Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.06.2011, Az. 2 StR 140/11

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 5754

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 140/11

vom
15. Juni 2011
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

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2
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Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 15. Juni 2011, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender,

die [X.] am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
Dr. Berger,
Prof. Dr. [X.],
[X.],

Staatsanwältin

als Vertreterin
der [X.],

Rechtsanwältin

als Verteidigerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 25. Oktober 2010, soweit es den Angeklagten K.

betrifft, mit den zugehörigen [X.] aufgehoben,

a) soweit die Anordnung der Sicherungsverwahrung unter-blieben ist,

b) zu Gunsten des Angeklagten hinsichtlich
der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie im Strafausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechts-mittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zu-rückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den mehrfach und auch einschlägig vorbestraften Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung in einer Ent-ziehungsanstalt angeordnet. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich ge-gen die [X.] der Sicherungsverwahrung wendet, hat mit der 1
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Sachrüge Erfolg; sie führt zugleich zur Aufhebung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt sowie des Strafausspruchs zu Gunsten des Angeklagten (§
301 StPO).
I.
1. Nach den Feststellungen des [X.]
kam es am frühen Abend des 17.
Mai 2010 zu einem Treffen des [X.] mit der Verlobten des Angeklagten K.

in deren Wohnung. Hintergrund waren ausstehende [X.] in Höhe von 1.500,-

e-benklägers, der nicht damit rechnete, dort auf andere Personen zu treffen. [X.] waren außerdem der Angeklagte K.

und der Zeuge [X.].

an-wesend, die
beide untereinander verabredet hatten, den Nebenkläger durch Gewalt einzuschüchtern.
Nachdem die Verlobte des Angeklagten K.

die Tür geöffnet und auf Nachfrage bestätigt hatte, dass sie allein in der Wohnung sei, betrat der Nebenkläger die Wohnung und folgte ihr über den Flur in Richtung [X.]. Auf der Schwelle zur Wohnstube stand plötzlich der Zeuge [X.].

, der ohne Ankündigung dem Nebenkläger einen Schlag ins Gesicht versetzte. [X.] trat der Angeklagte K.

hinzu, der
ein Messer
in der Hand hielt. Der Zeuge [X.].

schlug auf Aufforderung des Angeklagten weiter auf den [X.] ein, der versuchte, in Richtung Wohnungstür zu entkommen. Beim Versuch der Flucht wurde der Nebenkläger von dem Angeklagten niedergesto-chen, der ihm
mehrere Messerstiche in Arm, Hüfte und [X.] versetzte. Der Nebenkläger, der stark blutete, wurde auf Anweisung des Angeklagten vom Zeugen [X.].

notdürftig verbunden und durfte sodann die Wohnung [X.]. Er fuhr zur notfallmäßigen Versorgung selbst ins Krankenhaus. Dort wur-den
u.a. [X.] und mehrere offene Wunden an [X.], Ober-2
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schenkel, [X.] und rechter Hand festgestellt. Die Verletzungen sind, abgese-hen von der Stichverletzung am Arm, die zu einer Durchtrennung des Nervs und zu einer andauernden Bewegungseinschränkung der linken Hand geführt hat, komplikationslos verheilt.
2. Das [X.] hat den Angeklagten K.

wegen gefährlicher Körperverletzung (§
224 Abs.
1 Nr.
2 und 4 StPO) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zugleich hat es die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet
und zur Begründung ausgeführt, es
liege
bei
dem seit mehr als 25 Jahren drogenabhängigen Angeklagten ein Hang
vor, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen; insbesondere das von ihm regelmäßig konsumierte Testosteron erhöhe die Aggressivität des Angeklagten enorm. Es bestehe so die Gefahr, dass er infolge seines Hanges weitere erheb-liche rechtswidrige Taten begehen werde. Der Angeklagte verfüge über Krank-heitseinsicht und Therapiemotivation, so dass vorliegend die Unterbringung nach §
64 StGB anzuordnen sei.
Von einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat die Kammer abgesehen. Zwar habe der Angeklagte ohne eine erfolgreiche Therapie eine ungünstige
Sozialprognose. Es habe bisher jedoch keine
Therapieversuche beim krankheitseinsichtigen Angeklagten gegeben, so dass begründete [X.] bestehe, dass der von ihm ausgehenden
Gefahr durch die Anordnung der Maßnahme nach §
64 StGB begegnet werden könne. Gemäß §
72 Abs.
1 StGB
sei für eine zusätzliche Anordnung von §
66 StGB kein Raum. Allein die Tatsache, dass zusätzlich auch eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vorhan-den sei, die ebenfalls eine Disposition für die Begehung von Straftaten [X.], lasse
den Vorrang von §
64 StGB nicht entfallen.

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II.
Die [X.] einer Sicherungsverwahrung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand;
dies führt zugleich zu Gunsten des Angeklagten zur Auf-hebung der Anordnung nach §
64 StGB sowie des Strafausspruchs.
1. Eine wirksame [X.]
auf die Frage der [X.] sowie den [X.] nach §
64 StGB ist entgegen der Ansicht des [X.] nicht erfolgt. [X.] die Unterbringung in der Entziehungsanstalt ist regelmäßig nicht losge-löst vom Strafausspruch überprüfbar. Der Hang,
[X.]. §
64 StGB alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, stellt zugleich eine Betäubungsmittelabhängigkeit dar, die

auch wenn sie nicht zu einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit [X.]. §
21 StGB führt

einen bestimmenden [X.] darstellt, der Einfluss auf den Strafausspruch hat. Dieser innere Zusammenhang lässt eine gleichwohl erteilte [X.] unbeachtlich sein.
2. Die Begründung, mit der das [X.] mit Blick auf die von ihm verhängte Maßregel nach §
64 StGB von der Anordnung der Sicherungsver-wahrung abgesehen hat, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die begründete Aussicht allein, dass der
vom Angeklagten ausgehenden
Gefahr schon durch die Anordnung einer Maßnahme nach §
64 StGB und eine erfolg-reiche Therapie begegnet werden könne, rechtfertigt auch angesichts des Ver-hältnismäßigkeitsgrundsatzes gemäß §
72 StGB nicht den
Verzicht auf eine zusätzliche Maßnahme nach §
66 StGB.
Das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung in der Entziehungsanstalt verlangt vielmehr ein hohes Maß an prognostischer
Sicherheit, dass
allein mit der Maßregel nach §
64 6
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StGB
die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (vgl. [X.], 442, 443 mwN).
Unsicherheiten
über den Erfolg allein der milderen
Maßregel führen
demnach zur kumulativen Anordnung der Maßregeln ([X.] NStZ-RR 2008, 336). Die danach für einen Verzicht auf die Anordnung nach §
66 StGB erforderliche
Überzeugung lässt sich der landgerichtlichen Entscheidung nicht entnehmen. [X.],
das erforderliche Maß an Über-zeugung begründende Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte seine vielfäl-tigen
Drogenabhängigkeiten
mit Hilfe einer Therapie wirksam bekämpfen kön-ne, benennt das [X.] nicht. Allein der Umstand, dass er sich noch nicht einer Therapie unterzogen hat, reicht hierfür noch nicht aus; hierdurch wird [X.] belegt, dass überhaupt eine Erfolgsaussicht besteht, nicht aber, mit wel-cher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist.
Die zur Entscheidung berufene Kammer wird sich unter Berücksichtigung
der Rechtsprechung des [X.], das angesichts der [X.] des Rechts der Sicherungsverwahrung deren Anordnung von einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung abhängig macht und dabei in der Regel eine Gefahr schwerer Gewalt-
oder
Sexualstraftaten an konkreten Umständen in der Person
oder dem Verhalten des Betroffenen verlangt ([X.] NJW 2011, 1931, 1946), mit dieser Frage erneut befassen müssen.
Sie hat
dabei unter sachverständiger Hilfe auch zu prüfen, welche Gefahren von der festgestellten dissozialen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten [X.] und ob und in welchem Umfang diese im Rahmen der angestrebten Therapie gegebenenfalls
auch reduziert werden können. Im Hinblick auf die Therapiebereitschaft des Angeklagten und den möglichen Grad der
Erfolgs-aussicht einer solchen Behandlung könnte
bei Annahme der vom Bundesver-fassungsgericht aufgestellten Anforderungen
im Übrigen auch zu prüfen sein, ob eine vorbehaltene
Sicherungsverwahrung (§
66a
StGB) in Betracht kommt (vgl. [X.] NStZ 2007, 464).
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3. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt zu Gunsten des Ange-klagten zur Aufhebung der Anordnung nach § 64 StGB
und auch des
Straf-ausspruchs.
a)
Das [X.] hat bei seinem [X.] nicht hinreichend dargetan, dass die Tat, wegen der der Angeklagte verurteilt worden ist, tatsäch-lich auf den Hang zurückgeht, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Die Kammer begnügt sich mit dem allgemeinen
Hinweis auf eine Äu-ßerung des Sachverständigen, zwischen dem festgestellten Hang, [X.], [X.] und Testosteron zu sich zu
nehmen, und "seinen Delikten"
sei ein sicherer Zusammenhang anzunehmen. Ob das auch für die jetzt abgeurteilte Tat gilt, stellt das [X.] nicht ausdrücklich fest. Dies ergibt sich auch nicht ohne Weiteres aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbe-sondere wenn man berücksichtigt, dass die Kammer davon ausgeht, dass das am Morgen des [X.] konsumierte 1 Gramm [X.] in seiner Wirkung be-reits im Laufe des Nachmittags nachgelassen habe. Darüber hinaus fehlen Ausführungen, ob und gegebenenfalls in welcher Weise Testosteron, ein
Sexualhormon, das im Bodybuilding und im Kraftsport zum Muskelaufbau ein-gesetzt wird, überhaupt ein "berauschendes Mittel" sein kann, dessen über-mäßige Zusichnahme bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zur Anord-nung
einer Maßnahme nach §
64 StGB berechtigen könnte.
b) Auch der Strafausspruch ist nicht frei von [X.] zu Lasten des
Angeklagten. Die Kammer ist im Rahmen ihrer Entscheidung nach §
64 StGB vom Vorliegen einer Suchterkrankung und auch vom Gegebensein
einer Symp-tomtat ausgegangen. Dass sie darin -
insoweit dem Sachverständigen folgend
-
eine schwere seelische Abartigkeit erkannt hat, die allerdings nicht zu einer er-heblich verminderten Steuerungsfähigkeit geführt habe,
ist zwar nicht zu [X.].
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Wäre die Tat allerdings -
wovon das [X.] ausgegangen ist
-
Fol-ge einer Betäubungsmittelabhängigkeit, hätte es -
auch wenn die Vorausset-zungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nicht vorgelegen hätten
-
nahe gelegen, die Suchterkrankung
des Angeklagten als bestimmenden [X.] bei der Festsetzung der Strafe zu berücksichtigen. Insoweit war auch der Strafausspruch aufzuheben, da nicht zu erkennen ist, ob die Kammer diesen Umstand bei ihrer Strafzumessung berücksichtigt
hat,
und im Übrigen auch nicht auszuschließen ist, dass die Strafe bei möglicher Anord-nung von Sicherungsverwahrung niedriger ausgefallen wäre. Der neue Tatrich-ter erhält so auf der Grundlage aktueller gutachterlicher Einschätzung Gele-genheit, die Rechtsfolgen insgesamt neu festzusetzen.
Fischer [X.] Berger

[X.]

Eschelbach
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Meta

2 StR 140/11

15.06.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.06.2011, Az. 2 StR 140/11 (REWIS RS 2011, 5754)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5754

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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