Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.07.2020, Az. 2 BGs 468/20

Ermittlungsrichter | REWIS RS 2020, 2234

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Gegenstand

Telekommunikationsüberwachung im Ermittlungsverfahren: Voraussetzungen und notwendiger Inhalt einer Anordnung des Ermittlungsrichters auf Überwachung der Mobilfunkanschlüsse der Eltern eines Beschuldigten als Nachrichtenmittler für "WhatsApp"-Nachrichten; Reichweite und Wirkungen von Einverständniserklärungen der zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen


Tenor

1. Gemäß § 100a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1d), Abs. 3 [X.]. 3, § 100e Abs. 1 und 3, § 162, § 169 Abs. 1 Satz 2 StPO wird die Überwachung und Aufzeichnung der über den durch den unverdächtigen      P.      genutzten Mobilfunkanschluss mit der Rufnummer

...

Anschlussinhaber:   P.    ,

...

Netzbetreiber:...

geführten Telekommunikation (Telefongespräche und Datenverkehr) bis einschließlich 6. September 2020, 24:00 Uhr,

angeordnet.

2. Der Zurückstellung der Benachrichtigung der Beteiligten der betroffenen Telekommunikation von der Erhebung der Verkehrsdaten bis zwölf Monate nach Beendigung der Maßnahme wird zugestimmt (§ 101a Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 StPO).

3. Hinsichtlich der Kenntnisnahme und Speicherung der aus der Anordnung gemäß Nummer 1 gewonnenen Daten wird Folgendes

angeordnet:

a) Telekommunikation und Datenverkehr, die/der offensichtlich nicht von der Beschuldigten herrührt oder für diese bestimmt ist oder bei der/dem offensichtlich ist, dass kein Bezug zur Beschuldigten vorliegt, darf weder geöffnet, gelesen noch sonst zur Kenntnis genommen werden, sondern ist mit den dazugehörigen Verkehrsdaten unverzüglich zu löschen.

b) Telekommunikation und Datenverkehr, bei der/dem nicht offensichtlich ist, dass sie/er von der Beschuldigten herrührt, für sie bestimmt ist oder einen Bezug zur Beschuldigten aufweist, ist mit den dazugehörigen Verkehrsdaten unverzüglich zu löschen, sobald erkennbar ist, dass sie/er weder von der Beschuldigten herrührt noch für sie bestimmt ist oder keinen Bezug zu ihr aufweist.

c) Die Regelung des § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO bleibt unberührt.

Gründe

A.

1

Der [X.] beim [X.] führt gegen die [X.]uldigte    [X.]ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen [X.] ("...           "      ) nach § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 129a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 StGB.

1. ...

2. ...

2

3. Auf Antrag des [X.]es beim [X.] ordnete der Ermittlungsrichter des [X.]es mit [X.]lüssen vom 16. September 2019 - 2 [X.] ...   - die Überwachung und Aufzeichnung der über den in der [X.] benannten Mobilfunkanschluss des [X.] der [X.]uldigten geführten Telekommunikation nach § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] an.

4. ...

5. ...

Die Maßnahme wurde durch [X.]luss vom 13. März 2020 - 2 [X.] ...   - bis zum ... verlängert.

3

6. Am 10. Juni 2020 beantragte der [X.] beim [X.] die weitere Verlängerung der Maßnahme und führte hierzu in seiner Antragsschrift aus:

„Der [X.] wird von den Eltern als [X.] genutzt. Nach den Erkenntnissen aus der bislang durchgeführten Überwachung des oben genannten [X.]es steht die [X.]uldigte mit ihrer Mutter fortlaufend über Messengerdienste in Kontakt. Darüber hinaus wird die Mutter über den Mobilfunkanschluss durch weitere - ... jedenfalls nahestehende - Personen kontaktiert, die ihr Nachrichten der [X.]uldigten konspirativ übermitteln...“

4

Beigeschlossen waren dem Antrag eine [X.] des [X.]         vom 9. Juni 2020 nebst Anlagen sowie ein Stehordner „Anlagen zu Anträgen an den Ermittlungsrichter des [X.]s Auszüge aus der Sachakte und den Sachakten-Sonderheften [X.]“. In der [X.] wurde festgehalten, dass die „[X.] seit dem 12. Januar 2020 überwacht werden“ und hierdurch dessen Kontakte zur [X.]uldigten belegt werden könnten.

5

7. Auf gerichtliche Nachfrage wurde durch den [X.] per E-Mail vom 10. Juni 2020 ein polizeilicher Vermerk vom 13. Januar 2020 übersandt, in dem festgehalten wird:

„Am 12. Januar 2020 kam es zur Vernehmung der Eheleute [X.]    . Im Rahmen der Vernehmung überließen                 [X.]     den Vernehmungsbeamten freiwillig für einen kurzen Zeitraum ihre mitgeführten Mobiltelefone, damit darauf enthaltene Nachrichten von ihrer Tochter eingesehen und u.a. fotografiert werden konnten. Im Zuge der Fertigung von entsprechenden Fotos konnte die computerbasierte Anwendung [X.], über eine vom [X.] online zur Verfügung gestellte [X.]seite verdeckt aktiviert werden, sodass die Nachrichten über einen [X.] Rechner mitgelesen werden können. Es liegt kein Eingriff in Form eines [X.] o.ä. vor. Die Planung und Durchführung der Maßnahme wurde im Vorfeld am 7. Januar 2020 mit der [X.] besprochen.“

6

Am 15. Juni 2020 wurde ergänzend auch der Vermerk des Kriminalhauptkommissars [X.]vom selben Tage übersandt, der zur Situation am 12. Januar 2020 festhält:

Am 12.01.2020 kam es zur Vernehmung der Zeugen             [X.]    . Nach Belehrung gem. [X.] wurde die Vernehmung der Eheleute nacheinander durch PK'in [X.]   und [X.] durchgeführt. Schon im Vorfeld der Vernehmung hatten die Eheleute angekündigt ihre Mobiltelefone freiwillig herauszugeben, um Nachrichten von ihrer Tochter polizeilich sicherstellen zu lassen. So wurden sie insbesondere in Hinblick auf ihr freiwilliges Mitwirken gem. § 97 Abs. 1 Nr. 1 [X.] belehrt. Im Rahmen der Vernehmung kam es dann zur freiwilligen Herausgabe der Smartphones durch die Zeugen an die neben [X.]in [X.] und [X.] eingesetzten Beamten [X.] [X.]und [X.]. So sollten wie o.a. mit Einwilligung der Betroffenen Chatverläufe zwischen den Eltern und der [X.].    [X.](Tochter) kopiert und zudem fotographisch gesichert werden. Die Maßnahme der Sicherung der Chatverläufe fand parallel zu der jeweiligen Vernehmung im selben Raum statt. Gemäß Absprache mit der [X.] vom 07.01.2020 sollte im Rahmen dessen aufgrund der bestehenden [X.] [X.]lüsse v. 13.12.2019 ... die künftige [X.] in die Wege geleitet werden.“

7

Ein staatsanwaltschaftlicher Vermerk über die mit der Polizei getroffene Absprache wurde nicht vorgelegt.

B.

8

Die Voraussetzungen für die erneute Verlängerung der Maßnahme liegen vor.

I.

9

Die [X.]uldigte ist verdächtig, sich seit September 2014 in [X.] an der terroristischen [X.] "...            " mitgliedschaftlich beteiligt zu haben, indem sie sich dieser Vereinigung anschloss, sich deren Befehlsgewalt unterwarf, sich in ihr ...         betätigte und darüber hinaus    ...       dadurch förderte, dass sie sich ...

II.

Hinsichtlich der rechtlichen Würdigung wird Bezug genommen auf den [X.]luss vom 16. September 2019 - 2 [X.] ...     ; hinsichtlich der Bewertung des Tatverdachts wird Bezug genommen auf den [X.]luss vom 12. März 2020 - 2 [X.] ...

III.

Auch die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen liegen vor.

1. Gegen die [X.]uldigte besteht der Verdacht, sich wegen einer Katalogtat im Sinne des § 100a Abs. 2 Nr. 1 d) StP[X.] Es handelt es sich wegen des langen Aufenthalts im Gebiet ... auch im konkreten Einzelfall um eine schwerwiegende Straftat im Sinne des § 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1d) StP[X.]

2. Der [X.] wird vom Vater der [X.]uldigten als [X.] genutzt.

3. Die Überwachung der Telekommunikation über den genannten [X.] ist zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts jedenfalls für den in der [X.] benannten Zeitraum noch geeignet und auch noch erforderlich; insbesondere tragen die im vergangenen [X.] gewonnenen Erkenntnisse die Verlängerungsanordnung (§ 100e Abs. 1 Satz 5 [X.]). Zumindest die Angaben der Eltern...                                           belegen die naheliegend auch derzeit noch fortbestehenden Kontakte zu ihrer Tochter.

4. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass durch die beantragte Maßnahme allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung im Sinne des § 100d Abs. 1 [X.] erlangt würden.

5. Eine Erforschung des Sachverhalts mit anderen Mitteln wäre wesentlich erschwert, vermutlich sogar aussichtslos.

IV.

Lediglich ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen:

1. Die bisher durch den [X.] beim [X.] gestellten Anträge auf Überwachung der über den in der [X.] benannten Mobilfunkanschluss abgewickelten Telekommunikation des [X.] umfassten nicht zugleich die durchgeführte spezifische Überwachung der mittels des [X.] ausgetauschten Nachrichten. Den Anträgen war zunächst nur die Absicht zu entnehmen, auf dort nicht näher konkretisierte Art und Weise über die richterliche Anordnung nach „§ 100a Abs. 1 Satz 1 und 3 [X.]“ auch Zugriff auf einen Messanger-Dienst zu nehmen (vgl. Antrag vom 19. Dezember 2019, [X.]). Auch die Folgeanträge vom 18. März und 10. Juni 2020 haben dies nicht ausdrücklich zum Gegenstand des Anordnungsbegehrens gemacht. Es wurde vielmehr nur nur mitgeteilt, dass aus der Überwachung von [X.] Erkenntnisse gewonnen wurden. Dass in den polizeilichen Anregungen etwa die „Überwachung“ des [X.]-Accounts „im Rahmen der [X.]-Maßnahme“ erwähnt wird, ändert am Fehlen einer eindeutig auf die hier im Raum stehende spezifische [X.] abzielenden Prozesserklärung der Staatsanwaltschaft nichts (vgl. zur notwendigen Konkretisierung des Antrags als Prozesserklärung auch [X.], [X.] [2011], [X.], 1304). Damit wurde die - notwendige spezifische (vgl. nachstehend [X.]) - richterliche Anordnung für diese Überwachungsmaßnahme (§ 100e Abs.1 Satz [X.]) nicht erwirkt.

2. Allerdings erweist sich § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] grundsätzlich als einschlägige gesetzliche Anordnungsgrundlage für diese spezifische Überwachungstechnik.

a) Hierdurch wird auf Telekommunikation im Sinne des § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] zugegriffen.

aa) Unter den Begriff der Telekommunikation fallen alle Kommunikationsvorgänge, die sich der Telekommunikationstechnik unter Nutzung einer entsprechenden Anlage und der darauf bezogenen Dienstleistungen eines [X.] bedienen. Erfasst sind daher das Aussenden, Übermitteln und Empfangen von Nachrichten jeglicher Art, sofern dabei Telekommunikationsanlagen verwendet werden (vgl. [X.], [X.]luss vom 6. Juli 2016 - 2 BvR 1454/13, [X.], 3508; Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, [X.], 822, 825; [X.], Urteil vom 14. März 2003 - 2 [X.], NJW 2003, 2034). Die nähere Auslegung des Begriffs muss sich insbesondere auch an dem grundrechtlichen Schutz des Betroffenen durch Art. 10 GG orientieren, denn das Fernmeldegeheimnis ist der verfassungsrechtliche Maßstab für die heimliche Überwachung flüchtiger Daten ([X.], a.a.[X.], 3509). Es kommt im Rahmen des Art. 10 Abs. 1 GG weder auf die technische Umsetzung der Kommunikation noch auf deren Inhalt und Empfängerkreis an. Ob sie leitungsgebunden oder drahtlos, analog oder digital, offen oder verdeckt erfolgt, ist ebenso ohne Belang wie die Länge des Übermittlungswegs, die sinnliche Wahrnehmbarkeit des Übermittelten oder die Frage, ob Massen-, Individual- oder Maschinenkommunikation vorliegt. Entscheidend ist die fehlende Verkörperung der zunächst übermittelten, dann empfangenen und schließlich wiedererzeugten Information (vgl. [X.], a.a.[X.]). Ebenso irrelevant ist, wer Betreiber der Übertragungs- und Vermittlungseinrichtungen ist; das Grundrecht ist insgesamt „entwicklungsoffen“ (vgl. [X.], a.a.[X.], 3510). Unabhängig vom Übertragungsweg und der Übermittlungsform ist also allein maßgeblich, dass die Informationen körperlos befördert werden und dass sie am Empfangsort wieder erzeugt werden können. Dies macht ihre Vulnerabilität für heimliche Ausforschungsmaßnahmen aus (vgl. [X.], a.a.[X.]).

bb) Hiervon erfasst wird auch der Nachrichtenaustausch über internetbasierte [X.] und [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, [X.], 822, 825; ferner im Einzelnen von zur Mühlen, Zugriffe auf elektronische Kommunikation [2019], [X.]1 f.). Namentlich bei [X.] handelt es sich um einen Instant-Messaging-Dienst, mittels dessen Benutzer Textnachrichten, Bild-, Video- und Ton-Dateien, Dokumente, Standortinformationen und Kontaktdaten zwischen zwei Personen oder in Gruppen austauschen können (vgl. näher [X.]/Schall, [X.], 641, 642; BeckOK-[X.]/[X.], [X.]., § 100a Rn. 71). Die Kommunikation erfolgt grundsätzlich durch den auf einem Smartphone installierten lokalen Client („App“). Eine mit dem Anwendungsprogramm „[X.]-Messenger“ in diesem Client vom Nutzer erstellte, zwischengespeicherte (vgl. BeckOK-TKG/[X.], [X.]., § 107 Rn. 10) und sodann abgesandte Nachricht wird - nach Auskunft des [X.] - verschlüsselt zunächst über das [X.] an den zwischengeschalteten Server von [X.] übertragen und von dort an den adressierten Nutzer weitervermittelt; in der App des Empfängers wird die Nachricht abschließend entschlüsselt (vgl. auch [X.]/Schall, a.a.[X.], 648).

cc) Dass die vom Betroffenen erzeugten und über das [X.] versandten Nachrichten nach ihrem Eingang auf dem Server durch den spezifischen Eingriff der Ermittlungsbehörden - nach Auskunft des [X.] - allein von dort nicht nur an den Adressaten der Nachricht, sondern auch an die Ermittlungsbehörden ausgeleitet werden, ändert an der Einordnung des Überwachungsgegenstandes als Telekommunikation nichts. Inmitten steht damit vielmehr ein internetbasiertes funktionales Äquivalent zur herkömmlichen Telekommunikationsüberwachung (vgl. § 100a Abs. 1 Satz 3 [X.]).

dd) Die demzufolge notwendigen hohen Anforderungen an die Bedeutung der zu verfolgenden Straftat im jeweiligen Einzelfall (vgl. § 100a Abs. 1 Satz Nr. 2 und Absatz 2 [X.]) und den für den Zugriff erforderlichen Tatverdacht (vgl. § 100a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.]; vgl. [X.], [X.]luss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06, [X.]E 124, 43, 62) werden von § 100a Abs. 2 [X.] erfüllt (vgl. hierzu ferner von zur Mühlen, .a.a.[X.], S. 198 m.w.N.).

ee) Eine Anordnung nach § 100a Abs. 1 Satz 1, § 100e Abs. 1 Satz 1, Absatz 3 Satz 1 Nr. 4 [X.] ist auch nicht auf Maßnahmen beschränkt, die zwingend die Einbindung eines Telekommunikationsdienstes erfordern. Vielmehr kann die Überwachung und Aufzeichnung - sofern technisch möglich und in der Entscheidungsformel nicht ausdrücklich anders bestimmt (vgl. § 100e Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 [X.]) - durch die Ermittlungsbehörden auch mit eigenen Mitteln, etwa durch Anmeldung eines weiteren Endgerätes oder Generierung einer webbasierten Datenausleitung, durchgeführt werden (vgl. BT-Drucks. 16/5846, [X.]7; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 100a Rn. 8).

ff) Soweit aus den vorstehenden Gründen der Schutzbereich des Artikels 10 Abs. 1 GG eröffnet ist, kommt das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht zur Anwendung (vgl. nur [X.], Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08, NJW 2010, 833).

gg) Dies gilt gleichermaßen für das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Ein Ausnahmefall, in dem die anderen Freiheitsgewährleistungen keinen hinreichenden Schutz gewähren (vgl. [X.], [X.]luss vom 6. Juli 2016 - 2 BvR 1454/13, [X.], 3508, 3509), liegt hier nicht vor. Im Übrigen wäre auch der Schutzbereich dieses Grundrechts hier nicht eröffnet. Es wird durch die Zwangsmaßnahme nicht auf ein informationstechnisches System insgesamt zugegriffen, sondern allein auf die über den in der [X.] benannten [X.]-Account geführte Korrespondenz (vgl. [X.], Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, [X.], 822, 827). Damit werden Inhalte und Umstände einer laufenden Telekommunikation im Rechnernetz erhoben und ausgewertet; bedeutungslos ist für die Einordnung, dass das Endgerät ein komplexes informationstechnisches System ist, dessen Einsatz zur Telekommunikation nur eine unter mehreren Nutzungsarten darstellt (vgl. [X.], Urteil vom 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07, 1 BvR 595/07, [X.], 822, 825). Alle anderen weiteren Nutzungsmöglichkeiten des Endgeräts sind von der Maßnahme nicht betroffen. So sind beispielsweise weder das im informationstechnischen System gespeicherte Kontaktverzeichnis noch sonstige Applikationen oder Speicherorte durch das eingesetzte Mittel auszulesen („Sandboxing“-Konzept). Vielmehr werden allein die dem Provider aus spezifischer [X.]-Kommunikation vorliegenden Daten vom Server übermittelt. Die weiteren Nutzungsmöglichkeiten des Endgerätes werden auch nicht etwa als Reflex des Zugriffs hiervon erfasst. Soweit auch retrograde Kommunikationsdaten und Inhalte aus der Nutzung des Clients „[X.]“ hierdurch übermittelt werden, sind die [X.] strikten maßnahmespezifischen Anordnungen zu unterwerfen (s. [X.]]dd]).

b) Allerdings umfasst eine allgemeine richterliche Anordnung zur Überwachung und Aufzeichnung der über einen Mobilfunkanschluss abgewickelten („herkömmlichen“) Telekommunikation die spezifische [X.]-Überwachung nicht. Erforderlich ist vielmehr eine bei jedem Einsatz dieser operativen Maßnahme am Einzelfall zu messende Verhältnismäßigkeitsprüfung und hieraus gegebenenfalls folgende Eingriffsbeschränkungen.

aa) Zwar sind Gegenstand der Telekommunikation auch solche Inhalte, welche die Ermittlungsbehörden - sofern sie nicht verschlüsselt wären - in Echtzeit aufgrund der Überwachung des [X.] könnten (insoweit vergleichbar mit SMS).

bb) Auch kann dem auf der Erhebungsebene - wegen der automatisierten Aufzeichnung und wegen fehlender software-technischer Steuerung - nicht umfassend zu gewährleistenden Kernbereichsschutz mit dem absoluten Verwertungsverbot, dem unverzüglichen Löschungsgebot und der dazugehörigen Dokumentationsverpflichtung (§ 100a Abs. 1 und 2 [X.]) wirksam begegnet und der notwendige Grundrechtsschutz auch bei dieser spezifischen Überwachungsmaßnahme im Rahmen von § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] auf der Auswertungsebene - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. [X.], [X.]luss vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 236, 237, 422/08, [X.]E 208, 249; [X.], [X.]luss vom 6. Juli 2016 - 2 BvR 1454/13, [X.], 3508, 3511) - gewährleistet werden.

cc) Erforderlich ist aber eingedenk der damit verbundenen Eingriffstiefe stets eine richterliche Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit der spezifischen Überwachungsmaßnahme.

(1) Vom Anwendungsbereich des § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] werden grundsätzlich auch bei [X.] gespeicherte [X.] und Dateien erfasst, die bereits vor Erlass einer entsprechenden Anordnung versandt oder empfangen worden waren (Entwürfe werden nach Auskunft des [X.] durch den [X.] nicht übermittelt).

Hierfür spricht schon die bei § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] im Gesetzeswortlaut fehlende Einschränkung auf laufende Telekommunikation; diese [X.]ränkung findet sich lediglich in § 100a Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 lit. a) [X.] für die Quellen-[X.]. Dies erweist sich mit Blick auf die mit dieser Maßnahme verbundene erheblich größere Eingriffstiefe auch systematisch als stimmig. Denn dort wird auf das gesamte informationstechnische System und nicht lediglich auf einen Client („Sandbox“) zugegriffen (vgl. - zu retrograden E-Mails - nur [X.]/[X.]/[X.], 63. Aufl., § 100a Rn. 6c). Soweit hiergegen unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme aus dem Gesetzgebungsverfahren (Änderungsantrag der Fraktionen [X.] und [X.] zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung [BT-Drucks. 18/11272] vom 15. Mai 2017 [Ausschussdrucksache 18(6)334]) eingewandt wird, dass - entgegen dem eindeutigen und auch systematisch stimmigen Gesetzeswortlaut - durch die Neufassung der Norm durch das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 [BGBl. I, [X.]) eine Angleichung des Regelungsbereichs von § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] mit dem des § 100a Abs. 1 Satz 2 und 3 [X.] erstrebt worden sei (vgl. von zur Mühlen, a.a.[X.], [X.]06), überzeugt dies nicht. Es ist schon nicht erkennbar, dass die Stellungnahme aus dem laufenden Gesetzgebungsverfahren auch die hier in Rede stehende spezifische Überwachungsmaßnahme im Blick hatte.

Schließlich streitet für die Erfassung retrograder Chatinhalte durch § 100a Abs. 1 Satz 1 [X.] - ebenso wie bei der Kommunikation mittels E-Mail (vgl. [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 100a Rn. 6b m.w.N.) - das durch die Eingriffsnorm zudem gewährleistete besonders hohe Schutzniveau (vgl. hingegen die niederschwelligen Anforderungen nach §§ 94, 98 [X.]). Dieses entspricht insbesondere den hier zu erfüllenden verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 10 GG. Denn Artikel 10 Abs. 1 GG knüpft nicht an den technischen Begriff der Telekommunikation in § 3 Nr. 22 TKG an, sondern an den Grundrechtsträger und dessen Schutzbedürftigkeit (vgl. [X.], [X.]luss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06, [X.]E 124, 43, 56; ferner von zur Mühlen, a.a.[X.], [X.]03; [X.]/[X.]/[X.], a.a.[X.]). Diese Schutzbedürftigkeit ist bei den beim Provider gespeicherten Chats nach wie vor gegeben. Denn die gespeicherten Kommunikationsinhalte befinden sich gerade nicht im alleinigen Herrschaftsbereich des [X.], sondern beim Provider. Eine Weitergabe der Daten durch diesen kann der [X.] faktisch nicht verhindern, sodass diese Auslagerung die betroffenen Daten einem potentiellen neuerlichen verdeckten staatlichen Zugriff aussetzt (vgl. [X.], a.a.[X.]). Der Betroffene kann nur auf seine gespeicherten Kommunikationsinhalte zugreifen, wenn er eine technische Verbindung und eine vertragliche Beziehung zum Provider weiter unterhält.

(2) Dem zum Grundrechtsschutz der Betroffenen berufenen Ermittlungsrichter obliegt es allerdings insbesondere, die Ausgestaltung einer Überwachung in jedem Einzelfall den Erfordernissen anzupassen und die Angemessenheit jeder Maßnahme sorgfältig zu überprüfen. In diese richterliche Gesamtbewertung sind namentlich einzustellen das im Einzelfall zu bestimmende Gewicht der inmitten stehenden Straftat (vgl. § 100e Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 [X.]; ferner [X.], [X.]luss vom 16. Juni 2009 - 2 BvR 902/06, [X.]E 124, 43, 66 f.; [X.], [X.]luss vom 6. Juli 2016 - 2 BvR 1454/13, [X.], 3508, 3511), die Erforderlichkeit einer etwa kumulativen Anordnung der spezifischen [X.] neben bereits durchgeführter oder zugleich beantragter Maßnahmen nach § 100a Abs. 1 [X.] und die Reichweite der [X.] im Einzelfall. So ist namentlich zu prüfen und zu bestimmen, ob und ggf. in wie weit die zwangsläufig durch den [X.] übermittelten und aufgezeichneten retrograden Kommunikationsinhalte auch ausgewertet werden dürfen oder - naheliegend verbundenen mit einer Dokumentationsverpflichtung - unverzüglich gelöscht werden müssen; die Eingriffstiefe kann ferner dahin begrenzt werden, dass etwa nur die Kommunikation mit einzelnen Beteiligten auszuwerten und die übrigen Inhalte zu löschen sind (vgl. § 100e Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 und 4 [X.]). Überwölbt wird diese Abwägung freilich in jedem Fall vom Gepräge der [X.]; die hierüber vermittelten Text- und Sprachnachrichten bleiben nämlich hinter dem Gewicht der durch spontane - auch Emotionen unvermittelt transportierenden - Interaktion mittels herkömmlicher Sprachtelefonie zurück. Allein die von einem Provider angebotene Verschlüsselung schafft für die von richterlich angeordneten Überwachungsmaßnahmen betroffenen Kommunikationsinhalte keine gesteigerte Grundrechtsrelevanz.

3. Ferner ist anzumerken, dass auch der Zugriff der Ermittlungsbehörden auf das Mobiltelefon des Zeugen hier rechtlichen Bedenken begegnet.

a) Der Zeuge wurde als Vater der [X.]uldigten ausweislich der beiden polizeilichen Vermerke und der Vernehmungsniederschriften über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und auf das [X.]lagnahmeverbot aus § 97 [X.] hingewiesen. In Kenntnis seiner Rechte übergab er den eingesetzten Polizeibeamten „freiwillig“ sein mitgeführtes Mobiltelefon, „damit darauf enthaltene Nachrichten von ihrer Tochter eingesehen und u.a. fotografiert werden konnten“ ...                          Die auf dem Mobiltelefon gespeicherten Chatverläufe mit der beschuldigten Tochter wurden - „mit Einwilligung“ des Zeugen ...                        - sodann gesichert. Allerdings wurde darüber hinaus durch die eingesetzten Polizeikräfte - in „Absprache“ mit der Staatsanwaltschaft - in dem Client „[X.]“ auf dem Mobiltelefon des Zeugen „verdeckt“ die spezifische [X.] „aktiviert“, sodass fortan sämtliche über [X.] versandte oder aber empfangene Nachrichten sowie noch bei [X.] gespeicherte retrograde [X.]Nachrichten durch die Ermittlungsbehörden überwacht, aufgezeichnet und ausgewertet wurden.

b) Zwar sind die Ermittlungsbehörden damit ihren [X.] im Rahmen der durchgeführten Zeugenvernehmung nachgekommen (§ 163 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 52 Abs. 3 [X.]; ferner [X.]/[X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 97 Rn. 5 f.). Auch werden die erlangten Erkenntnisse nicht schon vom Beweisverwertungsverbot aus § 163 Abs. 2, § 69 Abs. 3 i.V.m. § 136a Abs. 1 Satz 1 [X.] erfasst; sie wurden nämlich außerhalb und - soweit ersichtlich wohl - überwiegend erst im [X.] an die Zeugenvernehmung durch einen software-gestützten Ausleitungsvorgang erhoben und mit dem Zeugen freilich auch nicht besprochen; diese Erkenntnisse waren daher kein Aussagegegenstand (vgl. etwa [X.], [X.]luss vom 23. Oktober 2012 - 1 [X.], [X.], 247; ferner LR/Cirener/[X.], 27. Aufl., § 252 Rn. 36), der ursächlich auf eine verbotene Vernehmungsmethode zurückzuführen ist (vgl. hierzu nur [X.]/[X.], a.a.[X.], § 136a Rn. 27 f. m.w.N.).

c) Die eingesetzten Polizeibeamten haben aber - in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft - durch den durch sie begründeten Gewahrsam an dem Mobiltelefon das Vertrauensverhältnis zwischen der [X.]uldigten und ihrem Vater missachtet. Dies erweist sich als Rechtsverstoß. Denn der in verschiedenen Vorschriften des Strafverfahrens garantierte Schutz eines Angehörigenverhältnisses (vgl. § 52 Abs. 1 und 3, § 97 Abs. 1, § 100d Abs. 4 Satz 2, § 252 [X.]) zählt in seinem Kernbestand zu den rechtsstaatlich unverzichtbaren Erfordernissen eines fairen Verfahrens (vgl. [X.], [X.]luss vom 1. März 2000 - 2 BvR 2017 u. 2039/94, [X.], 489, 490).

aa) Der polizeiliche Gewahrsam an dem grundsätzlich beschlagnahmefreien Mobiltelefon war - in der hier gegeben Verfahrenskonstellation - nur möglich durch eine einverständliche Herausgabe durch den Zeugen. Grundsätzlich kann der zeugnisverweigerungsberechtigte Gewahrsamsinhaber auf das [X.]lagnahme- und Verwertungsverbot aus § 97 Abs. 1 [X.] verzichten. Denn das Verbot ist eine Folge seines Zeugnisverweigerungsrechts, über dessen Ausübung er entscheiden kann (vgl. bereits [X.], Urteil vom 23. Januar 1963 - 2 StR 534/62, [X.]St 18, 227, 230; ferner LR/[X.], 27. Aufl., § 97 Rn. 55 m.w.N.).

bb) Dies setzt allerdings eine wirksame Einwilligungserklärung des Zeugen voraus. Hieran fehlt es. Zwar hat der Zeuge - ausweislich der insoweit eindeutigen polizeilichen Vermerke - sein Einverständnis damit erklärt, dass die Ermittlungsbehörden die in der Applikation „[X.]“ auf seinem Mobiltelefon gespeicherten Chatnachrichten mit der [X.]uldigten nach Übergabe des Gerätes auslesen oder fotografieren. Er wurde dabei aber über die Reichweite des tatsächlich von Beginn an erstrebten Zugriffs bewusst im Unklaren gelassen. Seine Einwilligung konnte daher nicht zugleich das Vorhaben der Ermittlungsbehörden umfassen, durch eine Manipulation der Applikation fortan die gesamte zukünftige Kommunikation - unabhängig von seinen jeweiligen Dispositionen - aufzuzeichnen und zu überwachen. Auf dieser unvollständigen Tatsachengrundlage war hier eine wirksame autonome Disposition des Gewahrsamsinhabers über seine Rechtspositionen nicht wirksam möglich (vgl. hierzu etwa [X.], [X.] 1996, 944, 945; Fezer, [X.], 765, 768).

d) Auch eine richterliche Anordnung der spezifischen [X.]-Überwachung hätte den Zugriff der Ermittlungsbehörden in der vorbeschriebenen Art und Weise freilich nicht gerechtfertigt (vgl. hier allgemein Derin/[X.], NJW 2019, 1111 ff.).

4. Abschließend ist - abermals (vgl. [X.]lüsse vom 12. Mai 2020 - 1 [X.] 154-259/20, 22. Mai 2020 - 2 [X.] 342/20 und vom 15. Juni 2020 - 2 [X.] 373/20) - anzumerken, dass die Staatsanwaltschaft als Herrin des Vorverfahrens gewissenhaft dafür Sorge zu tragen hat, dass der Ermittlungsrichter seine Entscheidungen auf der Grundlage aller maßgeblichen, bis zu dem jeweiligen Zeitpunkt angefallenen - be- und entlastenden - Ermittlungsergebnisse treffen kann (vgl. auch [X.], [X.]lüsse vom 26. Februar 2020 - StB 5/20 Rn. 26 - und vom 11. März 2010 - StB 16/09, [X.], 711, 712)

a) Allein dem angerufenen [X.] obliegt vom Zeitpunkt seiner Befassung an die Entscheidung, in welcher Form und in welchem Umfang ihm die Entscheidungsgrundlagen vermittelt werden (vgl. [X.], [X.]luss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10, 1849 und 2808/11, [X.]E 139, 245, 274, 277 ff.; [X.], [X.] [2011], [X.], 1305). Zur eigenverantwortlichen gerichtlichen Prüfung bedarf es nicht stets der Vorlage der gesamten Ermittlungsakten in Papierform. Ist der Verfahrenssachverhalt etwa bereits durch eine kurz zuvor erfolgte umfassende gerichtliche Prüfung bekannt und seither nach eigenständiger Prüfung der Staatsanwaltschaft kein bedeutsames Beweismaterial angefallen oder die Sache besonders eilbedürftig, kann auch auf Vorlage einzelner schriftlicher Antragsunterlagen entschieden werden (vgl. [X.], [X.]luss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10, 1849 und 2808/11, [X.]E 139, 245, 275; [X.], [X.]luss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10, 1849 und 2808/11, [X.]E 139, 245, 270; [X.], [X.]luss vom 6. Oktober 2016 - 2 StR 46/15, [X.], 367, 369; vgl. aus amtshaftungsrechtlicher Sicht auch [X.], Urteil vom 23. Oktober 2003 - [X.], NJW 2003, 3693, 3695).

b) Schließt die Staatsanwaltschaft in diesen Konstellationen allerdings ihrem Antrag auf Anordnung einer gerichtlichen Untersuchungshandlung bei (§ 162 [X.]) nur ausgewählte Teile der Ermittlungsakten bei, so erklärt sie hierdurch zugleich, dass diese Auswahl nach ihrer eigenverantwortlichen Prüfung sämtliche bis zum Zeitpunkt der Antragsstellung angefallenen maßgeblichen Ermittlungsergebnisse enthält. Anderenfalls blieben Zweifel an der Vollständigkeit der gerichtlichen Entscheidungsgrundlage, die mit dem - von [X.] wegen - gebotenen präventiven Rechtsschutz durch den Ermittlungsrichter unvereinbar wären.

c) Erweist sich später, dass die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Auswahl entgegen einer solcherart abgegebenen Vollständigkeitserklärung für die Entscheidung der konkreten gerichtlichen Untersuchungshandlung unvollständig war, so kann dies im Einzelfall den Verlust der hierdurch erlangten Beweismittel besorgen lassen (vgl. [X.], [X.] [2011], [X.], 1310; [X.], StraFo 2018, 265, 271; [X.], Urteil vom 2. Oktober 2018 - [X.]/17 [OWi], [X.], 101; vgl. zu amtshaftungsrechtlichen Folgen [X.], Urteil vom 23. Oktober 2003 - [X.], NJW 2003, 3693, 3696); Versäumnisse ihrer Ermittlungspersonen hat sich die Staatsanwaltschaft wegen ihrer Leitungsfunktion und als aktenführende Stelle im Strafverfahren zurechnen zu lassen (§ 161 [X.], § 152 [X.]; vgl. [X.], [X.]luss vom 14. Juli 2016 - 2 BvR 2474/14, [X.], 361, 362 f.; [X.], [X.]luss vom 26. April 2017 - 2 [X.], NJW 2017, 3173; [X.]/[X.], [X.], 486, 487).

d) Zugleich besteht in diesen Verfahrenskonstellationen grundsätzlich kein Raum mehr, auch fortan weitere ermittlungsrichterliche Anordnungen lediglich auf der Grundlage einer staatsanwaltschaftlichen Auswahl von Ermittlungsergebnissen zu erwirken. Der angerufene Ermittlungsrichter wird in dem betroffenen Verfahren nämlich nicht mehr davon ausgehen können, dass zukünftig zusammengestellte [X.] alle aktuellen und maßgebenden Ermittlungsergebnisse enthalten. Deshalb ist jedenfalls von diesem Zeitpunkt an grundsätzlich die Vorlage der gesamten Ermittlungsakte zur Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen der beantragten gerichtlichen Untersuchungshandlungen erforderlich.

e) So liegt es hier. Dass die Ermittlungsbehörden die spezifische [X.] hinsichtlich des [X.]-Accounts des [X.] einsetzten, wurde erst durch die - auf gerichtliche Nachfrage vom 10. Juni 2020 hin erfolgte - Übersendung des polizeilichen Vermerks vom 13. Januar 2020 bekannt. Damit bestand bis dahin aber keine Möglichkeit, den erfolgten umfassenden Zugriff auf die [X.]Nachrichten im Rahmen von gerichtlichen Verhältnismäßigkeitserwägungen bei den im März 2020 beantragten Verlängerungsanordnungen zu prüfen. Überdies konnte gerichtlich nicht gewürdigt werden, ob die mit den Verlängerungsanträgen jeweils vorgelegten Erkenntnisse aus der spezifischen [X.] - auch mit Blick auf den dargestelltem Fairnessverstoß beim Zugriff auf das Mobiltelefon des [X.] - verwertbar und damit geeignet waren, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Anordnungen zu tragen (§ 100e Abs. 1 Satz 5 [X.]). Vor diesem Hintergrund wird darum gebeten, weiteren Anträgen in diesem Verfahren die vollständigen Ermittlungsakten in Papierform beizuschließen.

Wenske

[X.] am [X.]

Meta

2 BGs 468/20

09.07.2020

Bundesgerichtshof Ermittlungsrichter

Beschluss

Sachgebiet: BGs

§ 52 Abs 1 StPO, § 52 Abs 3 StPO, § 100a Abs 1 S 1 Nr 1 StPO, § 100a Abs 1 S 1 Nr 2 StPO, § 100a Abs 1 S 3 StPO, § 100a Abs 2 StPO, § 100d Abs 4 S 2 StPO, § 100e Abs 1 S 1 StPO, § 100e Abs 3 S 1 Nr 3 StPO, § 100e Abs 3 S 1 Nr 4 StPO, § 100e Abs 4 StPO, § 162 StPO, § 163 Abs 3 S 2 StPO, § 152 GVG, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 10 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.07.2020, Az. 2 BGs 468/20 (REWIS RS 2020, 2234)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2234

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