Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.12.2016, Az. V R 44/15

5. Senat | REWIS RS 2016, 605

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Gegenstand

Unternehmereigenschaft im kommunalen Bereich


Leitsatz

1. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist nur dann Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne einer nachhaltigen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen gemäß § 2 Abs. 1 UStG ausübt, die sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung heraushebt.

2. Fehlt es hieran, kann sie nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Organträger sein.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 29. Oktober 2015  6 K 1104/13 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Gemeinde, ist Alleingesellschafterin der K-GmbH, die ihrerseits Alleingesellschafterin der [X.] ist. Die Klägerin errichtete im Zeitraum 2001 bis 2008 ein Sportzentrum in drei Bauabschnitten, bestehend aus einer Dreifeldturnhalle, einem Verbindungsbau und einem Freizeitbad. Mit "Vorvertrag" vom 20. Dezember 2007 vermietete die Klägerin die Dreifeldturnhalle mit [X.] und Inventar an die [X.] mit Wirkung ab 1. Januar 2008 zu einem monatlichen Mietzins von 900 €. Die Klägerin verpflichtete sich, den beim Betrieb des Sportzentrums entstehenden handelsrechtlichen Verlust auszugleichen. Mit Vertrag vom 28. Oktober 2008 übertrug die Klägerin rückwirkend zum 1. Januar 2008 den Betrieb des Sportzentrums auf die [X.], die sich verpflichtete, das Sportzentrum im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu betreiben. Für die Festsetzung der Eintrittspreise bedurfte es der Zustimmung durch den Stadtrat der Klägerin. Die Klägerin verpflichtete sich wiederum zum Ausgleich der handelsrechtlichen Verluste. Der voraussichtliche Verlust für 2008 sollte sich auf 350.400 € belaufen. Bei dem Verlustausgleich sollte es sich um einen nicht rückzahlbaren Zuschuss handeln. Nach Fertigstellung des Sportbades übertrug die Klägerin auch diesen Betriebsteil auf die [X.]. Nach dem [X.] vom 30. Juni 2009 belief sich das Nutzungsentgelt unter Berücksichtigung von beweglichem Anlagevermögen ab 1. Dezember 2008 auf monatlich 5.974,50 €. Aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen leistete die Klägerin [X.] in Höhe von 350.400 € (2008), 663.582,69 € (2009) und 639.084,95 € (2010).

2

Für die Errichtung des Sportzentrums machte die Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 einen Vorsteuerabzug von insgesamt ca. 1,8 Mio. € geltend. Die Mieten behandelte sie als Entgelt für umsatzsteuerpflichtige Leistungen.

3

Mit den [X.] vom 1. und vom 5. Oktober 2012 hob der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) die für die Klägerin ergangenen Umsatzsteuerbescheide für die Streitjahre 2006 bis 2010 auf, da diese keinen Betrieb gewerblicher Art unterhalten habe. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

4

Demgegenüber gab das Finanzgericht ([X.]) der Klage statt. Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2016, 940 veröffentlichten Urteil ist die Klägerin aus den Errichtungskosten für das Sportzentrum zum Vorsteuerabzug nach § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) berechtigt. Die Klägerin habe mit der Verpachtung des Sportzentrums einen Betrieb gewerblicher Art unterhalten. Dem stehe der Verlustausgleich nicht entgegen, da er weder zu einem Entfallen der Einnahmeerzielungsabsicht noch zu einer Unentgeltlichkeit geführt habe.

5

Hiergegen wendet sich das [X.] mit seiner Revision. Die Klägerin habe nur geringe Pachteinnahmen von 15.874 € (2008), 71.694 € (2009) und 71.684 € (2010) vereinnahmt. Verlustausgleich und Pachtzahlungen seien miteinander zu saldieren, da es auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ankomme. Klägerin und [X.] seien auch nahestehende Personen. Für die umsatzsteuerrechtliche Unternehmereigenschaft sei unter Berücksichtigung von Art. 9 der Richtlinie 2006/112/[X.] über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28. November 2006 --MwStSystRL-- (zuvor: Art. 4 Abs. 1 und 2 der [X.] zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage 77/388/[X.]) eine wirtschaftliche Tätigkeit erforderlich. Diese Bestimmung sei nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) auch bei der Auslegung des nationalen Rechts zu beachten. Das Urteil des [X.] stehe auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]). Für die Unternehmereigenschaft reiche danach eine Tätigkeit auf privatrechtlicher Grundlage nicht aus. Vielmehr komme es auch auf die allgemeine Unternehmerdefinition an. Die Verpachtung des [X.] stelle eine nichtsteuerbare Beistellung dar und begründe keine Unternehmereigenschaft der Klägerin. Auch bei Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art sei der allgemeine Unternehmerbegriff zu beachten. Eine Organschaft komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Klägerin in keiner Weise unternehmerisch tätig sei. Ein Entgelt von dritter Seite könne nicht vorliegen, da die Stadt auf eine an sich erbrachte Leistung zahle.

6

Das [X.] beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Bei der vom [X.] geforderten wirtschaftlichen Betrachtungsweise sei zu berücksichtigen, dass die Kosten des Bäderbetriebs nicht durch die Eintrittsgelder gedeckt werden konnten. Ein wirtschaftlich unabhängiger Pächter würde auf Dauer keine Verluste erwirtschaften. Die [X.] könne die Eintrittspreise aber nicht anheben, da diese ihr von der Klägerin vorgegeben werden. Klägerin und [X.] handelten hinsichtlich des Betriebs des [X.] nicht wie wirtschaftlich orientierte Marktteilnehmer. Die [X.] seien als Entgelt von dritter Seite zu behandeln. Die Anwendung der [X.] komme bei Leistungen an zum Vorsteuerabzug berechtigte Unternehmer wie die [X.] nicht in Betracht. Eine unentgeltliche Überlassung im Rahmen einer Beistellung liege nicht vor. Die Rechtsauffassung des [X.] führe dazu, dass die Klägerin als Betreiber des [X.] anzusehen sei. Durch die Versagung des Vorsteuerabzugs für den Betrieb eines Schwimmbades werde die öffentliche Hand im Vergleich zu privaten Unternehmern benachteiligt. Die [X.] sei auch nicht als Geschäftsbesorger tätig. Sie sei zudem unternehmerisch tätig, da eine Betriebsaufspaltung und damit ein Betrieb gewerblicher Art vorliege. Sie sei zumindest organschaftlich nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG mit der [X.] verbunden. Es komme auch in Betracht, ihre Zahlungen an die GmbH als Drittentgelt anzusehen. Die [X.] sei aus Gründen der Daseinsvorsorge, nicht aber aus nichtunternehmerischen Gründen erfolgt. Damit handele es sich um ein Auffüllungsentgelt. Ohne [X.] habe der GmbH Überschuldung gedroht.

Entscheidungsgründe

II.

9

Die Revision des [X.] ist begründet. Das Urteil des [X.] ist aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat im Streitfall die Unternehmereigenschaft der Klägerin zu Unrecht bejaht.

1. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist bei richtlinienkonformer Auslegung von § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 des [X.] ([X.]) entsprechend Art. 13 MwStSystRL nur dann Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne einer nachhaltigen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen gemäß § 2 Abs. 1 UStG ausübt, die sich innerhalb ihrer Gesamtbetätigung heraushebt (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 13. Februar 2014 V R 5/13, [X.], 92, unter [X.] unter Bezugnahme auf die BFH-Urteile vom 10. November 2011 V R 41/10, [X.], 554, und vom 1. Dezember 2011 V R 1/11, [X.], 235).

2. An der für die Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts erforderlichen Grundvoraussetzung der wirtschaftlichen (unternehmerischen) Tätigkeit fehlt es nach dem [X.]-Urteil [X.] vom 12. Mai 2016 C-520/14 ([X.]:C:2016:334), wenn eine Gemeinde über die von ihr vereinnahmten Beiträge nur einen kleinen Teil ihrer Kosten deckt. Werden die Kosten nur zu 3 % aus Einnahmen und im Übrigen mit öffentlichen Mitteln finanziert, deutet diese Asymmetrie zwischen den Betriebskosten und den als Gegenleistung erhaltenen Beträgen darauf hin, dass kein Leistungsentgelt und auch keine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegen ([X.]-Urteil [X.], [X.]:C:2016:334, Rz 33 f.).

3. Nach diesen Maßstäben ist das [X.] rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Klägerin als Unternehmerin zum Vorsteuerabzug nach § 15 UStG berechtigt ist. Das Urteil des [X.] ist materiell-rechtlich mit den bei der Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigenden Vorgaben des [X.], die das [X.] teilweise nicht berücksichtigen konnte, unvereinbar. Es kommt dabei entgegen der Auffassung der Klägerin nicht darauf an, ob eine juristische Person des öffentlichen Rechts im Rahmen einer gesetzlichen Pflichtaufgabe oder "freiwillig" tätig ist. Das Urteil des [X.] ist daher aufzuheben.

Soweit die Klägerin demgegenüber auf das Vorliegen eines Betriebs gewerblicher Art im Sinne des Körperschaftsrechts abstellt, lässt sie außer Betracht, dass der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 [X.] richtlinienkonform entsprechend Art. 13 MwStSystRL auslegt (s. oben II.1.) und zudem entsprechend der übereinstimmenden Systematik von nationalem Recht und Unionsrecht vor Anwendung dieser Vorschriften zunächst der Grundtatbestand des Unternehmerbegriffs in § 2 Abs. 1 UStG erfüllt sein muss.

4. Die Sache ist nicht spruchreif.

a) In einem zweiten Rechtsgang wird zu prüfen sein, ob entsprechend dem [X.]-Urteil [X.] ([X.]:C:2016:334) von einer Asymmetrie zwischen den Pachteinnahmen und den Kosten, für die die Gemeinde den Vorsteuerabzug geltend macht, auszugehen ist. Hierfür könnte auch sprechen, dass die Klägerin selbst vorträgt, dass sie und die [X.] nicht wie wirtschaftlich orientierte Marktteilnehmer handelten. Insoweit sind insbesondere Feststellungen zu den einzelnen Kosten zu treffen, die bei der Klägerin für unbewegliches und bewegliches Anlagevermögen angefallen sind.

b) Vor allem wird das [X.] zu prüfen haben, ob Pacht und Verlustausgleich, die auf einer einheitlichen vertraglichen Grundlage beruhen, nicht entsprechend dem Vorbringen des [X.] miteinander zu saldieren sind. Dann scheitert die Annahme einer Unternehmereigenschaft der Klägerin bereits daran, dass der Nutzungsüberlassung an die [X.] keinerlei Entgelt gegenübersteht, so dass von einer unentgeltlichen Überlassung an die [X.] auszugehen wäre.

Dabei könnte auch von einer Beistellung der Klägerin (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 15. April 2010 V R 10/08, [X.], 406, [X.], 879, unter [X.] bb) zu einer von der [X.] bezogenen Leistung auszugehen sein, wenn die [X.] Betriebsführungsleistungen an die Klägerin erbracht hätte (zur Betriebsführung für juristische Personen des öffentlichen Rechts BFH-Urteil vom 19. November 2009 V R 29/08, [X.], 701). Derartige Beistellungen begründen keine unternehmerische Tätigkeit des Beistellenden (BFH-Urteil vom 20. August 2009 V R 30/06, [X.], 465, [X.], 863, unter [X.] (2), so dass die Klägerin nur steuerpflichtige Leistungen bezogen, solche aber nicht selbst erbracht hätte. Die Zahlung von Nutzungsentgelten durch die [X.] an die Klägerin wäre dann ein bloßer Verrechnungsposten für die Leistungen der [X.] an die Klägerin.

c) Vorsorglich weist der Senat zudem darauf hin, dass die Klägerin auf der Grundlage des übereinstimmenden Beteiligtenvortrags in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mangels eigener Unternehmerstellung nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Organträgerin der [X.] sein kann (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 12. Oktober 2016 XI R 30/14, Leitsatz 2, juris; BFH-Urteile vom 9. Oktober 2002 V R 64/99, [X.], 119, [X.] 2003, 375, unter II.2., und vom 2. Dezember 2015 V R 67/14, [X.], 547, unter II.3.a).

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 44/15

15.12.2016

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 29. Oktober 2015, Az: 6 K 1104/13, Urteil

§ 2 Abs 1 UStG 2005, § 2 Abs 2 Nr 2 UStG 2005, § 2 Abs 3 S 1 UStG 2005, Art 9 EGRL 112/2006, Art 11 EGRL 112/2006, Art 13 EGRL 112/2006, Art 4 Abs 1 EWGRL 388/77, Art 4 Abs 2 EWGRL 388/77, UStG VZ 2006, UStG VZ 2007, UStG VZ 2008, UStG VZ 2009, UStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.12.2016, Az. V R 44/15 (REWIS RS 2016, 605)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 605

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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