Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.10.2012, Az. B 13 R 437/11 B

13. Senat | REWIS RS 2012, 1797

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Rechtsweg - Behandlung einer auch auf Amtshaftung gestützten Klage - Klageerhebung beim unzuständigen Gericht - Rechtshängigkeit


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 21. September 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger streitet um Auskunfts- und Amtshaftungsansprüche gegen die Beklagte.

2

Der 1957 geborene Kläger ist Arzt. Er befindet sich im (gelockerten) Maßregelvollzug in der [X.] in B.

3

Am [X.] hat er beim [X.] Klage erhoben und von dem beklagten Rentenversicherungsträger Akteneinsicht und Auskunft nach § 74 [X.] (Übermittlung von Sozialdaten) verlangt. Daneben hat er einen Amtshaftungsanspruch gegen die Beklagte erhoben und beantragt, diesen Klageantrag abzutrennen und durch Beschluss an das zuständige [X.] gemäß § 17a Abs 2 [X.] zu verweisen (Klageschrift vom [X.]). Das Klageverfahren blieb erfolglos, ohne dass das [X.] den in der Klageschrift erhobenen Amtshaftungsanspruch im Tatbestand oder in den Gründen seiner Entscheidung erwähnt hätte ([X.], Gerichtsbescheid vom 14.12.2007).

4

Das L[X.] Niedersachsen-Bremen hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen (Urteil vom 21.9.2011). Soweit der Kläger einen Amtshaftungsanspruch geltend mache, sei dieser mangels erstinstanzlicher Entscheidung nicht vom Berufungsverfahren erfasst. Wenn das [X.] versehentlich über diesen Teil des Streitgegenstandes nicht entschieden haben sollte, hätte der Kläger eine Ergänzung des [X.] gemäß § 140 [X.]G beantragen müssen. Da er dies versäumt habe, sei die Rechtshängigkeit des Amtshaftungsanspruchs erloschen. Soweit der Kläger den Anspruch im Berufungsverfahren erneut geltend mache, liege eine unzulässige Klageänderung vor, die im Übrigen rechtsmissbräuchlich sei. Der Kläger wisse, dass die Amtshaftungsklage beim [X.] zu erheben sei, so dass von der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke auszugehen sei.

5

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim B[X.] eingelegt. Mit der Beschwerdebegründung vom 11.5.2012 macht der Kläger Verfahrensmängel, eine Rechtsprechungsabweichung und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Die vom Kläger persönlich eingereichten zahlreichen und umfangreichen Schreiben außerhalb des Verfahrens der Prozesskostenhilfe hat der [X.] nicht berücksichtigt (§ 73 Abs 4 [X.]G).

6

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] hat im Ergebnis keinen Erfolg.

7

Der Kläger hat zwar formgerecht (vgl § 160a Abs 2 [X.] [X.]G) die Verletzung von Verfahrensvorschriften (§§ 17, 17a [X.], Art 101 [X.] GG, §§ 62, 140 [X.]G) gerügt (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Verfahrensmängel, die zu einer Aufhebung des Berufungsurteils führen könnten, liegen aber nicht vor. Die im Übrigen erhobenen [X.] der Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G) sind nicht ordnungsgemäß bezeichnet bzw dargelegt (§ 160a Abs 2 [X.] [X.]G).

8

1. Die gerügten Verfahrensmängel sind jedenfalls nicht entscheidungserheblich.

9

Der Kläger beanstandet im [X.], dass weder das [X.] noch das L[X.] eine Vorabentscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs (§ 17a Abs 3 S 2 [X.]) wegen des in der Klageschrift ([X.], 24) erhobenen Amtshaftungsanspruchs (Art 34 [X.] GG, § 839 BGB) getroffen und den Rechtsstreit insoweit nicht an das für Amtshaftungsansprüche zuständige [X.] (§§ 13, 71 Abs 2 [X.] [X.]) verwiesen haben. Aus damit im Zusammenhang stehenden Verhaltensweisen des L[X.] leitet er Verstöße gegen §§ 62, 140 [X.]G, §§ 17, 17a [X.] und Art 101 GG ab und beantragt, den Rechtsstreit hinsichtlich des Amtshaftungsanspruchs an das zuständige [X.] zu verweisen. Die [X.] erweisen sich sämtlich als unbegründet, da nicht entscheidungserheblich. Denn das L[X.] war nicht verpflichtet, den Rechtsstreit teilweise (hinsichtlich des Amtshaftungsanspruchs) an das [X.] zu verweisen.

Der [X.] hat bereits darauf hingewiesen (vgl [X.]sbeschluss vom 20.10.2010 - [X.]-1500 § 153 [X.] Rd[X.]3 mwN), dass ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit keine Teilverweisung an das Zivilgericht vornehmen darf. Denn einerseits kennt das [X.] keine Teilverweisung, andererseits steht der Verweisung des gesamten Rechtsstreits (Streitgegenstands) der Grundsatz entgegen, dass eine solche nicht erfolgen darf, wenn das angerufene Gericht zumindest für einen Teil der einschlägigen materiellen Ansprüche zuständig ist (wie hier für den Anspruch nach § 74 [X.]). Deshalb ist auch von dem Ausspruch einer teilweisen Unzulässigkeit des Rechtsweges und einer teilweisen Verweisung des Rechtsstreits an die für Amtshaftungsansprüche zuständigen ordentlichen Gerichte gemäß § 17a Abs 2 [X.] abzusehen (vgl BVerwG vom 19.11.1997 - 2 [X.]/96 - Juris; vom 15.12.1992 - 5 [X.]/91 - NVwZ 1993, 353; vom 31.3.1993 - 7 [X.]/93 - [X.] 300 § 17 [X.] [X.]; [X.] vom 5.7.1990 - [X.]/89 - NVwZ 1990, 1103).

Rechtsnachteile hat der Kläger deshalb nicht zu befürchten. § 17b [X.] [X.] ist zu entnehmen, dass auch eine Klageerhebung beim unzuständigen Gericht die Rechtshängigkeit mit den dazugehörigen Wirkungen (zB Hemmung der Verjährung: § 204 Abs 1 [X.]) eintreten lässt (vgl dazu [X.]sbeschluss vom 20.10.2010 - [X.]-1500 § 153 [X.] Rd[X.]4 mwN).

Unzutreffend sind daher die - wenngleich für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht entscheidungserheblichen - Ausführungen des L[X.], wenn es meint, dass die Rechtshängigkeit des Amtshaftungsanspruchs erloschen sei, weil der Kläger den Gerichtsbescheid, der den Amtshaftungsanspruch unerwähnt lässt, nicht nach § 140 [X.]G hat ergänzen lassen. Dies kann dem Kläger jedenfalls nicht zum Nachteil gereichen (vgl [X.]sbeschluss vom 26.8.1994 - 13 RJ 9/94 - Juris Rd[X.]2 im Fall einer zu Unrecht erfolgten Ausklammerung eines Anspruchs).

Aus Art 34 [X.] GG, § 17 Abs 2 S 2 [X.] ergibt sich die alleinige Entscheidungszuständigkeit der ordentlichen Gerichte für Amtshaftungsansprüche. Ein Ausnahmefall, der dem L[X.] über die Bindungswirkung des § 17a Abs 5 [X.] als Rechtsmittelgericht eine eigene Kompetenz geben könnte, über den Amtshaftungsanspruch zu entscheiden, liegt nicht vor (vgl dazu [X.]sbeschluss vom 20.10.2010 - [X.]-1500 § 153 [X.] Rd[X.]4 ff mwN). Denn das [X.] hat keine "Entscheidung in der Hauptsache" iS von § 17a Abs 5 [X.] über den Amtshaftungsanspruch getroffen (vgl B[X.] aaO Rd[X.]8 mwN). Damit hat das L[X.] auch nicht über eine etwaige Rechtsmissbräuchlichkeit der vom Kläger erhobenen Amtshaftungsklage zu entscheiden. Dies obliegt vielmehr [X.] (Art 101 [X.] GG; vgl BVerwG vom [X.] - 6 [X.]/01 - [X.] 300 § 17a [X.] [X.]8). Auch insoweit liegt jedoch kein entscheidungserheblicher Verfahrensmangel vor.

2. Eine Divergenz hat der Kläger nicht hinreichend bezeichnet.

Divergenz liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das L[X.] einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des B[X.], des [X.] oder des [X.] aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des L[X.] nicht den Kriterien entspricht, die das B[X.] aufgestellt hat, sondern erst, wenn das L[X.] diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet dies: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der in Bezug genommenen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des L[X.] enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das B[X.] die oberstgerichtliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (stRspr, vgl zum Ganzen: B[X.] [X.]-1500 § 160 [X.] Rd[X.]7; [X.]-1500 § 160 [X.] RdNr 4; [X.] 1500 § 160a [X.] ff; [X.] 1500 § 160a [X.] 22).

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des [X.] nicht. Zwar meint er, das Berufungsurteil weiche, soweit es den Amtshaftungsanspruch angehe, von den Rechtsgrundsätzen ab, die das B[X.] im Urteil vom 26.5.2011 - B 10 EG 12/10 R - (zur Veröffentlichung in [X.]-7837 § 4 [X.] vorgesehen) aufgestellt habe. Demnach sei das L[X.] als Berufungsinstanz befugt (möglicherweise sogar verpflichtet), auch dann über die Rechtmäßigkeit eines Bescheids zu entscheiden, wenn dieser bereits in der ersten Instanz gemäß § 96 [X.]G Gegenstand des Verfahrens geworden sei, das [X.] zu dem Bescheid aber kein Wort verloren habe.

Für die formgerechte Bezeichnung einer Divergenz ist es aber nicht ausreichend, lediglich zu behaupten, das L[X.] habe gegen "die Rechtsgrundsätze" aus dem vorgenannten Urteil des B[X.] verstoßen. Ungeachtet dessen, dass der Kläger mit diesem Vortrag keinen abstrakten Rechtssatz aus dem Urteil des B[X.] bezeichnet hat, hat er auch versäumt, einen Rechtssatz aus dem Berufungsurteil aufzuzeigen.

3. Der Kläger hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ordnungsgemäß dargelegt.

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl B[X.] [X.] 1500 § 160 [X.]7 und § 160a [X.], 11, 13, 31, 39, 59, 65).

        

Der Kläger hält für grundsätzlich bedeutsam die Rechtsfrage:

        

"Welche Voraussetzungen muss der Antragsteller nachweisen, um den Anspruch auf Offenbarung personenbezogener Daten einer als unterhalts- und/oder zugewinnausgleichspflichtig in Betracht kommenden Person gem. § 74 Satz 1 Nr. 1a bzw. Nr. 2a [X.] geltend machen zu können?"

Es kann dahinstehen, ob es sich hierbei um eine klärungsbedürftige Rechts- oder nicht vielmehr um eine Tatsachenfrage handelt, die ersichtlich auf den Einzelfall des [X.] zugeschnitten ist und der deshalb von vornherein keine Breitenwirkung zukommen kann. Auch wenn der Kläger behauptet, dass zu dieser Frage bisher keine Rechtsprechung des B[X.] existiere und sie sich auch nicht aus Wortlaut, Sinn und Zweck von § 74 [X.] beantworten ließe, fehlt es jedenfalls an ausreichendem Vortrag zur Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage in einem angestrebten Revisionsverfahren. Auf der Grundlage des klägerischen Vortrags kann der [X.] nicht beurteilen, ob die Frage in einem angestrebten Revisionsverfahren überhaupt entscheidungserheblich wäre. Denn der Kläger hat versäumt, den Inhalt des Berufungsurteils in nachvollziehbarer Weise darzulegen. Es fehlt an einer substantiierten Darstellung des Sachverhalts und der vom L[X.] ausgeurteilten maßgeblichen Entscheidungsgründe. Denn er trägt lediglich vor, dass er sich "in einem familiengerichtlichen Verfahren mit der im Jahre 2006 geschiedenen Ehefrau" befinde und teilt nur rudimentär Ausführungen des L[X.] mit ("das L[X.] unterstellt", [X.], [X.], [X.] der Beschwerdebegründung).

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 [X.]G.

Meta

B 13 R 437/11 B

31.10.2012

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Oldenburg (Oldenburg), 14. Dezember 2007, Az: S 8 R 262/06, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 140 SGG, § 17 Abs 2 S 2 GVG, § 17a Abs 3 S 2 GVG, § 17b Abs 1 S 2 GVG, § 13 GVG, § 71 Abs 2 Nr 2 GVG, § 74 SGB 10, Art 34 S 3 GG, § 839 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 31.10.2012, Az. B 13 R 437/11 B (REWIS RS 2012, 1797)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1797

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