Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.05.2014, Az. IX ZB 35/12

9. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 5733

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Gegenstand

Grenzüberschreitende Insolvenz: Vollstreckbarerklärung einer englischen Third Party Costs Order; Qualifizierung der Costs Order als zivilrechtliche oder insolvenzrechtliche Entscheidung


Leitsatz

1. Die Frage, ob die EuGVVO oder die EuInsVO anwendbar ist, die lückenlos ineinander greifen, ist hinsichtlich eines geltend gemachten ordre-public-Vorbehalts nicht entscheidungserheblich, wenn sich die Auslegung des Art. 26 EuInsVO bei einer insolvenzbezogenen Einzelentscheidung in einem kontradiktorischen Verfahren an den zu Art. 34 Nr. 1 EuGVVO entwickelten Maßstäben orientiert (Fortführung von BGH, 8. November 2012, IX ZB 120/11, WM 2013, 45 Rn. 3).

2. Zur Vollstreckbarerklärung einer zu Lasten eines Zeugen in einem englischen Insolvenzverfahren erlassenen Third Party Costs Order.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des [X.] vom 1. März 2012 wird auf Kosten des [X.] als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin ist die Treuhänderin eines in [X.] über das Vermögen des [X.]       (fortan: Schuldner) eröffneten Insolvenzverfahrens. Während einer Hausdurchsuchung beim Schuldner wurden zwei Postsendungen beschlagnahmt, welche von der Rechtsanwaltskanzlei des Antragsgegners an den Schuldner versandt worden waren. Hierin befanden sich 10.000 € in bar, die zwischen den Seiten von Zeitschriften eingeklebt waren.

2

Der Schuldner hat in [X.] Klage auf Herausgabe des Geldes erhoben und behauptet, das Geld sei ihm nur darlehensweise vom Antragsgegner zur Verfügung gestellt worden. Der Antragsgegner wurde in dem Verfahren als Zeuge gehört. Mit Urteil vom 15. Februar 2008 hat der High Court of Justice entschieden, dass die 10.000 € zur Insolvenzmasse gehören und von der [X.] an die Antragstellerin herauszugeben seien. Zudem hat der High Court of Justice auf deren Antrag hin am 24. April 2008 eine sogenannte [X.] gegen den Antragsgegner erlassen. Auf dieser Grundlage verpflichtete der High Court of Justice mit einer Costs Order vom 29. Juli 2008 den Schuldner und den Antragsgegner als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Abschlags auf die Verfahrenskosten in Höhe von 20.000 [X.]. Pfund.

3

Die Antragstellerin hat beantragt, die Entscheidung des High Court of Justice vom 29. Juli 2008 in [X.] für vollstreckbar zu erklären. Das [X.] hat dem Antrag stattgegeben. Die Beschwerde des Antragsgegners ist erfolglos geblieben. Hiergegen wendet sich dieser mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4

Die gemäß § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO).

5

1. Soweit die Rechtsbeschwerde die Zulässigkeitsgründe des [X.]s und der [X.] mit Blick auf die sachliche Anwendbarkeit der vom Beschwerdegericht herangezogenen Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 ([X.]. [X.] L 12 S. 1 vom 16. Januar 2001, fortan: [X.]) geltend macht, sind die aufgeworfenen Rechtsfragen jedenfalls nicht entscheidungserheblich. An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es, wenn die angegriffene Entscheidung aus anderen Gründen - unter Aussparung der als klärungsbedürftig angesehenen Rechtsfrage - im Ergebnis richtig ist (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juli 2003 - [X.], [X.], 46, 47 f mwN; Hk-ZPO/[X.]/[X.], 5. Aufl., § 544 Rn. 14, § 574 Rn. 16). Selbst wenn die Vollstreckbarerklärung der [X.] Costs Order nicht auf Art. 32 ff [X.] hätte gestützt werden dürfen, weil es sich um eine vom Anwendungsbereich der [X.] ausgeschlossene insolvenzrechtliche Annexentscheidung handeln könnte (vgl. Art. 1 Abs. 2 Buchst. b [X.]), wäre die Vollstreckbarerklärung nach den Feststellungen des [X.] nicht gescheitert.

6

a) Die Vollstreckbarerklärung hätte dann unter den Voraussetzungen des Art. 26 der Verordnung ([X.]) Nr. 1346/2001 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ([X.]. [X.] L 160 S. 1 vom 30. Juni 2000, fortan: [X.]) geprüft werden müssen, weil die Exequatur von insolvenzrechtlichen Annexentscheidungen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 [X.] von den Regelungen der [X.] erfasst wird. Dass die [X.] der [X.] und der [X.] lückenlos ineinander greifen, wird durch den [X.] zum Entwurf des zunächst geplanten [X.] bestätigt (Virgos/[X.] in [X.], Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des [X.] über Insolvenzverfahren im [X.] Recht, 1997, Rn. 195, 197; vgl. auch [X.]/[X.], 2. Aufl., Art. 25 VO ([X.]) 1346/2000 Rn. 2; [X.] in [X.]/[X.][X.], [X.], Art. 25 Rn. 50; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Art. 1 Rn. 19, 21d; [X.] in Festschrift [X.], 2001, [X.], 224 f). Der von der Rechtsbeschwerde aufgezeigte Meinungsstreit zu einer möglichen Regelungslücke betrifft nicht die Exequatur von insolvenzrechtlichen Annexentscheidungen, sondern die Regelung der internationalen Zuständigkeit für Annexverfahren (eingehend dazu [X.], Die Abgrenzung zwischen [X.] und [X.] im Bereich insolvenzbezogener Einzelentscheidungen, 2006, [X.] ff). Auch dieser Streit dürfte aber seit der neueren Rechtsprechung des [X.] weitestgehend überholt sein ([X.], Urteil vom 12. Februar 2009- Rs. [X.]/07, [X.]/[X.] NV, [X.] 2009, 99 Rn. 19 ff; vom 19. April 2012 - Rs. [X.]/10, [X.] Aukščiausiasis [X.], [X.], 1049 Rn. 27; vom 16. Januar 2014 - Rs. C-328/12, [X.][X.], [X.], 181 Rn. 30; vgl. auch [X.]/von [X.], [X.], 9. Aufl., Art. 1 Rn. 36 [X.]; [X.], [X.], 4. Aufl., Art. 25 Rn. 2a, 18 ff).

7

b) Bei der Vollstreckbarerklärung wirkt sich die Qualifizierung der Costs Order als zivilrechtliche oder insolvenzrechtliche Entscheidung im Ergebnis nicht aus, weil nach beiden in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen für die Exequatur dieselben Versagungsgründe zu prüfen sind. Die Auslegung des Art. 26 [X.] orientiert sich bei insolvenzbezogenen Einzelentscheidungen, die in einem kontradiktorischen Verfahren ergangen sind, an den zu Art. 34 [X.] entwickelten Maßstäben ([X.], Beschluss vom 8. November 2012 - [X.], [X.], 45 Rn. 3 mwN). So gilt auch bei Art. 26 [X.] der Grundsatz, dass die Ordre [X.] nur in Ausnahmefällen anzuwenden ist ([X.], Urteil vom 2. Mai 2006 - Rs. [X.]/04, [X.], [X.], 360 Rn. 63 f). Mit Art. 26 [X.] sollen neben dem materiellen Ordre public auch verfahrensrechtliche Garantien, wie sie in Art. 34 Nr. 2 [X.] vorgesehen sind, gewahrt bleiben (vgl. [X.], Urteil vom 2. Mai 2006, aaO Rn. 66 f; [X.], aaO Art. 26 Rn. 6 ff), insbesondere soweit es um Entscheidungen gegenüber bestimmten Gläubigern geht (Virgos/[X.], aaO Rn. 206). Die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung des [X.] bei Anwendung der Art. 25 Abs. 1, Art. 26 [X.] ist damit nicht ersichtlich.

8

2. Ebenso wenig besteht [X.], soweit die Höhe der dem Antragsgegner als Gesamtschuldner auferlegten Verfahrenskosten beanstandet wird. [X.] wäre nur dann gegeben, wenn substantiiert dargelegt würde, inwiefern eine abstrakte Rechtsfrage klärungsbedürftig ist und im Streitfall auch geklärt werden kann ([X.], Beschluss vom 22. Oktober 2009 - [X.], [X.], 237 Rn. 4; Hk-ZPO/[X.]/[X.], aaO § 574 Rn. 17). [X.] ist eine Rechtsfrage dann, wenn ihre Beantwortung zweifelhaft ist oder wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die Frage noch nicht gerichtlich, nicht zwingend höchstrichterlich, geklärt ist (Hk-ZPO/[X.]/[X.], aaO § 543 Rn. 8). Es bestehen jedoch keine Zweifel, dass eine nicht am Streitwert ausgerichtete, sondern nach zeitlichem Aufwand konkret berechnete anwaltliche Vergütung eines ausländischen Rechtsanwalts im Allgemeinen nicht gegen grundlegende Prinzipien des inländischen Rechts im Sinne von Art. 34 Nr. 1 [X.] oder Art. 26 [X.] verstößt. Ein hoher Vergütungsanspruch eines Rechtsanwalts ist auch nicht generell unverhältnismäßig, weil er die Justizgewährung erschweren könnte (vgl. [X.], NJW-RR 2010, 259 Rn. 24 ff). Soweit die Höhe der nach [X.] abgerechneten Vergütung im konkreten Einzelfall gegen die inländische öffentliche Ordnung verstoßen könnte, wird nicht deutlich, inwieweit sich daraus der Bedarf ergibt, allgemeine Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen, des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken zu schließen (vgl. [X.], Beschluss vom 4. Juli 2002 - [X.], [X.]Z 151, 221, 225).

9

Der Umstand, dass ein Verstoß gegen die inländische öffentliche Ordnung darin liegen könnte, dass einem nicht verfahrensbeteiligten Dritten die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden, begründet ebenfalls keinen [X.]. Die Rechtsbeschwerde legt nicht dar, dass sich in diesem Zusammenhang eine klärungsbedürftige, also zweifelhafte oder streitige Rechtsfrage stellt. Vielmehr ist die Möglichkeit, einem Dritten Verfahrenskosten aufzuerlegen, auch dem [X.] Recht nicht fremd (vgl. § 81 Abs. 4 FamFG, § 380 Abs. 1, Abs. 2, § 390 Abs. 1, Abs. 2, § 409 Abs. 1 ZPO) und allgemein anerkannt. Es ist regelmäßig hinzunehmen, dass in anderen Rechtssystemen von dieser Möglichkeit unter anderen Voraussetzungen und mit weitreichenderen Folgen insbesondere dann Gebrauch gemacht werden kann, wenn wie im

Streitfall besondere Umstände des Einzelfalles für diese Kostenfolge herangezogen werden.

[X.]                      Vill                          Pape

              Grupp                     Möhring

Meta

IX ZB 35/12

08.05.2014

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Düsseldorf, 1. März 2012, Az: I-3 W 104/11, Beschluss

Art 1 Abs 2 Buchst b EGV 44/2001, Art 34 Nr 1 EGV 44/2001, Art 1 EGV 1346/2000, Art 26 EGV 1346/2000

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.05.2014, Az. IX ZB 35/12 (REWIS RS 2014, 5733)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5733

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