Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2016, Az. 2 ARs 386/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 2895

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:071116B2ARS386.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 ARs 386/15

vom
7. November
2016
in der Strafsache
gegen

wegen
Totschlags

hier:
Antwort auf den [X.] des [X.] vom

15. Oktober 2015 -
3 [X.]

-
2
-
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
hat am 7. November
2016
gemäß §
132
Abs.
3 Satz 1 GVG
beschlossen:

Die beabsichtigte Entscheidung des [X.] widerspricht der Rechtsprechung des [X.], der an dieser festhält.

Gründe:
1. Der 3. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden:
"Der Tatrichter übt sein Ermessen bei der Entscheidung über die Straf-rahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht rechtsfeh-lerhaft aus, wenn er im Rahmen einer Gesamtwürdigung der schuldmindernden Umstände die Versagung der Strafrahmenmilderung allein auf den Umstand stützt, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des [X.] auf von diesem verschuldeter Trunkenheit beruht."
Er hat daher mit Beschluss vom 15. Oktober 2015 (3 [X.]) bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob deren Rechtsprechung dem entgegensteht und ob -
sollte dies der Fall sein -
daran festgehalten wird.
2. Der Senat versteht den [X.] so, dass der 3. Strafsenat der Auffassung ist, dass jede verschuldete Trunkenheit eines Angeklagten in
einem Maße schulderhöhend wirkt, dass allein deswegen die [X.] nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB versagt werden kann und es dabei nicht auf das Vorliegen einschlägiger Vorerfahrungen des [X.] oder sonst das [X.] Verhalten ankommt. Denn der 3. Strafsenat sieht im Ergebnis keinen Ermessensfehler darin, dass das Tatgericht dem Angeklagten die [X.] nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB allein deswegen ver-sagt hat, weil dieser sich schuldhaft durch Alkoholgenuss in den Zustand er-heblich verminderter Schuldfähigkeit versetzt hat, obwohl das [X.] 1
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Feststellungen zu einer vorhersehbar alkoholbedingten Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund persönlicher oder situativer Verhältnisse des Einzelfalls nicht getroffen hat.
3. Der beabsichtigten Entscheidung des [X.] steht Rechtspre-chung des [X.] entgegen (vgl. Senat, Urteil vom 15. Februar 2006
-
2 [X.] -, [X.]R StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40; Beschluss vom 7. September 2015
-
2 [X.], [X.], 74); an dieser hält er fest.
Ob bei Vorliegen verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eine Strafrahmenmilderung vorzunehmen oder zu versagen ist, hat der Tatrich-ter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (Senat, Beschluss vom 7. September 2015 -
2 [X.], aaO); seine Wertung ist vom Revisionsgericht in der Regel hinzuneh-men, wenn sie erkennbar auf einer vollständigen Tatsachengrundlage beruht (Senat, Urteil vom 15. Februar 2006 -
2 [X.], [X.]R StGB § 21 Straf-rahmenverschiebung 40 mwN). Eine schematische Behandlung der Frage einer fakultativen Strafrahmenmilderung allein wegen Vorliegens eines selbst zu ver-antwortenden Alkoholrausches hält der Senat daher nicht für angebracht; viel-mehr ist eine differenzierte, auf eine Verschuldensprüfung im Einzelfall abstel-lende Lösung vorzuziehen.
Danach spricht es bei selbst zu verantwortender Trunkenheit des [X.] in der Regel zwar gegen eine Strafrahmenverschiebung, wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls infolge der [X.] das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant [X.] hat. Umgekehrt rechtfertigt aber der Umstand, dass die erhebliche Ver-minderung der Schuldfähigkeit des [X.] auf von diesem verschuldeter Trun-5
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kenheit beruht, für sich allein die Versagung einer Strafrahmenverschiebung gemäß § 21, § 49 Abs. 1 StGB nicht. Diese Erwägungen gelten nach Auffas-sung des Senats gleichermaßen im
Rahmen der Prüfung eines unbenannten minder schweren Falls nach § 213 StGB.
Der Tatrichter hat über die vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit einer Strafrahmenmilderung auf Grund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevan-ten Gesichtspunkte zu entscheiden, wobei ihm bei der Bewertung der für die Feststellung einer vorwerfbaren Vorhersehbarkeit relevanten objektiven und subjektiven Umstände ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt ist. Im Rah-men dieser Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass der [X.] bei einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit in aller Regel vermindert ist (Senat, Beschluss vom 7. September 2015 -
2 [X.]; Urteil vom 24. August 2016 -
2 [X.]). Zwar kann die Minderung der [X.] durch schulderhöhende Umstände kompensiert werden. Dies kommt etwa in Betracht, wenn der Täter die Begehung von Straftaten vorausgesehen hat oder hätte voraussehen können, weil er aus früheren Erfahrungen weiß, dass er unter Alkohol-
oder Drogenkonsum zur Begehung von Straftaten neigt (Senat, Beschluss vom 7. September 2015 -
2 [X.], [X.], 74) oder sich für ihn aus anderen Umständen ergibt, dass es bei Alkoholisierung zu Straftaten kommen könnte (Senat, Urteile vom 15. Februar 2006 -
2 [X.], [X.]R StGB §
21 Strafrahmenverschiebung 40 und vom 24. August 2016
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2 [X.]).
Die Ansicht des anfragenden [X.], es liege kein [X.] darin, dass das Tatgericht dem Angeklagten die fakultative Strafrah-menmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB allein deswegen versagt hat, weil dieser sich schuldhaft durch Alkoholgenuss in den Zustand erheblich vermin-derter Schuldfähigkeit versetzt hat, berücksichtigt nicht, dass das Tatgericht auf 8
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Grund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Gesichtspunkte zu [X.] hat. Nicht nachzuvollziehen vermag der Senat daher, wie eine "Ge-samtwürdigung" aller relevanten Gesichtspunkte -
wie in der dem [X.] zugrunde liegenden Entscheidung -
ermessensfehlerfrei vorgenommen worden sein sollte, wenn der Tatrichter die Versagung der Strafrahmenmilde-rung allein (ausschließlich) auf einen
Umstand gestützt hat.
Die der beabsichtigten Entscheidung des [X.] zugrunde lie-gende Rechtsauffassung greift mit Blick auf den [X.] zu kurz (vgl. LK/Schöch, 12. Aufl., § 21 Rn. 56; [X.]/Kühl, 28. Aufl., § 21 Rn. 4a mwN), insbesondere lässt sie unberücksichtigt, dass jede Schulderhöhung wenigstens (einfache) Fahrlässigkeit als geringste Schuldform voraussetzt. Aus diesem Grund ist für eine Versagung der Strafrahmenmilderung zumindest Fahrlässig-keit des [X.], also Vorhersehbarkeit und
Vermeidbarkeit bezüglich eines rechtswidrigen Ereignisses in objektiver und subjektiver Hinsicht erforderlich, etwa Vorerfahrungen mit vergleichbaren Straftaten oder die
Alkoholisierung in einer Umgebung, in der sich aufgrund der persönlichen und situativen Verhält-nisse des Einzelfalles das Risiko der Begehung von Straftaten erhöht hat ([X.], Urteil vom 17. August 2004 -
5 [X.], [X.]St 49, 239, 242). Das allgemeinkundige Wissen, dass eine alkoholische [X.] generell die Hemmschwelle gegenüber sozial auffälligen und aggressiven Verhalten zu senken pflegt, reicht insoweit nicht (vgl. Senat, Urteil vom 24. August 2016
-
2 [X.]).
Damit kann eine Strafrahmenmilderung wegen eigenverantwortlich her-beigeführter Trunkenheit nach § 21, § 49 Abs. 1 StGB nur dann abgelehnt bzw. ein unbenannter minder schwerer Fall im Sinne von § 213 StGB verneint wer-den, wenn im Rahmen der Ermessensentscheidung geprüft und berücksichtigt wurde, ob sich aufgrund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Ein-10
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zelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung vor-hersehbar signifikant erhöht hat. Insoweit schließt sich der Senat den Ausfüh-rungen des 5. Strafsenats in der genannten Entscheidung an.
Fischer [X.]Eschelbach

Zeng Bartel

Meta

2 ARs 386/15

07.11.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: ARs

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2016, Az. 2 ARs 386/15 (REWIS RS 2016, 2895)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 2895

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2 ARs 386/15

3 StR 63/15

2 StR 350/15

2 StR 504/15

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