Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.10.2011, Az. IV ZR 72/11

4. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 1945

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Gegenstand

Schenkung zum Nachteil des Vertragserben: Lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers bei tatsächlicher Übernahme von Betreuungsleistungen durch den Beschenkten


Leitsatz

Ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an einer Schenkung kann auch dann vorliegen, wenn der Beschenkte ohne rechtliche Bindung Leistungen - etwa zur Betreuung im weiteren Sinne - übernimmt, tatsächlich erbringt und auch in der Zukunft vornehmen will .

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des [X.]  21. Zivilsenat  vom 21. März 2011 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 212.750 €

Gründe

1

I. Die Klägerin begehrt vom Beklagten, ihrem Bruder, Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils an einem Hausgrundstück. Die Eltern der Parteien errichteten am 20. Februar 1986 ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig als Erben einsetzten sowie bestimmten, Erben des Überlebenden von ihnen sollten ihre gemeinschaftlichen Kinder sein. Nach dem Tod des [X.] errichtete die Erblasserin, die Mutter der Parteien, am 18. Januar 2005 ein Testament mit folgendem Inhalt:

"Ich, [X.], vermache mein Haus mit Grundstück … meinem Sohn [X.]. …

Meine Tochter [X.]… hat als Erbvorauszahlung ab 18.12.1984 in bar einen Betrag von 172.300,- DM erhalten, Belege liegen bei.

Meine Tochter bekommt mein Bargeld auf meinem Sparkonto bei der Kreissparkasse. …"

2

Mit Vertrag vom 28. November 2006 übereignete die Erblasserin dem Beklagten das von ihr bewohnte Hausgrundstück, welches sie von ihren Eltern geerbt hatte. Die Überlassung an den Beklagten, der den Wert der ihm gemachten Zu[X.]dung gemäß §§ 2050 ff. [X.] nicht zur Ausgleichung bringen sollte, erfolgte unentgeltlich. § 3 Nr. 7 des Vertrages bestimmt ferner, dass weitere Gegenleistungen, insbesondere die Vereinbarung von [X.] und Pflegeleistungen, von den [X.] trotz Belehrung durch den Notar nicht gewünscht werden.

3

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils an dem Grundstück, weil es sich um eine beeinträchtigende Schenkung gemäß § 2287 [X.] handele. Der Beklagte hat [X.] in Höhe von 42.610,53 € erhoben. Im Falle seiner Verurteilung stehe ihm jedenfalls ein Gegenanspruch auf Zahlung in Höhe des Wertes der hälftigen Schenkungen zu, die die Klägerin nach dem Tod des [X.] in den Jahren 1995 bis 2002 über insgesamt 39.706,06 € erhalten habe. Hinzu komme die Hälfte des [X.] der Erblasserin von 45.515 €, welches an die Klägerin geflossen sei.

4

Das [X.] hat der Klage und der [X.] stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die nur vom Beklagten eingelegte Berufung zurückgewiesen.

5

II. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Parteien seien als Erben zu gleichen Teilen bedacht worden. Die Einsetzung der gemeinschaftlichen Kinder sei nicht nur für den Vater, sondern auch für die Mutter der Parteien wechselbezüglich und damit bindend gewesen. Allein der Umstand, dass die Vermögensverhältnisse der Eltern der Parteien unterschiedlich gewesen seien und das Hausgrundstück der Mutter gehört habe, zwinge nicht zur Verneinung der Wechselbezüglichkeit. Der Klägerin stehe auch gemäß § 2287 [X.] ein Anspruch auf Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils zu. Die Voraussetzungen für ein lebzeitiges Eigeninteresse der Mutter der Parteien an der Begünstigung des Beklagten lägen nicht vor, da in § 3 Nr. 7 des Vertrages ausdrücklich festgehalten worden sei, dass [X.] und Pflegeleistungen nicht gewünscht seien. Ob die Klägerin selbst [X.] erhalten habe, sei im Rahmen des Anspruchs aus § 2287 [X.] unerheblich. Sein Zweck sei es vielmehr, zunächst die Situation zu bereinigen, die durch die beeinträchtigende Schenkung entstanden sei.

6

III. [X.] Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise.

7

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils an dem [X.] gemäß § 2287 Abs. 1 i.V.m. §§ 818 ff. [X.] zustehen könnte. Die Regelung ist auf wechselbezügliche letztwillige Verfügungen eines gemeinschaftlichen Testaments, das nach dem Tod des [X.] Ehegatten unwiderruflich geworden ist, entsprechend anzu[X.]den (Senatsurteil vom 26. November 1975  IV ZR 138/74, [X.], 8, 15).

8

Ohne Erfolg greift der Beklagte hierbei die Feststellungen des Berufungsgerichts an, dass die Erbeinsetzung der Parteien durch die Erblasserin wechselbezüglich zu ihrer Erbeinsetzung durch ihren Ehemann [X.] von § 2270 Abs. 1 [X.] ist. Zwar kann der Umstand, dass ein Ehegatte über ein wesentlich größeres Vermögen verfügt als der andere, bei der Auslegung dazu führen, dass die [X.] durch den vermögenden Ehegatten nicht wechselbezüglich zu der Erbeinsetzung durch den vorverstorbenen [X.] Ehegatten ist, weil der vermögende Ehegatte an der eigenen Erbeinsetzung durch seinen [X.] Ehegatten häufig kein Interesse hat, sondern seine Freiheit behalten will, [X.] er als Schlusserben einsetzt ([X.], 148, 150; OLG Celle FamRZ 2003, 887, 888; [X.] FamRZ 1999, 1541, 1543; BayObLG ZEV 1994, 362, 364; FamRZ 1984, 1154, 1155; [X.] ZEV 1995, 146, 147; OLG Saarbrücken FamRZ 1990, 1285, 1286).

9

Der Beklagte hat hierzu geltend gemacht, die Erblasserin sei [X.] gewesen, während sonstiges wesentliches Kapitalvermögen der Eltern nicht vorhanden gewesen sei. Das Berufungsgericht hat die unterschiedlichen Vermögensverhältnisse der Eheleute aber durchaus gesehen. Ferner hat es erkannt, dass unterschiedliche Vermögensverhältnisse nicht ohne Weiteres dazu führen, dass die Wechselbezüglichkeit der [X.] durch den vermögenden Ehegatten mit der eigenen Erbeinsetzung durch den [X.] Ehegatten verneint werden müsste (vgl. [X.] aaO; BayObLG aaO). Soweit sich das Berufungsgericht auf dieser Grundlage die Überzeugung gebildet hat, dass trotz unterschiedlicher Vermögensverhältnisse Wechselbezüglichkeit bestehe, ist das revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat hiergegen nichts [X.] vorgebracht.

2. Unter Verstoß gegen den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör (Art.103 Abs. 1 GG) hat das Berufungsgericht sodann allerdings ohne Beweisaufnahme angenommen, dass die Voraussetzungen für ein lebzeitiges Eigeninteresse der Erblasserin an der Begünstigung des Beklagten nicht vorgelegen haben.

a) Gemäß § 2287 Abs. 1 [X.] kann der Vertragserbe (bzw. bei einem gemeinschaftlichen Testament der Schlusserbe), nachdem ihm die Erbschaft angefallen ist, von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern, [X.]n der Erblasser in der Absicht, den Vertrags- bzw. Schlusserben zu beeinträchtigen, eine Schenkung gemacht hat. Da die Benachteiligungsabsicht mit der Absicht, den Beschenkten zu begünstigen, meist untrennbar verbunden ist, wäre sie  von Ausnahmefällen abgesehen  in einer solchen Lage praktisch immer gegeben (vgl. Senatsurteil vom 5. Juli 1972  IV ZR 125/70, [X.], 343, 350). Dennoch greift die Vorschrift nicht zwangsläufig bei jeder Schenkung ein. Erforderlich ist vielmehr, dass der Erblasser das ihm verbliebene Recht zu lebzeitigen Verfügungen missbraucht hat. Ein solcher Missbrauch liegt nicht vor, [X.]n der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der von ihm vorgenommenen Schenkung hatte (Senat aaO; ferner Senatsurteile vom 23. April 1986  [X.], [X.], 980 unter [X.]; vom 23. September 1981  [X.], [X.], 274, 282; vom 26. November 1975 aaO). Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist anzunehmen, [X.]n nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der erbvertraglichen Bindung als billigenswert und gerechtfertigt erscheint (Senatsurteil vom 12. Juni 1980  [X.], [X.], 264, 266). Ein derartiges Interesse kommt etwa dann in Betracht, [X.]n es dem Erblasser im Alter um seine Versorgung und gegebenenfalls auch Pflege geht (Senatsurteile vom 27. Januar 1982  [X.], [X.], 44, 46; vom 23. September 1981  [X.], NJW 1982, 43 unter 3; vom 26. November 1975 aaO 16) oder [X.]n der Erblasser in der Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung handelt, er etwa mit dem Geschenk einer Person, die ihm in besonderem Maße geholfen hat, seinen Dank abstatten will (Senatsurteile vom 27. Januar 1982 und vom 26. November 1975 je aaO). [X.] für die Schenkung ohne rechtfertigendes lebzeitiges Eigeninteresse ist der Vertrags- bzw. Schlusserbe (Senatsurteil vom 23. September 1981 aaO).

b) Das Berufungsgericht hat hierzu lediglich ausgeführt, das Fehlen eines lebzeitigen Eigeninteresses ergebe sich aus der Regelung in § 3 Nr. 7 des [X.], wonach [X.] und Pflegeleistungen nicht gewünscht seien. Hierbei verkennt es aber, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers an einer Schenkung auch dann vorliegen kann, [X.]n der Beschenkte ohne rechtliche Bindung Leistungen  etwa zur Betreuung im weiteren Sinne  übernimmt, tatsächlich erbringt und auch in der Zukunft vornehmen will. Im Falle der Übernahme einer rechtlichen Verpflichtung zu Gegenleistungen handelt es sich hingegen bereits nicht mehr um eine Schenkung [X.] des § 2287 Abs. 1 [X.] (vgl. Musielak in [X.], [X.] 5. Aufl. § 2287 Rn. 12, 18).

Hier hat der Beklagte im Einzelnen und unter Beweisantritt vorgetragen, dass er für die Erblasserin in den Jahren 1986 bis 2009 zahlreiche Leistungen erbracht habe, die er selbst mit einem Wert von 93.887,08 € bemisst. Hierbei geht es um den Winterdienst, Gartenpflege mit Rasenmähen, Heckenschnitt etc. sowie die monatliche Fahrt zum Großeinkauf im Zeitraum von 1986 bis Februar 2009, das wöchentliche Besorgen des Haushalts (Putzen, Staubsaugen, Betten abziehen) nach der Erkrankung der Erblasserin ab 2003, wöchentliche Einkäufe und Botengänge für die Erblasserin ab 2004 sowie die Übernahme sämtlicher Fahrdienste. Über den Umfang dieser von der Klägerin bestrittenen Leistungen des Beklagten und den hierzu mit der Erblasserin getroffenen Übereinkünften muss Beweis erhoben werden. Ein lebzeitiges Eigeninteresse der Erblasserin kann insbesondere auch dann in Betracht kommen, [X.]n der Beschenkte sich um Haus, Garten, Einkäufe, Reinigung etc. kümmert, zumal die Erblasserin gerade ein Interesse daran hatte, dass sie in dem Haus wohnen bleiben kann und es als Familienbesitz erhalten wird.

c) Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass ein lebzeitiges Eigeninteresse nicht zwingend für den gesamten [X.] angenommen werden muss, sondern auch lediglich einen Teil der Schenkung zu rechtfertigen und insoweit einen Missbrauch der lebzeitigen Verfügungsmacht auszuschließen vermag. Die sich dann stellende Frage, ob der Vertrags- bzw. Schlusserbe Übereignung des [X.] um Zug gegen Zahlung des Betrages verlangen kann, bis zu dem er die Schenkung hinnehmen muss, oder ob er nur Zahlung des Betrages beanspruchen kann, der dem Teilwert der Schenkung entspricht, ist entsprechend den Grundsätzen zu beantworten, die für die gemischte Schenkung entwickelt wurden (Senatsurteil vom 12. Juni 1980 aaO 271 f.). Das geschenkte Grundstück kann hiernach nur bei entsprechender Zug-um-Zug-Leistung herausverlangt werden, [X.]n die Schenkung überwiegend nicht anzuerkennen ist, [X.]n also derjenige Wertanteil der Schenkung, der hinzunehmen ist, geringer wiegt als der nach § 2287 [X.] auszugleichende überschießende Anteil. Hierbei ist allerdings keine rein rechnerische Gegenüberstellung des Wertes der vom Beklagten erbrachten Leistungen mit dem Wert des Grundstücks vorzunehmen. Vielmehr hat auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass Leistungen noch in Zukunft erfolgen sollten und der Erblasser sich ihm erbrachte oder zu erbringende Leistungen "etwas kosten lassen darf", eine umfassende Gesamtabwägung zu erfolgen ([X.], 1226, 1227; [X.]/[X.], [X.] 70. Aufl. § 2325 Rn. 9).

3. Sollte hiernach ein Anspruch der Klägerin in Betracht kommen, so ist dieser unabhängig davon, ob und in welchem Umfang sie selbst [X.] erhalten hat, die im Falle einer [X.] nach §§ 2050 ff. [X.] berücksichtigt werden müssten. Der Anspruch aus § 2287 [X.] stellt einen rein persönlichen Anspruch des Vertrags- bzw. Schlusserben dar und fällt nicht in den Nachlass (vgl. Senatsurteile vom 4. März 1992  IV ZR 309/90, [X.], 665 unter 3 d; vom 21. Juni 1989  [X.], NJW 1989, 2389 unter 4; vom 28. September 1983  [X.], [X.], 269, 271; vom 3. Juli 1980  [X.], [X.], 1, 3). Der Anspruch aus § 2287 [X.] darf deshalb nicht in die Auseinandersetzung des Nachlasses hineingezogen werden. Insbesondere kann der Beschenkte die Herausgabe des Geschenks nicht mit der Begründung verweigern, dass der Vertrags- bzw. Schlusserbe selbst [X.] erhalten habe und nach § 2050 [X.] ausgleichspflichtig sei. Derartige [X.] sind erst im Rahmen der Erbauseinandersetzung vorzunehmen und nicht vorweg beim Anspruch aus § 2287 [X.].

IV. Das Berufungsgericht wird auch zu prüfen haben, ob eine etwaige Änderung des landgerichtlichen Urteils Auswirkungen auf die erhobene [X.] haben kann.

[X.]                                            [X.]                                                    Dr. Karczewski

                       [X.] Brockmöller

Meta

IV ZR 72/11

26.10.2011

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 21. März 2011, Az: 21 U 4730/10, Urteil

§ 2287 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.10.2011, Az. IV ZR 72/11 (REWIS RS 2011, 1945)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1945

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