff immerhin von 3 anerkannten Sachverständigen bestätigt worden ist.

2.

Die Wahl der angewandten Operationsmethode und die Durchführung des endoskopisch laserchirurgischen Eingriffs lassen einen Behandlungsfehler ebenfalls nicht erkennen.

Zwar ist die Frage der Operationsmethodik umstritten, da es ausweislich der schriftlichen Begutachtungen sowie der mündlichen Sachverständigenanhörungen unterschiedliche Auffassungen darüber in der medizinischen Lehre gibt, ob bei der hier vorliegenden Indikation eine operative Maßnahme von innen, d. h. im Wege einer transoralen laserchirurgischen Operation, oder nach der herkömmlichen Methode von außen durch den Hals vorzugswürdig ist. Jedoch ist es auch nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Y, dem wohl führenden Vertreter der von außen durchgeführten Operationstechnik in Europa, sachverständig nicht zu beanstanden, daß die Operation im Wege der laserchirurgischen Technik ausgeführt worden ist, da diese Form der Operationstechnik von einem erheblichen Teil der Operateure angewandt und als anerkannte Methodik in der medizinischen Lehre angesehen wird. Allein der Umstand, daß der Sachverständige Dr. Y diese Methode für risikoreicher und daher die von ihm angewandte herkömmliche Methodik für vorzugswürdig ansieht, rechtfertigt keine anderweitige Beurteilung. Der Sachverständige Prof. Dr. I2 hat demgegenüber die Vorteile der endoskopischen Operationstechnik dargetan und im Hinblick auf die bei der anderweitigen Operationstechnik ebenfalls vorhandenen Operationsrisiken angegeben, daß er selbst die von ihm früher ebenfalls angewandte Operationstechnik von außen nicht mehr anwenden würde.

Die Ausführung der Operation vom 12.11.1996 kann nach den Angaben beider Gutachter nicht als fehlerhaft bewertet werden. Während Prof. Dr. I2 keinerlei Beanstandungen gegen die Durchführung des Eingriffs erhebt und nach den vorliegenden Unterlagen davon überzeugt ist, daß durch den Eingriff ohnehin keine Perforation beim Patienten verursacht worden ist, stellt nach Dr. Y die Operationsdurchführung in der laserchirurgischen Technik selbst dann keinen Behandlungsfehler dar, wenn innerhalb des Eingriffs -  wie von ihm für wahrschein-lich gehalten – eine Perforation im Hypopharynx verursacht worden wäre. Dies sei das normale Risiko dieser Operationstechnik und bedeutet daher keinen Behandlungsfehler.

3.

Der Bereich der postoperativen Versorgung und die von den Klägerinnen noch beanstandete Revisionsoperation vom 15.11.1996 können nach den insoweit weitgehend übereinstimmenden Ausführungen der angehörten Gutachter nicht als behandlungsfehlerhaft bewertet werden.

Die Sachverständigen haben darin übereingestimmt, daß bei der postoperativen Versorgung nach Auftreten von Anzeichen und Verdachtsmomenten für eine eventuelle Mediastinitis die angewandte konservative Behandlungsmethode ordnungsgemäß war und es nicht umgehend eines Revisionseingriffs bedurfte. Der Sachver-ständige Prof. Dr. I2 hat im Einzelnen ausgeführt, daß weder die anfäng-liche leichte Temperaturerhöhung noch die Blutwerte des Patienten Anlaß zu weitergehenden Maßnahmen gegeben hätten und insgesamt nicht als Alarmzeichen anzusehen waren. Eine Temperaturerhöhung sowie der Anstieg der Leukozyten sei nach einer operativen Maßnahme als durchaus normal anzusehen und gebe keine Veranlassung zu umfassenderen Maßnahmen, insbesondere da die Temperatur zunächst nach der erhöhten Medikamentengabe ebenso wie die Anzahl der Leukozyten bei insgesamt unauffälligen Thrombozyten gesunken sei. Das vorhan-dene Emphysem könne nicht als Anhalt für eine Mediastinitis gesehen werden. Gegen diese Lufteinlagerung sei auch nichts zu veranlassen. Der Sachverständige Prof. Dr. I2 war daher im Ergebnis der Ansicht, daß die Beklagten mangels vorhandener Anzeichen bis zur Zustandsverschlechterung des Patienten, die dann auch zur Entscheidung für eine erneute operative Maßnahmen geführt habe, nicht mehr und auch nichts anderes hätten machen müssen.

Der Sachverständige Dr. Y hat sich dieser Beurteilung im Ergebnis angeschlossen, da auch er keine konkreten Anhaltspunkte dafür gesehen hat, daß durch die Beklagten auf Warnzeichen nach der Operation unzureichend oder verspätet reagiert worden wäre.

In Bezug auf die Revisionsoperation waren beide Sachverständige übereinstimmend der Auffassung, daß diese Maßnahme aufgrund der Zustandsverschlechterung des Patienten zur richtigen Zeit und nicht verspätet erfolgt sei und die durchgeführten Maßnahmen, d. h. das Entfernen des vorhandenen Eiters mit anschließender Spülung und Drainage sachlich völlig korrekt und angemessen gewesen sei. Beide Gutachter haben angegeben, daß ein Übernähen der Perforationsstelle -–wie in dem Gutachten von Prof. Q vom 18.01.1998 gefordert – nicht angezeigt gewesen sei. Prof. Dr. I2 und Dr. Y waren übereinstimmend der Meinung, daß die bloße Anlage einer Drainage unbedingt die sachgerechte und fachlich richtige Maßnahme gewesen sei. In dieser Beurteilung zum Revisionseingriff sowie zum gesamten postoperativen Verlauf stimmen die beiden Sachverständigen überdies auch mit den Gutachten von Prof. Dr. X (GA Bl. 91 ff.) und Prof. Dr. N2 (GA Bl. 337 ff.) überein, die ebenfalls insoweit keinen Behandlungsfehler erkennen konnten.

IV.

Zutreffend hat das Landgericht auch eine Haftung der Beklagten aus der Verletzung einer Aufklärungspflicht verneint, wobei das Landgericht dieses auch aus seiner Sicht inhaltlich eindeutige Beweisergebnis nur etwas unglücklich formuliert hat (S. 13 letzter Absatz: "Schließlich ist auch nicht bewiesen,...").

Nach der Beweisaufnahme vom 05.02.2003 (GA Bl. 636 ff.) durch Vernehmung der Zeugen L und T2 steht fest, daß der verstorbene Patient in ordnungsgemäßer Weise über die Art und Schwere des Eingriffs vom 12.11.1996 sowie die konkreten Risiken der Behandlung aufgeklärt worden ist. Aufgrund der Aussagen des Zeugen L, an deren Richtigkeit - auch nach dem angefochtenen Urteil - keinerlei Zweifel bestehen, steht ferner fest, daß der Patient nicht nur sachlich ausreichend, sondern auch rechtzeitig aufgeklärt worden ist, da die Aufklärung des Verstorbenen bereits zu dem Zeitpunkt am 11.07.1996 erfolgte, in dem die später am 12.11.1996 durchgeführte Operation terminlich mit ihm festgelegt worden ist (vgl. BGH, NJW 2003, 2012 ff.). Der Zeuge L hat dem Patienten dabei beide möglichen Operationstechniken des anstehenden Eingriffs erläutert, da zu jenem Zeitpunkt noch nicht feststand, welche Behandlungsmethode letztlich angewandt werden würde. Ferner hat der Zeuge den Patienten nach seinen Bekundungen auch über die jeweiligen Risiken der unterschiedlichen Operationen informiert und insbesondere darauf hingewiesen, daß nach dem Eingriff Beschwerden fortbestehen können und daß es zu oberflächlichen oder tiefen Wundinfektionen sowie zu einer möglichen Verletzung von Nerven und Gefäßen kommen kann. Damit hat der Zeuge den Patienten schon Monate vor der stationären Aufnahme im Großen und Ganzen über das Spektrum der möglichen Komplikationen in ausreichender Weise informiert, ohne daß schon jetzt eine nähere Erläuterung etwa des Risikos einer Mediastinitis erforderlich gewesen wäre.

Es bestehen für den Senat vor dem Hintergrund der Bekundungen der beiden Zeugen sowie der Angaben des Beklagten zu 2) zu ihren jeweiligen Gesprächen mit dem Patienten keine Bedenken, daß dieser trotz seiner spanischen Herkunft die Aufklärung hinreichend verstanden hat, zumal er nach dem eigenen Vortrag der Kläge-rinnen (GA Bl. 299, 300) bereits allein 17 Jahre im Betrieb der Firma N gearbeitet hatte, dort Mitte des Jahres 1997 wegen des Ausscheidens eines Vorarbeiters dessen Position einnehmen sollte und überdies seit November 1978 mit der Klägerin zu 1) verheiratet war.

Darüber hinaus ist der Patient nochmals am 11.11.1996 durch den Zeugen T über den bevorstehenden Eingriff eingehend und sachgerecht aufgeklärt worden. Der Umstand, daß der Zeuge zu jenem Zeitpunkt noch nicht sein Medizinstudium beendet hatte, steht einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht grundsätzlich entgegen. Der Zeuge T2 hatte sich nach seinen Bekundungen zeitnah zu dem Gespräch mit dem Verstorbenen über die später angewandte Operationsmethodik nebst Komplikationen und Nachsorge bei einem Oberarzt informiert, so daß er eine sachgerechte und inhaltlich zutreffende Aufklärung über die beiden Operations-methoden und deren Risiken geben konnte und hier auch gegeben hat. Ausweislich der dabei unterzeichneten Einverständniserklärung (Beiakte Bl. 49) und den darauf enthaltenen schriftlichen Zusätzen des Zeugen ist bei diesem ca. 30-minütigen Gespräch sogar ausdrücklich das Risiko einer Mediastinitis mit dem Erfordernis einer thoraxchirurgischen Versorgung zur Sprache gekommen, wobei der Zeuge T2 allerdings darauf hingewiesen hat, daß er gegenüber dem Patienten nicht den medizinischen Fachausdruck verwand habe, sondern den Begriff „Zwischenlungenraumentzündung“.

Nach dieser zweifachen Aufklärung hatte der Patient zudem noch ein weiteres Gespräch am Abend des 11.11.1996 mit dem Beklagten zu 2) als dem Operateur der am nächsten Morgen anstehenden Maßnahme, wobei jedoch nach den eigenen Angaben des Beklagten zu 2) im landgerichtlichen Protokoll (GA Bl. 636) nur noch einzelne Aspekte der anstehenden Operation angesprochen wurden. Die Angaben des Beklagten zu 2) weisen jedoch ebenfalls darauf hin, daß eine ausführliche und eingehende Aufklärung des Patienten vorausgegangen war, da es offensichtlich keine Nachfragen durch den Patienten an den Operateur gegeben hat.

Eine Haftung aus dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflichtverletzung kommt ebenfalls in Bezug auf den Revisionseingriff vom 15.11.1996 nicht in Frage. Ausweislich der Krankenunterlagen (Beiakte Bl. 3 a) haben sowohl der Beklagte zu 1) wie der Beklagte zu 2) mit dem Patienten über die aufgrund der Zustandsverschlechterung geplante Maßnahme gesprochen, wobei dieser sein Einverständnis erklärt hat. Es bestehen keinerlei Zweifel, daß dieser Eintragung in den Krankenunterlagen zutreffend und korrekt ist, so daß der - ohnehin alternativlose - Eingriff vom 15.11.1996 ebenfalls durch eine Einwilligung des Patienten gedeckt war.

5.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

6.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierzu nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Meta

3 U 126/03

17.12.2003

Oberlandesgericht Hamm 3. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: U

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 17.12.2003, Az. 3 U 126/03 (REWIS RS 2003, 127)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 127

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