Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.
Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Erlass einer einstweiligen Anordnung: einstweilige Untersagung der Auslieferung des Beschwerdeführers an Weißrussland zur Strafverfolgung - unzureichende fachgerichtliche Aufklärung der Haftbedingungen im ersuchenden Staat - Folgenabwägung
1. Die Übergabe des Beschwerdeführers an die weißrussischen Behörden wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.
2. Die Generalstaatsanwaltschaft [X.] wird mit der Durchführung der einstweiligen Anordnung beauftragt.
3. Die Vollziehung des [X.] bleibt von der einstweiligen Anordnung unberührt.
Die mit einem Eilantrag verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers, der die [X.] und [X.] Staatsangehörigkeit besitzt, nach [X.] zur Strafverfolgung.
I.
1. Gegen den Beschwerdeführer besteht ein Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft der Republik [X.] vom 26. Mai 2015. Hierin wird ihm vorgeworfen, zu seinem persönlichen Vorteil die illegale Einreise von drei [X.]n Staatsangehörigen (seiner Schwester und deren Familie) aus der [X.] nach [X.] organisiert zu haben, um ihnen die illegale Weiterreise nach Westeuropa zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer wurde am 16. April 2018 auf dem [X.] in [X.] festgenommen und befindet sich seither in der Justizvollzugsanstalt [X.]. Das [X.] [X.] ordnete mit Beschluss vom 23. April 2018 die vorläufige Auslieferungshaft und mit Beschluss vom 14. Juni 2018 die Auslieferungshaft an, die es in der Folge mehrmals verlängerte. Der Beschwerdeführer hat sich mit seiner Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden erklärt und auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes nicht verzichtet.
2. Die weißrussischen Behörden legten mit [X.] vom 21. Mai 2018 die Auslieferungsunterlagen vor. Sie sicherten darin unter anderem zu, dass der Beschwerdeführer sowohl während der Untersuchungs- als auch während einer eventuellen Strafhaft in einer Haftanstalt untergebracht werde, die den Anforderungen der [X.] ([X.]) und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entspreche, und dass er von [X.] [X.] besucht werden dürfe.
3. Das [X.] nahm mit E-Mail vom 11. Dezember 2018 zu den dort vorliegenden Erfahrungen mit den Haftbedingungen in drei Strafkolonien in [X.] Stellung:
- Strafkolonie Nr. 2 [X.] November 2017: Unterbringung im 30-Betten-Schlafsaal, ohne Angabe von Quadratmeterzahlen;
- Strafkolonie Nr. 15 [X.] Dezember 2017: Unterbringung im [X.] ([X.]) mit 22 Personen auf einer Fläche von 25 bis 30 m
- Strafkolonie Nr. 3 Vitba September 2018: Unterbringung im [X.] mit 40 anderen Inhaftierten mit Etagenbetten auf etwa 80 m
4. Mit [X.] vom 22. Dezember 2018 erklärten die weißrussischen Behörden:
"Laut Artikel 13 des [X.] vom 16. Juni 2003 Nr. 215-3 über die Regelung und Bedingungen der Inhafthaltung von Personen werden Personen in gemeinsamen Zellen zusammen mit anderen Personen in Haft gehalten, und in den Fällen, die durch dieses Gesetz vorgesehen sind, getrennt von anderen Personen, die Zellen müssen dabei den Brandschutzanforderungen und Hygieneregeln entsprechen. (…) Die Norm gesundheitlicher Raumfläche in einer Zelle pro eine Person wird in Höhe von mindestens zweieinhalb Quadratmeter festgesetzt. Den Personen, die in Haft gehalten werden, werden tägliche Spaziergänge mit der Dauer von mindestens zwei Stunden und achtstündiger Schlaf in der Nachtzeit geboten. Hafträume für Festgenommene werden mit Bade- und Waschräumen, Bibliotheken und Plätzen für Spaziergänge der Personen in Haft eingerichtet."
5. Mit angegriffenem Beschluss vom 4. April 2019 erklärte das [X.] [X.] auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung des Beschwerdeführers zur Strafverfolgung wegen der dem Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft der Republik [X.] vom 26. Mai 2015 zugrundeliegenden Tat für zulässig und ordnete die Fortdauer der Auslieferungshaft an. Der Beschluss ging dem Beschwerdeführer am 9. April 2019 zu.
Das [X.] führte zur Begründung aus, die Auslieferung nach [X.] verstoße nicht gegen § 73 [X.]. Wie den vom Prozessbevollmächtigten vorgelegten Berichten zu entnehmen sei, weise der Strafvollzug in [X.] zwar allgemeine Defizite auf. Die weißrussische Generalstaatsanwaltschaft habe aber zugesichert, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Auslieferung und fortdauernden Inhaftierung in einer Haftanstalt untergebracht werde, die den Anforderungen der [X.] und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen vom 11. Januar 2006 entspreche, und dass Beamten der [X.] Botschaft in [X.] Besuche des Beschwerdeführers mit dessen Zustimmung genehmigt würden. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in offenen Gemeinschaftsschlafräumen untergebracht werde. Dies sei nicht zu beanstanden, da, außer zum Schlafen selbst, grundsätzlich eine größere Bewegungsfreiheit als im Strafvollzug mit Einzelunterbringung und festen Umschlusszeiten gegeben sei. Zwar bleibe der Anteil an der Gesamtfläche des [X.] hinter den auf geschlossene Zellen bezogenen Vorgaben der Rechtsprechung des [X.] zurück, der einer Unterschreitung von 3 m
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, fristgerecht eingegangen am 9. Mai 2019, wendet sich der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer insbesondere gegen den Beschluss des [X.]s [X.] vom 4. April 2019. Er rügt insbesondere eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG.
Das [X.] habe nicht erklärt, warum es davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Auslieferung in einer Strafkolonie untergebracht werde. Tatsächlich hätten die weißrussischen Behörden doch nur eine Haftraumgröße von mindestens 2,5 m
Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG sei verletzt, weil das [X.] die den Beschwerdeführer erwartenden Haftbedingungen nicht sachgerecht aufgeklärt habe. Das [X.] habe keine Kenntnis davon, in welcher Vollzugsanstalt der Beschwerdeführer in [X.] untergebracht werde, geschweige denn, wie die konkreten Haftbedingungen dort seien. Es begründe nicht, warum es die Auslieferung für zulässig erkläre, ohne Kenntnis davon zu haben, in welche Haftanstalt der Beschwerdeführer eingeliefert werde und wie groß der Haftraum dort sei. Das [X.] übernehme zur Begründung stattdessen pauschale Bewertungen des [X.] vom 11. Dezember 2018, das die Haftbedingungen noch als konventionskonform einschätze.
Nicht sichergestellt sei, dass die zu erwartenden Haftbedingungen Art. 3 [X.] genügten, da lediglich eine Fläche pro Person von 2,5 m
III.
Zur [X.] wird die Übergabe des Beschwerdeführers an die weißrussischen Behörden gemäß § 32 Abs. 1 [X.] bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.
1. Das [X.] kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 [X.] vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>).
Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten (vgl. [X.] 42, 103 <119>). Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 89, 38 <44>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das [X.] grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).
2. Nach diesen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung zu erlassen.
a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
Eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG erscheint nach dem Vortrag des Beschwerdeführers möglich, weil das [X.] den Sachverhalt hinsichtlich der Gefahr, dass der Beschwerdeführer in [X.] menschenunwürdige Haftbedingungen erleidet, nicht hinreichend aufgeklärt haben könnte. Die Zusicherungen aus [X.] schließen nicht aus, dass der Beschwerdeführer in einer verschlossenen Einzel- oder Gemeinschaftszelle untergebracht werden könnte, in der ihm lediglich ein persönlicher Raum von 2,5 m
b) Die nach § 32 Abs. 1 [X.] erforderliche Folgenabwägung geht zugunsten des Beschwerdeführers aus. Die Auslieferung ist für zulässig erklärt und bewilligt worden. Vor der bevorstehenden Auslieferung wird eine Entscheidung des [X.]s in der Hauptsache nicht ergehen können. Die Folgen, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergehen würde, sich später aber herausstellte, dass die Auslieferung des Beschwerdeführers rechtswidrig war, wiegen erheblich schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung ergehen würde, sich später aber herausstellte, dass die Auslieferung ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Denn im erstgenannten Fall wäre dem Beschwerdeführer eine Geltendmachung seiner Einwände gegen die Auslieferung nicht mehr möglich. Dadurch könnten ihm erhebliche und möglicherweise nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen. Demgegenüber wiegt eine Verzögerung der Übergabe des Beschwerdeführers weniger schwer. Er könnte, sollte sich die geplante Auslieferung als rechtmäßig erweisen, ohne Weiteres zu einem späteren Zeitpunkt an [X.] übergeben werden. Sein Aufenthalt in [X.] würde sich lediglich bis zu einem solchen späteren Termin verlängern.
Meta
03.06.2019
Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer
Einstweilige Anordnung
Sachgebiet: BvR
vorgehend OLG Frankfurt, 30. April 2019, Az: 2 Ausl A 96/18, Beschluss
Art 1 Abs 1 GG, Art 25 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 32 IRG, Art 3 MRK
Zitiervorschlag: Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 03.06.2019, Az. 2 BvR 841/19 (REWIS RS 2019, 6705)
Papierfundstellen: REWIS RS 2019, 6705
Auf Mobilgerät öffnen.
Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
2 BvR 2627/18 (Bundesverfassungsgericht)
Wiederholung und nachträgliche Begründung einer ursprünglich ohne Begründung gem § 32 Abs 5 S 1 …
2 BvR 1845/18 (Bundesverfassungsgericht)
Wiederholung und nachträgliche Begründung einer ursprünglich ohne Begründung gem § 32 Abs 5 S 1 …
2 BvR 37/18 (Bundesverfassungsgericht)
Erlass einer einstweiligen Anordnung: Untersagung der Auslieferung nach Rumänien mit Blick auf dortige Haftbedingungen - …
2 BvR 156/21 (Bundesverfassungsgericht)
Erfolgreicher Eilantrag in Bezug auf eine Auslieferung nach Lettland - Verletzung von Art 4 GRCh …
2 BvR 2100/18 (Bundesverfassungsgericht)
Wiederholung und nachträgliche Begründung einer ursprünglich ohne Begründung gem § 32 Abs 5 S 1 …
Keine Referenz gefunden.
Keine Referenz gefunden.