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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge: Strafzumessung bei Überschreitung des Grenzwerts
Beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge darf nur die Tatbegehung mit einer „nicht geringen Menge“ für sich genommen nicht bei der Strafzumessung berücksichtigt werden; jedoch kann das Maß der Überschreitung des Grenzwerts in die Strafzumessung einfließen, soweit es sich nicht lediglich um eine Überschreitung in einem Bagatellbereich handelt. Ausgehend von der Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens hat eine Überschreitung des Grenzwerts grundsätzlich strafschärfende Bedeutung.
[X.] Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 17. März 2016 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass ein Monat der verhängten Freiheitsstrafe als bereits vollstreckt gilt.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
I[X.] Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.
Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
Von Rechts wegen
Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richten sich die Revision des Angeklagten sowie die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang begründet.
I.
Nach den Feststellungen des [X.]s erwarb der Angeklagte „in zeitlicher Nähe“ zu einer am 19. Juni 2014 erfolgten Durchsuchung seiner Wohnung in den [X.] 390,21 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 38,9 g Tetrahydrocannabinol, ferner 795 g Amphetaminzubereitung mit einem Wirkstoffanteil von 26,1 g Amphetaminbase und lagerte diese in seiner Wohnung und in einer Garage. Er beabsichtigte zumindest zum Zeitpunkt des Erwerbs, die Betäubungsmittel in den [X.] und in der [X.] gewinnbringend zu veräußern; jedoch wurden sie von der [X.] sichergestellt.
II.
Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil ist unbegründet.
1. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Spezialität (§ 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG, Art. 14 Abs. 3 EuAlÜbk), der kein Verfahrens-, sondern lediglich ein Vollstreckungshindernis begründet (vgl. [X.], Urteil vom 1. Dezember 2008 - [X.]/08, [X.], 35, 39 mit [X.] [X.]; [X.], Beschluss vom 27. Juli 2011 – 4 StR 303/11, [X.], 100 f.; Beschluss vom 9. Februar 2012 – 1 [X.], [X.]St 57, 138, 142; Beschluss vom 25. Juni 2014 – 1 [X.], [X.], 590; Beschluss vom 20. Oktober 2016 – 3 StR 245/16; [X.], Beschluss vom 16. November 2016 – 2 [X.], [X.], 116) liegt nicht vor. Zwar wurde der Angeklagte in anderer Sache von den [X.] nach [X.] überstellt. Im Wege des [X.] wurde jedoch eine Auslieferungsbewilligung auch für die ihm hier zur Last gelegte Tat erteilt.
2. Die Anwendung [X.] Strafrechts ist rechtlich unbedenklich. Bei der Verfolgung einer Auslandstat bedarf es zur Anwendung [X.] Strafrechts nach § 6 Nr. 5 StGB grundsätzlich keines legitimierenden Anknüpfungspunkts im Inland (vgl. [X.], Urteil vom 7. November 2016 – 2 [X.], [X.], 1043, 1044 f. mit [X.] Heim). Deshalb kann offen bleiben, ob die vom [X.] festgestellte Absicht des Angeklagten, die in den [X.] zum gewinnbringenden Verkauf vorrätig gehaltenen Betäubungsmittel auch in [X.] zu veräußern, hinreichend belegt ist.
3. Auch im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4. Zur Kompensation der langen Dauer des Revisionsverfahrens ist anzuordnen, dass ein Monat der Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt. Nach der Revisionshauptverhandlung am 14. September 2016 wurde ein [X.] bestimmt, was auf der Notwendigkeit einer Überprüfung zwischenzeitlich ergangener Rechtsprechung beruhte. Der [X.] musste wegen Erkrankung von [X.]smitgliedern wiederholt verlegt werden, was zu einer mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] nicht zu vereinbarenden Verzögerung des Abschlusses des Revisionsverfahrens geführt hat. Dies gebietet die [X.].
III.
Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist im Wesentlichen begründet; lediglich die zugehörigen Feststellungen können aufrecht erhalten bleiben. Das Urteil weist bei der Strafzumessung einen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf, worauf der Strafausspruch beruhen kann.
1. Das [X.] hat sowohl bei der [X.] (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BtMG) als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinn (§ 46 Abs. 1 und 2 StGB) angenommen, es sei „strafmildernd zugunsten des Angeklagten auch zu berücksichtigen, dass sowohl hinsichtlich der Amphetaminsalzzubereitung als auch hinsichtlich des Tetrahydrocannabinols die Grenzwerte zur nicht geringen Menge nur geringfügig überschritten wurden, nämlich um ein 2,5-faches und um ein fünffaches.“
2. Diese Erwägung hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis nicht stand.
a) Es liegt eine einheitliche Tat im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB vor, die sich auf beide Betäubungsmittel und auf deren Gesamtmenge bezieht. Deren Wirkstoffgehalt beträgt insgesamt das 7,5-fache der nicht geringen Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Dieser Wirkstoffgehalt ist auch bei der Strafzumessung im Ganzen zu bewerten (vgl. [X.], Beschluss vom 16. Januar 2003 – 1 [X.], [X.], 434).
b) Es ist allerdings rechtlich nicht zu beanstanden, dass das [X.] bei der Prüfung eines minder schweren Falles des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG insoweit von einer relativ geringen Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge ausgegangen ist.
Ob ein derart besonderer Ausnahmefall vorliegt, dass die Anwendung des [X.] nicht mehr angemessen erscheint, ist daran auszurichten, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maß abweicht, dass die Anwendung eines [X.] geboten erscheint (vgl. [X.], Urteil vom 19. März 1975 – 2 StR 53/75, [X.]St 26, 97, 99). In diese Gesamtwürdigung sind alle Umstände einzubeziehen, die für die Wertung von Tat und Täterpersönlichkeit in Betracht kommen, gleichgültig, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorangehen oder ihr nachfolgen. Bei der sonach erforderlichen Gesamtabwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände ist die Frage, ob die Wirkstoffmenge um ein Vielfaches der nicht geringen Menge oder nicht sehr erheblich überschritten ist, regelmäßig von Bedeutung ([X.], Beschluss vom 7. November 1983 – 1 StR 721/83, [X.]St 32, 162, 165). Je höher im Einzelfall die Grenze zur nicht geringen Menge überschritten ist, umso eher wird im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung die für die Annahme eines minder schweren Falles in Betracht kommen. Je geringer demgegenüber die Überschreitung des Grenzwerts ist, desto näher liegt die Annahme eines minder schweren Falles. Eine nur geringe Grenzwertüberschreitung wird – weil unterhalb des „[X.]“ gelegen – ein Kriterium für die Annahme eines minder schweren Falles sein, während eine ganz erhebliche Überschreitung gegen die Annahme eines solchen spricht.
Daran gemessen halten sich die der [X.] zu Grunde liegenden Erwägungen noch innerhalb des dem Tatrichter zustehenden Spielraums.
c) Entgegen der Auffassung des [X.]s kann der Umstand, dass der Angeklagte mit dem 7,5-fachen der nicht geringen Menge Handel getrieben hat, jedoch bei der Strafzumessung im engeren Sinn nicht als bestimmender [X.] gewertet werden.
aa) Beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG darf die Tatbegehung mit einer „nicht geringen Menge“ für sich genommen nicht berücksichtigt werden, weil dies nur die Erfüllung des [X.] beschreibt (§ 46 Abs. 3 StGB). Jedoch kann das Maß der Überschreitung des Grenzwerts in die Strafzumessung einfließen, soweit es sich nicht lediglich um eine Überschreitung in einem Bagatellbereich handelt, wodurch praktisch allein die Erfüllung des [X.] festgestellt ist. Wo diese Bagatellgrenze verläuft, hat in erster Linie der Tatrichter unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzulegen. Ob sie „annähernd beim Doppelten der nicht geringen Menge“ (vgl. [X.], Beschluss vom 14. März 2017 – 4 StR 533/16), beim zweieinhalbfachen (so im Ergebnis [X.], Beschluss vom 25. Februar 2016 – 2 StR 39/16, [X.], 141), bei der dreifachen nicht geringen Menge (so im Ergebnis [X.], Beschluss vom 31. März 2016 – 2 StR 36/16, [X.]R BtMG § 29 Strafzumessung 44) liegt, oder ob die Bagatellgrenze bei Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge um ein Drittel (vgl. [X.], Urteil vom 13. Oktober 2016 – 4 [X.] Rn. 31) noch eingehalten ist, kann hier offen bleiben. Bei einem Handeltreiben mit dem 7,5-fachen der nicht geringen Menge handelt es sich jedenfalls nicht um eine derart geringe Überschreitung des Grenzwerts, dass diese Tatsache gemäß § 46 Abs. 3 StGB aus der Gesamtschau aller Strafzumessungsgründe ausscheiden müsste.
bb) [X.] einer die Grenze zur Erfüllung des [X.] nur unwesentlich überschreitenden Wirkstoffmenge hat das Maß der Überschreitung dieser Grenze regelmäßig die Bedeutung eines im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO bestimmenden Strafzumessungsgrundes.
Ausgehend von der Untergrenze des gesetzlichen Strafrahmens hat die Überschreitung des Grenzwerts grundsätzlich strafschärfende Bedeutung (vgl. zur Festlegung der [X.] anhand der Strafrahmenuntergrenze [X.], Zur Bedeutung des [X.] bei der Bemessung der Strafe, 1996, [X.]). Die [X.] wird insoweit durch die Anknüpfung des [X.] gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG an eine bestimmte Menge von Betäubungsmitteln vorgegeben. Unbeschadet des Erfordernisses einer Gesamtwürdigung aller Strafzumessungstatsachen ist die Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge gegenüber der Mindeststrafe für sich genommen schärfend zu berücksichtigen.
Eine Orientierung an einem anderen Bezugspunkt, wie etwa einem normativen Normalfall, von dem aus ein einzelner Umstand im Rahmen seiner [X.] als „strafmildernd“ oder „strafschärfend“ bezeichnet werden könnte, oder einem statistischen Durchschnitts- oder Regelfall als Bezugspunkt für die Bestimmung der [X.], scheidet nach der Rechtsprechung des [X.] bei der konkreten Strafzumessung aus ([X.], Beschluss vom 10. April 1987 – [X.], [X.]St 34, 345, 351). Es bleibt daher bei der vom [X.] des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG vorgegebenen [X.], wonach das Maß der Überschreitung der nicht geringen Menge ein gegenüber der Mindeststrafe schärfender Gesichtspunkt ist.
cc) Soweit der [X.] früher bemerkt hat, eine nur geringfügige Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge sei ein „Strafmilderungsgrund“ (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Februar 2016 – 2 StR 39/16, [X.], 141; Beschluss vom 24. Juli 2012 – 2 [X.], [X.]R BtMG § 29 Strafzumessung 39; Urteil vom 10. August 2016 – 2 StR 22/16, Rn. 40; krit. [X.], Beschluss vom 8. November 2016 – 5 StR 487/16 und Beschluss vom 10. Januar 2017 – 5 [X.]), hält er daran nicht fest.
Soweit der 1. Strafsenat des [X.] in seinem Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 329/16 ([X.], 47) ausgeführt hat, dass „eine geringe Überschreitung der Untergrenze zur nicht geringen Menge […] ein Strafmilderungsgrund“ sei, steht dies der Aufgabe der Rechtsprechung nicht entgegen, weil es sich insoweit nicht um eine tragende Erwägung handelt. Der 1. Strafsenat hatte die strafschärfende Erwägung des Tatrichters, der Grenzwert der nicht geringen Menge sei in jedem der zur Aburteilung stehenden Fälle „um ein Vielfaches“ überschritten, beanstandet, weil diese strafschärfende Erwägung in zwei Fällen auf die Feststellung bezogen war, dass der Grenzwert um das 1,8-fache überschritten war. Der [X.] hat – tragend – insoweit ausgeführt, dass die 1,8-fache Überschreitung des Grenzwerts zur nicht geringen Menge „noch derart gering“ sei, dass dies jedenfalls „nicht als bestimmender Strafzumessungsgrund“ gewertet werden könne. Dies steht in Einklang mit der Auffassung des [X.]s.
d) Die im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne angeführte Erwägung des [X.]s, „strafmildernd“ sei „zugunsten des Angeklagten auch zu berücksichtigen, dass sowohl hinsichtlich der Amphetaminsalzzubereitung als auch hinsichtlich des Tetrahydrocannabinols die Grenzwerte zu den nicht geringen Mengen nur geringfügig überschritten wurden“, ist demnach rechtsfehlerhaft. Der [X.] vermag nicht auszuschließen, dass der maßvolle Strafausspruch hierauf beruht.
3. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können aufrechterhalten bleiben. Insoweit ist die Revision der Staatsanwaltschaft unbegründet.
[X.] |
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[X.] |
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Eschelbach |
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Zeng |
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Bartel |
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Meta
15.03.2017
Bundesgerichtshof 2. Strafsenat
Urteil
Sachgebiet: StR
vorgehend LG Aachen, 17. März 2016, Az: 67 KLs 901 Js 30/15
§ 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 46 Abs 3 StGB
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.03.2017, Az. 2 StR 294/16 (REWIS RS 2017, 14081)
Papierfundstellen: NJW 2017, 2776 REWIS RS 2017, 14081
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
2 StR 294/16 (Bundesgerichtshof)
2 StR 506/15 (Bundesgerichtshof)
Revision in Strafsachen: Beruhen des Urteils auf einem Verstoß gegen die Dokumentationspflicht über verständigungsbezogene Erörterungen
2 StR 506/15 (Bundesgerichtshof)
2 StR 452/23 (Bundesgerichtshof)
4 StR 533/16 (Bundesgerichtshof)
Betäubungsmitteldelikt: Strafrahmen bei minder schwerem Fall des bewaffneten Handeltreibens