Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.11.2021, Az. V R 34/19

5. Senat | REWIS RS 2021, 816

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Gegenstand

Steuerfreie Leistungen der Verfahrenspfleger


Leitsatz

Die nach §§ 276, 317 FamFG gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger für Betreuungs- und Unterbringungssachen können sich auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] 1673/15 hinsichtlich der Streitjahre 2014 und 2015 aufgehoben.

Die Sache wird insoweit an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten (nur) noch über die Steuerfreiheit der Umsätze des [X.] und Revisionsklägers (Kläger) als Verfahrenspfleger für Betreuungs- und [X.] in 2014 und 2015 (Streitjahre).

2

Der Kläger war in den Streitjahren u.a. als Umgangspfleger, Verfahrensbeistand in [X.] nach § 158 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Fam[X.]) sowie als Verfahrenspfleger in [X.] (§ 276 Fam[X.]) und in [X.] (§ 317 Fam[X.]) tätig. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) betrugen die Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und [X.] … € in 2014 und 0 € in 2015.

3

Im [X.] an eine [X.] für 2013 ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) von einer Steuerpflicht der Umsätze als Verfahrensbeistand und -pfleger aus. Hierauf gab der Kläger in seiner Umsatzsteuererklärung 2014 sowie in den Umsatzsteuer-Voranmeldungen 2015 zwar steuerpflichtige Umsätze als Verfahrensbeistand und -pfleger an, legte dagegen jedoch Einspruch ein. Zur Begründung machte er geltend, diese Umsätze seien nach § 4 Nr. 25 des Umsatzsteuergesetzes in den in den Streitjahren geltenden Fassungen (UStG a.[X.]) sowie nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/[X.] über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) steuerfrei.

4

Das [X.] half den Einsprüchen nur hinsichtlich der Umsätze als Umgangspfleger ab und wies sie im Übrigen als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 12.11.2015).

5

Mit der dagegen vor dem [X.] erhobenen Klage berief sich der Kläger weiterhin auf die Steuerfreiheit seiner Umsätze als Verfahrensbeistand in [X.] sowie als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und [X.]. Die während des Klageverfahrens eingereichte und zu einer Vorbehaltsfestsetzung führende Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2015 wurde gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zum Gegenstand des Verfahrens.

6

Das [X.] wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (E[X.]) 2021, 1773 veröffentlichten Urteil ab, weil sämtliche Umsätze des [X.] steuerpflichtig seien. Für die lediglich im Streitjahr 2014 angefallenen Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrenspfleger in Betreuungs- sowie in [X.] ergebe sich eine Steuerbefreiung weder aus nationalem Recht (§ 4 Nr. 16 Buchst. k UStG a.[X.] oder § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. c UStG a.[X.]) noch aus dem Unionsrecht. Beide Verfahrenspflegschaften seien auf das gerichtliche Verfahren in Betreuungs- und [X.] nach §§ 271 ff. Fam[X.] bzw. §§ 312 ff. Fam[X.] beschränkt. Die Tätigkeit des Verfahrenspflegers unterscheide sich nicht wesentlich von der steuerpflichtigen Tätigkeit des [X.] nach § 158 Fam[X.]. Dass das Betreuungsrecht (§§ 1896 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) nur für Volljährige gelte, während sich die entsprechenden Rechtsfolgen für Minderjährige im Wesentlichen aus dem Recht der Vormundschaft (§ 1773 BGB) bzw. den Bestimmungen über freiheitsentziehende Maßnahmen (§ 1631b BGB) ergäben, rechtfertige es nicht, die streitgegenständlichen Verfahrenspflegschaften anders als den Verfahrensbeistand nach § 158 Fam[X.] zu behandeln. Die Finanzverwaltung versage daher in Abschn. 4.25.2 Abs. 9 des [X.] (UStAE) zu Recht die Steuerfreiheit derartiger Umsätze.

7

Mit seiner Revision wandte sich der Kläger gegen die Versagung der Steuerfreiheit für die Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrensbeistand in [X.] und als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und [X.]. Im Hinblick auf das Senatsurteil vom [X.] - V R 27/17 ([X.], 82), das vom [X.] bei seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigt werden konnte, half das [X.] dem Klagebegehren mit den [X.] vom 21.07.2020 für die seinerzeit auch streitigen Jahre 2010 bis 2013 sowie für die noch streitigen Jahre (2014 und 2015) insoweit ab, als es die Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrensbeistand in [X.] steuerfrei stellte und die Vorsteuerbeträge entsprechend kürzte. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit für die Jahre 2010 bis 2013 in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten, ist das Verfahren insoweit abgetrennt und durch Kostenbeschluss vom [X.] (V R 18/21) erledigt worden.

8

Hinsichtlich der noch streitigen Umsätze als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und [X.] trägt der Kläger vor, dass für diese Tätigkeit nichts anderes gelten könne als für die Tätigkeit als Verfahrensbeistand in [X.] nach § 158 Fam[X.]. Selbst das [X.] habe in seinem Urteil festgestellt, dass sich beide Tätigkeiten nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Der einzige Unterschied liege darin, dass er, der Kläger, als Verfahrenspfleger nicht gegenüber Kindern, sondern gegenüber solchen volljährigen Personen tätig werde, die ihre Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ganz oder teilweise nicht selbst besorgen könnten. Dabei werde er tätig, bevor das Gericht entscheide, ob ein gesetzlicher Betreuer bestellt oder eine freiheitsentziehende Maßnahme genehmigt werde. Ein Verfahrenspfleger solle die Interessen des Betroffenen umfassend vertreten und dessen Rechte --insbesondere im Hinblick auf etwaige gravierende Eingriffe-- wahren, wie beispielsweise eine mögliche Unterbringung. Weiterhin habe er zu prüfen, ob alle möglichen freiwilligen Angebote für den Betroffenen ausgeschöpft wurden, um dessen Interessen angemessen gerecht zu werden. Schließlich gehöre es zu seinen Aufgaben, dem Betroffenen den Ablauf des gerichtlichen Verfahrens zu erläutern.

9

Menschen mit einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seien ebenso schutzbedürftig wie Kinder. Leistungen an Kranke habe der [X.] ([X.]) bereits in seinem Urteil vom 25.04.2013 - V R 7/11 ([X.]E 241, 475, [X.], 976 "Berufsbetreuer") als umsatzsteuerbefreit anerkannt. Der Berufsbetreuer werde unter Umständen für die gleiche Person eingesetzt, für die zuvor ein Verfahrenspfleger bestellt wurde. Im Hinblick auf die identischen Leistungsempfänger stelle auch die Tätigkeit als Verfahrenspfleger eine eng mit der [X.] Sicherheit verbundene Dienstleistung dar. Zu berücksichtigen seien auch die Solidaritäts- und Schutzpflichten gegenüber Menschen mit Behinderung (Art. 3 Abs. 3 des Grundgesetzes --GG--, Art. 26 der [X.] --EUGrdRCh--) sowie die besondere Rechtfertigungsbedürftigkeit von freiheitsentziehenden Maßnahmen (Art. 2 Abs. 2 GG).

Verfahrenspfleger seien auch als [X.] Einrichtung anerkannt. Die gesetzlichen Regelungen in §§ 276, 317 Fam[X.] stellten spezifische Vorschriften im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) dar. An der Tätigkeit des Verfahrenspflegers bestehe auch ein erhebliches Gemeinwohlinteresse, da die Bestellung bezwecke, Volljährige zu unterstützen, die auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen könnten. Die Kostenübernahme erfolge im überwiegenden Teil der Fälle durch die Staatskasse.

Auf das Hinweisschreiben des Gerichts vom 24.03.2021 hat der Kläger am 06.04.2021 mitgeteilt, dass der Umsatz als Verfahrenspfleger für 2015 im Urteil des [X.] fälschlicherweise im Betrag "Verfahrensbeistand" enthalten sei. Im Urteil sei der Umsatz als Verfahrensbeistand mit … € beziffert, dabei handele es sich allerdings um die Summe der Umsätze als Verfahrensbeistand (… €) und als Verfahrenspfleger (… €). Korrekt wäre zwar der getrennte Ausweis der Umsätze gewesen, diese Unstimmigkeit sei jedoch aufgrund der Offensichtlichkeit unschädlich.

Der Kläger beantragt nunmehr sinngemäß,
das angefochtene Urteil des Sächsischen [X.] vom 04.04.2019 - 4 K 1673/15 aufzuheben und die [X.] für 2014 und 2015 in Gestalt der Umsatzsteuerbescheide vom 21.07.2020 dahingehend zu ändern, dass die Umsätze aus der Tätigkeit als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und [X.] in Höhe von … € (2014) und in Höhe von … € (2015) als umsatzsteuerfrei behandelt und die Vorsteuerbeträge entsprechend angepasst werden.

Das [X.] beantragt sinngemäß,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es beruft sich auf die Verwaltungsauffassung in Abschn. 4.25.2 Abs. 9 UStAE, wonach Verfahrenspfleger keine den Betreuern oder Vormündern vergleichbare Tätigkeit ausüben, weil sie lediglich in Gerichtsverfahren auftreten und dort die Interessen der betroffenen Person zur Geltung bringen. Im Vergleich zu Betreuern und Vormündern sei der Gegenstand der Leistung begrenzt, z.B. auf die Stellungnahme zu der Frage, wer das Sorgerecht erhalten solle. Eine umfassende Personen- oder Vermögenssorge werde nicht wahrgenommen. Die Vertretung vor Gericht sei keine eng mit der Sozialfürsorge und der [X.] Sicherheit verbundene Leistung.

Entscheidungsgründe

II.

[X.]ie Revision des [X.] ist begründet. [X.]as Urteil des [X.] ist aufzuheben und die Sache mangels Spruchreife an das [X.] zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]O). [X.]as [X.] hat die Steuerfreiheit der Umsätze des [X.] als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und [X.] unter Verstoß gegen Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL verneint, es fehlen jedoch für das Streitjahr 2015 Feststellungen zur Höhe der streitgegenständlichen Umsätze und für beide Streitjahre (2014 und 2015) Feststellungen dazu, ob und ggf. in welcher Höhe Vorsteuerbeträge auf die steuerfreien Umsätze entfallen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG).

1. [X.]ie Leistungen des [X.] als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und [X.] sind --wovon auch die Beteiligten zu Recht ausgehen-- weder nach § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG noch nach § 4 Nr. 25 UStG von der Umsatzsteuer befreit.

a) § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG befreit u.a. Umsätze der Einrichtungen von der Umsatzsteuer, die als Betreuer nach § 1896 Abs. 1 BGB bestellt worden sind. [X.]er Kläger wird hinsichtlich der streitgegenständlichen Umsätze nicht als amtlich bestellter Betreuer nach § 1896 BGB tätig, seine Tätigkeit beschränkt sich auf die Mitwirkung im gerichtlichen Verfahren vor der Anordnung einer Betreuung oder der Anordnung einer Unterbringung. [X.]abei beruht seine Bestellung auf § 276 Fam[X.] ([X.]) oder auf § 317 Fam[X.] ([X.]).

b) [X.]ie Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. c UStG a.F. ist ebenfalls nicht einschlägig, da sie lediglich Leistungen der Vormünder nach § 1773 BGB oder Ergänzungspfleger nach § 1909 BGB betrifft und der Kläger nicht zu dieser Personengruppe gehört.

2. [X.]ie Umsätze des [X.] sind aber --entgegen der Auffassung des [X.]-- nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreit. [X.]er Kläger erbringt begünstigte Leistungen [X.] Charakters und er ist auch als Einrichtung mit [X.]m Charakter anerkannt.

Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten "eng mit der Sozialfürsorge und der [X.] Sicherheit verbundene [X.]ienstleistungen (...), einschließlich derjenigen, die durch (...) Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit [X.]m Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden". [X.]iese Steuerbefreiung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der [X.] Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen [X.]m Charakter anerkannt worden sind (Senatsurteile in [X.], 82, und vom 18.08.2005 - V R 71/03, [X.], 543, [X.], 143, Rz 45 und 46, sowie BFH-Urteil vom 07.12.2016 - XI R 5/15, [X.], 550; [X.]-Urteile Administration de l'Enregistrement, des [X.], [X.] vom 15.04.2021 - [X.]/19, [X.]:[X.], und [X.] und [X.] vom 26.05.2005 - [X.]/03, [X.]:C:2005:322, Rz 34).

a) [X.]ie Leistungen des [X.] als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und [X.] sind "eng mit der Sozialfürsorge und der [X.] Sicherheit verbundene [X.]ienstleistungen".

[X.]ie in Art. 132 MwStSystRL vorgesehenen Steuerbefreiungen stellen zwar eigenständige Begriffe des Gemeinschaftsrechts dar und erfordern daher eine gemeinschaftsrechtliche [X.]efinition (vgl. [X.]-Urteil [X.] und [X.], [X.]:C:2005:322, Rz 22, m.w.N.), die Begriffe "Sozialfürsorge" und "[X.] Sicherheit" werden aber weder in der MwStSystRL noch vom [X.] definiert. Aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt sich allerdings, dass diese Steuerbefreiung stets Leistungen an hilfsbedürftige Personen betrifft, und zwar an körperlich oder wirtschaftlich Hilfsbedürftige ([X.]-Urteil [X.] vom 10.09.2002 - [X.]/00, [X.]:[X.]), an Kinder (vgl. [X.]-Urteil [X.] vom 09.02.2006 - [X.]/04, [X.]:[X.]) oder an Senioren in einer Einrichtung für betreutes Wohnen ([X.]-Urteil [X.] vom 21.01.2016 - [X.]/14, [X.]:[X.]). [X.]arüber hinaus müssen die erbrachten [X.]ienstleistungen jedenfalls für die der Sozialfürsorge und der [X.] Sicherheit unterfallenden Umsätze unerlässlich sein ([X.]-Urteil Finanzamt [X.] vom 08.10.2020 - [X.]/19, [X.]:C:2020:811; BFH-Urteil vom 24.02.2021 - XI R 30/20, [X.], 259, Leitsatz 1).

[X.]iese Voraussetzungen erfüllen auch die im Vorfeld der Bestellung eines Betreuers tätigen Verfahrenspfleger nach § 276 Fam[X.] sowie die vor Anordnung einer (geschlossenen) Unterbringung tätigen Verfahrenspfleger nach § 317 Fam[X.].

aa) [X.]ie vorrangige Aufgabe des [X.] --auch als "Pfleger für das Verfahren" [X.] besteht darin, gegenüber dem Gericht den Willen des Betroffenen kundzutun und dessen aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Anspruch auf rechtliches Gehör zu verwirklichen (Beschlüsse des [X.] --BGH-- vom 17.05.2017 - XII ZB 546/16, Zeitschrift für das Gesamte Familienrecht --FamRZ-- 2017, 1322; vom 29.06.2011 - XII ZB 19/11, [X.], 1577, Rz 8, sowie vom 28.05.2014 - XII ZB 705/13, [X.], 1446, Rz 5, m.w.N.).

"Betroffene" in diesem Sinne sind beim Verfahrenspfleger für [X.] volljährige Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können (§ 1896 Abs. 1 BGB). Von [X.] betroffen sind insbesondere Personen, bei denen aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Gefahr besteht, dass sie sich selbst gefährden oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen und daher eine --zivilrechtliche (§ 1906 BGB) oder öffentlich-rechtliche (nach den Landesgesetzen über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten)-- Unterbringung erforderlich erscheint (vgl. hierzu [X.] vom 09.06.2021 - XII ZB 97/21, [X.], 1661).

In beiden Fällen erbringt der Verfahrenspfleger Leistungen an (hilfsbedürftige) Personen. [X.]enn zu diesen gehören auch Erwachsene, deren geistige Fähigkeiten infolge Krankheit, Behinderung oder Gebrechlichkeit stark beeinträchtigt sind (vgl. [X.]-Urteil Administration de l'Enregistrement, des [X.], [X.], [X.]:[X.]; Senatsurteil in [X.], 475, [X.], 976).

bb) [X.]ie Leistungen des [X.] sind für die der Sozialfürsorge und der [X.] Sicherheit unterfallenden Umsätze von Betreuern in rechtlicher Hinsicht unerlässlich. [X.]enn die Bestellung eines Betreuers setzt ebenso wie die Anordnung der geschlossenen Unterbringung die Mitwirkung des [X.] voraus:

(1) Im Verfahren zur Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB hat das zuständige Betreuungsgericht einen Verfahrenspfleger im Regelfall zu bestellen, wenn von der persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen werden soll (§ 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Fam[X.]) oder aber Gegenstand des Verfahrens die Bestellung eines Betreuers zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen oder die Erweiterung des [X.] hierauf ist (§ 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Fam[X.]). Liegen diese Regelbeispiele nicht vor, kann dem Betroffenen nach der Generalklausel des § 276 Abs. 1 Satz 1 Fam[X.] ein Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn dies "zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist". Wann dies der Fall ist, hängt vom Grad der Krankheit oder Behinderung des Betroffenen sowie von der Bedeutung des jeweiligen Verfahrensgegenstands ab ([X.] vom 11.12.2013 - XII ZB 280/11, [X.], 378, sowie vom 13.11.2013 - XII ZB 339/13, [X.], 192).

(2) In [X.] gilt dies entsprechend (vgl. § 317 Abs. 1 Satz 1 Fam[X.]). [X.]abei ist die Bestellung eines [X.] insbesondere dann erforderlich, wenn von einer Anhörung des Betroffenen abgesehen werden soll (§ 317 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Fam[X.]). Anders als in [X.] kann in [X.] von der Bestellung eines [X.] nicht abgesehen werden, wenn kein Interesse des Betroffenen an der Bestellung eines [X.] besteht.

Fehlt es an der (erforderlichen) Beteiligung des [X.], ist die jeweilige Maßnahme verfahrensfehlerhaft und der entsprechende Beschluss wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufzuheben (vgl. [X.] vom 20.01.2021 - XII ZB 202/20, [X.], 636). Ohne wirksamen Beschluss kann die als Betreuer vorgesehene Person nicht für den Hilfsbedürftigen tätig werden und die zum Schutz des Betroffenen erforderliche Unterbringungsmaßnahme nicht erfolgen.

cc) [X.]er Qualifikation als Sozialleistung steht nicht entgegen, dass als Verfahrenspfleger im Regelfall Anwälte bestellt werden. [X.]enn der Verfahrenspfleger wird mit dem Akt der Bestellung zum Beteiligten und hat damit die Aufgabe, die Interessen des Betroffenen wahrzunehmen, ohne an dessen Weisungen gebunden zu sein. [X.]er Verfahrenspfleger ist nach der gesetzlichen Ausformung ein "besonderer Pfleger", der für seine Aufgaben anwaltliche Qualifikationen mitbringen kann, aber nicht notwendigerweise mitbringen muss. [X.]ie [X.] ist daher keine anwaltsspezifische oder dem Anwaltsberuf vorbehaltene Tätigkeit (Kammerbeschluss des [X.] vom 07.06.2000 - 1 BvR 23/00, [X.], 1280, Rz 23).

b) Entgegen der Ansicht des [X.] ist der Verfahrenspfleger auch als [X.] Einrichtung anerkannt. Einer Anerkennung steht insbesondere nicht entgegen, dass es sich beim Kläger um eine natürliche Person mit Gewinnerzielungsabsicht handelt (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.]-Urteile [X.] und [X.], [X.]:C:2005:322, Rz 35 und 40; M[X.][X.]P vom 28.11.2013 - [X.]/12, [X.]:[X.], Rz 28 und 31).

aa) [X.]a Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung als [X.] Einrichtung nicht festlegt, ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. [X.]abei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Zu diesen gehören

- das Bestehen spezifischer Vorschriften, bei denen es sich um nationale oder regionale Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der [X.] Sicherheit handeln kann,

- das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse,

- die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und

- die Übernahme der Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der [X.] Sicherheit (vgl. hierzu [X.]-Urteile [X.], [X.]:[X.], Rz 54 und 58, und [X.] vom 15.11.2012 - [X.]/11, [X.]:[X.], Rz 26).

bb) Im Streitfall folgt die Anerkennung des [X.] als [X.] Einrichtung aus dem Bestehen spezifischer Vorschriften für Verfahrenspfleger, deren Tätigkeit im Gemeinwohlinteresse sowie aus der Anerkennung anderer Steuerpflichtiger mit gleichen Tätigkeiten ("Neutralitätsprinzip").

(1) [X.]ie Anerkennung des [X.] ergibt sich insbesondere aus § 276 Fam[X.] sowie § 317 Fam[X.] als spezifische Vorschriften im Sinne der [X.]-Rechtsprechung. Bei der Auswahl und der anschließenden Bestellung des [X.] hat das Familiengericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung die Eignung der auszuwählenden Person zu prüfen und festzustellen (vgl. § 276 Abs. 3 und 4 sowie § 317 Abs. 3 und 4 Fam[X.]).

[X.]ie Qualifikation von § 276 bzw. § 317 Fam[X.] als "spezifische Vorschrift" scheitert nicht daran, dass die Anforderungen an die Person des [X.] nicht im Einzelnen gesetzlich geregelt sind (vgl. hierzu Senatsurteile in [X.], 82, Rz 29, und in [X.], 475, [X.], 976, Rz 23). Abgesehen davon, dass zur Konkretisierung auf das allgemeine Pflegschaftsrecht zurückgegriffen werden kann, wonach sich die Eignung des [X.] letztlich nach den für einen Vormund bestimmten Kriterien richtet (vgl. [X.] in Prütting/[X.], Fam[X.], 5. Aufl., § 276 Rz 42 f.), genügt insoweit als Indiz für die Anerkennung, dass vor der Bestellung des [X.] eine gesetzlich vorgeschriebene Eignungsprüfung durch das Familiengericht erfolgt.

(2) An der Tätigkeit eines [X.] in Betreuungs- und [X.] besteht ein besonderes Gemeinwohlinteresse. In diesen Verfahren geht es fast ausschließlich um intensive Grundrechtseingriffe gegenüber Hilfsbedürftigen, sei es, weil eine Betreuerbestellung erfolgt, eine weitergehende Betreuungsmaßnahme beschlossen wird oder weil eine Maßnahme unterlassen und der Rechtsanspruch auf rechtliche Betreuung nicht erfüllt wird ([X.] in Bahrenfuss, Fam[X.], 3. Aufl., § 276 Rz 1). [X.]ie Maßnahmen bedürfen daher verfahrensrechtlicher Garantien, um den Betroffenen unter den Schutz der Rechtsgemeinschaft zu stellen (vgl. [X.]/[X.], [X.]er Verfahrenspfleger, Neue Juristische Online-Zeitschrift 2014, 1201). Sind die Betroffenen infolge dauerhafter körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung als Menschen mit Behinderung anzusehen, greifen zudem die Schutz- und Fürsorgepflichten aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sowie Art. 26 [X.]GrdRCh ein. [X.]ies gilt erst recht für die von [X.] betroffenen Personen, da es hier um schwerwiegende Eingriffe in deren grundrechtlich geschützte Freiheitsrechte (Art. 2 Abs. 2 GG) geht.

(3) Für die Anerkennung des [X.] als [X.] Einrichtung spricht darüber hinaus, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten über eine Anerkennung verfügen ("Neutralitätsprinzip").

(a) Andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten und staatlicher Anerkennung sind allerdings nicht die Berufsbetreuer nach § 1896 BGB, deren Tätigkeit durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 26.06.2013 ([X.], 1809) in § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG seit 01.07.2013 von der Umsatzsteuer befreit wurde. [X.]enn diese Berufsgruppen üben --wie das [X.] und das [X.] zu Recht vortragen-- andere Tätigkeiten als der Verfahrenspfleger aus. Während dieser vor der Bestellung eines Betreuers und lediglich im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens tätig wird, setzt die auf [X.]auer angelegte Tätigkeit des Betreuers erst nach dem Tätigwerden des [X.] und mit seiner wirksamen Bestellung ein. Beide Tätigkeiten schließen sich gegenseitig aus, da es nicht zulässig ist, einen Verfahrenspfleger auch zum Betreuer zu bestellen. Geschieht dies gleichwohl, ist diese Bestellung zwar formell nicht unwirksam, der Betroffene hat aber dann tatsächlich keinen oder einen völlig ungeeigneten Verfahrenspfleger (Beschluss des [X.] vom 27.01.1994 - 3Z BR 303/93, [X.], 780).

(b) Eine dem Neutralitätsprinzip widersprechende Ungleichbehandlung findet jedoch hinsichtlich der [X.] und des [X.] statt. [X.]enn der Verfahrensbeistand in [X.] nach § 158 Fam[X.], in [X.] nach § 174 Fam[X.] sowie in [X.] nach § 191 Fam[X.] wurde vom Gesetzgeber durch § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. d UStG mit Wirkung zum 01.01.2021 (UStG n.F.) von der Umsatzsteuer befreit und damit (konkludent) als [X.] Einrichtung im Sinne des Unionsrechts anerkannt. Wie der Kläger zu Recht geltend macht und wovon auch das [X.] ausgeht, besteht zwischen beiden Berufsgruppen kein wesentlicher Unterschied. Zwar werden die [X.] nach §§ 158, 174 und 191 Fam[X.] in [X.] tätig, während die Verfahrenspfleger die Interessen von physisch oder psychisch kranken Volljährigen wahrnehmen, jedoch handelt es sich in beiden Fällen um besonders schutzbedürftige Personen.

(4) Ob auch das Kriterium der Kostenübernahme für eine Anerkennung als [X.] Einrichtung spricht, kann der Senat im Ergebnis offen lassen. [X.]enn die Prüfung der Anerkennung als [X.] Einrichtung erfolgt im Rahmen einer Gesamtwürdigung, bei der mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. [X.]ie Anerkennung setzt daher nicht voraus, dass alle für die Anerkennung in Betracht kommenden Kriterien kumulativ vorliegen müssen ([X.]-Urteil [X.], [X.]:[X.], Rz 31; Senatsurteile in [X.], 475, BStBl II 2013, 976, Rz 28, sowie BFH-Urteil vom 08.06.2011 - XI R 22/09, [X.], 448).

3. [X.]as Urteil des [X.] widerspricht diesen Grundsätzen und ist daher aufzuheben. [X.]ie Sache ist jedoch nicht spruchreif, sondern wegen fehlender Feststellungen an das [X.] zurückzuverweisen.

a) Aufgrund der Steuerfreiheit der Leistungen des [X.] als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und [X.] ist über die sich hieraus ergebenden Einschränkungen beim Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG) zu entscheiden. [X.]er Kläger hat weder in seinen Schriftsätzen noch in seinem Revisionsantrag bezifferte Angaben zu dem auf die steuerfreien Umsätze entfallenden Vorsteuerabzug gemacht und das [X.] hat --aus seiner Sicht zu [X.] hierzu auch keine Feststellungen getroffen. [X.]iese sind daher im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

b) Für das Streitjahr 2015 hat das [X.] festgestellt, dass keine Umsätze als Verfahrenspfleger in Betreuungs- und [X.] getätigt wurden. [X.]er Senat ist nach § 118 Abs. 2 [X.]O an diese Feststellungen gebunden, da hiergegen keine begründeten Verfahrensrügen vorgebracht wurden. Soweit der Kläger behauptet, dass diese Feststellung des [X.] fälschlicherweise getroffen und tatsächlich begünstigte Umsätze in Höhe von … € ausgeführt worden seien, ist es dem Senat im Revisionsverfahren versagt, neue Tatsachen zu berücksichtigen (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 01.12.2020 - VIII R 40/18, [X.], 493, Rz 35, m.w.N.). [X.]as [X.] wird daher im Rahmen des zweiten [X.] festzustellen haben, ob und [X.] in welcher Höhe derartige Umsätze tatsächlich vorliegen. Sofern dies der Fall sein sollte, sind diese Umsätze nach den o.g. Ausführungen unter II.2. umsatzsteuerfrei zu stellen und der Vorsteuerabzug entsprechend zu kürzen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG).

4. [X.]ie Übertragung der Kostenentscheidung an das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 34/19

25.11.2021

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 4. April 2019, Az: 4 K 1673/15, Urteil

Art 132 Abs 1 Buchst g EGRL 112/2006, § 4 Nr 16 Buchst k UStG 2005 vom 26.06.2013, § 4 Nr 25 S 3 Buchst c UStG 2005 vom 26.06.2013, § 15 Abs 2 S 1 Nr 1 UStG 2005, § 158 FamFG, § 276 FamFG, § 317 FamFG, UStG VZ 2014, UStG VZ 2015, Abschn 4.25.2 Abs 9 UStAE, § 4 Nr 25 S 3 Buchst d UStG 2005 vom 21.12.2020

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.11.2021, Az. V R 34/19 (REWIS RS 2021, 816)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 816

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