Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.03.2017, Az. 9 C 1/16

9. Senat | REWIS RS 2017, 13508

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Gegenstand

Zur Verjährung des Anspruchs auf Prozesszinsen


Leitsatz

Der Anspruch auf die Zahlung von Prozesszinsen entsprechend § 291 BGB verjährt bei allgemeinen Leistungsklagen grundsätzlich innerhalb von drei Jahren ab dem Schluss des Jahres, in dem er rechtshängig geworden ist.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft die Frage der Verjährung des Anspruchs auf [X.].

2

Die Beteiligten schlossen 1992 einen städtebaulichen Vertrag, den die Klägerin im Jahr 2002 kündigte. Mit ihrer am 30. Dezember 2004 erhobenen Klage hat sie von der Beklagten die Erstattung von 4 921 403,80 € gefordert. Einen Antrag auf Verzinsung dieses Betrages hat die Klägerin in erster Instanz nicht gestellt. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte dennoch verurteilt, an die Klägerin 1 907 834,10 € nebst acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 30. Dezember 2004 zu zahlen. Im Berufungsverfahren der Beklagten hat die Klägerin, ohne Anschlussberufung einzulegen, mit Schriftsatz vom 28. Februar 2013 beantragt, die Beklagte für den Zeitraum vom 31. Dezember 2004 bis 30. September 2012 zur Verzinsung des Erstattungsanspruchs zu verurteilen. Die Beklagte hat hinsichtlich der [X.] die Einrede der Verjährung erhoben. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Beklagten teilweise stattgegeben und den an die Klägerin zu zahlenden Betrag auf 1 202 074,10 € reduziert sowie die Klägerin verurteilt aus einem Betrag von 1 154 809,35 € Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. Januar 2010 bis zum 30. September 2012 zu zahlen. Zur Begründung hat das Berufungsgericht hinsichtlich des [X.] ausgeführt, die erstmalige Beantragung von [X.] im Berufungsverfahren sei vorliegend auch ohne eigene (Anschluss-)Berufung der Klägerin zulässig. Da der Anspruch auf [X.] bereits mit der Rechtshängigkeit entstehe, sei der erstmals am 1. März 2013 geltend gemachte Zinsanspruch jedoch für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2009 verjährt.

3

Mit ihrer vom Senat allein hinsichtlich des [X.] für den Zeitraum vom 31. Dezember 2004 bis zum 31. Dezember 2009 zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, die Entstehung der [X.] setze die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung voraus.

4

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des [X.] vom 3. September 2014 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1 202 074,10 € sowie aus dem Betrag von 1 154 809,35 € Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für den Zeitraum vom 31. Dezember 2004 bis zum 30. September 2012 zu zahlen.

5

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

Die zulässige Revision ist unbegründet.

7

1. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht der Klägerin die umstrittenen (weiteren) [X.] nicht schon deshalb versagt, weil die Klägerin den Zinsanspruch vor dem Verwaltungsgericht nicht geltend gemacht hatte. Zwar verstieß das erstinstanzliche Urteil insoweit gegen § 88 VwGO, als es die Beklagte dennoch zur Zahlung von Zinsen verurteilte. Dieser Verstoß wurde aber auch ohne eigene (Anschluss-)Berufung der Klägerin dadurch geheilt, dass sie im Berufungsverfahren die Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] beantragt, sich damit dessen Urteilsausspruch zu eigen gemacht und ihr Klagebegehren gemäß § 173 VwGO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 ZPO entsprechend erweitert hat (vgl. [X.], Urteile vom 20. April 1990 - [X.] - [X.]Z 111, 158 <161>, vom 12. Januar 1994 - [X.] - [X.]Z 124, 351 <370> und vom 24. Januar 2013 - [X.] - juris Rn. 11); dahinstehen kann, ob dies auch im Fall einer echten Klageänderung in Form einer nachträglichen Klagehäufung gelten würde (dagegen BSG, Urteil vom 23. April 2015 - [X.] RE 23/14 R - [X.], 294 Rn. 12; s.a. [X.], Urteil vom 23. September 2010 - 7 C 20.09 - [X.] 451.223 ElektroG Nr. 4 Rn. 17).

8

2. Die Klägerin kann den Anspruch auf Zahlung von [X.] für den noch in Streit stehenden [X.]raum nicht durchsetzen, weil die Beklagte insoweit zu Recht die Einrede der Verjährung erhoben hat.

9

a) Vorbehaltlich abweichender Regelungen im einschlägigen Fachrecht können, sofern - wie vorliegend - der Umfang der Geldschuld eindeutig bestimmt ist oder rechnerisch unzweifelhaft ermittelt werden kann, nach dem im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbaren § 291 Satz 1 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 [X.] Rechtshängigkeitszinsen verlangt werden ([X.], Urteile vom 18. Mai 1973 - 7 C 21.72 - [X.] 451.80 Allgemeines Nr. 19 S. 53 ff. und vom 26. Juli 2012 - 2 C 29.11 - [X.]E 143, 381 Rn. 46 f. m.w.N.).

b) Öffentlich-rechtliche Ansprüche unterliegen mangels spezieller Regelung grundsätzlich der Verjährung entsprechend den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Der Zweck der Verjährung, tatsächliche Umstände, die längere [X.] unangefochten Bestand hatten, im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit als zu Recht bestehend anzuerkennen, hat seine Berechtigung gleichermaßen im Privatrecht wie im öffentlichen Recht. Dabei ist nach dem Gesamtzusammenhang der für den jeweiligen Anspruch geltenden Rechtsvorschriften und der Interessenlage zu beurteilen, welche Verjährungsregelungen als die "sachnächsten" entsprechend heranzuziehen sind (stRspr, vgl. [X.], Urteil vom 15. Juli 2016 - 9 A 16.15 - DVBl. 2016, 1603 Rn. 35 m.w.N.).

Der Anspruch auf [X.] nach § 291 [X.] ist der regelmäßigen dreijährigen Verjährung gemäß § 195 [X.] unterworfen (vgl. [X.]/[X.], in: [X.], [X.], 13. Aufl. 2014, § 291 Rn. 44). Diese Vorschrift ist auch für die Verjährung von [X.] in verwaltungsgerichtlichen Verfahren als die sachnächste Regelung heranzuziehen mit der Folge, dass auch dort die Verjährungsfrist drei Jahre beträgt. Sie beginnt entsprechend § 199 Abs. 1 [X.] mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

c) Die Verjährungsfrist begann danach im vorliegenden Fall mit der Klageerhebung zu laufen.

aa) Entstanden ist ein Anspruch gemäß § 199 Abs. 1 [X.], wenn er vom Gläubiger - notfalls gerichtlich - geltend gemacht werden kann (vgl. [X.], [X.] vom 19. Dezember 1990 - [X.] 5/90 - [X.]Z 113, 188 <191 ff.>; Urteile vom 17. Dezember 1999 - [X.] - NJW-RR 2000, 647 <648> und vom 16. April 2013 - [X.]/11 - NJW 2013, 2511 Rn. 18; [X.], in: [X.] Kommentar zum [X.], 7. Aufl. 2015, § 199 Rn. 4). Gemäß § 291 Satz 1 Halbs. 1 [X.] hat der Schuldner eine fällige Geldschuld von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen. Der Gläubiger kann daher den Anspruch auf [X.] mit der Klageerhebung geltend machen. Dieser [X.]punkt verschiebt sich gemäß § 291 Satz 1 Halbs. 2 [X.] ausnahmsweise nur dann, wenn die zu verzinsende Schuld erst nach Rechtshängigkeit fällig wird. Folglich entsteht der Anspruch auf [X.] im Regelfall bereits mit der Rechtshängigkeit des zu verzinsenden Anspruchs (vgl. [X.], Urteil vom 25. Januar 2013 - [X.]/11 - NJW-RR 2013, 825 Rn. 23; hiervon ausgehend auch [X.], Urteil vom 18. Mai 1973 - 7 C 21.72 - [X.] 451.80 Allgemeines Nr. 19 S. 55; vgl. ferner Urteil vom 24. September 1987 - 2 C 27.84 - [X.] 240 § 3 [X.] Nr. 5 S. 3).

bb) Dem steht nicht entgegen, dass der Anspruch auf [X.] sowohl seinem Grund als auch seiner Höhe nach erst mit der rechtskräftigen Entscheidung über die Klageforderung feststeht. Vielmehr kennzeichnet sämtliche abhängigen Nebenleistungen, dass einerseits Bedingung ihrer Entstehung der Bestand des [X.] ist (hierzu [X.], Urteil vom 23. November 1994 - [X.] - [X.]Z 128, 74 <84>), andererseits jedoch aufgrund der nur durch § 217 [X.] beschränkten verjährungsrechtlichen Selbständigkeit ihre Verjährung vor derjenigen des [X.] - und damit auch vor dessen rechtskräftiger Feststellung - vollendet sein kann (vgl. [X.]. 14/6040 [X.]; [X.]/[X.], in: [X.], [X.], Neubearbeitung 2014, § 217 Rn. 4; [X.], in: [X.] Kommentar zum [X.], 7. Aufl. 2015, § 217 Rn. 2). Ungeachtet ihrer verschiedenen Tatbestandsvoraussetzungen unterscheiden sich Prozess- und Verzugszinsen insoweit nicht voneinander. Folglich setzt im Anwendungsbereich des § 291 [X.] weder die Entstehung noch der Verjährungsbeginn des Anspruchs auf [X.] eine rechtskräftige Entscheidung über das Bestehen der Schuld voraus (vgl. [X.], Urteil vom 17. Februar 2000 - 3 C 11.99 - [X.] 451.511 § 14 [X.] Nr. 1 S. 3).

cc) Soweit hingegen der Anspruch auf [X.] nach § 236 AO erst mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung oder der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts, durch den sich der Rechtsstreit nach Rechtshängigkeit erledigt hat, nicht jedoch schon mit der Rechtshängigkeit entsteht ([X.], Urteile vom 29. Juni 1971 - [X.] - [X.], 28 <31>, vom 26. April 1985 - [X.] - [X.], 408 <409 f.> und vom 29. April 1997 - [X.] - [X.], 253 <258>; [X.], Urteil vom 17. Februar 2000 - 3 C 11.99 - [X.] 451.511 § 14 [X.] Nr. 1 S. 4), beruht dies auf dem von § 291 [X.] abweichenden Wortlaut, systematischen Aufbau und Zweck dieser Vorschrift.

Die Regelung des § 236 AO ist auf die Situation der Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage zugeschnitten und findet ihre sachliche Rechtfertigung in dem Umstand, dass in diesen Fällen die rechtskräftige Aufhebung des Verwaltungsakts bzw. die rechtskräftige Verpflichtung zu dessen Erlass für das Entstehen des (Rück-) Zahlungsanspruchs konstitutiv ist. Insofern ist es folgerichtig, auch die Entstehung des [X.] an die Rechtskraft zu knüpfen und lediglich den Beginn des zu verzinsenden [X.]raums aus Billigkeitsgründen auf den Tag der Rechtshängigkeit vorzuverlegen (vgl. [X.], Urteil vom 29. Juni 1971 - [X.] - [X.], 28 <29 f.>; [X.], Urteil vom 17. Februar 2000 - 3 C 11.99 - [X.] 451.511 § 14 [X.] Nr. 1 S. 2). Auf § 291 [X.] lassen sich diese Erwägungen nicht übertragen (a.[X.], Urteil vom 5. August 2009 - 3 A 39/08 - NVwZ-RR 2009, 943 <944>; ihm folgend [X.]/[X.], in: [X.], [X.], Neubearbeitung 2014, § 291 Rn. 26).

dd) Abgesehen davon würde die Annahme, der Anspruch entstehe erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, zu dem widersprüchlichen Ergebnis führen, dass gemäß § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708, 709 ZPO der Anspruch auf Zahlung von [X.] schon vor seiner Entstehung - wenngleich nur vorläufig - für vollstreckbar erklärt würde. Schließlich besteht seitens des [X.] kein Schutzbedürfnis, welches ein Hinausschieben des [X.]punkts der Entstehung des Verzinsungsanspruchs auf die rechtskräftige Beendigung des Verfahrens rechtfertigen könnte. Die Geltendmachung von [X.] neben dem [X.] wirkt nicht streitwerterhöhend (§ 43 Abs. 1 GKG). Der Kläger kann sie daher schon mit der Klageerhebung geltend machen, ohne sich einem zusätzlichen Prozesskostenrisiko auszusetzen.

d) War demnach der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von [X.] bereits mit der Klageerhebung entstanden, so wurde die Verjährung entsprechend § 204 Abs. 1 Nr. 1 [X.] erstmals durch die gerichtliche Geltendmachung des Zinsanspruchs mit Schriftsatz vom 28. Februar 2013 gehemmt. Die bis zum 31. Dezember 2009 entstandenen [X.] waren folglich verjährt. Nachdem die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben hat, hat das Berufungsgericht die Klage daher insoweit zu Recht abgewiesen.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

9 C 1/16

23.03.2017

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 3. September 2014, Az: 5 A 616/12, Urteil

§ 195 BGB, § 291 BGB, § 236 AO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23.03.2017, Az. 9 C 1/16 (REWIS RS 2017, 13508)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 13508

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