Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.08.2013, Az. 2 AZR 273/12

2. Senat | REWIS RS 2013, 3136

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Gegenstand

Außerordentliche Kündigung - beharrliche Arbeitsverweigerung - Rechtsirrtum


Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 9. Februar 2012 - 4 [X.] 1112/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.

2

Die Klägerin war bei der [X.] und deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. Januar 2006, zuletzt am Standort [X.], als außertarifliche Mitarbeiterin zu einem Jahresgehalt von ca. [X.] Euro brutto beschäftigt. Gemäß Ziff. 1 des Arbeitsvertrags war ihr die Tätigkeit einer Referentin in der Organisationseinheit „Gas Strategy / Market Analysis“ übertragen. Nach Ziff. 2 Abs. 5 des Vertrags war sie verpflichtet, „auch außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit tätig zu werden“.

3

Im Betrieb der [X.] besteht eine „Betriebsvereinbarung 2009 zur Erfassung und Regelung der Arbeitszeit“ vom 31. März 2009. Dort heißt es:

        

„§ 1 Geltungsbereich

        

Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiter (Tarif- und [X.]) der Gesellschaft am Standort [X.] mit Ausnahme der Leitenden Angestellten gemäß § 5 Absatz 3, 4 [X.] sowie Auszubildenden, Werkstudenten, Praktikanten und Diplomanden.

        

§ 2 Arbeitszeit / Arbeitszeitrahmen / Servicezeit

        

1.    

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für [X.] bestimmt sich nach dem jeweils geltenden Tarifvertrag (z. [X.].: Manteltarifvertrag Tarifgruppe [X.]) und beträgt derzeit 38 Stunden für Vollzeitmitarbeiter. …

        

2.    

Die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit erfolgt in der Regel auf die Wochentage Montag bis Freitag jeweils zwischen 6.00 Uhr und 20.00 Uhr. Die Mitarbeiter können die Lage der Arbeitszeit innerhalb dieses Rahmens unter Berücksichtigung der betrieblichen Erfordernisse und der Servicezeit gemäß nachfolgender Ziffer 3 in Abstimmung mit dem Vorgesetzten frei wählen.

        

…       

        
        

§ 5 Gleitzeit

        

1.    

Für jeden Mitarbeiter wird ein Gleitzeitkonto eingerichtet und geführt. Davon ausgenommen sind nur [X.], die gemäß Ziffer [X.], 3. und 5. der Bonus-Betriebsvereinbarung vom 12. Februar 2008 in Verbindung mit Anlage 2 zur Bonus-Betriebsvereinbarung der Vergütungsgruppe „[X.]“ angehören. Für diese [X.] wird kein Gleitzeitkonto geführt und kein [X.] gebildet; die Arbeitszeiten werden lediglich dokumentiert.

                 

…“    

4

Mit E-Mail vom 8. Oktober 2010 forderte die Beklagte die Klägerin auf, mindestens 7,6 Stunden täglich zu arbeiten. Am 15. Oktober 2010 wiederholte sie diese Aufforderung und bat die Klägerin um Mitteilung, wie sie ein dokumentiertes [X.] auszugleichen gedenke. Die Klägerin reagierte darauf nicht. Das Defizit betrug am 8. November 2010 - berechnet auf der Basis einer [X.] - 686,44 Stunden. Mit Schreiben vom 10. November 2010 verlangte die Beklagte von der Klägerin, eine Wochenarbeitszeit von 38 Stunden einzuhalten. Sie wies zudem darauf hin, dass sie beginnend mit dem Monat November 2010 einen Teil des Gehalts einbehalten werde.

5

Am 7. Januar 2011 erhob die Klägerin Klage auf Feststellung, dass sie vertraglich nicht zur Ableistung einer [X.] verpflichtet sei, und machte in jenem Verfahren zugleich die seitens der [X.] einbehaltenen Gehaltsbeträge geltend. Das Verfahren ist durch - klageabweisendes - Urteil des [X.] vom 15. Mai 2013 (- 10 [X.] -) rechtskräftig abgeschlossen.

6

Am 11. Januar 2011 erhielt die Klägerin mehrere schriftliche Abmahnungen bezogen auf folgende Sachverhalte:

        

-       

unentschuldigtes Fehlen am 12. November 2010,

        

-       

in der 46. KW 2010 nur 21,99 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 47. KW 2010 nur 20,55 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 48. KW 2010 nur 10,70 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 49. KW 2010 nur 8,18 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 50. KW 2010 nur 3,07 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 52. KW 2010 nur 2,20 Stunden gearbeitet,

        

-       

in der 1. KW 2011 nur 3,18 Stunden gearbeitet,

        

-       

unentschuldigtes Fehlen an 13 im Einzelnen aufgeführten Tagen.

7

Am 20. Januar 2011 beantragte die Klägerin Urlaub für die Zeit bis zum 31. Januar 2011 wegen eines Trauerfalls. Dieser wurde ihr gewährt. Einen am 28. Januar 2011 eingereichten Urlaubsantrag für weitere 14 Tage lehnte die Beklagte ab. Die Klägerin erschien am 1. Februar 2011 von 14.52 bis 17.23 Uhr zur Arbeit, obwohl - wie ihr bekannt - bereits für 13.00 Uhr eine Besprechung mit ihrem Vorgesetzten wegen einer Zielvereinbarung anberaumt worden war. Am 2. Februar 2011 nahm sie ihre Arbeit um 13.17 Uhr auf und ging nach 3,63 Stunden. Am 3. Februar 2011 war sie 3,52 Stunden, am 4. Februar 2011 2,9 Stunden und am 7. Februar 2011 3,77 Stunden am Arbeitsplatz anwesend. Am 8. Februar 2011 erschien sie nicht zur Arbeit.

8

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16. Februar 2011 außerordentlich fristlos, mit Schreiben vom 22. Februar 2011 „hilfsweise ordentlich fristgerecht zum 30. September 2011“.

9

Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigungen geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte beschäftige die außertariflichen Mitarbeiter nicht nach Maßgabe einer konkreten Wochenarbeitszeit, sondern erwarte von ihnen - im Rahmen einer Vertrauensarbeitszeit ohne Anwesenheitsverpflichtung - lediglich bestimmte Arbeitsergebnisse. Erst recht bestehe keine Verpflichtung, täglich mindestens 7,6 Stunden zu arbeiten. Die im Anstellungsvertrag getroffenen Regelungen seien unklar. Die Beklagte habe auch in der Vergangenheit nicht die Ableistung einer bestimmten Arbeitszeit verlangt.

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche Kündigung der [X.] vom 16. Februar 2011 noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2011 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, aufzulösen. Sie hat gemeint, die Weiterbeschäftigung der Klägerin sei ihr nicht mehr zumutbar gewesen. Diese sei ihrer sowohl nach dem Arbeitsvertrag als auch nach der Betriebsvereinbarung 2009 bestehenden Verpflichtung, eine wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden einzuhalten, bewusst nicht nachgekommen.

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet.

I. Die Revision ist zulässig. Sie ist rechtzeitig eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

1. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des [X.] so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Daher muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die genaue Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (st. Rspr., zB [X.] 27. September 2012 - 2 [X.] 811/11 - Rn. 12; 16. November 2011 - 4 [X.] 234/10 - Rn. 15).

2. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung gerecht. Die Klägerin wendet sich gegen die Annahme des [X.], sie sei vertraglich zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung am vereinbarten Dienstort im Umfang von 38 Stunden in der Woche verpflichtet gewesen. Sie legt ausführlich dar, weshalb die im Berufungsurteil vorgenommene Auslegung rechtsfehlerhaft sein soll. Die Sachrüge wäre im Falle ihrer Begründetheit geeignet, die angefochtene Entscheidung insgesamt zu Fall zu bringen. Das reicht als Revisionsangriff aus.

II. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung vom 16. Februar 2011 ist aus einem wichtigen Grund iSv. § 626 BGB gerechtfertigt.

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht ([X.] 25. Oktober 2012 - 2 [X.] 495/11 - Rn. 14; 27. September 2012 - 2 [X.] 646/11 - Rn. 21). Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellt ua. die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers dar, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (vgl. [X.] 19. April 2007 - 2 [X.] 78/06 - Rn. 22; 5. April 2001 - 2 [X.] 580/99 - zu II 2 a der Gründe, [X.]E 97, 276).

2. Danach ist die Annahme des [X.], das der Klägerin vorgeworfene Verhalten rechtfertige eine außerordentliche Kündigung, im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Die Klägerin war vertraglich zur Erbringung einer Arbeitsleistung im Umfang von 38 Wochenstunden am vereinbarten Dienstort verpflichtet. Dies hat das [X.] mit Urteil vom 15. Mai 2013 (- 10 [X.] 325/12 -) rechtskräftig festgestellt. Daran ist der Senat gebunden.

aa) Die Rechtskraft einer in einem Vorprozess der [X.]en ergangenen Entscheidung ist nicht nur bei Identität der Streitgegenstände, sondern auch dann in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten, wenn eine für den nachfolgenden Rechtsstreit entscheidungserhebliche Vorfrage im Vorprozess entschieden worden ist ([X.] 16. Januar 2008 - [X.]/05 - Rn. 9; [X.]/Vollkommer ZPO 29. Aufl. vor § 322 Rn. 22 ff.). Handelt es sich bei dem Vorprozess um eine negative Feststellungsklage, kommt einem klageabweisenden Urteil dieselbe [X.] zu wie einem Urteil, das das Gegenteil dessen, was mit der negativen Feststellungsklage begehrt wird, positiv feststellt ([X.] 17. März 1995 - V ZR 178/93 - zu II 1 a der Gründe; 17. Februar 1983 - [X.] ZR 184/81 - zu [X.] der Gründe).

bb) Das [X.] hat den Antrag der Klägerin festzustellen, dass sie keine arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Ableistung einer [X.] habe, rechtskräftig abgewiesen (Urteil vom 15. Mai 2013 - 10 [X.] 325/12 -). Damit steht mit präjudizieller Wirkung für den vorliegenden Rechtsstreit fest, dass die Klägerin vertraglich zur Einhaltung einer [X.] (am vereinbarten Dienstort) verpflichtet war. Das gilt umso mehr, als es Ziel und Inhalt der im Vorprozess erhobenen negativen Feststellungsklage war, dem Verlangen der [X.]n auf Ableistung einer entsprechenden Arbeitszeit entgegen zu treten (vgl. dazu [X.] 17. Februar 1983 - [X.] ZR 184/81 - zu [X.] 3 c der Gründe).

b) Die Klägerin hat ihre arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt, indem sie sich beharrlich geweigert hat, ihre Arbeitsleistung in diesem vertraglich geschuldeten zeitlichen Umfang zu erbringen.

aa) Die Klägerin hat jegliche Verpflichtung zur Ableistung eines in Zeitabschnitten bemessenen Mindestmaßes an Arbeit in Abrede gestellt. Dieses Verständnis der arbeitsvertraglichen Regelung hat sie zum einen dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie eine entsprechende negative Feststellungsklage erhoben hat. Zum anderen hat sie auch tatsächlich keine entsprechenden Arbeitsleistungen erbracht, obwohl sie dazu ausdrücklich angehalten worden war. So war sie etwa Ende 2010/Anfang 2011 trotz entgegenstehender Weisung der [X.]n, eine Arbeitszeit von 38 Stunden wöchentlich einzuhalten, über mehrere Wochen hinweg lediglich zwischen zwei und 23 Stunden im Betrieb der [X.]n anwesend.

bb) Ihrem Verhalten kann nicht entnommen werden, dass sie lediglich von einem ihr vermeintlich zustehenden Recht, die Lage ihrer Arbeitszeit flexibel zu gestalten, hätte Gebrauch machen wollen und dementsprechend zur Nachleistung bereit gewesen wäre (vgl. [X.] 15. Mai 2013 - 10 [X.] 325/12 - Rn. 40). Dies ergibt sich ohne Weiteres daraus, dass sie ihre Arbeitsleistung sowohl über einen langen Zeitraum hinweg als auch in einem erheblichen Umfang nicht erbracht hat. Angesichts der zeitlichen Ausmaße ist nicht erkennbar, wie eine Nachleistung - unter Beachtung der Vorgaben des [X.] - möglich gewesen wäre. Die Klägerin hat ihrem mangelnden Willen zur Nachleistung auch dadurch Ausdruck verliehen, dass sie auf die Nachfrage der [X.]n, wie sie die aufgelaufenen Minusstunden auszugleichen gedenke, nicht reagiert hat.

cc) Für die kündigungsrechtliche Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob die Weisung der [X.]n, die Klägerin möge eine wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden einhalten, so zu verstehen war, dass diese nicht (mehr) von einer ihr bisher eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen dürfe, ihre Arbeitszeit flexibel zu gestalten. Ebenso kann offen bleiben, ob eine solche Weisung individualrechtlich und kollektivrechtlich wirksam gewesen wäre (offengelassen auch in [X.] 15. Mai 2013 - 10 [X.] 325/12 - Rn. 13). Die Klägerin war unabhängig von der Lage der Arbeitszeit nicht bereit, ihre Arbeitskraft dem Umfang nach in [X.] anzubieten. Bereits darin liegt eine schwerwiegende Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten.

dd) Die Weigerung war auch beharrlich.

(1) Ein Arbeitnehmer verweigert die angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht leisten will (vgl. [X.] 23. Mai 2013 - 2 [X.] 54/12 - Rn. 39; 24. Februar 2011 - 2 [X.] 636/09 - Rn. 15, [X.]E 137, 164).

(2) Die Klägerin hat willentlich gegen ihre vertragliche Verpflichtung verstoßen. Selbst wenn die [X.] in der Vergangenheit die Ableistung einer [X.] nicht eingefordert haben sollte, hat sie jedenfalls ab November 2010 durch entsprechende Weisungen und die in der Folge ausgesprochenen Abmahnungen deutlich zum Ausdruck gebracht, wie sie die vertraglichen Vereinbarungen versteht und was sie von der Klägerin erwartete. Statt ihr Verhalten darauf einzustellen, hat die Klägerin - nachhaltig - darauf bestanden, jeglichen Zeitmaßes enthoben zu sein.

(3) Der Umstand, dass zwischen den [X.]en - bezogen auf den zeitlichen Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung - Streit über die Auslegung des Arbeitsvertrags bestand, steht der Annahme einer erheblichen Pflichtverletzung nicht entgegen.

(a) Maßgebend für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine beharrliche Arbeitsverweigerung und damit eine erhebliche Vertragspflichtverletzung darstellt, ist die objektive Rechtslage. Der Arbeitnehmer kann sich einem vertragsgemäßen Verlangen des Arbeitgebers nicht dadurch - vorläufig - entziehen, dass er ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der umstrittenen Frage einleitet. Andernfalls würde das Weisungsrecht des Arbeitgebers - ggf. über Jahre - in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt. Verweigert der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als fehlerhaft erweist.

(b) Auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum kann sich die Klägerin nicht berufen. Sie musste bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt in Rechnung stellen, dass für sie die [X.] Arbeitszeit - von 38 Stunden wöchentlich - galt (vgl. [X.] 15. Mai 2013 - 10 [X.] 325/12 - Rn. 16).

(aa) An die zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. [X.] 12. November 1992 - 8 [X.] 503/91 - zu I 1 der Gründe mwN, [X.]E 71, 350). Es reicht nicht aus, dass sich die betreffende [X.] ihre eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat. [X.] ist ein Rechtsirrtum nur, wenn sie mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte (vgl. [X.] 6. Dezember 2006 - IV ZR 34/05 - zu II 1 a aa der Gründe; 27. September 1989 - [X.] -).

(bb) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Klägerin musste schon mit Blick auf die im Arbeitsvertrag getroffenen Vereinbarungen damit rechnen, dass eine Arbeitsverpflichtung in einem bestimmten zeitlichen Umfang bestand. Sie war nach Ziff. 2 Abs. 5 Satz 1 des Arbeitsvertrags verpflichtet, im Rahmen ihrer Aufgabenstellung auch außerhalb der [X.]n Arbeitszeit tätig zu werden. Dies setzt bei verständiger Würdigung eine Bindung an die [X.] Arbeitszeit voraus (vgl. [X.] 15. Mai 2013 - 10 [X.] 325/12 - Rn. 20, 22). Die [X.] hatte der Klägerin überdies spätestens ab [X.] 2010 klar vor Augen geführt, wie sie die vertraglichen Abreden verstehe. Sie konnte sich mit ihrem Verlangen nach Einhaltung einer [X.]n Arbeitszeit von 38 Wochenstunden sowohl auf die bisherige Rechtsprechung des [X.]s (vgl. [X.] 9. Dezember 1987 - 4 [X.] 584/87 - [X.]E 57, 130) als auch auf eine verbreitete Auffassung in der Literatur stützen (vgl. dazu die Nachweise bei [X.] 15. Mai 2013 - 10 [X.] 325/12 - Rn. 21). Auch „Vertrauensarbeitszeit“ und getroffene Zielvereinbarungen konnten die Klägerin nicht ernsthaft in der Annahme bestärken, sie sei einer Bindung an ein bestimmtes Zeitmaß enthoben. „Vertrauensarbeitszeit“ bedeutet grundsätzlich nur, dass der Arbeitgeber auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet und darauf vertraut, der betreffende Arbeitnehmer werde seine Arbeitsverpflichtung in zeitlicher Hinsicht auch ohne Kontrolle erfüllen (so schon [X.] 6. Mai 2003 - 1 [X.] II 2 d cc (2) der Gründe, [X.]E 106, 111; nunmehr auch [X.] 24. Mai 2012 - 2 [X.] 124/11 - Rn. 34). Dies war für die Klägerin ebenso erkennbar wie der Umstand, dass die Erreichung von Zielen nach dem Arbeitsvertrag lediglich für die Höhe ihrer variablen Vergütung relevant war. Indem sie bei einer derartigen Sach- und Rechtslage sämtliche gegen die Richtigkeit ihrer Rechtsauffassung sprechenden Gesichtspunkte sehenden Auges hintanstellte, handelte sie bewusst auf eigenes Risiko. Es kann deshalb dahinstehen, wie sich ein mangelndes Verschulden der Klägerin auf den Kündigungsgrund ausgewirkt hätte (zur Problematik vgl. [X.] 3. November 2011 - 2 [X.] 748/10 - Rn. 20, 22).

c) Die vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen geht zu Lasten der Klägerin aus. Das gilt selbst dann, wenn zu ihren Gunsten unterstellt wird, dass die [X.] aufgrund des vertraglichen Weisungsrechts (§ 106 Satz 1 GewO) nicht berechtigt war, ihr - der Klägerin - bei der Arbeitszeitgestaltung jegliche Flexibilität abzusprechen und die Ableistung von mindestens 7,6 Stunden arbeitstäglich zu verlangen. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass das [X.] hierauf im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung entscheidend abgestellt hätte. Zum anderen stehen sämtliche relevanten Tatsachen fest. Unter dieser Voraussetzung ist es dem Senat möglich, die Interessenabwägung selbst vorzunehmen ([X.] 9. Juni 2011 - 2 [X.] 323/10 - Rn. 36; 10. Juni 2010 - 2 [X.] 541/09 - Rn. 33, [X.]E 134, 349).

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten [X.] und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ([X.] 25. Oktober 2012 - 2 [X.] 495/11 - Rn. 15; 9. Juni 2011 - 2 [X.] 323/10 - Rn. 27).

bb) Daran gemessen war die [X.] zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt.

(1) Das vertragswidrige Verhalten ist von erheblichem Gewicht. Die Klägerin hat trotz nachdrücklichen Verlangens der [X.]n, die [X.] Arbeitszeit einzuhalten, kontinuierlich Arbeitsleistungen lediglich im Umfang von weit unter 38 Stunden wöchentlich erbracht. Im Kündigungszeitpunkt bestand die berechtigte Besorgnis, dass sie ihr Verhalten auch in der Zukunft fortsetzen und deshalb das Arbeitszeitdefizit, das sich bereits im November 2010 auf nahezu 700 Stunden belief, weiter anwachsen werde. Eine solche Zurückhaltung der Arbeitskraft brauchte die [X.] nicht weiter hinzunehmen.

(2) Der mögliche Rechtsirrtum der Klägerin wirkt sich nicht entscheidend zu ihren Gunsten aus. Zwar kann im Rahmen der Interessenabwägung - abhängig vom Grad des Verschuldens - auch ein vermeidbarer Irrtum des Arbeitnehmers Bedeutung gewinnen (vgl. [X.] 27. September 2012 - 2 [X.] 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 [X.] 274/95 - zu II 4 der Gründe mwN). Die Klägerin trifft jedoch hinsichtlich eines ihr unterlaufenen [X.] mit Blick auf die arbeitsvertraglichen Regelungen sowie die wiederholte, nachdrückliche Aufforderung seitens der [X.]n zur Einhaltung der [X.]n Arbeitszeit ein nicht nur geringes Verschulden. Allein der Umstand, dass der von ihr beauftragte Rechtsanwalt sie in ihrem gegenteiligen Standpunkt bestärkt haben mag, ändert daran nichts.

(3) Ein milderes Mittel stand der [X.]n nicht zur Verfügung.

(a) Die Klägerin war im Kündigungszeitpunkt offensichtlich unter keinen Umständen bereit, eine Verpflichtung zur Einhaltung einer [X.] anzuerkennen und ihre Arbeitskraft im vertraglich geschuldeten Umfang zur Verfügung zu stellen. Dies belegt der Umstand, dass sie weder auf die Weisung der [X.]n, noch auf die ihr erteilten Abmahnungen reagiert hat - ohne dass es auf deren Berechtigung in jedem Einzelfall ankäme. Die Kündigung erweist sich auch nicht mit Blick auf die Anzahl der Abmahnungen als unverhältnismäßig. Daraus konnte die Klägerin - zumal die Schreiben ihr allesamt am gleichen Tag überreicht wurden - nicht entnehmen, die [X.] halte die beharrliche Nichteinhaltung der [X.]n Arbeitszeit für nicht so schwerwiegend (zur Abschwächung der Warnfunktion einer Abmahnung vgl. [X.] 27. September 2012 - 2 [X.] 955/11 - Rn. 47; 15. November 2001 - 2 [X.] 609/00 - zu II 3 b aa der Gründe, [X.]E 99, 340).

(b) Die [X.] war auch nicht gehalten, auf den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu verzichten und stattdessen weiterhin nur Teile der Arbeitsvergütung einzubehalten. Die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst für die Dauer der Kündigungsfrist ergibt sich bereits daraus, dass die Klägerin die vertragsgemäße Erbringung ihrer Hauptleistungspflicht verweigert und es der [X.]n damit unmöglich gemacht hat, mit ihrer Arbeitskraft zu planen. Abgesehen davon hätte der Einbehalt von Entgelt die Nachteile eines stetig anwachsenden Arbeitszeitdefizits allenfalls teilweise ausgeglichen. Darauf, ob und ggf. welche Arbeit aufgrund der Abwesenheit der Klägerin nicht erledigt worden ist, kommt es nicht an.

(4) Dem Alter der Klägerin von im Kündigungszeitpunkt 42 Jahren und ihrer Betriebszugehörigkeit von etwa fünf Jahren kommt angesichts der Beharrlichkeit sowie des Umfangs der Pflichtverletzung keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

3. Die [X.] hat die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat ihre Kündigung damit begründet, die Klägerin sei nachhaltig nicht bereit, ihre Arbeitsleistung in dem vertraglich geschuldeten - nach Zeitabschnitten bemessenen - zeitlichen Umfang zu erbringen. Damit hat sie einen [X.] geltend gemacht, der sich fortlaufend neu verwirklichte (vgl. [X.] 13. Mai 2004 - 2 [X.] 36/04 - zu II 1 der Gründe; 18. Oktober 2000 - 2 [X.] 627/99 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 96, 65).

4. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung und der [X.] fallen dem Senat nicht zur Entscheidung an.

[X.]. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Wolf    

        

    Torsten Falke    

                 

Meta

2 AZR 273/12

29.08.2013

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Essen, 22. Juli 2011, Az: 5 Ca 581/11, Urteil

§ 626 Abs 1 BGB, § 626 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.08.2013, Az. 2 AZR 273/12 (REWIS RS 2013, 3136)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3136


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 AZR 273/12

Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 273/12, 29.08.2013.


Az. 5 Ca 581/11

Arbeitsgericht Essen, 5 Ca 581/11, 22.07.2011.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 Ca 581/11 (Arbeitsgericht Essen)


Referenzen
Wird zitiert von

6 Sa 513/16

5 Sa 258/16

14 Ca 6964/15

6 Ca 2396/17

11 Sa 378/18

11 Sa 1024/15

7 Sa 144/15

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