1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 5879
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Staatskasse hat dem Schöffen die im vorliegenden Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
I.
1.
Der Vorsitzende der II. großen Strafkammer des Landgerichts Essen, die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts auch für Schöffenangelegenheiten zuständig ist, hat mit Beschluss vom 01. September 2020 beantragt, den Erwachsenen-Hilfsschöffen I gemäß § 51 Abs. 1 GVG wegen gröblicher Verletzung seiner Amtspflichten seines Schöffenamtes zu entheben. Zur Begründung wird ausgeführt, angesichts im Internet zugänglicher Äußerungen und Rechtsauffassungen des Schöffen sei davon auszugehen, dass der Schöffe nicht die Gewähr dafür biete, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Antrag beigetreten.
Der Schöffe hat im Rahmen seiner Anhörung durch Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten mit eingehenden Ausführungen beantragt, den Antrag unter dem Gesichtspunkt rechtsmissbräuchlicher Antragstellung bereits als unzulässig, zumindest aber als unbegründet zurückzuweisen.
2.
Im Einzelnen wird dem Schöffen im Rahmen der Antragstellung unter anderem vorgeworfen:
a. Auf der Internetseite des Vereins „F e.V.“ mit dem ausgewiesenen Motto „Allen Kindern beide Eltern!“ findet sich unter der Überschrift „Von einer Darstellung wird abgesehen, die Redaktion“ ein auf den 00.00.2012 datierter ausführlicher Kommentar des Schöffen („Von einer Darstellung wird abgesehen, die Redaktion“), in welchem dieser die sprachliche Bezeichnung der Eltern gemeinsamer Kinder als „Kindesvater“ sowie „Kindesmutter“ in familiengerichtlichen Verfahren durch Rechtsanwälte, Jugendämter und Familiengerichte mit der Begründung beanstandet, dass es sich aufgrund der geschichtlichen altdeutsch sprachlichen Herkunft der Begriffe um herabsetzende bzw. beleidigende Bezeichnungen handele.
b. Darüber hinaus ist aus der vorgenannten Internetseite unter dem Link „Von einer Darstellung wird abgesehen, die Redaktion“ ersichtlich, dass der Schöffe für den 00. Oktober 2020 als Leiter eines Workshops zum Thema „Von einer Darstellung wird abgesehen, die Redaktion“ ausgewiesen ist, in welchem unter anderem thematisiert wird, dass der/die Familienrichter/in oftmals „Dinge, die einem selbst – und auch tatsächlich für die zu treffende gerichtliche Entscheidung – wichtig sind, einfach ignoriert“. In dem Workshop sollen unter anderem Kenntnisse erarbeitet werden, „wie man… mit parteiischen und/oder unwilligen Familienrichtern umgeht“; die Teilnehmer sollen zum Abschluss des Workshops in der Lage sein, sich unter anderem die Frage „wie gehe ich mit fiesen Tricks des/r Verfahrensgegners/-in und dessen/deren Rechtsanwalt/-anwältin, des/der Familienrichters/-in, und des/der eigenen Rechtsanwalts/-anwältin um?“ zu beantworten.
c. Auf der Internetseite des „W“ findet sich unter dem Link „Von einer Darstellung wird abgesehen, die Redaktion“ datiert auf „Ostern 2002“ ein „Offener Brief“ des auf der Seite gleichzeitig als „treuer Leser“ bezeichneten Schöffen, der „an alle Verschwender von öffentlichen Geldern in Behördenstuben und Gerichtssälen“ gerichtet ist. In dem Brief widerspricht der Schöffe „der Bewilligung von Unterhaltsvorschuss für meine Kinder“ mit der gleichzeitigen Aufforderung, dass im Fall der Trennung der Eltern die Zeiten des Aufenthaltes der Kinder bei den jeweiligen Elternteilen hälftig geteilt werden sollten, weil dies die öffentlichen Kassen schone und den Kindern die Chance lasse „sich die Welt von Vater und Mutter zeigen zu lassen“. Nachfolgend folgt eine Darstellung der – offenbar selbst erlebten – wirtschaftlichen Entwicklung der Familie bzw. des Vaters, nachdem sich die Mutter unter Mitnahme der beiden Kinder getrennt hat. Nach Darstellung der Verschuldungssituation des Vaters und der gleichzeitig entstandenen Kosten für die Sozialkassen schließt der Artikel mit den Zeilen: „Der Fall stellt eine respektable Leistung deutscher Familienrichter und Jugendämter dar, die gute Chancen hat, ins Guinness-Buch der Rekorde eingetragen zu werden unter der Rubrik „Wer hat es geschafft, die öffentlichen Haushalte durch die Zerstörung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage einer Familie am meisten zu schädigen?“ Das Anrecht auf Eintragung haben sich im vorliegenden Fall im wesentlichen die Familienrichter Dr. K, AG Bad Homburg, und D., AG Essen, erworben“.
Mit dem Antrag wird die Auffassung vertreten, es sei insoweit auch von besonderer Bedeutung, dass der Brief des Schöffen an die Betreiber der Internetseite des „W“ gerichtet sei, auf welcher zum Teil rechtsfeindliche und unterschiedliche Organe des Rechtsstaats diffamierende Formulierungen und Texte veröffentlicht würden, wobei der Schöffe als „treuer Leser“ bezeichnet werde.
d. Schließlich befindet sich in der Akte ein Brief des Schöffen vom 21. Februar 2014 gerichtet an das „Verwaltungsreicht“ in Düsseldorf, in welchem er unter Bezugnahme auf eine am gleichen Tag erfolgte mündliche Verhandlung bzw. Urteilsverkündung mitteilt, dass der Kläger des Verfahrens sich vor dem Hintergrund ihn benachteiligender gerichtlicher Entscheidungen – vornehmlich des Familien-, Amts und Landgerichts Mönchengladbach – erhängt habe. Der Kläger sei „ein weiteres trauriges Opfer der – trotz ständiger Verurteilungen Deutschlands wegen Verletzung der Menschenrechte im Bereich des Familienrechts durch den EGMR – weiter praktizierten tagtäglichen Entrechtung von Vätern in Deutschland; er ist ein weiterer Vater, der daran verzweifelt ist, dass alle staatlichen Stellen, die doch objektiv und mit dem Bemühen um einen gerechten Ausgleich auch in Familiensachen tätig werden müssten, ihn nur als Mann, und damit von Geburt an als schuldig, als böse angesehen haben.“
II.
Der Antrag ist als unbegründet zurückzuweisen, da nicht ersichtlich ist, dass der Hilfsschöffe seine Amtspflichten im Sinne des § 51 Abs. 1 GVG gröblich verletzt hat.
1.
Für die Entscheidung ist indes unerheblich, ob der mit Beschluss des Landgerichts Essen vom 01. September 2020 angebrachte Antrag entsprechend der seitens des Hilfsschöffen vertretenen Rechtsauffassung als rechtsmissbräuchlich anzusehen sein könnte. Hierzu wird vorgebracht, es sei auffällig, dass die Recherchen zu seiner Person ausweislich der Daten der in der Akte befindlichen Ausdrucke aus dem Internet am 31. August 2020 erfolgt seien, und mithin unmittelbar an dem auf den 28. August 2020 folgenden Arbeitstag, an welchen unter Beteiligung des Hilfsschöffen eine Verhandlung vor der II. großen Strafkammer des Landgerichts Essen zu Ende gegangen sei, in welcher sich die beteiligten Schöffen insbesondere von dem die Verhandlung leitenden stellvertretenden Kammervorsitzenden RLG Dr. S. mehrfach derart unhöflich behandelt gefühlt hätten, dass beide Schöffen dies zum Anlass für eine unter dem 04. September 2020 gegenüber der Präsidentin des Landgerichts Essen erfolgten entsprechenden gemeinsamen schriftlichen Mitteilung genommen hätten. Es handele sich letztlich um eine „Retourkutsche“ des RLG Dr. S.
Selbst wenn die Initiierung des vorliegenden Amtsenthebungsverfahrens gleichzeitig auch von der Absicht geprägt wäre, sich vor dem Hintergrund der persönlichen Verärgerung eines Berufsrichters für zukünftige Verhandlungen eines „unliebsamen Schöffen“ zu entledigen, würde dies für sich genommen nicht zu einer Unzulässigkeit des Verfahrens führen. Denn für die Frage einer etwaigen Amtsenthebung ist nach dem Gesetz ausschließlich und allein entscheidend, ob der Schöffe seine Amtspflichten tatsächlich gröblich verletzt hat oder nicht.
2.
Eine solche Pflichtverletzung im Sinne des § 51 Abs. 1 GVG ist allerdings nicht ersichtlich.
a. Dafür, dass der Schöffe in Ausübung seines Amtes oder im Zusammenhang mit der Ausübung seines Amtes gegen spezielle ihm als Schöffe obliegende Pflichten, wie etwa die Verletzung des Beratungsgeheimnisses oder wiederholtes unentschuldigtes Fernbleiben von Sitzungen verstoßen haben könnte, ist nichts ersichtlich.
b. Die Vorschrift des § 51 Abs. 1 GVG ist indes im Jahr 2010 vor dem Hintergrund der nach der fortentwickelten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für die ehrenamtlichen Richter bestehenden Pflicht zur besonderen Verfassungstreue (vgl. BT-Drucksache 17/3356 S. 16) eingefügt worden. Nach dieser Rechtsprechung „haben die Landesjustizverwaltungen streng darauf zu achten, dass zum ehrenamtlichen Richter nur Personen ernannt werden dürfen, die nach ihrem Persönlichkeitsbild und ihrer fachlichen Befähigung - einschließlich ihrer Einstellung zu den Grundentscheidungen unserer Verfassung - die Gewähr dafür bieten, dass sie die ihnen von Verfassungs und Gesetzes wegen obliegenden, durch den Eid bekräftigten richterlichen Pflichten jederzeit uneingeschränkt erfüllen werden“ (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 06. Mai 2008 – 2 BvR 337/08 –, Rn. 21, juris). Die durch das Bundesverfassungsgericht bestätigte Pflicht zur Verfassungstreue erstreckt sich auch auf Aktivitäten außerhalb des eigentlichen Ehrenamts (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 29, juris)
Darüber hinaus ist eine zur Amtsenthebung führende gröbliche Verletzung von Amtspflichten nach Sinn und Zweck der Vorschrift dann anzunehmen, wenn der Schöffe ein Verhalten zeigt, das ihn aus objektiver Sicht eines verständigen Verfahrensbeteiligten ungeeignet für die Ausübung des Schöffenamtes macht, weil er nicht mehr die Gewähr bietet, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden (so OLG Celle , Beschl. v. 23. September 2014 – 2 ARs 13/14, NStZ-RR 2015, 54, beck-online). Dabei ist im Hinblick auf den Grundsatz des gesetzlichen Richters bei Auslegung des Tatbestandsmerkmals „gröblich“ in besonderem Maße dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung zu tragen (OLG Celle a.a.O., BT-Drucksache 17/3356, S. 17).
Aus diesem Grund ist auch Verhalten eines Schöffen, das lediglich im Einzelfall die Besorgnis der Befangenheit begründet, nicht ausreichend, um ihn des Amtes zu entheben (vgl. OLG Celle a.a.O.); vielmehr bieten in einer solchen Fallkonstellation die Befangenheitsvorschriften der Strafprozessordnung ausreichende Reaktionsmöglichkeiten.
c. Gemessen an diesen Maßstäben liegt eine die beantragte Amtsenthebung rechtfertigende Pflichtverletzung des Hilfsschöffen bzw. ein Grund zu der Annahme, der Schöffe biete nicht (mehr) die Gewähr, unparteiisch und nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden, nicht vor.
Im Einzelnen gilt folgendes:
aa. Bei der unter der Überschrift „Von einer Darstellung wird abgesehen, die Redaktion“ auf der Internetseite des Vereins „F e.V.“ zudem etliche Jahre vor Beginn der derzeit laufenden Schöffenperiode am 01. Januar 2019 durch den Schöffen geübten Kritik an der Verwendung der Begriffe „Kindesvater“ und „Kindsmutter“ unter anderem durch Jugendämter und Familiengerichte handelt es sich um eine zwar teilweise mit recht harschen Worten („Diese Begrifflichkeiten,…, plappern deutsche Rechtsanwälte, deutsche Jugendamtsmitarbeiter und deutsche Familienrichter auch im 21. Jahrhundert nach, ohne irgendeinen Ansatz zum Nachdenken darüber zu zeigen, was diese Begriffe tatsächlich bedeuten“) vorgebrachte, jedoch in der Sache ersichtlich nicht unberechtigte Beanstandung. Schon auf der Internetseite des „Duden“ findet sich zur weiteren Erläuterung des Begriffs „Kindesvater“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Kindesvater) folgender besonderer Hinweis: „Da diese Bezeichnung besonders früher häufig für den Vater eines nicht ehelichen Kindes verwendet wurde, wird sie heute zuweilen als diskriminierend oder abwertend empfunden. Deshalb ist in deutschen und schweizerischen Gesetzestexten nur die neutrale Bezeichnung Vater gebräuchlich“. Vom Schöffen im vorliegenden Verfahren vorgelegte Schreiben der Stadt Essen vom 21. August 2015 sowie vom 19. Juli 2017 sowie der Stadt Hamm (insoweit undatiert) belegen zudem, dass entsprechende Kritik in diesen Städten zu Maßnahmen bzw. Anweisungen geführt hat, die beanstandeten Begriffe im amtlichen Kontext nicht mehr zu verwenden. Der Schöffe hat weiter ein Schreiben der Präsidentin des Landgerichts Essen vom 14. September 2017 betreffend die Beantwortung einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen eine Richterin am Amtsgericht vorgelegt, in welchem ausgeführt wird, die „Verwendung angemessener und nicht diskriminierender Sprache in Gerichtsverfahren“ sei „selbstverständlich ein wichtiges Anliegen“, daher würden Maßnahmen geprüft, „die Angehörigen der Justiz für die von Ihnen aufgeworfene Problematik zu sensibilisieren“. Diesem Schreiben ist indes nicht hinreichend sicher zu entnehmen, dass es sich auf die vom Schöffen beanstandeten Worte „Kindesvater“ und „Kindesmutter“ bezieht.
bb. Ebenso gibt das Angebot des Schöffen zur Durchführung eines Workshops im Oktober 2020 unter dem Titel „Von einer Darstellung wird abgesehen, die Redaktion“ keinen Hinweis darauf, dass der Schöffe gegebenenfalls nicht die Gewähr dafür biete, die ihm von Verfassung und Gesetz wegen obliegenden Pflichten eines ehrenamtlichen Richters zu erfüllen. In der Ausschreibung des Workshops wird ersichtlich, dass es in der Sache darum geht, juristisch unerfahrene Beteiligte in familiengerichtlichen Verfahren mit für sie unbekannten prozessualen Situation bzw. Gegebenheiten vertraut zu machen und Sie zu unterstützen, ihre Anliegen mit dem gebotenen Nachdruck vorbringen zu können.
Der Schöffe hat im Rahmen seiner Stellungnahme zum vorliegenden Amtsenthebungsantrag hierzu angegeben, der Workshop sei insbesondere auch im Kontext zu der auch von namhaften Vertretern der Familiengerichtsbarkeit sowie des Deutschen Familiengerichtstages geübten Kritik zu sehen, dass „immer noch Richter bei den Amtsgerichten Familiensachen zugewiesen oder bei den Oberlandesgerichten in Familiensenate berufen werden, die weder eine Ausbildung in dem dafür einschlägigen Verfahrensgesetz des FamFG noch (von einem Überblick einmal abgesehen) im materiellen Familienrecht Kenntnisse vorweisen können, …“. Dass vor dem Hintergrund des auch senatsbekannten Umstandes häufig nur begrenzter fachspezifischer juristischer Vorbildung der in Familiensachen eingesetzten richterlichen Arbeitskräfte zumindest Zweifel an einer jeweils durchgehend korrekten Verfahrensführung und uneingeschränkt richtiger materieller Rechtsanwendung geäußert werden, erscheint unabhängig von der tatsächlichen Qualität der Rechtsprechung in Familiensachen zumindest nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund sind die in der Ausschreibung des Workshops gewählten Formulierungen wie „fiese Tricks von… Richtern“ bzw. dass der/die Familienrichterin oftmals „Dinge, die einem selbst – und auch tatsächlich für die zu treffende gerichtliche Entscheidung – wichtig sind, einfach ignoriert“ und die Rede von „parteiischen und/oder unwilligen Familienrichtern“ sicher pointiert und vermutlich auch bewusst ein Stück provozierend gemeint, überschreiten jedoch die Grenze einer nicht mehr an Sachfragen orientierten Schmähkritik nach Bewertung des Senats noch nicht. Insbesondere vor dem Hintergrund gerade in familienrechtlichen Angelegenheiten häufig auch besonderer eigener persönlicher Betroffenheit der Beteiligten ist Kritik an Verfahrensabläufen und Verfahrensergebnissen sowie der Rolle der verschiedenen amtlich Verfahrensbeteiligten auch in harscher Form von der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG gedeckt, soweit sie sich nicht auf bloße Herabsetzungen oder Beleidigungen reduziert.
Die insoweit seitens der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Auffassung, die in den Beiträgen und Briefen des Schöffen zum Ausdruck gebrachte Kritik an öffentlichen Institutionen, insbesondere den Jugendämtern und Familiengerichten, lasse besorgen, dass er insbesondere in Verfahren, denen „familienrechtliche Streitigkeiten“ zugrunde liegen, nicht willens sei, unparteiisch und ohne Ansehen der Person zu entscheiden, ist für den Senat in dieser Form nicht nachvollziehbar, und zwar unabhängig davon, dass unter Beteiligung von Schöffen durchgeführten Strafverfahren wohl nur in außerordentlich seltenen Fällen „familienrechtliche Streitigkeiten“ zugrunde liegen, in denen sich zudem die Befangenheitsvorschriften der Strafprozessordnung als ausreichende Reaktionsmöglichkeiten darstellen würden.
cc. Die seitens des Schöffen in dem auf der Internetseite des W veröffentlichten „Offenen Brief“ im Jahr 2002 – nach seinem für den Senat glaubhaften Vorbringen vor dem Hintergrund eigener persönlicher Betroffenheit in einem familiengerichtlichen Verfahren – geäußerte Kritik an der familiengerichtlichen Praxis, in Trennungssituationen das Sorge- bzw. Aufenthaltsbestimmungsrecht regelmäßig einem Elternteil allein bei entsprechender Unterhaltspflicht des anderen Elternteils zuzuweisen, anstatt das von ihm als gerechter angesehene sogenannte „Wechselmodell“ mit gleichgelagerter Beteiligung beider Eltern zu bevorzugen, hält sich ersichtlich im Rahmen zulässiger Meinungsäußerung, ebenso, den amtlich beteiligten Stellen den allgemeinkundigen Umstand der häufigen erheblichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation in Trennungs- und Scheidungssituationen und die danach folgende Notwendigkeit staatlicher Unterstützungsleistungen mit der entsprechenden Belastung der öffentlichen Haushalte als Folge ihrer Entscheidungen vorzuhalten. Die auch mit prägnanten Worten und plakativ erfolgende Äußerung von der gelebten Justizpraxis abweichender Meinungen gibt für sich genommen keinen Hinweis darauf, dass der die Kritik Übende gegebenenfalls keine Bereitschaft haben könnte, in Strafverfahren unparteiisch und nach Recht und Gesetz zu urteilen.
Insoweit ist es nach Bewertung des Senats auch unerheblich, ob der vorgenannte offene Brief unmittelbar seitens des Schöffen an den „W“ übersandt worden ist oder entsprechend seinem Vorbringen zunächst anderweitig adressiert war und von einem Dritten weitergeleitet worden ist.
dd. Schließlich rechtfertigt auch der in Bezug genommene Brief des Schöffen vom 21. Februar 2014 an das „Verwaltungsreicht“ Düsseldorf betreffend den Suizid des verfahrensbeteiligten Klägers keine anderweitige Betrachtung, und zwar ebenfalls unabhängig von den Fragen, ob mit der Bezeichnung „Verwaltungsreicht“ eine gewisse Respektlosigkeit verbunden sein sollte (oder evtl. schlicht ein Schreibfehler vorlag) und ob das Schreiben mit oder ohne Willen des Schöffen auf einer Internetseite veröffentlicht worden ist. Soweit der Schöffe in dem Brief seine Auffassung dahingehend wiedergegeben hat, der (nach dem Vorbringen des Schöffen mit ihm befreundete) Verstorbene sei „ein weiteres trauriges Opfer der… weiter praktizierten tagtäglichen Entrechtung von Vätern in Deutschland“, hält sich auch dieses Vorbringen (auch in der Zusammenschau mit der weiteren Formulierung, der Verstorbene sei „ein weiterer Vater, der daran verzweifelt ist, dass alle staatlichen Stellen, …, ihn nur als Mann, und damit von Geburt an als schuldig, als böse angesehen haben.“) im Rahmen zulässiger Justizkritik bzw. Kritik an bestehenden gesetzlichen Regelungen. Insoweit ist es auch nicht zu beanstanden und von der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn aus Sicht betroffener Väter vor dem Hintergrund der in Streitfällen um das Sorgerecht bei entsprechender Antragstellung bis heute in den weit überwiegenden Fällen erfolgenden Übertragung an die Mutter und gleichzeitig regelmäßig damit einhergehenden Unterhaltsverpflichtungen des Vaters dem hierbei subjektiv empfunden Unrecht mit dem Wort „Entrechtung“ Nachdruck verliehen wird.
Gleiches gilt allerdings auch für das weibliche Geschlecht; so findet sich beispielsweise auf der Internetseite des „O“ unter dem Link „Von einer Darstellung wird abgesehen, die Redaktion“ eine Auflistung von „Gesetzesänderungen, die zur Entrechtung (Unterstreichung durch den Senat) der Mütter in den letzten 20 Jahren führten“, welche selbstverständlich ebenfalls vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist.
ee. Auch in der Gesamtschau sämtlicher Vorgänge ist keine Pflichtverletzung des Schöffen zu erkennen, welche eine Amtsenthebung rechtfertigen könnte. Dies gilt auch unter weiterer Berücksichtigung des seitens der Generalstaatsanwaltschaft aufgeführten Umstandes, dass der Schöffe auf der Internetseite „W.de“ (zumal 18 Jahre zurückliegend) zu Ostern 2002 als „treuer Leser“ bezeichnet worden ist, was im Übrigen seitens des Schöffen im Rahmen seiner Stellungnahme in Abrede gestellt worden ist. Dabei mag es auch dahinstehen, ob auf der Internetseite des „W“ veröffentlichten Texte entsprechend dem Antragsvorbringen „zum Teil rechtsfeindliche und unterschiedliche Organe des Rechtsstaats diffamierende Formulierungen und Texte veröffentlicht werden“, da selbst dann, wenn sich jemand tatsächlich regelmäßig über diese Internetseite informiert, dort recherchiert oder veröffentlichte Texte liest, für sich genommen keinerlei Rückschluss darauf zulässig ist, inwieweit auch eine Identifikation mit Inhalten und Texten vorliegt, welche gegebenenfalls die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung überschreiten.
Der Senat erlaubt sich allerdings gleichwohl abschließend mit Blick auf seine zumindest in länger zurückliegender Zeit sehr pointierte und zum Teil auch harsche Wortwahl den Hinweis an den Schöffen, dass sich auch der ehrenamtliche Richter gemäß § 39 DRiG „innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten“ hat, „dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird.“
III.
Ungeachtet des Umstandes, dass im Verfahren betreffend die Amtsenthebung eines Schöffen eine Kostenentscheidung nicht vorgesehen ist, da das Verfahren gerichtskostenfrei ist, erachtet es der Senat für sachgerecht, hinsichtlich der notwendigen Auslagen des Schöffen die Vorschrift des § 467 Abs. 1 StPO entsprechend anzuwenden und eine entsprechende Erstattungspflicht der Staatskasse auszusprechen.
Meta
18.11.2020
Oberlandesgericht Hamm 1. Strafsenat
Beschluss
Sachgebiet: Ws
Zitiervorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 18.11.2020, Az. 1 Ws 380/20 (REWIS RS 2020, 5879)
Papierfundstellen: REWIS RS 2020, 5879
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
1 Ws 135/21 (Oberlandesgericht Hamm)
1 Ws 147/15 (Oberlandesgericht Hamm)
Freiheitsstrafe, Verletzung, Sperrwirkung, Beteiligung, Generalstaatsanwaltschaft, Pflichtverletzung, Verbreitung, Strafbefehl, Amtspflichtverletzung, Auslegung, Einstellung, Ermessen, Amt, Stellungnahme, Gelegenheit …
Ein Schöffe, der die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland als Staat leugnet und sich verfassungsfeindlich äußert, …
1 Ws 258/17 (Oberlandesgericht Hamm)