Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.05.2011, Az. VIII ZR 114/10

8. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 6848

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Gegenstand

Auslandszustellung: Anordnungsbefugnis des Gerichts für Zustellung durch Aufgabe zur Post: Beginn der Einspruchsfrist nach Versäumnisurteil bei unzulässiger Inlandszustellung


Leitsatz

1. Die in § 184 ZPO geregelte Befugnis des Gerichts, bei einer Zustellung im Ausland nach § 183 ZPO anzuordnen, dass bei fehlender Bestellung eines Prozessbevollmächtigten ein inländischer Zustellungsbevollmächtigter zu benennen ist und andernfalls spätere Zustellungen durch Aufgabe zur Post bewirkt werden können, gilt nicht für Auslandszustellungen, die nach den Bestimmungen der EuZVO vorgenommen werden (Bestätigung des Senatsurteils vom 2. Februar 2011, VIII ZR 190/10, EuZW 2011, 276) .

2. Wird bei einer unzulässigen Inlandszustellung nach § 184 ZPO die Einspruchsfrist nicht gemäß § 339 Abs. 2 ZPO bestimmt, wird eine Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt .

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des [X.] vom 26. März 2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der in [X.] ansässige Kläger nimmt die in [X.] ansässige Beklagte aus einem Kaufvertrag über eine gebrauchte Druckmaschine auf Schadensersatz von 52.840,29 € zuzüglich Zinsen in Anspruch. Die Klageschrift ist auf Zustellungsersuchen des Vorsitzenden der angerufenen Kammer für Handelssachen des [X.] vom 17. Oktober 2008, dem eine durch Beschluss vom 14. Oktober 2008 unter Bestimmung einer Frist von vier Wochen getroffene Anordnung gemäß § 184 Abs. 1 ZPO beigefügt war, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, nach Maßgabe der Verordnung ([X.]) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedsstaaten (Amtsblatt [X.] Nr. L 160 S. 37 - im Folgenden: [X.] 2000) an die für [X.] und [X.] benannte Empfangsstelle in [X.] übermittelt worden. Diese hat unter dem 25. November 2008 bestätigt, die Zustellung an die Beklagte unter der angegebenen Anschrift in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht ohne Empfangsbestätigung mittels pre paid first class post vorgenommen zu haben.

2

Am 7. Januar 2009 hat das [X.] in dem von ihm angeordneten schriftlichen Vorverfahren ein Versäumnisurteil über die Klageforderung nebst Zinsen erlassen. Eine Einspruchsfrist hat es nicht bestimmt. Das Versäumnisurteil, dem der [X.] der Geschäftsstelle einen formularmäßigen Hinweis auf eine zweiwöchige Einspruchsfrist und deren Lauf beigefügt hatte, ist der Beklagten sodann am 12. Januar 2009 gemäß § 184 ZPO durch Aufgabe der Sendung zur Post zugestellt worden. Nachdem die [X.] Verfahrensbevollmächtigten des [X.] den [X.] Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten aufgrund zwischenzeitlich eingeleiteter Zwangsvollstreckungsmaßnahmen am 6. Mai 2009 eine Kopie des Versäumnisurteils und seiner Bestätigung als [X.] Vollstreckungstitel übersandt hatten, hat die Beklagte unter dem 21. Juli 2009 gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragt.

3

Das [X.] hat sowohl das Wiedereinsetzungsgesuch als auch den Einspruch der Beklagten als unzulässig verworfen. Das [X.] hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des [X.]s aufgehoben und den Rechtsstreit an das [X.] zurückverwiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

6

Der Einspruch der [X.] sei nicht verspätet, weil es bereits an einer wirksamen Zustellung des Versäumnisurteils fehle. Denn die vom [X.] vorgenommene (Inlands-)Zustellung durch Aufgabe zur Post gemäß § 184 ZPO sei nicht zulässig gewesen. Die für eine solche Zustellung erforderliche Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, sei vielmehr nach der bis zum 12. November 2008 geltenden Fassung des § 184 ZPO, die hier maßgeblich sei, nur bei [X.] nach § 183 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ZPO aF möglich gewesen, nicht dagegen - wie das [X.] (NJW-RR 2008, 1522) überzeugend ausgeführt habe - bei einer Zustellung nach § 183 Abs. 3 ZPO aF auf der Grundlage der [X.] 2000.

7

Es könne dahinstehen, ob der dadurch begründete [X.] ungeachtet des widersprüchlichen Vortrags der [X.] zum tatsächlichen Zugang des Versäumnisurteils und einer dem Urteil nicht beigefügten Einspruchsbelehrung gemäß § 189 ZPO geheilt worden sei. Denn in diesem Fall hätte die Einspruchsfrist deshalb nicht zu laufen begonnen, weil das [X.], das insoweit von einer Inlandszustellung ausgegangen sei, bewusst von der bei einer Auslandszustellung gemäß § 339 Abs. 2 ZPO erforderlichen Bestimmung einer Einspruchsfrist abgesehen habe. Eine solche Zustellung im Ausland hätte indes vorgelegen, wenn es über § 189 ZPO zu einer Heilung der nach § 184 ZPO aF vorgenommenen unwirksamen Inlandszustellung gekommen sein sollte.

II.

8

Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist.

9

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die vom [X.] bei Zustellung der Klage nach Maßgabe von § 184 ZPO aF getroffene Anordnung, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, nicht zulässig war, so dass die auf diese Anordnung gestützte Zustellung des anschließend ergangenen Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post unwirksam war. Des Weiteren hat das Berufungsgericht offen lassen können, ob dieser [X.] gemäß § 189 ZPO geheilt worden ist, weil in diesem Fall die Frist zur Einlegung eines Einspruchs gegen das Versäumnisurteil mangels der nach § 339 Abs. 2 ZPO erforderlichen gerichtlichen Fristbestimmung nicht in Lauf gesetzt worden wäre.

1. Die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO waren nicht gegeben, weil die vom [X.] veranlasste Zustellung der Klageschrift nicht - wie von dieser Vorschrift vorausgesetzt - nach § 183 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 ZPO aF beziehungsweise nach § 183 ZPO in der seit dem 13. November 2008 geltenden Fassung vorgenommen worden ist, sondern nach Maßgabe der gemäß § 183 Abs. 3 ZPO aF oder § 183 Abs. 5 BGB unberührt bleibenden Bestimmungen der [X.] 2000 oder der Verordnung ([X.]) Nr. 1393/2007 des [X.] und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 1348/2000 des Rates (ABl. [X.] Nr. L 324 S. 79 - im Folgenden: [X.] 2007).

a) Zur Beurteilung der Wirksamkeit der Zustellung des Versäumnisurteils kann dahin stehen, ob die Zulässigkeit der vom [X.] getroffenen Anordnung, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen, anhand der §§ 183 f. ZPO in der bis zum 12. November 2008 geltenden Fassung oder - wie die Revisionserwiderung meint - anhand der Neufassung dieser Bestimmungen mit den durch [X.]. 1 Nr. 3, 4 des [X.] der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung und Zustellung vom 30. Oktober 2008 ([X.]) erfolgten und gemäß [X.]. 8 Abs. 2 dieses Gesetzes am 13. November 2008 in [X.] getretenen Änderungen zu beurteilen ist. Denn § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das [X.] weder in der einen noch in der anderen Fassung ermächtigt, der [X.] die Bestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten aufzugeben, um bei Unterbleiben einer solchen Bestellung spätere Zustellungen gemäß § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch Aufgabe des zuzustellenden Schriftstücks zur Post mit den in § 184 Abs. 2 ZPO vorgesehenen Folgen bewirken zu können. Wie der Senat in seinem Urteil vom 2. Februar 2011 ([X.], [X.] 2011, 276 Rn. 17 ff., zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen) anhand des Wortlauts und der Entstehungsgeschichte der Normen sowie der Gesetzessystematik im Einzelnen ausgeführt hat, erstrecken sich die in § 184 Abs. 1 ZPO jeweils enthaltenen Verweisungen auf die Möglichkeit einer (Inlands-)Zustellung durch Aufgabe zur Post gerade nicht auf Zustellungen, denen grenzüberschreitende Zustellungen nach der [X.] 2000 oder der [X.] 2007 vorausgegangen sind.

b) Die am 12. Januar 2009 nach Maßgabe von § 184 ZPO bewirkte Zustellung des Versäumnisurteils hat die Frist zur Einlegung des hiergegen gegebenen Einspruchs, welche gemäß § 339 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO von einer wirksamen Zustellung abhängt (vgl. Senatsurteil vom 24. September 1986 - [X.], [X.] 98, 263, 267), nicht in Lauf setzen können. Denn eine Zustellung durch Aufgabe zur Post ist nur zulässig, wenn die betroffene [X.] keinen Zustellungsbevollmächtigten benannt hat, obgleich sie dazu gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO verpflichtet war. Erfolgt die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, dagegen ohne gesetzliche Grundlage, weil sie - wie hier - für eine Fallgestaltung ausgesprochen wird, die von der in § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO geregelten Anordnungsbefugnis nicht gedeckt wird, kann sie keine Wirkungen zu Lasten des Zustellungsempfängers entfalten (Senatsurteil vom 2. Februar 2011 - [X.], aaO Rn. 21 mwN).

c) Die nach § 184 ZPO vorgenommene Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post wird auch sonst nicht den Anforderungen an eine nach [X.] [X.] grundsätzlich zulässige Zustellung durch die Post gerecht, wie sie in der [X.] bis zum 12. November 2008 in [X.]. 14 [X.] 2000 in Verbindung mit § 1068 Abs. 1 BGB aF geregelt war und seither in [X.]. 14 [X.] 2007 geregelt ist. Denn eine solche Zustellung hätte wirksam nur in der Versandform des Einschreibens mit Rückschein oder gleichwertigem Beleg erfolgen können. Das ist hier nicht geschehen.

2. Das Berufungsgericht ist weiterhin zutreffend davon ausgegangen, dass der formgerecht eingelegte Einspruch der [X.] auch nicht aufgrund einer nachfolgenden Heilung des [X.]s verfristet ist und deshalb nicht gemäß § 341 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen werden kann. Denn § 339 Abs. 2 ZPO schreibt für den Fall, dass die Zustellung eines Versäumnisurteils im Ausland erfolgen muss, vor, dass das Gericht die Einspruchsfrist im Versäumnisurteil oder nachträglich durch besonderen Beschluss zu bestimmen hat. Diese Einspruchsfrist hat das [X.] nicht bestimmt, so dass selbst durch eine vom Berufungsgericht für denkbar gehaltene Heilung des [X.]s gemäß § 189 ZPO eine solche Frist nicht hat in Lauf gesetzt und in der Folge versäumt werden können.

Eine - wie hier - unzulässige Inlandszustellung nach § 184 ZPO führt auch nicht etwa dazu, dass die in § 339 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO vorgesehene Einspruchsfrist von zwei Wochen gleichwohl zu laufen beginnt. Denn für den Fall, dass die vorzunehmende Zustellung im Ausland bewirkt werden muss, weil die Voraussetzungen für eine Zustellung des dafür vorgesehenen Schriftstücks im Inland nicht gegeben sind, enthält § 339 ZPO keine gesetzlich geregelte Einspruchsfrist. Die Einspruchsfrist ist vielmehr gemäß § 339 Abs. 2 ZPO von Amts wegen durch das Gericht im Versäumnisurteil oder nachträglich durch besonderen Beschluss zu bestimmen, so dass auch der Lauf dieser Frist erst mit Zustellung der vorzunehmenden Fristbestimmung beginnt. Nimmt das Gericht - wie vorliegend geschehen - die erforderliche Fristbestimmung nicht vor, wird der Lauf einer Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt ([X.], 82, 84 f.; [X.], ZPO, 22. Aufl., § 339 Rn. 9; [X.]Prütting, 3. Aufl., § 339 Rn. 7; Musielak/[X.], ZPO, 8. Aufl., § 339 Rn. 3).

Ball                                            [X.]                                          Dr. Milger

                     Dr. [X.]                                         Dr. [X.]

Meta

VIII ZR 114/10

11.05.2011

Bundesgerichtshof 8. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 26. März 2010, Az: 11 U 211/09, Urteil

§ 183 ZPO vom 05.12.2005, § 184 ZPO vom 05.12.2005, § 189 ZPO, § 339 Abs 2 ZPO, Art 14 EGV 1348/2000

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.05.2011, Az. VIII ZR 114/10 (REWIS RS 2011, 6848)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6848

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