Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18.02.2016, Az. 2 BvR 2191/13

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2016, 15964

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Pflicht zur bestmöglichen Sachaufklärung in Haftsachen auch im Falle der Vollstreckungsübernahme - hier: Verletzung von Art 2 Abs 2 S 2 GG iVm Art 104 Abs 1 GG durch Vollstreckung eines ausländischen Strafurteils im Inland trotz möglicherweise bereits eingetretener Vollstreckungsverjährung


Tenor

Der Beschluss des [X.] vom 29. August 2013 - 1 Ws 160/13 - und der Beschluss des [X.] vom 23. Juli 2013 - 5 [X.] -B - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des [X.] vom 29. August 2013 - 1 Ws 160/13 - wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits an das [X.] zurückverwiesen.

Das [X.] hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Vollstreckung eines [X.] Strafurteils in [X.] im Wege der Rechtshilfe bei möglicherweise bereits eingetretener [X.] im Urteilsst[X.]t.

2

1. Der ansonsten weder in [X.] noch in [X.] strafrechtlich in Erscheinung getretene Beschwerdeführer, der die [X.] St[X.]tsangehörigkeit besitzt und sich jedenfalls seit 2003 in [X.] aufhält, wurde Ende 2003 von [X.] Gerichten rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung, Nutzung von gefälschten Zoll- und Handelsunterlagen sowie Fälschung der Buchhaltung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Gerichte sahen es als erwiesen an, dass er im [X.] als Gesellschafter einer [X.] Firma aus [X.] [X.] nach [X.] importiert und dabei durch Vorlage gefälschter Urkunden mit niedrigeren Preisen Zollgebühren verringert hat.

3

2. Eine [X.]ieferung nach [X.] zur Strafvollstreckung des genannten Urteils wurde vom [X.] im März 2009 für unzulässig erklärt. Daraufhin beantragten die [X.] Behörden Ende des Jahres 2010 die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung in [X.].

4

3. Das [X.] erklärte die Vollstreckung aus dem [X.] Urteil am 18. April 2012 für zulässig. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das [X.] am 20. März 2013 als unbegründet. Im Beschwerdeverfahren hatte das [X.] mit Schreiben vom 16. Juli 2012 auf Anfrage der [X.] mitgeteilt, dass ein Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung des Eintritts der [X.] mit der Begründung abgelehnt worden sei, dass die Verjährung der Vollstreckung der gegen ihn festgesetzten Freiheitsstrafe erst am 23. Juni 2013 eintrete.

5

4. Auf seinen Antrag vom 12. Juni 2013 bewilligte die St[X.]tsanwaltschaft [X.] dem Beschwerdeführer einen Strafaufschub von zwei Monaten.

6

5. a) Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2013 beantragte der Beschwerdeführer beim [X.], die Vollstreckung aus dem [X.] Urteil wegen zwischenzeitlich eingetretener [X.] endgültig einzustellen.

7

b) Den Antrag auf Einstellung der Vollstreckung wies das [X.] mit angegriffenem Beschluss vom 23. Juli 2013 zurück.

8

Maßgeblich zur Berechnung der [X.] seien nach § 57 Abs. 4 [X.] die Vorschriften des [X.]n Rechts. Danach sei noch keine Verjährung eingetreten; dies geschehe (unter Berücksichtigung des [X.]) frühestens am 22. Februar 2014. Diese [X.]egung werde durch § 49 Abs. 1 Nr. 5 [X.] gestützt, wonach die Vollstreckung nur dann unzulässig sei, wenn sie nach [X.]m Recht verjährt sei. Gleiches gelte auch dann, wenn man - wie die St[X.]tsanwaltschaft [X.] - Art. 9 Abs. 3 [X.] für anwendbar hielte, weil sich auch danach "die Vollstreckung der Sanktion […] nach dem Recht des Vollstreckungsst[X.]ts" richte "und dieser St[X.]t allein […] zuständig" sei, "alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen". Daher könne dahinstehen, ob es sich bei den Erklärungen der [X.] Behörden um eine Mitteilung im Sinne von § 57 Abs. 6 [X.] handele. Mit der rechtskräftigen Vollstreckbarkeitserklärung des gegen den Beschwerdeführer ergangenen Strafurteils richte sich der Eintritt der [X.] nicht mehr nach [X.]m, sondern ausschließlich nach [X.]m Recht. Ein Meistbegünstigungsgrundsatz in der Vollstreckung sei der Kammer nicht bekannt.

9

c) Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das [X.] mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 29. August 2013 als unbegründet.

Für den Eintritt der [X.] sei nach Art. 9 Abs. 3 [X.] - das dem [X.] als speziellere Norm vorgehe - das [X.] Recht und damit § 79 StGB maßgeblich. Gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 6 StGB trete [X.] frühestens am 22. Dezember 2013 ein, wobei Ruhenstatbestände nach § 79a StGB noch nicht geprüft seien.

Der Rechtsnatur der Übernahme der Vollstreckung des ausländischen Erkenntnisses als Akt der Rechtshilfe mit fortwährender Herrschaft des ersuchenden St[X.]tes über die Vollstreckung werde durch § 57 Abs. 6 [X.] Rechnung getragen. Sollten die [X.] Behörden mitteilen, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung entfallen seien, sei diese auch in [X.] einzustellen. Allerdings sei eine solche Mitteilung nicht bereits in dem Schreiben vom 16. Juli 2012 zu sehen, da dort unter Zugrundelegung der zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse nur festgestellt worden sei, dass eine [X.] frühestens am 23. Juni 2013 eintrete.

6. Nach Ablauf des [X.]s wurde gegen den flüchtigen Beschwerdeführer ein Vollstreckungshaftbefehl erlassen; eine Verhaftung erfolgte nicht.

7. a) Die - nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde im Oktober 2013 - weiteren Bemühungen des Beschwerdeführers, in [X.] eine Bestätigung über den Eintritt der [X.] zu erreichen, führten zu einem entsprechenden Urteil des [X.] vom 23. Januar 2014.

b) Die St[X.]tsanwaltschaft [X.] teilte dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 28. Februar und vom 6. März 2014 mit, dass die Vollstreckung der ausländischen Entscheidung nach Rücksprache mit dem [X.] [X.] endgültig eingestellt wurde, da nunmehr eine offizielle Mitteilung der [X.] Behörden über die [X.] vorliege.

Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer sieht sich durch die angegriffenen Beschlüsse in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.

Die angegriffenen Entscheidungen verkennten wesentliche Grundsätze des internationalen [X.]: Die Strafvollstreckung eines ausländischen Urteils sei Rechtshilfe und die Unterstützung des ersuchenden St[X.]tes könne deshalb nicht weiter reichen als dessen Strafvollstreckungsanspruch. § 57 Abs. 4 [X.] und Art. 9 Abs. 3 [X.] regelten in erster Linie die Art und Weise, also die Form und Ausgestaltung der Strafvollstreckung, erlaubten jedoch keine "materiell-rechtliche Modifikation" der ausländischen Entscheidung, wie es durch eine Verlängerung der [X.] der Fall wäre.

Außerdem gelte das Meistbegünstigungsprinzip auch in der Vollstreckungshilfe, wie sich etwa § 57 Abs. 2, 3 und 6 [X.] entnehmen lasse. Danach sei das [X.] Recht, wonach [X.] erst nach zehn Jahren eintrete (§ 79 Abs. 3 Nr. 3 StGB), unanwendbar, da es für den Beschwerdeführer ungünstiger sei. Ansonsten würde es zu dem absurden Ergebnis kommen, dass sich der Beschwerdeführer nach [X.] absetzen müsste, um vor der Vollstreckung des [X.] Urteils durch [X.] Behörden geschützt zu sein.

Schließlich liege mit dem Schreiben vom 16. Juli 2012 auch eine Mitteilung der [X.] Behörden gemäß § 57 Abs. 6 [X.] vor, dass am 23. Juni 2013 [X.] eintrete, so dass zwingend von der Vollstreckung hätte abgesehen werden müssen. Angesichts der durch die Mitteilung der [X.] Behörden begründeten hohen Wahrscheinlichkeit einer bereits eingetretenen [X.] seien die Gerichte jedenfalls zur Nachfrage im Urteilsst[X.]t verpflichtet gewesen.

1. a) Das [X.] Baden-Württemberg hat von einer Stellungnahme abgesehen.

b) Der [X.] beim [X.] hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

[X.]) Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Vollstreckungshilfe dürften jedenfalls keine strikteren Maßstäbe als für die Zulässigkeit einer [X.]ieferung zum Zwecke der Durchführung eines Strafverfahrens gelten, die nur bei einem Verstoß gegen unabdingbare verfassungsrechtliche Grundsätze versagt werden dürfe. Für den Prüfungsumfang [X.]r Gerichte ergäben sich im Interesse einer funktionierenden internationalen Strafrechtspflege deshalb erhebliche Einschränkungen. Es liege nahe, die Beurteilung wertungsunabhängiger Vollstreckungsvoraussetzungen, wie hier der Verjährung, dem ersuchenden St[X.]t zu überlassen und nicht weiter nachzuprüfen.

bb) Eine weitere Sachaufklärungspflicht - insbesondere in Gestalt einer aktiven Rückfrage bei den [X.] Behörden - habe nicht bestanden, weil sich die Sachaufklärungspflicht nicht auf sämtliche Fragen des [X.] Rechts, sondern nur auf eventuelle dem [X.] unterliegende Tatsachen beziehe. Eine solche Rückfrage stellte die Arbeitsteiligkeit des internationalen Strafverfahrens infrage und schlösse das Risiko ein, den Eindruck zu erwecken, es bestünden Misstrauen und Zweifel an der Kompetenz des [X.]. Weitere Prüfungspflichten hätten zudem unweigerlich erhebliche Verfahrensverzögerungen zur Folge.

cc) Doch selbst bei Annahme einer Erkundigungspflicht aus Fürsorgegesichtspunkten ergäbe sich im Ergebnis nichts anderes. Die [X.]n Gerichte hätten aufgrund der Erklärung vom 16. Juli 2012 annehmen dürfen, dass ein Interesse [X.]s am Vollzug der Sanktion auch im Fall der möglicherweise nach [X.]m Recht eingetretenen Verjährung bestehe.

2. Dem [X.] haben die Verfahrensakten der [X.], [X.]. [X.] (13) 186/08, und der Strafvollstreckungskammer [X.], [X.]. 5 [X.]/11-F und 5 [X.]/13-B, vorgelegen.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende [X.] nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 [X.] sind erfüllt. Das [X.] hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG angezeigt. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass die Strafvollstreckung gegen den Beschwerdeführer von der St[X.]tsanwaltschaft [X.] zwischenzeitlich endgültig eingestellt wurde. Denn die angegriffenen Beschlüsse ermöglichten die Vollstreckung der festgesetzten Freiheitsstrafe und waren damit Grundlage eines tiefgreifenden Eingriffs in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Der Beschwerdeführer hat daher ein fortbestehendes schutzwürdiges Interesse an einer nachträglichen verfassungsrechtlichen Überprüfung und gegebenenfalls einer hierauf bezogenen Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieses Grundrechtseingriffs durch das [X.] (vgl. [X.] 9, 89 <92 ff.>; 32, 87 <92>; 53, 152 <157 f.>; 91, 125 <133>; 104, 220 <234 f.>).

Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG, weil sie dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung nicht genügen.

1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann "die Freiheit der Person" und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als "unverletzlich" bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuieren (vgl. [X.] 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>).

a) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG erfordert auch im Verfahrensrecht Beachtung. Entscheidungen, die auf einen Entzug der persönlichen Freiheit abzielen, müssen auf einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung beruhen. Die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung (vgl. [X.] 57, 250 <274 f.> m.w.N.) sind nicht nur im Erkenntnisverfahren, sondern auch im Vollstreckungsverfahren zu beachten (vgl. [X.] 58, 208 <222>; 70, 297 <308>; 86, 288 <317>; 109, 133 <162>; 117, 71 <105>). Auch in denjenigen Verfahren, die dem sogenannten Freibeweis unterliegen, gilt die richterliche Aufklärungspflicht, wie sie für die Hauptverhandlung im Strafprozess in § 244 Abs. 2 StPO ihren Niederschlag gefunden hat ("Gebot der bestmöglichen Sachaufklärung" - vgl. [X.] 70, 297 <309> zur Psychiatrieunterbringung; [X.] 109, 133 <162> zur Sicherungsverwahrung; [X.] 117, 71 <105> zur [X.] zur Bewährung und [X.], 390 <395> m.w.N. für Entscheidungen im Strafvollzug). Dabei hängt die Reichweite der gerichtlichen Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung im Einzelnen davon ab, inwieweit die Umstände des jeweiligen Falls zu - weiterer - Aufklärung Anlass geben (vgl. [X.] 59, 280 <282>; 63, 332 <337>).

b) Demgemäß ist bei der Übernahme der Vollstreckung ausländischer Freiheitsstrafen von Folgendem auszugehen:

[X.]) Die Vollstreckungsübernahme ist ein Akt der Rechtshilfe, mit dem ein ausländisches Strafverfahren im Stadium der Vollstreckung unterstützt werden soll (vgl. [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., Vor § 48 Rn. 13 ; [X.]/[X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], 5. Aufl. 2012, Vor § 48 Rn. 2). Gemäß § 57 Abs. 4 [X.] findet auf die Vollstreckung einer umgewandelten Sanktion grundsätzlich das innerst[X.]tliche Vollstreckungsrecht der Bundesrepublik [X.] Anwendung. Allerdings bestimmt § 57 Abs. 6 [X.], dass von der Vollstreckung abzusehen ist, wenn eine zuständige Stelle des ausländischen St[X.]tes mitteilt, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung entfallen sind. Dies trägt dem rechtshilferechtlichen Charakter der Vollstreckungsübernahme Rechnung. Erachtet der ersuchende St[X.]t die Vollstreckung nicht (mehr) für rechtmäßig, bedarf es der Durchsetzung seines Vollstreckungsanspruchs im Wege der Rechtshilfe nicht mehr. Dabei ist es Sache des [X.], festzustellen, ob sein Vollstreckungsanspruch fortbesteht, so dass grundsätzlich nur im Fall einer entsprechenden Mitteilung von einer übernommenen Vollstreckung abgesehen werden kann.

bb) Hinsichtlich der sich aus dem Freiheitsgrundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG ergebenden Pflicht bestmöglicher Sachaufklärung ergibt sich hieraus im Fall der Vollstreckungsübernahme, dass es zwar nicht Sache der [X.]n Vollstreckungsgerichte ist, den Wegfall des Vollstreckungsanspruchs des [X.] eigenständig zu überprüfen. Vielmehr ist grundsätzlich vom Fortbestand des Vollstreckungsinteresses des [X.] auszugehen. Bestehen jedoch begründete Anhaltspunkte oder beachtliche Indizien, dass der Vollstreckungsanspruch des [X.] entfallen ist, ist diese Frage durch Einholung einer Mitteilung der zuständigen Stellen des [X.] zu klären (zum entsprechenden Prüfungsmaßstab bei [X.]ieferungen vgl. [X.] 52, 391 <407>; 108, 129 <138>).

Dies gilt auch für das Vorliegen dauerhafter Vollstreckungshindernisse. Auch in diesem Fall können "die Voraussetzungen für die Vollstreckung" im Sinne von § 57 Abs. 6 [X.] entfallen sein, da ein durchsetzbarer Vollstreckungsanspruch, dessen Erfüllung im Wege der Rechtshilfe angestrebt wird, nicht mehr besteht. Auch insoweit kann beim Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte die Einholung einer Mitteilung gemäß § 57 Abs. 6 [X.] geboten sein.

2. Hieran gemessen unterliegt der Verzicht der Fachgerichte auf weitere Sachaufklärung im vorliegenden Fall durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Im Rahmen der Prüfung von Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung gemäß § 458 Abs. 1 StPO hätten die Gerichte eine Erklärung der zuständigen [X.] Stellen zum Eintritt der [X.] nach [X.]m Recht einholen müssen.

a) Es bestanden erhebliche Anhaltspunkte, dass durch Eintritt der [X.] nach [X.]m Recht die Voraussetzungen einer Vollstreckung des gegen den Beschwerdeführer ergangenen Strafurteils entfallen waren und daher die Einholung einer diesbezüglichen Mitteilung gemäß § 57 Abs. 6 [X.] geboten war:

Dass die Vollstreckung des [X.] Urteils in [X.] an nach [X.]m Recht eingetretener [X.] scheitern könnte, wurde vom Beschwerdeführer bereits im Exequaturverfahren geltend gemacht, nachdem in [X.] von Amts wegen ein Verfahren zur Feststellung der [X.] eingeleitet worden war. Zur Klärung der Frage stellte die [X.] eine Anfrage, die vom zuständigen [X.] bereits fünf Tage später, am 16. Juli 2012, dahingehend beantwortet wurde, dass ein Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der [X.] zwar abgelehnt worden sei, diese aber am 23. Juni 2013 eintrete. Diese amtliche [X.] Mitteilung stellt zwar keine Mitteilung im Sinne des § 57 Abs. 6 [X.] dar, da ihr nicht entnommen werden kann, dass die Voraussetzungen der Vollstreckung des gegen den Beschwerdeführer ergangenen Strafurteils bereits entfallen sind. Aus ihr ergibt sich aber ein beachtliches Indiz dafür, dass im Zeitpunkt der Entscheidung über den [X.] des Beschwerdeführers durch das [X.] (23. Juli 2013) und das [X.] (29. August 2013) [X.] nach [X.]m Recht eingetreten war und ein Freiheitsentzug daher rechtswidrig gewesen wäre.

Demzufolge hätte es den Gerichten oblegen, die Frage der möglichen [X.] nach [X.]m Recht von Amts wegen aufzuklären. Dem steht auch nicht entgegen, dass dem Beschwerdeführer mit Beschluss vom 18. Juni 2013 zwei Monate [X.] gewährt wurden. Es kann bereits nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Aufschub, der nach [X.]m Recht (§ 79a Nr. 2 Alt. 1 StGB) zu einem Ruhen der Verjährung führt, auch nach [X.]m Recht einen späteren Eintritt der [X.] zur Folge hat. Hinzu kommt, dass selbst unter hypothetischer Zugrundelegung einer vergleichbaren [X.] Regelung die Strafvollstreckung zum Zeitpunkt des Erlasses des oberlandesgerichtlichen Beschlusses am 29. August 2013 verjährt gewesen wäre.

b) Demgegenüber kann auch nicht geltend gemacht werden, dass sich mit der Vollstreckungsübernahme die Frage des Eintritts der [X.] ausschließlich nach [X.]m Recht richtet und für eine Anwendung von § 57 Abs. 6 [X.] kein Raum verbleibt.

Soweit die Gerichte die ausschließliche Anwendung [X.]n Rechts zur Feststellung des Eintritts der [X.] mit dem Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 [X.] begründen, steht dem bereits entgegen, dass vorliegend ein Rückgriff auf die Regelungen des [X.] nicht in Betracht kommt, da der Beschwerdeführer sich bereits vor seiner Verurteilung in [X.] aufhielt, es einer förmlichen Überstellung daher nicht bedurfte und er sich der Vollstreckung durch den Urteilsst[X.]t auch nicht durch Flucht entzogen hat (vgl. Art. 2 Abs. 1 ZP [X.]; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.] in Strafsachen, 2015, 3. Hauptteil Rn. 450). Damit verbleibt es im vorliegenden Fall bei den Regelungen des § 57 [X.]. Insoweit wäre eine Nichtanwendung des § 57 Abs. 6 [X.] trotz der Mitteilung des Eintritts der [X.] durch eine zuständige Stelle des [X.] mit dem rechtshilferechtlichen Charakter der Vollstreckungsübernahme (siehe oben [X.])[X.]) nicht zu vereinbaren. Die Mitteilung, dass nach dem Recht des [X.] [X.] eingetreten ist, verweist auf ein dauerhaftes Vollstreckungshindernis und beinhaltet demgemäß den Wegfall der Voraussetzungen für die Vollstreckung im Sinne des § 57 Abs. 6 [X.].

c) Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auch auf dem Grundrechtsverstoß. Bei der verfassungsrechtlich gebotenen weiteren Sachaufklärung hätten - wie es später auf Betreiben des Beschwerdeführers durch das Urteil des [X.] festgestellt wurde - die [X.] Behörden den Eintritt der [X.] zum 23. Juni 2013 bestätigt. Damit wäre die Vollstreckung der Strafe gegen den Beschwerdeführer bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingestellt worden.

1. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 [X.]. Nachdem hinsichtlich des vom Beschwerdeführer verfolgten [X.] durch die endgültige Einstellung der Strafvollstreckung Erledigung eingetreten ist, erfolgt die Zurückverweisung nur noch zur erneuten Entscheidung über die Kosten.

2. Die Entscheidung über die [X.]agenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 [X.].

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2191/13

18.02.2016

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Stuttgart, 29. August 2013, Az: 1 Ws 160/13, Beschluss

Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 104 Abs 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, §§ 48ff IRG, § 49 Abs 1 Nr 5 IRG, § 57 Abs 4 IRG, § 57 Abs 6 IRG, § 79 Abs 3 Nr 3 StGB, § 79 Abs 6 StGB, § 458 Abs 1 StPO, Art 9 Abs 3 ÜvPÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 18.02.2016, Az. 2 BvR 2191/13 (REWIS RS 2016, 15964)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 15964

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2 BvR 916/11, 2 BvR 636/12

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