Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.03.2020, Az. B 1 KR 89/18 B

1. Senat | REWIS RS 2020, 2270

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Lichtbild auf der elektronischen Gesundheitskarte - Vereinbarkeit mit Art 4 GG)


Leitsatz

Versicherte können sich nicht unter Hinweis auf die Freiheit des religiösen Bekenntnisses der Obliegenheit entziehen, vertrags(zahn)ärztliche Leistungen einschließlich psychotherapeutischer Behandlungen nur unter Vorlage einer elektronischen Gesundheitskarte mit Lichtbild beanspruchen zu können.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 17. Oktober 2018 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Die bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versicherte Klägerin begehrt von der [X.], ihr die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen durch ein für die Dauer des Versicherungsverhältnisses geltendes Nachweisdokument ohne Lichtbild zu ermöglichen. Das [X.] hat die Klage mit dem entsprechenden Hauptantrag ebenso abgewiesen wie die hilfsweise begehrte Feststellung, eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) mit Bild als Versicherungsnachweis nicht verwenden zu müssen, um wirksam Leistungen beanspruchen zu können. Das L[X.] hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat - auch unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden [X.]s vom 18.11.2014 ([X.] KR 35/13 R - B[X.]E 117, 224 = [X.]-2500 § 291a [X.]) - einen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verneint. Die Klägerin erfülle keine der gesetzlich geregelten Ausnahmen vom [X.]. Religiöse Gründe könnten ebenfalls keine Ausnahme rechtfertigen. Die Klägerin verweise zudem nur pauschal auf das Grundrecht aus Art 4 [X.]. Die vorgebrachten religiösen Gründe seien nicht glaubhaft. Deshalb komme auch eine Ungleichbehandlung mit Versicherten, bei denen [X.]n aus religiösen Gründen möglicherweise kein Lichtbild forderten, schon im Ansatz nicht in Betracht. Auch sonst verstoße die Obliegenheit, für eine eGK ein Lichtbild zur Verfügung zu stellen, nicht gegen Grundrechte. Auf eine individuelle Zuverlässigkeit der Klägerin komme es nicht an. Nach alledem und mangels anderer, gleich geeigneter, weniger belastender Möglichkeiten könne auch der Hilfsantrag keinen Erfolg haben (Urteil vom 17.10.2018).

2

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im L[X.]-Urteil.

3

II. Die Beschwerde, mit der die Klägerin allein die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§ 160 [X.] 2 [X.] [X.]G), ist hinsichtlich der ersten fünf Rechtsfragen zulässig. Ihr Vortrag genügt insoweit noch den Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung. Die Beschwerde ist aber nicht begründet (dazu 1.). Hinsichtlich der sechsten bis achten Rechtsfrage erfüllt die Beschwerdebegründung nicht die für die Zulässigkeit der Beschwerde maßgeblichen Darlegungsvoraussetzungen des § 160a [X.] 2 Satz 3 [X.]G (dazu 2.). Insgesamt ist die Beschwerde daher zurückzuweisen.

4

1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Hieran fehlt es.

5

Die Klägerin formuliert als erste bis fünfte Rechtsfrage:

"a) Steht Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung ein Anspruch auf Ausstellung einer elektronischen Gesundheitskarte ohne Lichtbild in verfassungskonformer Auslegung der §§ 15 [X.]. 2, 291 [X.]. 2, 291a [X.]B V zu, wenn diese die Übermittlung und Nutzung des Lichtbildes aufgrund ihrer nachweislich zutreffenden religiösen Auffassung verweigern?

b) Kann von den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung die glaubhafte Darlegung der religiösen Gründe verlangt werden, um Anspruch auf Ausstellung einer elektronischen Gesundheitskarte ohne Lichtbild zu haben?

c) Kann von den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung ein Beleg für die Praktizierung der dargelegten religiösen Gründe verlangt werden, um Anspruch auf Ausstellung einer elektronischen Gesundheitskarte ohne Lichtbild zu haben?

d) Ist § 291 [X.]. 1 und [X.]. 2 [X.]B V mit Art. 4 [X.]. 1 [X.] vereinbar?

e) Sind die Anforderungen, die das L[X.] Baden-Württemberg im Urteil vom 17.10.2018 ([X.]. [X.] 2362/18) an den Umfang der Darlegung der religiösen Gründe stellt, verfassungsgemäß, insbesondere mit Art. 140 [X.] iVm Art. 136 [X.]. 3 Satz 1 WRV vereinbar, wenn es vom Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung für das von ihm dargelegte religiöse Abbildungsverbot, welches nach seiner religiösen Anschauung die Vergötzung durch die Zurschaustellung seiner Abbildung gegenüber außenstehenden [X.] verbietet, einen Beleg dafür fordert, dass das Mitglied jegliche Aufnahmen von sich untersagt hat?"

6

Im [X.] will die Klägerin in der Sache wissen, ob sie unter Berufung auf Art 4 [X.] Anspruch auf Erteilung einer eGK ohne Lichtbild hat; hilfsweise will sie für diesen Fall wissen, ob und ggf in welchem Umfang sie darlegen muss, dass ihre Glaubensüberzeugung sich mit einer eGK mit Lichtbild nicht vereinbaren lässt.

7

Die aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung; sie bedürfen keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Das Bedürfnis für die Klärung einer Rechtsfrage in einem Revisionsverfahren fehlt, wenn das B[X.] die Rechtsfrage zwar nicht unter den dort aufgeworfenen Aspekten ausdrücklich behandelt hat, aber deren Beantwortung einerseits nach der klaren Rechtslage nicht ernsthaft in Zweifel steht (vgl auch B[X.] Beschluss vom 4.6.1975 - 11 BA 4/75 - B[X.]E 40, 42 = [X.] 1500 § 160a [X.]; B[X.] Beschluss vom 19.7.2012 - [X.] KR 65/11 B - [X.] 4-1500 § 160a [X.] Rd[X.]7) und verbleibende Restzweifel andererseits aufgrund der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rspr im Ergebnis jedenfalls bereits ausgeräumt sind, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (vgl B[X.] Beschluss vom 7.3.2017 - B 2 U 140/16 B - [X.]-1920 § 52 [X.]8 RdNr 8; B[X.] Beschluss vom 19.12.2017 - [X.] KR 17/17 B - juris RdNr 6 mwN). So liegt der Fall hier.

8

§ 291 [X.] 2 Satz 4 und 5 [X.]B V bestimmt: Die elektronische Gesundheitskarte ist mit einem Lichtbild des Versicherten zu versehen. Versicherte bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres sowie Versicherte, deren Mitwirkung bei der Erstellung des Lichtbildes nicht möglich ist, erhalten eine elektronische Gesundheitskarte ohne Lichtbild.

9

Diese Regelungen sind mit höherrangigem Recht vereinbar. Versicherte können sich nicht unter Hinweis auf Art 4 [X.] der Obliegenheit entziehen, vertrags(zahn)ärztliche Leistungen einschließlich psychotherapeutischer Behandlungen (vgl § 15 [X.] 2 [X.]B V) nur unter Vorlage einer eGK mit Lichtbild beanspruchen zu können (dazu a). Der [X.] kann offenlassen, ob Versicherte aus religiösen Gründen Abweichungen von der Gestaltung des Lichtbildes beanspruchen können (vgl auch § 7 [X.] 3 Satz 4 [X.], wonach die [X.] vom Verbot der Kopfbedeckung auch aus religiösen Gründen Ausnahmen zulassen kann). Bloße Abweichungen von der Gestaltung des Lichtbildes hat die Klägerin nicht begehrt. Sie will, dass ihr eine eGK ohne jegliches Lichtbild zur Verfügung gestellt wird. Insoweit stellt sich nicht die Frage, ob und in welchem Umfang sie darlegen muss, dass ihre Glaubensüberzeugung sich mit einer eGK mit Lichtbild nicht vereinbaren lässt. Der [X.] weist jedoch ergänzend darauf hin, dass die [X.]n in diesen Fällen prüfen und entscheiden dürfen, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art 4 [X.] zuordnen lässt, also der Versicherte tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat (dazu b).

a) Nach der Rspr des [X.] garantiert Art 4 [X.] in [X.] 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in [X.] 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide [X.]ätze des Art 4 [X.] enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl [X.] Beschluss vom 22.10.2014 - 2 BvR 661/12 - [X.]E 137, 273, Rd[X.]8 mwN). Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben. Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben; dies betrifft nicht nur imperative Glaubenssätze (vgl [X.] Beschluss vom 27.1.2015 - 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 - [X.]E 138, 296, RdNr 85 mwN).

Einschränkungen von Art 4 [X.] 1 und 2 [X.] müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, weil dieses Grundrecht keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang. Die Einschränkung bedarf überdies einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (vgl [X.] Beschluss vom 14.1.2020 - 2 BvR 1333/17 - NJW 2020, 1049, RdNr 82 = juris RdNr 82 mwN). Eine verfassungsimmanente Schranke der Religionsfreiheit ist die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]). Deren Finanzierbarkeit ist in einem Sozialstaat ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut ([X.] Beschluss vom 13.9.2005 - 2 [X.] - [X.]E 114, 196, 248 = [X.]-2500 § 266 [X.] Rd[X.]39 = juris RdNr 239; vgl auch [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 2011/07, 1 BvR 2959/07 - [X.]E 126, 112, 143 = [X.]-1100 Art 12 [X.] Rd[X.]9). Sie ist ein Gemeinwohlbelang von derart hoher Bedeutung, dass Maßnahmen, die ihr zu dienen bestimmt sind, auch dann gerechtfertigt sein können, wenn sie für die Betroffenen zu fühlbaren Einschränkungen führen ([X.] Beschluss vom 14.5.1985 - 1 BvR 449/82, 1 BvR 523/82, 1 BvR 728/82, 1 BvR 700/82 - [X.]E 70, 1, 30 = [X.] 2200 § 376d [X.] [X.]1 f = juris RdNr 88; [X.] Beschluss vom 12.6.1990 - 1 BvR 355/86 - [X.]E 82, 209, 230 = juris RdNr 82).

Das von der Klägerin angegriffene [X.] ist durch dieses überwiegende Allgemeininteresse an der Sicherung der finanziellen Stabilität der [X.] gerechtfertigt. Es ist zur Verhinderung von Missbrauch und zur Kosteneinsparung geeignet, erforderlich und angemessen. Ua das Aufbringen eines Lichtbildes dient dazu, die Aktualität und Zuordnung der Krankenversichertenkarte zum jeweiligen Karteninhaber zu überprüfen und dadurch Missbrauch zu verhindern (vgl Begründung des Gesetzentwurfs eines [X.] der Fraktionen [X.], [X.] und [X.]/[X.], BT-Drucks 15/1525 [X.]). Diese Maßnahme ist evident geeignet, die Identifizierung einer Person, die [X.]-Leistungen in Anspruch nehmen will, zu erleichtern und Nichtberechtigte vom Leistungsbezug auszuschließen. Es ist für die von der Klägerin angegriffenen Regelungen nicht ersichtlich, dass es andere gleich geeignete, weniger belastende Möglichkeiten gibt, um die Ziele des Gesetzgebers zu erreichen. So war die bisherige Krankenversichertenkarte ohne Lichtbild nur bedingt geeignet, einer missbräuchlichen Verwendung zu begegnen (zu Schadensschätzungen von 1 Mrd Euro pro Jahr, die auf vor mehr als zehn Jahren durchgeführten Untersuchungen der [X.] beruhen, vgl [X.]; [X.]; [X.]). Sie wies ein erhebliches Missbrauchspotential auf, das deutlich höher war als jenes der eGK (vgl [X.], [X.] in das [X.] Gesundheitswesen, 2008, [X.]; vgl zu einem Missbrauchssachverhalt auch B[X.] Urteil vom 12.6.2008 - B 3 KR 19/07 R - B[X.]E 101, 33 = [X.]-2500 § 109 [X.]; vgl zum Ganzen B[X.] Urteil vom 18.11.2014 - [X.] KR 35/13 R - B[X.]E 117, 224 = [X.]-2500 § 291a [X.], RdNr 27 und 29).

Der erkennende [X.] hat in anderem Zusammenhang entschieden, dass die durch das [X.] gewährleistete Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (Art 4 [X.] 1 [X.]) nicht dazu führt, dass die religiös motivierte Ablehnung von Bluttransfusionen einer medizinisch notwendigen Verlegung des Versicherten von einem Krankenhaus in ein anderes gleichzustellen ist. Sie begründen keine krankenversicherungsrechtlichen Leistungsansprüche. Eine leistungsrechtliche Privilegierung krankenversicherter Angehöriger einer bestimmten Glaubensgemeinschaft, die im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 [X.] 1 [X.] der Rechtfertigung bedürfte, kann aus Art 4 [X.] 1 [X.] als einem klassischen Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat nicht hergeleitet werden (vgl B[X.] Urteil vom 2.11.2007 - [X.] KR 11/07 R - [X.]-2500 § 60 [X.] Rd[X.]8). Nichts anderes gilt, soweit es um der Leistungsgewährung vorgelagerte Obliegenheiten geht, die das Gesetz den Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen zur Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung auferlegt.

b) Nur ergänzend weist der [X.] für die aufgrund der gerechtfertigten Einschränkung des Art 4 [X.] hier nicht relevante Frage, ob und in welchem Umfang Glaubensüberzeugungen gegenüber staatlichen Organen zu belegen sind, auf Folgendes hin: Zwar darf bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art 4 [X.] zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat (vgl [X.] Beschluss vom 27.1.2015 - 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 - [X.]E 138, 296, RdNr 86; s ferner [X.] Beschluss vom 5.2.1991 - 2 BvR 263/86 - [X.]E 83, 341, 353 = juris RdNr 65; [X.] Urteil vom 24.9.2003 - 2 BvR 1436/02 - [X.]E 108, 282, 298 f = juris RdNr 40; [X.] Beschluss vom 18.10.2016 - 1 BvR 354/11 - juris Rd[X.]9; [X.] Beschluss vom 27.6.2017 - 2 BvR 1333/17 - NJW 2017, 2333, Rd[X.]9 = juris Rd[X.]9). Dem Staat ist es jedoch verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als "richtig" oder "falsch" zu bezeichnen; dies gilt insbesondere dann, wenn hierzu innerhalb einer Religion divergierende Ansichten vertreten werden ([X.] Beschluss vom 27.1.2015 - 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 - [X.]E 138, 296, RdNr 86 mwN).

2. Die für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache notwendigen Voraussetzungen legt die Klägerin hinsichtlich der sechsten bis achten Rechtsfrage nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage (§ 160 [X.] 2 [X.] [X.]G) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwieweit diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB B[X.] Beschluss vom 17.4.2012 - [X.]3 R 347/11 B - [X.]-2600 § 72 [X.] Rd[X.]7 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs [X.] Beschluss vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - [X.]-1500 § 160a [X.] Rd[X.] f mwN). Hieran fehlt es.

a) Die Klägerin formuliert als sechste Rechtsfrage:

 "f) Stellt es eine Ungleichbehandlung und ein Verstoß gegen Art. 3 [X.]. 1 [X.] iVm Art 4 [X.]. 1 [X.] wegen Benachteiligung des Glaubens dar, wenn Mitgliedern von gesetzlichen Krankenversicherten von bestimmten Glaubensgemeinschaften, wie beispielsweise [X.] Glaubens ohne Beleg der religiösen Gründe Gesundheitskarten ohne Lichtbild ausgestellt werden, hingegen anderen Mitgliedern, die ebenfalls religiöse Gründe geltend machen, keine elektronische Gesundheitskarte ohne Lichtbild von den gesetzlichen Krankenkassen ausgestellt bekommen, weil diese keine Belege für die religiösen Gründe vorgelegt haben."

Die Klägerin legt die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage nicht dar. Die Klägerin zeigt nicht auf, weshalb der erkennende [X.] in einem angestrebten Revisionsverfahren an die Feststellung gebunden wäre, dass Krankenversicherten bestimmter Glaubensgemeinschaften ohne Beleg der religiösen Gründe eGKn ohne Lichtbild ausgestellt werden. Das L[X.] verweist insoweit nur darauf, dass "möglicherweise" für Mitglieder bestimmter Glaubensrichtungen eGKn ohne Lichtbild ausgestellt werden. Die Klägerin zeigt auch ansonsten nicht auf, dass die von ihr behauptete Verwaltungspraxis besteht. Im Übrigen würde die Klägerin unter Berücksichtigung dessen, dass Art 4 [X.] kein Recht einräumt, eine eGK ohne Lichtbild zu beanspruchen, damit nur eine durch die Rechtsordnung ausgeschlossene "Gleichbehandlung im Unrecht" einfordern (vgl zu diesem [X.] auch B[X.] Urteil vom 19.9.2019 - [X.]2 R 25/18 R - [X.]-2400 § 7 [X.] RdNr 28 mwN, auch zur Veröffentlichung in B[X.]E vorgesehen).

b) Die Klägerin formuliert als siebte Rechtsfrage:

        

"g) Sind §§ 15 [X.]. 2, 6, 291 [X.]. 1, 2, 291a [X.]B V mit Art. 14 [X.]. 1 [X.] vereinbar?"

                 

Der erkennende [X.] lässt offen, ob die Klägerin damit eine Rechtsfrage klar formuliert hat. Jedenfalls legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht hinreichend dar. Wer sich - wie die Klägerin hier - auf die Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur eGK beruft, darf sich nicht auf die Benennung der angeblich verletzten Rechte - hier den Schutz des Eigentums (Art 14 [X.] 1 [X.]) - beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rspr des [X.] und des B[X.] darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Er muss sich deshalb mit der bisherigen einschlägigen Rspr des [X.] und des B[X.] auseinandersetzen, weil bereits bestehende höchstrichterliche Rspr einer erneuten Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage unter Umständen entgegenstehen kann (stRspr des [X.], vgl [X.] Beschluss vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - [X.]-1500 § 160a [X.] RdNr 6 mwN). Die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesnorm ist trotz einer vorliegenden Entscheidung des B[X.] nicht schon deswegen von vornherein immer völlig unproblematisch. Hat eine Entscheidung eines obersten Fachgerichts bereits alle wesentlichen Aspekte einer Rechtsfrage gewürdigt, muss es einem Beschwerdeführer - schon im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde - unbenommen bleiben, in seinem Verfahren eine Überprüfung dieser Würdigung zu begehren, wenn er dafür vernünftige und gewichtige Gründe anführen kann. Das gilt besonders, wenn es sich um eine verfassungsrechtliche Frage handelt, die umstritten geblieben ist und über die auch das [X.] noch nicht abschließend entschieden hat (vgl [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 1022/88 - [X.]E 91, 93, 106 = [X.] 3-5870 § 10 [X.] S 31 = juris Rd[X.]7). Hierzu muss der Beschwerdeführer den Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtern und die Verletzung der konkreten Regelung des [X.] darlegen, um derartige vernünftige und gewichtige Gründe aufzuzeigen (vgl allgemein zB B[X.] Beschluss vom 20.7.2010 - [X.] KR 10/10 B - juris RdNr 6 mwN; vgl auch [X.] Beschluss vom 8.6.1982 - 2 BvR 1037/81 - [X.] 1500 § 160a [X.], wonach das B[X.] nähere Ausführungen zur Grundrechtsverletzung verlangen dürfe, dort zur Gleichbehandlung bei der Rüge eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz). Daran fehlt es hier. Die Klägerin geht bereits weder auf den Schutzbereich des Art 14 [X.] 1 [X.] ein noch setzt sie sich damit auseinander, dass Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt werden, zu denen auch die Vorschriften über die eGK gehören.

c) Die Klägerin formuliert schließlich als achte Rechtsfrage:

        

"h) Sind §§ 15 [X.]. 2, 291 [X.]. 1, 2, 291a [X.]B V mit Art. 2 [X.]. 1 [X.] iVm Art. 1 [X.] vereinbar?"

Der erkennende [X.] lässt auch hier offen, ob die Klägerin damit eine Rechtsfrage klar formuliert hat. Jedenfalls legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht hinreichend dar. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich im Wesentlichen darin, unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung Kritik an der Rspr des erkennenden [X.]s zu üben und sie in Frage zu stellen. Die Klägerin legt nach Maßgabe des oben (2. b) aufgezeigten [X.] nicht hinreichend dar, wieso mit Blick auf die Rspr des erkennenden [X.]s zur eGK (Urteil vom 18.11.2014 - [X.] KR 35/13 R - B[X.]E 117, 224 = [X.]-2500 § 291a [X.]) noch Klärungsbedarf bestehen soll. Sie kritisiert diese Rspr lediglich mit Hinweis auf andere - nach ihrer Auffassung weniger grundrechtsintensive, insbesondere die rassische und ethnische Herkunft nicht erkennen lassende und zudem effektivere - Möglichkeiten der Identitätsfeststellung.

d) Sofern die Klägerin auch eine Unvereinbarkeit der §§ 15 [X.] 2, 291 [X.] 1, 2, 291a [X.]B V bzw der Rspr des erkennenden [X.]s mit Gemeinschaftsrecht als Rechtsfrage implizit formulieren will, fehlt es jedenfalls an näherem Vorbringen. Hierzu genügt es nicht, dass die Klägerin auf die zum 25.5.2018 mit unmittelbarer Wirkung in [X.] getretene Datenschutzgrundverordnung ( Verordnung 2016/679 des [X.] und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/[X.], ABl [X.] vom [X.], [X.]; berichtigt durch [X.] vom 22.11.2016, [X.]; berichtigt durch [X.] vom [X.], [X.]) verweist und ausführt, nach Art 9 [X.] 1 D[X.]VO sei der Umgang mit sensiblen Daten grundsätzlich untersagt. Die Klägerin hätte sich vielmehr damit auseinandersetzen müssen, ob die Ausführungen des [X.]s zu den bereichsspezifischen Datenschutzregelungen des [X.]B V (B[X.] Urteil vom 18.11.2014 - [X.] KR 35/13 R - B[X.]E 117, 224 = [X.]-2500 § 291a [X.], Rd[X.]4 ff) durch das Inkrafttreten der D[X.]VO ihre Gültigkeit verloren haben. Insofern hätte es insbesondere der Auseinandersetzung bedurft mit Art 9 [X.] 2 Buchst h D[X.]VO (Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten), der die grundsätzlich untersagte Verarbeitung von Gesundheitsdaten (zum Begriff vgl Art 4 [X.]5 D[X.]VO) gestattet, sofern diese "für Zwecke der Gesundheitsvorsorge oder der Arbeitsmedizin, für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Beschäftigten, für die medizinische Diagnostik, die Versorgung oder Behandlung im Gesundheits- oder Sozialbereich oder für die Verwaltung von Systemen und Diensten im Gesundheits- oder Sozialbereich auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats oder aufgrund eines Vertrags mit einem Angehörigen eines Gesundheitsberufs (…) erforderlich" ist. Dabei müssen die in Art 9 [X.] 3 D[X.]VO genannten Bedingungen und Garantien beachtet werden (vgl dazu auch B[X.] Beschluss vom 11.11.2019 - [X.] KR 87/18 B - juris RdNr 8).

3. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 [X.]G.

Meta

B 1 KR 89/18 B

19.03.2020

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Konstanz, 18. Mai 2018, Az: S 2 KR 1276/17, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 15 Abs 2 SGB 5, § 291 Abs 2 S 4 SGB 5, Art 4 Abs 1 GG, Art 4 Abs 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.03.2020, Az. B 1 KR 89/18 B (REWIS RS 2020, 2270)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2270

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