Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.02.2020, Az. IX ZR 90/19

9. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1004

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Gegenstand

Auskunftsanspruch des einen Prozess vorfinanzierenden Rechtsschutzversicherers gegen den durch den Versicherungsnehmer beauftragten Rechtsanwalt; konkludente Entbindung des Rechtsanwalts von der Verschwiegenheitsverpflichtung


Leitsatz

1. Dem Rechtsschutzversicherer, der einen Prozess vorfinanziert hat, steht zur Ermittlung eines möglichen Herausgabeanspruchs ein Auskunftsanspruch gegen den durch seinen Versicherungsnehmer beauftragten Rechtsanwalt zu.

2. Finanziert der Rechtsschutzversicherer mit Einverständnis seines Versicherungsnehmers einen Prozess und überlässt der Mandant dem beauftragten Rechtsanwalt den Verkehr mit dem Rechtsschutzversicherer, ist von einer konkludenten Entbindung des Rechtsanwalts von der Verschwiegenheitsverpflichtung durch den rechtsschutzversicherten Mandanten auszugehen, soweit es die Abrechnung des Mandats betrifft.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des [X.] - Zivilkammer 50 - vom 1. April 2019 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Versicherungsnehmer der Klägerin suchte den Beklagten zu 2, der zusammen mit einer Rechtsanwältin die beklagte Anwaltssozietät zu 1 betrieb, in einer Verkehrsunfallsache zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf. Die Klägerin erteilte jeweils auf Anforderungen Deckungszusagen für die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit der Beklagten. Insgesamt wurden von der Klägerin bis Juli 2016 Kostenvorschüsse in Höhe von 2.862,26 € gezahlt. Hiervon wurde der Klägerin im September 2016 ohne weitere Informationen ein Betrag in Höhe von 1.309,41 € zurückerstattet. Nachfolgende schriftliche Anfragen der Klägerin hinsichtlich des [X.] des Verfahrens beantworteten die Beklagten nicht. Die Klägerin mandatierte ihrerseits Rechtsanwälte, welche die Beklagten mehrfach erfolglos zur Auskunft aufforderten. Letztere lehnten eine Auskunftserteilung ab. Die nachfolgend gegen die Beklagten erhobene Klage hat die Klägerin hinsichtlich des Auskunftsbegehrens für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte zu 2 in dem erstinstanzlichen Termin zur mündlichen Verhandlung am 9. November 2017 Angaben zu dem Stand des Verfahrens gemacht hatte. Den weiteren Antrag, die Beklagten zur Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen zu verurteilen, hat die Klägerin aufrechterhalten. Die Beklagten haben an ihrem Abweisungsantrag festgehalten. Das Amtsgericht hat die Beklagten zur Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen verurteilt und im Übrigen festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat. Die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe

2

Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

3

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die von der [X.] umfasste Klage sei ursprünglich begründet gewesen und infolge der Angaben des [X.]n zu 2 unbegründet geworden, denn die Klägerin sei Inhaberin des geltend gemachten Auskunftsanspruchs aus §§ 675, 666, 667, 401, 412 BGB, § 86 [X.]. Die Verschwiegenheitsverpflichtung des Rechtsanwalts stehe dem [X.] nicht entgegen, weil in derartigen Fällen der Mandant den Anwalt konkludent von der Verschwiegenheitsverpflichtung entbinde und stillschweigend zum Ausdruck bringe, dass dieser gegenüber dem Rechtsschutzversicherer in [X.] uneingeschränkt kommunizieren könne. Diese Entbindungserklärung des Mandanten umfasse nach interessengerechter Auslegung auch eine etwaige Mitteilung des Rechtsanwalts an den Versicherer über den Stand des Verfahrens. Der Forderungsübergang nach § 86 [X.] führe aber nicht zu einer generellen Auswechslung der Gläubigerstellung des Mandanten hinsichtlich seiner Rechte aus dem Anwaltsvertrag, sondern nur zu dem Übergang einzelner Auskunftsansprüche, deren jeweiliger Inhalt sich nach § 666 BGB bestimme. Durch die Erklärung des [X.]n zu 2 in dem Termin sei die Klägerin über den Verfahrensstand in Kenntnis gesetzt worden. Schließlich hätten sich die [X.]n mit der Auskunftserteilung im Verzug befunden und deshalb der Klägerin die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu erstatten.

II.

4

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung stand.

5

1. Wenn und soweit ein Kläger die Hauptsache einseitig für erledigt erklärt, der [X.] dem aber widerspricht und insoweit Klageabweisung beantragt, hat das Gericht, wie hier geschehen, durch Urteil darüber zu entscheiden, ob eine Erledigung eingetreten ist oder nicht (st. Rspr., vgl. [X.], Urteil vom 15. Februar 2019 - [X.], [X.], 775 Rn. 7 mwN).

6

2. Das Berufungsgericht hat zu Recht die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen, soweit das Amtsgericht entschieden hat, dass die von der [X.] umfasste Klage ursprünglich zulässig und begründet war und infolge der im erstinstanzlichen Termin am 9. November 2017 erteilten Auskunft des [X.]n zu 2 unbegründet wurde.

7

a) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Klägerin Inhaberin des geltend gemachten Auskunftsanspruchs aus § 666 BGB war.

8

aa) Feststellungen dahingehend, dass zwischen der Klägerin als Rechtsschutzversicherer und den [X.]n als Prozessbevollmächtigten des Versicherungsnehmers unmittelbare vertragliche Beziehungen bestanden hätten, sind nicht getroffen worden. Dagegen wird seitens der Revision auch nichts erinnert.

9

bb) Der Klägerin stand gegen die [X.]n aber ein Auskunftsanspruch nach § 666 BGB aus gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 [X.] übergegangenem Recht zu.

(1) Die Rechtsschutzversicherung ist eine Schadensversicherung, für die § 86 Abs. 1 Satz 1 [X.] gilt. Nach dieser Regelung geht ein dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den Versicherer über, soweit dieser den Schaden ersetzt (vgl. [X.], Urteil vom 23. Juli 2019 - [X.], [X.], 1939 Rn. 8 mwN). Hierbei handelt es sich um einen gesetzlichen [X.] im Sinne der §§ 412 ff BGB. Schon mit der Klageerhebung stand dem Versicherungsnehmer der Klägerin ein aufschiebend bedingter Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner zu, denn das Prozessrechtsverhältnis lässt bereits den prozessualen Kostenerstattungsanspruch entstehen. Dieser ist allerdings aufschiebend bedingt durch den Erlass einer entsprechenden Kostengrundentscheidung (vgl. [X.], Urteil vom 22. Mai 1992 - [X.], [X.], 1922, 1923 mwN; vom 1. Dezember 2005 - [X.], [X.], 194 Rn. 25; Beschluss vom 6. Februar 2014 - [X.], [X.], 480 Rn. 14). Indem die Klägerin unstreitig für die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit der [X.]n bis Juli 2016 [X.] in Höhe von insgesamt 2.862,26 € geleistet hat, hat sie ihrem Versicherungsnehmer im Sinne des § 86 Abs. 1 Satz 1 [X.] "einen Schaden ersetzt". Durch die Zahlung dieser Vorschüsse ist der aufschiebend bedingte Kostenerstattungsanspruch ihres Versicherungsnehmers gegen den Prozessgegner auf die Klägerin übergegangen.

(2) Der Klägerin steht gegen die [X.]n ein Anspruch auf Auskehrung der von dem Prozessgegner geleisteten Zahlungen zu. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob der Klägerin ein eigener Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 681 Satz 2, § 667 BGB) zusteht (vgl. [X.], Urteil vom 23. Juli 2019 - [X.], [X.], 1939 Rn. 8 mwN). Leistet der Prozessgegner an den von dem Versicherungsnehmer beauftragten Rechtsanwalt Zahlungen, so geht der vertragliche Anspruch des Versicherungsnehmers auf Herausgabe des [X.] aus § 675 Abs. 1, § 667 BGB gegen seinen Rechtsanwalt gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 [X.] auf den Rechtsschutzversicherer über (vgl. [X.], aaO). Entsprechend diesen Grundsätzen haben die [X.]n der Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.309,41 € bereits erstattet, denn der [X.] zu 2 hat in dem erstinstanzlichen Termin am 9. November 2017 erklärt, es habe sich insoweit um eine Leistung der Gegenseite des Versicherungsnehmers der Klägerin auf vorgerichtliche Anwaltskosten gehandelt.

(3) Dem Anspruch auf Herausgabe des [X.] aus § 675 Abs. 1, § 667 BGB folgt der Auskunftsanspruch des Versicherungsnehmers gegen seinen Rechtsanwalt als Hilfsrecht in analoger Anwendung von §§ 412, 401 BGB. Neben den in § 401 BGB ausdrücklich genannten Rechten wird diese Vorschrift unter anderem auf solche Hilfsrechte entsprechend angewandt, die zur Geltendmachung oder Durchsetzung einer Forderung erforderlich sind. Solche Nebenrechte sind insbesondere Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung, die darauf abzielen, den Gegenstand und Betrag des Hauptanspruchs zu ermitteln (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Dezember 2012 - [X.]/11, [X.]Z 196, 62 Rn. 8 mwN). Nach diesen Grundsätzen stand der Klägerin zur Ermittlung eines möglichen Herausgabeanspruchs aus § 667 BGB ein Auskunftsanspruch gegen die [X.]n zu.

(4) Dieser Auskunftsanspruch bezog sich sowohl auf den bereits an die Klägerin ausgekehrten Betrag in Höhe von 1.309,41 € als auch auf den noch nicht abgerechneten Betrag in Höhe von 1.552,85 €. Denn die Klägerin hatte sowohl Anspruch auf Auskunft, warum ihr ein Betrag erstattet worden war, als auch, ob bezüglich der weiteren von ihr geleisteten [X.] Erstattungsansprüche erlangt worden sind. Diesen Grundsätzen entsprechend hat die Klägerin Auskunft von den [X.]n verlangt.

b) Dem [X.] stand vorliegend auch nicht die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht aus § 43a Abs. 2 [X.] entgegen. Eine Entbindung von der Schweigepflicht kann durch den Mandanten ausdrücklich erklärt werden, aber grundsätzlich auch durch schlüssiges Handeln erfolgen (vgl. [X.]/Träger, [X.], 10. Aufl., § 43a Rn. 25). Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der rechtsschutzversicherte Mandant, wenn der Rechtsschutzversicherer mit Einverständnis des Mandanten einen Prozess vorfinanziert und der Mandant dem Rechtsanwalt auch den Verkehr mit dem Rechtsschutzversicherer überlässt, den Anwalt konkludent von der Verschwiegenheitsverpflichtung entbunden hat, soweit es die Abrechnung des Mandats betrifft (vgl. [X.], [X.] 2017, 160,161; [X.], [X.] 2012, 536, 537; [X.], [X.], 157, 158; O[X.], [X.], 231; [X.]/Prütting-[X.], [X.], 4. Aufl., § 43a Rn. 70; Kilian/[X.], [X.], 2. Aufl., Rn. 890; [X.], [X.] 2013, 623; Schons, [X.] 2012, 323, 324; [X.], NJW 2007, 3606, 3609; a. A. [X.]/Träger, [X.], 10. Aufl., § 43a Rn. 25 a). Denn nur auf diese Weise kann der Rechtsanwalt den Auftrag des Mandanten und dessen Auskunftspflicht seinem Rechtsschutzversicherer gegenüber sachgerecht erfüllen (vgl. [X.]/Prütting-[X.], aaO; [X.], aaO).

c) Der Auskunftsanspruch der Klägerin ist durch Erfüllung erloschen, denn der [X.] zu 2 hat in dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 9. November 2017 Angaben zu dem Stand des Verfahrens gemacht. Ihrem Inhalt nach richtet sich die aus § 666 BGB folgende Auskunftspflicht danach, was nach dem Gegenstand der Besorgung, der Üblichkeit im Geschäftsverkehr und dem Zweck der verlangten Information unter Berücksichtigung von Treu und Glauben erwartet werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 1. Dezember 2011 - [X.], [X.]Z 192, 1 Rn. 20 mwN). Dafür, dass die von dem [X.]n zu 2 in dem Termin der Klägerin erteilten Auskünfte diesen Grundsätzen widersprochen hätten, gibt es vorliegend keinen Anhaltspunkt.

d) Soweit die zunächst zulässige und begründete Klage die begehrte Auskunft betraf, ist sie nachträglich gegenstandslos geworden. Die Erledigung des Rechtsstreits ist insoweit durch die Vordergerichte zutreffend festgestellt worden.

3. Schließlich hat das Berufungsgericht zu Recht die Berufung der [X.]n zurückgewiesen, soweit diese zur Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Klägerin verurteilt worden sind. Die konkludente Entbindung der [X.]n von der Verschwiegenheitsverpflichtung durch den Versicherungsnehmer war bereits erfolgt, als die Klägerin den auf sie übergegangenen Auskunftsanspruch zunächst selbst und nachfolgend durch ihre Rechtsanwälte geltend gemacht hat. Der Klägerin sind die beanspruchten Rechtsanwaltskosten zutreffend unter [X.] zuerkannt worden.

Kayser     

      

Gehrlein     

      

Grupp 

      

Schoppmeyer     

      

Röhl     

      

Meta

IX ZR 90/19

13.02.2020

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Berlin, 1. April 2019, Az: 50 S 22/18

§ 401 BGB, § 412 BGB, § 666 BGB, § 667 BGB, § 86 Abs 1 VVG, § 43a Abs 2 BRAO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.02.2020, Az. IX ZR 90/19 (REWIS RS 2020, 1004)

Papier­fundstellen: MDR 2020, 485-486 WM2020,527 REWIS RS 2020, 1004

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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